1. Kurzgeschichte
hat in ihrem Buch "Lagom - Das Schreibprojekt" eine Challenge gemacht. Ich habe mir die Nummer fünf ausgesucht. Das sind die Wörter: Abgrund, Träne, Ewigkeit.
Ich hoffe, euch wird die Kurzgeschichte gefallen.
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Diagnose: Stummheit.
Das war der ausschlaggebende Punkt, um den Abgrund stetig zu erhöhen. Der Strudel um den kleinen, in sich gekehrten Jungen wurde immer tiefer und tiefer.
»Ihr Sohn wird niemals sprechen können«, hatten die Ärzte dem Elternpaar mitgeteilt. »Ihm fehlen die Stimmbänder.«
Seiner Mutter war eine Träne aus dem Auge gerollt. Stur, mit fassungslosem Gesichtsausdruck, hatte ihr Mann neben ihr im Zimmer des Oberarztes gestanden.
»Kann man das nicht verhindern? Oder irgendwie aufhalten?«, waren die verzweifelten Worte aus ihrem Mund gekommen. Dabei hatte die Frau, sie war ungefähr um die dreißig, bitterlich geschluchzt.
Mitfühlend seufzte der praktizierende Arzt. »Es tut mir leid. Dagegen kann nichts gemacht werden.«
Sein Vater hatte mit einer kühlen Maske genickt und seine weinende Frau aus dem Zimmer gezogen.
***
Als sie in ihrem Heim ankamen, lag der vierjährige Junge in seinem Bett. Die Augen hatte er geschlossen und ahnte nicht, dass sein Leben auf der Schwebe zwischen Abgrund und Ewigkeit stand. Nur die lauten Geräusche aus der Küche ließen ihn frösteln. Seine Eltern stritten. Der Kleine verstand nicht warum. Er nahm Wortfetzen wie:
»...Kannst du nicht machen! Er ist doch noch ein kleines Kind.«
»Ich kann sehr wohl!«
Und dann war es wieder geschehen. Lautkrachend flog die Zimmertür auf. Ängstlich hatte er sich unter der Decke verkrochen. Es half nichts. Sein Vater hatte ihn schon längst erspäht.
Er brüllte fuchsteufelswild: »Komm raus!«
Immer, wenn er nicht gehorchte, drang der Schmerz tief in ihn ein. Er schürte den Abgrund mehr und mehr, indem sich der kleine Junge befand. Bald, dass wusste er, würde auch sein Leben enden.
»Sprich!«, wurde er eines Tages von seinem nach Alkohol stinkenden Vater aufgefordert. Der ängstliche Junge öffnete den Mund. Nichts. Stille. Das schwere Atmen seines Vaters ließ das Blut in dem Kind kochen. Wild flatterte das Herz in seinem kleinen Brustkorb. Die Kehle schnürte sich zu. Merkwürdige Laute polterten aus seinem Mund. Und dann traf ihn wieder die Woge des Schmerzes. Es brannte wie Säure.
Immer, wenn er allein in seinem Bett lag, fluteten Tränen das Gesicht des Jungen. Niemand sollte sehen, dass er unter seinem Vater litt. Keiner sollte seine Abgründe erkennen, keiner die Tränen, die durch das zermürbende Verhältnis seines Vaters ihm gegenüber, verstärkt über die Wangen des Kindes liefen.
Draußen setzte jeder von ihnen das perfekte Lächeln auf. Niemand schien zu merken, dass bei dieser Familie etwas nicht stimmte. Keiner sah die Abgründe, zwischen denen sich die Personen bewegten.
***
In den Jahren, die der Junge verbrachte, versiegten die Tränen; wurden zu einer gleichgültigen Maske. – Wenigstens wuchs seine Schwester behütet auf. Nicht wie er. Doch trotzdem merkte sie, dass eine gewaltige Spannung zwischen ihrem Bruder und ihrem Vater herrschte.
Immer wieder hatte sie versucht, etwas aus ihrem zwei Jahre älteren Bruder herauszufinden. Doch nichts: er blieb stur, schwieg beharrlich. Auch ihre Mutter hatte geschwiegen. Verheimlichen konnte sie jedoch nicht, dass ihr Mann sie ab und an schlug. Das merkte auch die jüngere Schwester des Jungen.
In der Nacht machte sich das Küken Vorwürfe, Tränen flossen über ihre zarten Wangen.
***
Das Verhältnis zu seinem Vater hatte sich in den Jahren nie gebessert. Er wurde von ihm wie Abschaum behandelt, sodass sich seine Ewigkeit des Leben wie Kaugummi in die Länge zog. Heimlich sehnte er sich nach einem schnellen Tod. Dachte dann aber an seine Schwester. Nein! Er konnte sie nicht alleine lassen.
Also kehrten die Tränen doch wieder zurück. Suchten ihn nachts heim, wenn er nicht schlafen konnte.
Erinnerungen an seine Vergangenheit:
Sein fordernder Vater. Er solle sprechen, sonst würde ihm was Schlimmes geschehen. Er konnte fordern, wie oft er wollte.
Es würde nichts bringen.
Er war auf Ewig stumm.
Das war die Strafe, die ihm in die Wiege gelegt wurde. Damit musste sich der junge Mann abfinden.
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