Adventswettbewerb- Teil 4
Das hier ist die letzte Kurzgeschichte zum Schreibwettbewerb von Bienchen180804. Die vorgegebenen Wörter sind:
Zimt, Kartoffelsalat, Weihnachtsbaum
Die Anderen hatten sich unterm Weihnachtsbaum versammelt. Meine Cousinen Pauline und Ina hatten schon ein Päckchen von meiner Mutter entgegengenommen und freudig zwei Pullis ausgepackt. Ich machte mir nicht die Mühe zu ihnen herüberzugehen, sondern blieb am Esstisch sitzen und stocherte im Kartoffelsalat herum. Mir fiel auf, wie hauptsächlich die Tanten mitleidig und verstohlen zu mir herüber guckten. Ich brauchte gewiss kein Mitleid, es sei denn für meine sture Familie. Aber es war ja immer so. Immer sahen sie mit so einem Blick zu mir, als wäre ich todkrank. Ich gehe im Sommer von der Schule, um eine Europareise zu machen. War denn das so schlimm?
Tante Martha blickte mich traurig an und lächelte tröstend, als ich zurücksah. Tante Lena schüttelte enttäuscht den Kopf. Onkel Martin erzählte laut von den Möglichkeiten, die ihm sein Abitur eröffnet hatte. Onkel Paul hielt sogar seinen Sohn und meinen Cousin Jason mit wütend blitzenden Augen von mir fern, als er mit seinem neuen Lego-Set zu mir rennen wollte. Aber mir war das egal. Im Sommer war ich sowieso weg.
Eine Sache bereitete mir Sorgen. Ich konnte mich nicht im Fiat meiner Eltern auf eine Reise durch Europa begeben. Natürlich gab es auch noch die Bahn, aber man war weniger flexibel und ohne Sitzplatzreservierung war es schwierig, überhaupt einen Platz zu finden. Also brauchte ich bis zum Sommer noch eine Lösung. Obwohl es noch lange hin schien, verging die Zeit wie im Flug. Und ich wollte es mir nicht geben, nachher eine Kehrtwendung hinzulegen und meinen Traum nicht umzusetzen. Ich konnte auch nicht meine Eltern nach einem eigenen Auto oder ein wenig Zuschuss fragen. Diese Genugtuung würden meine Eltern nicht bekommen. Ich war schon insgesamt ziemlich unvorbereitet, aber das würde ich niemandem sagen. „Warum fährst du nicht einfach in ein paar Jahren?", hatte Oma Ruth mich gefragt. Sie verstanden alle nicht, dass es Zeit für eine Auszeit war. Die Schule, Familie, Freunde wuchsen mir über den Kopf. Ich wollte Neues sehen. Ich wollte die Welt entdecken, wollte mich entdecken. Ich wollte die Zeit nutzen, die ich noch vor beruflichen Verpflichtungen und eigener Familie hatte.
Ich wurde durch ein Räuspern aus den Gedanken gerissen. Mein Bruder stand vor mir. „Das ist von Oma Lilli." Er hielt mir eine Karte und ein winziges Päckchen hin. Oma Lilli. Bei ihr feierten wir heute Weihnachten. Obwohl sie eigentlich jeden persönlich begrüßt hatte, war ich ihr irgendwie aus dem Weg gegangen. Sie war die Konservativste in unserer ganzen Familie. Wahrscheinlich hatte sie die Karte mit einer Bitte an mich, die Schule abzuschließen, beschriftet. Ich ignorierte meinen Bruder und erst recht das Geschenk und lud mir noch eine Zimtrolle auf den Teller. Seufzend legte er das Päckchen mit der Karte vor mir hin und ging zurück zum Baum. Von dort aus waren alle Blicke auf mich gerichtet. Ich biss entspannt in die Zimtrolle und wartete bis sich der Fokus wieder auf die Geschenke gerichtet hatte. Leise öffnete ich die Karte und las.
Liebe Tina,
Ich wünsche dir alles Guten zu Weihnachten und bald ein frohes neues Jahr! Ich hoffe das Geschenk ist das Richtige für dich. Er ist zwar ein bisschen eingerostet, aber damit ist das nächste Jahr bestimmt schön. Ich hatte schon meinen Spaß, jetzt bist du dran!
Liebe Grüße, Oma Lilli
Na toll. Was hieß das jetzt? Aber „das nächste Jahr" klang sehr nach irgendetwas für die Schule. Ich legte die Karte beiseite und packte raschelnd das Geschenk aus. Ich sah ein umgedrehtes Foto und ein silbernes Metallstück. Als ich das ganze Papier entfernt hatte, stellte sich das Metallteilen als Schlüssel heraus. Ich begutachtete die Gravur. VW T2. Ungläubig drehte ich das Foto um. Es war alt und vergilbt, zeigte aber noch deutlich erkennbar einen Bulli und eine junge Frau, die sich lässig an das Fahrzeug lehnte und in die Kamera grinste. War das Oma Lilli? Und wirklich: Unten am Bildrand war geschrieben: Lilli und Bulli. Sie wollte mir wirklich ihren Bulli schenken!
Ich blickte zu Oma Lilli herüber und sie zeigte beide Daumen nach oben. Ich lächelte. Dann steckte ich die restliche Zimtschnecke in den Mund und lief herüber zu den Anderen.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top