to the stars [VMin]

Dieser kleine OS ist nicht auf meinem Mist gewachsen. Ihr dürft euch bei der lieben @Taelirium bedanken, die diese Idee in den Raum geworfen hat, weil ich mal wieder zu neugierig war. Da ich direkt einige Bilder zu der Idee im Kopf hatte und angemerkt worden ist, dass man diese traurige Geschichte lesen wollen würde, habe ich mich dazu entschlossen sie kurzerhand zu verschriften.

Hier also ein kleiner Einblick in eine sehr traurige Geschichte, die sicherlich nichts für schwache Nerven ist. Daher spreche ich für diesen OS auch eine ganz klare Triggerwarnung aus, denn hier geht es um Selbstmord, Trauerbewältigung und Tod. Seid also gewarnt, trotzdem dürft ihr euch gerne an der Wagenladung Taschentücher bedienen, wie dem heißen Kakao und den Keksen.

In diesem Sinne – bleibt stark

Eure Nick [Hobi]


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Manchmal war das Leben wie eine Abrissbirne, die alles ohne Gnade mit sich riss und genauso fühlte ich mich gerade.

Ich wusste nicht ab welchem Punkt alles aus den Fugen geraten war, aber ich befürchtete, dass es der Moment gewesen war, als Jimin und ich uns aus den Augen verloren hatten, auch wenn wir uns geschworen hatten für ewig Freunde zu bleiben. Doch diese eine Entscheidung hatte alles geändert und Jimin in eine Abwärtsspirale befördert, die ich nicht in der Lage gewesen war aufzuhalten. Ich hatte es nicht mitbekommen, es nicht gesehen, da ich blind vor Wut gewesen war, vor Trauer und Schmerz.

Ja, ich gab mir eine Teilschuld an seiner Entscheidung sein Leben vorzeitig beendet zu haben und es verfolgte mich jeden Tag. Vor allem aber seitdem ich dieses eine Bild in meinen Händen hielt, welches uns beide im Schulalter zeigte. Es war ein Foto, welches meine Großmutter von uns mit ihrer Polaroidkamera aufgenommen hatte, als wir in ihrem Garten campiert hatten.

Jimin hatte seinen Arm um mich gelegt, lächelte in die Kamera, während ich mein breitestes Grinsen ausgepackt hatte. Es war ein Wunder, dass man unsere Gesichter auf dem Bild überhaupt erkannte, doch das Wandlicht von der Terrasse war stark genug gewesen. Trotzdem war es sehr dunkel und man sah nur vage den Baum und die Sterne im Hintergrund. Der Mond hingegen strahlte und erhellte das Bild noch ein wenig. Es war ein Schnappschuss geworden und ich liebte meine Oma für diese Erinnerung.

Ich wusste noch, wie wir nach ihrem kurzen Besuch im Garten die ganze Nacht wachgelegen hatten, Arm in Arm und in die Sterne gestarrt hatten. Wie wir sie uns gegenseitig gezeigt hatten und den anderen übertrumpfen wollten. Wir hatten herumgealbert, waren über die Wiese getollt und hatten viel gelacht, bis wir uns das Versprechen gegeben hatten, dass wir eines Tages die Sterne von Nahem betrachten würden. Gemeinsam und so hatte er ‚to the stars' auf den unteren Rand des Fotos geschrieben – doch was war dieses Versprechen jetzt noch wert? Jimin war tot. Seine Beerdigung war wenige Monate her und ich hatte mich mit einem schlechten Gewissen bei ihm verabschiedet, weil wir unsere Differenzen nie aus der Welt hatten schaffen können. Er hatte mich in dieser grausamen Welt allein zurückgelassen und jetzt saß ich hier, durchwühlte seine letzten Besitztümer auf Erden, die seine Eltern mir hatten zukommen lassen und weinte.

Die Trauer überrollte mich, während ich das Bild fest in meiner zitternden Hand zerknüllte und fluchte. Ich wusste nicht, ob ich sauer war, oder einfach nur verzweifelt. Warum hatte ich es zugelassen, dass sich dieses Mädchen zwischen uns drängen konnte? Waren Freunde nicht in jeder Lebenslage füreinander da? Warum hatte ich zugelassen, dass uns die Liebe zu einem anderen Menschen auseinandertreiben konnte? War ich so egoistisch gewesen? Und warum hatte ich nicht mitbekommen, wie sie ihn kaputtgemacht hatte? Wie er von einer Katastrophe in die Nächste gestürzt war und keinen Halt mehr gefunden hatte. Wie er daran zerbrochen war, dass ich mich gegen ihn und er sich für die Liebe entschieden hatte.

Eine falsche Entscheidung, die ihm den Lebenswillen gekostet hat – so hatte es in seinem Abschiedsbrief gestanden. Und was hatte ich getan? Ich hatte unser Versprechen vollkommen vergessen. Es verdrängt. Es ignoriert – ihn ignoriert.

Ich weinte bitterlich, ließ es raus und als ich das Gefühl hatte, dass es langsam besser wurde, erhob ich mich, schlurfte ins Bad und öffnete meine geballte Faust. Der Anblick von dem zerknüllten Bild, ließ mein Herz erneut schwer werden, weswegen ich es vorsichtig versuchte auf dem Badewannenrand glattzustreichen. Es war völlig zerknittert und an einigen Stellen sah man kleine Risse, die weiß hervortraten, doch ich sah immer noch dasselbe Lächeln in seinem Gesicht. Ich schob das Bild in den Spiegelrahmen und betrachtete es schweigend, während eiskaltes Wasser über meine Hände lief. Es dauerte einen Moment, bis ich mich besann, mir mein Gesicht wusch und mir endlich die kalten Hände abtrocknete. Sie zitterten, was ich jedoch erst bemerkte, als ich versuchte die Nummer meiner Oma in mein Handy einzutippen. Ich wollte zu ihr, mich in das Gras legen und zurück an eine Zeit denken, in der ich glücklich gewesen war.

Das penetrante Tuten, machte mich noch nervöser und ließ mein Herz schneller schlagen. Es war bereits eine Weile her, dass ich sie das letzte Mal gesehen oder mich bei ihr gemeldet hatte, was mich zu einem schlechten Enkelsohn machte, jedoch kam ich nicht weiter dazu mir Vorwürfe zu machen, da das Gespräch entgegengenommen wurde.

„Hallo, Taehyung. Es ist schön, dass du mich anrufst", hörte ich die gebrechliche Stimme meiner Oma, die mittlerweile nicht mehr ganz so fit war, aber immer noch in ihrem Haus lebte. Sie wollte nicht ausziehen, obwohl Opa vor einigen Jahren gestorben war. Meine Mum sah fast jeden Tag nach ihr und hatte mich schon öfter darum gebeten, mich doch auch wieder bei ihr zu melden. Ich wusste nicht einmal, warum ich ihre Nähe mied, wobei sich langsam ein Gedanke in mein Bewusstsein schlich, der mir langsam die Kehle zuschnürte.

„Taehyung? Bist du noch dran?"

Ich schluchzte, presste mir die Hand auf den Mund und betete zu Gott, dass ihre Ohren genauso schlecht wie ihre Sicht geworden waren.

„Liebling. Hey, was ist denn los? Ist etwas passiert? Soll Oma zu dir kommen?"

Jetzt war es um mich geschehen und erneut brach ich in Tränen aus, sackte unkontrolliert auf meine Knie, wobei mir das Handy aus der Hand glitt. Meine Stirn sank gegen die kalten Fliesen und ich konnte meinen Körper nicht mehr kontrollieren. Er erzitterte unter den heftigen Schluchzern, während sich meine Zehen schmerzhaft in den Boden bohrten. Fest biss ich mir auf die Unterlippe, ballte meine Hände zu Fäusten und versuchte irgendwie wieder Herr meiner Lage zu werden, wobei die besorgten Ausrufe meiner Oma immer lauter wurden. Hastig griff ich nach dem Handy, richtete mich auf und presste es fest gegen meine Brust, so dass sie womöglich mein heftig schlagendes Herz hören konnte.

„Ich ... darf ich vorbeikommen?", brachte ich zwischen ihren besorgten Ausrufen hervor, nachdem ich mich dazu besinnen konnte, ihr endlich zu antworten und ihr somit die Sorge zu nehmen. Ich hörte sie tief durchatmen.

„Jag mir nie wieder so einen Schrecken ein, du ungehobelter Bengel. Und natürlich darfst du vorbeikommen. Jederzeit. Das weißt du doch und jetzt lass deine Oma nicht länger warten. Ich mach dir schon einmal eine heiße Schokolade."

„Entschuldige. Ich mach mich sofort auf den Weg", murmelte ich ins Mikrophon und legte nach einer kurzen Verabschiedung auf. Das Handy schob ich mir zurück in die Hosentasche, griff nach dem Waschbecken und zog mich auf die Füße. Kaum sah ich mein Spiegelbild, wich ich einige Schritte zurück und griff mir an die aufgeplatzte Lippe. Ich musste wohl so fest zugebissen haben, dass sie unter dem Druck aufgerissen war, und ich hatte es nicht einmal bemerkt.

Fahrig fuhr ich mir übers Gesicht, glitt in mein Haar und entließ schwer die angestaute Luft aus meinen Lungen. Wie sollte ich dieses Desaster nur wieder hinbekommen? Ich sah furchtbar aus. Meine Augen waren geschwollen, rotumrandet und meine Nase lief. Seufzend entkleidete ich mich, stellte mich in die Duschwanne und ließ das warme Wasser über mein Gesicht laufen, wobei sich noch die ein oder andere Träne aus meinem Augenwinkel löste und hinfort getragen wurde.

Ich wusste nicht, wie lange ich unter dem Wasser stand, aber als ich mir die Zähne putzte, das Gesicht eincremte und meine Haare machte, war die Haut an meinen Fingern immer noch ganz schrumpelig. Erst als ich mich angekleidet hatte, das Bild aus dem Rahmen gezogen hatte und mit dem Schlüssel in der Hand neben der verschlossenen Tür stand, fühlte ich mich wieder halbwegs lebendig. Ich lief die Treppen hinunter, grüßte eine Nachbarin, die an mir vorbeikam und lief zur nächsten Bushaltestelle. Ich musste nicht lange warten, da kam bereits der richtige Bus, der mich innerhalb von wenigen Minuten bis fast vor Omas Haustür brachte. Ich klingelte und musste warten, doch als sie mir aufmachte, zog sie mich augenblicklich in eine schraubstockartige Umarmung, aus der sie mich nicht mehr entließ. Sie hatte definitiv noch mehr Kraft, als man ihr ansehen konnte.

„Oma. Ich bekomme keine Luft mehr", jammerte ich leise gegen ihren Busen, auf den sie meinen Kopf drückte, und erst da ließ sie wieder von mir ab, legte ihren Arm um meine Schultern und schob mich in das Innere, wo sie mich direkt auf ihre Couch setzte, eine Decke um mich legte und mir eine dampfende Tasse in die Hand drückte. Bei einem Blick hinein, wusste ich, dass es natürlich der beste Kakao war, den es auf der Welt gab. Omas Kakao brachte Frieden und doch löste er auch eine gewisse Nostalgie in mir aus, weil Jimin und ich oft Omas Kakao getrunken und dabei Marshmallows gegessen hatten. Häufig hatten wir uns mit den klebrigen Dingern beworfen und dabei eine ordentliche Sauerei veranstaltet, die wir unter Omas strengen Blick wieder saubermachen durften – auf allen vieren verstand sich und selbst da hatten wir nur Blödsinn im Kopf.

„Oma? Hast du noch alte Polaroids von Jimin und mir?", fragte ich nach einer Weile des Schweigens und richtete dabei meinen Blick zu ihr auf. Sie musterte mich besorgt, nickte dann aber.

„Natürlich. Soll ich sie dir holen?"

„Wenn es dir keine Umstände macht? Du kannst mir auch sagen wo sie sind und ich hole sie selbst", sagte ich, befeuchtete mir meine Lippen und hoffte inständig, dass ich einfach noch etwas sitzenbleiben konnte und man mein Zittern nicht bemerkte.

„Ist schon gut. Ich werde sie holen und danach wirst du Oma erzählen was dich bedrückt. Okay, Schatz?", bat sie mich, wobei ich lediglich nickte und kurzdarauf an der Tasse nippte. Die warme und zugleich süße Flüssigkeit breitete sich in meinem Mund aus und löste ein wohliges Gefühl in mir aus, welches mir Trost spendete. Es tat gut, weswegen ich meine Augen schloss, um den Moment für einen Augenblick festzuhalten und mich daran zu klammern. Er wurde erst unterbrochen, als ich ein Poltern vernahm. Sofort sprang ich auf, stellte die Tasse beiseite und ließ die Decke von meinen Schultern gleiten, um schnell die Treppen hinaufzusprinten und zu der Quelle zu gelangen.

„Alles in Ordnung?", rief ich aus, wobei ich meine Oma auf dem Dachboden fand, wo sie auf den Boden hockte und den Staub von einem Karton klopfte. Sie hustete, wedelte mit der Hand herum und sah erst dann überrascht zu mir.

„Du solltest doch unten warten."

„Aber Oma ... es hat gepoltert. Ich habe mich erschrocken. Geht es dir gut?", fragte ich erneut, doch sie winkte nur ab, lachte sogar und öffnete jetzt den Karton, aus dem sie eine Metallkiste nahm, die sie mir reichte.

„Hilf mir mal hoch, Junge", bat sie und ich fasste sie am Oberarm, um genug Halt zu haben, und sie auf die Beine zu ziehen. Sie ächzte, hielt sich den Rücken und nuschelte unverständliche Worte vor sich hin, bevor sie mich nach unten scheuchte und mir folgte.

Unten angekommen ließen wir uns wieder auf die Couch sinken, wobei ich mir die Decke erneut um die Schultern legte. Dieses Mal hatte ich mich im Schneidersitz hingesetzt und hatte die Box in meinen Schoß abgelegt, bevor ich es mir noch eine Spur bequemer machte und sie öffnete. Den Deckel legte ich auf dem sperrigen Wohnzimmertisch ab und sah anschließend hinein, wobei ich sofort auf einen ganzen Haufen Polaroids blickte. Augenblicklich wurde mein Herz wieder schwerer, als ich den Stapel herausnahm und die Box beiseiteschob.

„Möchtest du mir erzählen was bei dir los ist, Taehyung. Ich mache mir wirklich große Sorgen um dich. Was ist passiert?", fragte meine Oma mich, wobei ich kurz zu ihr sah, anschließend in meine Hosentasche griff und ihr das Bild reichte – jedoch andersherum. Auf der Rückseite stand in Jimins feinsäuberlichen Handschrift ‚tut mir leid, ich hätte gerne mit dir zusammen die Sterne gesehen, vielleicht im nächsten Leben' geschrieben, wobei meine Oma erkannte, dass diese Worte nur von ihm stammen konnten.

„Taehyung?" Ich schüttelte und senkte traurig den Kopf, weswegen sie mich erneut in eine feste Umarmung zog. Mir schnürte es die Kehle zu und ich konnte ein leises Schluchzen nicht unterdrücken. Es lastete so schwer auf meinen Schultern, dass ich mich nicht traute mich von ihr zu lösen, geschweige denn sie anzusehen. Sie wusste, wie eng wir befreundet, was unsere Ziele, unsere Wünsche gewesen waren. So viel hatte sie mitbekommen, was in Vergessenheit geraten war und doch wusste sie immer noch ganz genau, wie sie mich zu trösten hatte. Auch wenn ich mir dabei vorkam wie ein kleiner Junge. Es war egal, denn erst jetzt bemerkte ich, wie sehr ich diese Frau eigentlich vermisst hatte.

Erst als ich mich halbwegs wieder unter Kontrolle und eine neue heiße Tasse Kakao vor mir stehen hatte, widmete ich mich den Fotos von Jimin und mir. Wir schwelgten gemeinsam in schönen Erinnerungen, wobei sie mir süße kleine Anekdoten erzählte, an die ich mich nur vage oder gar nicht mehr erinnern konnte, weil ich zu jung gewesen war. Jede Erzählung löste ein neues Gefühl in mir aus und dennoch spürte ich deutlich die Schwere, die auf meinem Herzen lastete. All diese Erinnerungen, diese Bruchstücke, die langsam ein so liebevolles Bild von Jimin zeichneten, zeigten mir aufs Neue, was für einen Fehler ich begangen hatte. Einen, den ich nicht mehr in der Lage war zu korrigieren. Alles, was mir blieb, waren diese Bilder und meine Oma, die mir das Gefühl gab, dass er hier bei uns war. Dass er meine Hand hielt und mir sein Lächeln schenkte, mich mit seinen schmalen Augen ansah und mit mir lachte.

Am Ende beschlossen wir das alte Zelt vom Dachboden zu holen, es im Garten aufzustellen und uns gemeinsam an die Nacht zu erinnern, in der Jimin und ich uns das Versprechen gegeben hatten.

Auch heute hatten wir eine sternenklare Nacht, doch dieses Mal waren auf dem Foto meine Oma und ich zu sehen und vielleicht – vielleicht war Jimin wirklich zu uns heruntergekommen, um uns heimlich Gesellschaft zu leisten. Mein Herz schrie vor Sehnsucht nach ihm und ich konnte mir immer noch nicht verzeihen, was ich ihm angetan hatte. Ob ich mir jemals vergeben konnte? Ich wusste es nicht. Jetzt jedenfalls genoss ich den Augenblick mit meiner Oma, die einen Arm um meine Schultern gelegt hatte, ihren anderen ausgestreckt auf einen Stern hielt und mir davon erzählte, dass dort mein Opa saß und auf uns herabsah. Jeden Tag ... jede Nacht ... in guten wie in schlechten Tagen.

„... und irgendwo auf einem der vielen Sterne sitzt Jimin und wird auf dich warten", flüsterte sie mir zu, zog mich noch enger an sich heran und ich schloss meine Augen, um ihre Nähe und Liebe noch besser spüren zu können. Es war ein schöner Gedanke, das Jimin auf mich warten würde und vielleicht war es genau dieser Moment, der mir eines klar vor Augen führte – vielleicht war unser Versprechen noch nicht gebrochen. Ich konnte es immer noch erfüllen. Zwar nur zur Hälfte, aber vielleicht würde ich ihn dort oben finden und wieder mit zurücknehmen können.

„Ich werde Astronaut. Ich werde alles dafür geben", sagte ich entschlossen.

Meine Oma lachte, wuschelte mir durchs Haar und gab mir danach einen Kuss auf die Stirn.

„Ich freue mich darauf."

In dieser Nacht redeten wir noch lange über so viele verschiedene Dinge, dass ich am nächsten Morgen nicht mehr sagen konnte, ob wir überhaupt ein Auge zugemacht, oder ob ich geträumt hatte. Ich war so fertig und meine Augen waren so angeschwollen, dass sie furchtbar wehtaten und ich sie kaum offenhalten konnte. Umso dankbarer war ich meiner Oma, dass sie mir etwas zum Kühlen gab, sowie erneut einen heißen Kakao, den ich mit einer Hand an mich zog.

„Taehyung?", begann meine Oma zu sprechen, legte dabei ihre warmen Hände um meine, die sie von der Tasse gezogen hatte und sah mich an. Ihr Blick war besorgt und ich wusste, dass sie Angst um mich hatte, weswegen ich ihr auswich, meine Lippen fest aufeinanderpresste und hoffte, dass sie nicht sah, wie schlecht es mir eigentlich wirklich ging – doch natürlich bemerkte sie es.

„Taehyung ..." Ihre Stimme war nur ein Hauchen und doch riss mir der Klang meines Namens ein Stück aus meinem Herzen. Ich wusste, dass sie nur das Beste für mich wollte, mir Kraft geben wollte, aber ich war trotz unserer wunderschönen gemeinsamen Nacht nicht dazu in der Lage ihr ehrlich in die Augen zu sehen. Ich kämpfte schwer mit mir, unterdrückte die aufkeimenden Tränen und als sie meine Hand fest gegen ihre Brust drückte, konnte ich sie nicht mehr halten. Sofort sank mein Kopf auf die Tischplatte, wobei ich meinen freien Arm unter meinen Kopf geschoben hatte und mir fest auf die Unterlippe biss, um jeden Laut zu vermeiden. Trotzdem verriet mich mein Körper, der unaufhörlich bebte und zitterte, während ich versuchte wieder Herr meiner Sinne zu werden.

„Du musst ihn loslassen und mir das Versprechen geben, dass du zu den Sternen fliegen wirst. Du musst mir eine Postkarte von dort schicken. Hörst du?", bat sie und erst jetzt bemerkte ich, dass auch sie den Tränen nah war, wobei ich Oma noch nie weinen gesehen hatte, weswegen ich meinen Blick hob und ihr in die glänzenden Augen sah.

„Nicht weinen, Oma ...", schluchzte ich leise, wischte mir schnell die eigenen Tränen beiseite, erhob mich und trat um den Tisch herum, ohne dass sie meine Hand loslassen musste. Ich nahm sie sofort in den Arm, presste mich fest an sie und krallte meine Finger in ihren Strickpullover. Ich würde nicht aufgeben. Ich würde uns allen beweisen, dass ich dazu in der Lage war dieses Versprechen einzuhalten und Jimin stolz machen konnte, damit ich mir endlich selbst verzeihen konnte.

„Ich werde mein Versprechen wahrmachen und ich werde dir eine Postkarte aus dem All schicken. Aber bitte weine nicht", sprach ich mit fester Stimme und fuhr dabei mit meinen Händen durch ihr recht wirres Haar. Ich musste nur ... einen Moment ... ein paar Tage ... vielleicht ein bisschen noch trauern, bis ich es ernsthaft schaffte wieder nach vorne zu sehen.

Ich hielt meine Oma noch eine Weile im Arm, während sie weiterhin meine Hand fest gegen ihre Brust drückte. Wir gaben uns diesen Moment und waren froh, dass keiner von uns das Wort ergriff. Erst als ich mich vorsichtig von ihr löste und mich entschuldigte, um im Bad verschwinden zu können, kam ich langsam wieder zu mir. Das hier alles war extrem aufwühlend gewesen, die Bilder, die Erinnerungen und Oma ... ich hatte nicht gewusst, wie sehr ich sie eigentlich vermisste. Wie viel sie mir bedeutete und wie sehr ich sie eigentlich brauchte – vor allem jetzt, denn mit ihr verband ich die meisten Erinnerungen mit Jimin. Sie war die Einzige, die verstand, wie tief meine Beziehung zu ihm gewesen war, weswegen sie sich auch solche Sorgen machte. Ich konnte es verstehen – wirklich, aber ich ertrug diese Blicke nicht.

Ich wusch mir mein Gesicht, putzte mir die Nase und richtete mein Haar, bevor ich wieder zurückging und gemeinsam mit ihr frühstückte. Zumindest versuchte ich ein bisschen herunterzubekommen, bevor ich mich verabschiedete und wir in ihrer Haustüre standen. Sie hielt meine Hände und sah mich mit ihren großen, dunklen Augen an.

„Pass auf dich auf mein Junge und lass mich nicht wieder so lange warten, bis du mich wieder besuchen kommst", sagte sie, löste eine Hand aus meiner und legte sie stattdessen an meine Wange, wobei sie mit ihrem Daumen fest über meine Wange rieb.

„Werde ich und ich komme dich jetzt öfter besuchen, versprochen, Oma", lächelte ich, schluckte jedoch den Kloß in meinem Hals herunter, der mir das Reden und Atmen immer noch erschwerte. Ihre Finger rieben nachdrücklich über meine Haut, bevor sie ihre Hand löste, jedoch nicht davon ablassen konnte meine Wange noch ein paar Mal zu tätscheln und mich dann gehenzulassen. Sie tat es mit schweren Herzen, das merkte man deutlich und nachdem ich ein paar Schritte gegangen war, drehte ich mich noch einmal zu ihr um.

„Bis bald, Oma." Ich hob die Hand, leckte mir über die Lippen und wandte mich dann ab, um zu der Bushaltestelle auf der anderen Seite zu eilen, wo der Bus bereits auf mich wartete und mich in die Zukunft brachte.

Diese Zeit war mit einer der schwersten gewesen, die ich jemals erlebt hatte. Sie schlug meinen Streit mit Jimin um weiten, und sie riss ein riesiges Loch in meine Brust, welches ich nur schwer schaffte zu füllen. Meine Oma half mir sehr dabei, denn ich hatte mich dazu entschlossen sie wirklich öfter zu besuchen. Mit ihr spazieren zu gehen oder mit ihr eine Runde Rummy zu spielen. Wir redeten auch viel miteinander, schwelgten oft in Erinnerungen an Jimin, vor allem wenn ich das Gefühl hatte in der Luft zu hängen. Sie half mir dabei starkzubleiben und meinen Traum zu folgen, meinen Abschluss zu machen, den ich sonst womöglich vermasselt hätte.

Ich schaffte es auch endlich zu Jimin ans Grab zu gehen, wobei ich ihm immer seine Lieblingsblumen mitbrachte. Bei den ersten Malen saß ich einfach nur schweigend vor dem Grabstein, zupfte das Gras aus dem Boden und versuchte mich nicht wie der größte Idiot aufzuführen. Erst als ich begann bei jedem Besuch eines der Polaroidfotos mitzubringen, fing ich an mit ihm zu sprechen. Ihm von den Erinnerungen zu erzählen und wie ich mich dabei fühlte. Wie sehr ich ihn vermisste und letztendlich bat ich ihn jedes Mal um Verzeihung, doch ich erhielt nie eine Antwort.

Es gab gute Tage, die mich freier fühlen ließen und mit jedem weiteren, der verging, schaffte ich es ein bisschen mehr zu akzeptieren, dass er fort war und nie wieder zu mir zurückkommen würde. Ich ließ ihn gehen, entließ ihn aus meinem gebrochenen Herzen und machte Platz für neue Menschen in meinem Umfeld. Es war der richtige Weg – das wusste ich und doch tat es weh.

Ich schrieb mich an der Uni für Weltraumtechnik ein, als es an der Zeit war den nächsten Schritt zu wagen. Ich hatte mir Zeit gelassen und war nun an einem Punkt angekommen, wo ich das Gefühl hatte, genug Kraft zu haben und so begann ich das Studium, von dem ich schon so lange träumte. Es machte Spaß und ich nahm zusätzlich noch Astronomie als Nebenfach, sowie weitere Aktivitäten, die mich den Sternen näherbrachten. So kam es nicht selten vor, dass ich an dem Spiegelteleskop saß und die Himmelskörper stumm, aber fasziniert betrachtete. Es war atemberaubend und ich begann wieder richtig zu leben. Ich fand, neben meiner Oma, einen weiteren Grund, der mein Leben wieder erstrebenswert machte und so zeigte ich natürlich auch meiner Oma diese wundervollen Ausblicke, wenn es mir denn möglich war. Ich berichtete ihr von all den neuen interessanten Erkenntnissen, zeigte ihr Bilder und Studien. Ich stellte kleine Experimente mit ihr im Garten nach und zeigte ihr meine kleine erblühende Welt.

Natürlich bemerkte ich auch, dass meine Oma nicht jünger wurde, aber sie ließ nicht los. Sie gab mir weiterhin den Halt und als ich ihr meinen Freund vorstellte, war sie völlig aus dem Häuschen. Sie kochte für uns, verhätschelte uns und war bereits unsere riesige prunkvolle Hochzeit am Planen, auch wenn sie ganz genau wusste, dass es diese in diesem Jahrzehnt niemals geben würde. Aber all das spielte keine Rolle für sie und auch für mich nicht. Ich war glücklich.

Das Leben war endlich wieder das, was ich mir von diesem erhoffte und doch gab es da immer noch den kleinen Gedanken an meinen besten Freund, dem ich ein Versprechen gegeben hatte, an dem ich festhielt. An dem wir festhielten, denn auch mein Freund unterstützte mich, was mich zu dem glücklichsten Mann der Welt machte. Wie könnte ich das auch nicht sein? Es war perfekt. Ich war endlich angekommen.

Heute war ein ganz besonderer Tag. Meine Oma hatte heute ihren 80sten Geburtstag und ich hatte vor sie ganz groß auszuführen. Nur sie und ich hoch oben im Seoul Tower. Es würde wahnsinnig schön werden, die Sterne standen gut. Das Wetter sollte klar werden und alles war bereits vorbereitet. Ich musste nur noch den Unitag hinter mich bringen, meinen Freund abholen, ihn zu seinen Eltern fahren und zu guter Letzt meine Oma abholen. Ich wusste, sie würde sich freuen und vielleicht würde sie eine Freudenträne verdrücken. Es waren so viele Gedanken, die sich in meinem Kopf überschlugen, im nächsten Moment aber völlig starr in der Luft hängen blieben. Die Welt hatte sich so plötzlich aufgehört zu drehen, dass mir die Luft im Hals steckenblieb. Alles hörte sich auf einmal wie in Watte gepackt an und nur in Zeitlupe schien sich alles um mich herum zu bewegen. Meine Unterlagen, die durch die Luft schwebten, mein Körper, die Geräusche, die Menschen, selbst der leichte Nieselregen, der in diesem Moment eingesetzt hatte. All das war so weit von mir entfernt, dass ich es überhaupt nicht wahrnahm. Genauso wenig wie die Tränen, die mir unaufhörlich über die Wangen liefen. Es war etwas, was einfach unbewusst passierte und nur ganz langsam in mein Bewusstsein trat.

Als ich meine Augen wieder öffnete, tanzten bunte Lichter vor meinen Augen. Irgendwoher hörte ich eine Sirene, sah das Blinken einer Warnblinkanlage und roch verbranntes Gummi.

„Er kommt zu sich ...", hörte ich eine Stimme durch einen Schleier sagen, sie redete sogar noch mehr, doch ich verstand kein Wort. Stattdessen wollte ich mich aufrichten, doch ich konnte keinen einzigen Muskel in meinem Körper bewegen, spürte eher einen starken Druck, der mich auf den Boden pinnte und irgendwer hielt meinen Kopf. Ich blinzelte, doch ich konnte immer noch nichts erkennen, nur die Geräuschkulisse wurde lauter. Es redeten so viele Menschen durcheinander und dann fiel mir ein, dass ich eben noch auf den Weg zur Uni gewesen war. Was war passiert?

„Hey ... hey bleiben Sie bei mir ... Der Krankenwagen ist gleich da. Halten Sie noch etwas durch!"

„Er blutet abnormal. Das Tuch ist völlig durchtränkt."

„Weiter drücken ..."

„Er darf sich nicht bewegen!"

„Halten Sie ihn wach ..."

„Wir verlieren ihn ..."

„Oh mein Gott was sollen wir tun?"

Das nächste Mal, als ich meine Augen öffnete, wurde ein grelles Licht in diese geleuchtet und die Sirene war deutlich lauter zu hören.

„Überprüfen Sie den Puls! Beatmen! Wir verlieren ihn wieder!"

Meine Lider flatterten und nur langsam keimte in mir der Gedanke auf, dass ich gerade im Sterben lag, doch ich konnte ihn nicht festhalten. Er ging mir irgendwo auf dem Weg vom Augenaufschlag und dem wieder schließen, verloren. Der Bezug fehlte und es wurde noch schlimmer als Bilder vor meinem inneren Auge aufleuchteten. Es waren Erinnerungen an vergangene Tage als ich ein Kind gewesen war und da war Jimin ... da war Oma ... Mama, mein Bruder, Papa ... und Opa. Da war Opa, der seine Arme ausstreckte und darauf wartete, dass ich zu ihm lief. Ich tat es und er wirbelte mich herum, warf mich hoch und dann war er weg ... einfach verschwunden und Jimin... da war Jimin der mir entgegenlächelte, mir zuwinkte, während seine Augen funkelten. Waren das die Sterne, zu denen wir hatten reisen wollen? Sollte das die Lösung sein? Konnte ich einfach zu ihm gehen... mit ihm gehen... seine Hand nehmen und alle anderen zurücklassen? Er streckte mir seine Hand entgegen, rief meinen Namen, lachte. Er sah so glücklich aus. Würde ich auch glücklich werden? War das alles nur eine Illusion gewesen? Ein kläglicher Versuch aus meiner erbärmlichen Existenz noch etwas herauszuholen und jetzt lag ich hier, so gut wie tot, und hatte die Wahl – hatte ich eine Wahl?

Ich sah zurück, doch dort war niemand, der mich aufhielt ... der mich aufhalten konnte, also war es mein Schicksal ... unseres, denn ich ergriff seine Hand, spürte seine Wärme und lächelte. Mein Herz wurde warm und alles, was ich fühlen konnte, war pures Glück, denn wir waren endlich wieder vereint und bei unseren Sternen angekommen.

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