24. Türchen - Vikkilitschi

Interlude_Heartbeat

┍━━━━ ⋆⋅– ⭒✧⭒ –⋅⋆ ━━━━┑

Coming across you is like a TV drama
created by the universe
so many wanderings, being lost endlessly"

┕━━━━ ⋆⋅– ⭒✧⭒ –⋅⋆ ━━━━┙

„Und? Was möchtest du mal werden, wenn du groß bist?", wurde Yoongi zum ersten Mal gefragt, als er vier Jahre alt war. Oder zumindest ist das die erste Situation, an die er sich erinnern kann.

"Ein Bonbon", war damals seine Antwort.

Mittlerweile ist Yoongi 28 Jahre alt und heute fragt ihn niemand mehr danach, was er später einmal werden möchte. Vielleicht weil aus dem später ein jetzt geworden ist? Mit 28 Jahren sollte schon lange etwas aus ihm geworden sein, oder? Tja... Um es mal vorsichtig auszudrücken: Etwas ist aus ihm geworden, aber das ist ganz sicher kein Bonbon und auch nichts anderes von dem, was er sich irgendwann mal für sein Leben gewünscht hatte.

Mit 28 Jahren lebt Yoongi immer noch in einer Studenten-WG (in der er der Einzige ist, der nicht studiert), kann nicht kochen (aber dafür sehr gut seine Mitbewohner zum Kochen überreden) und ist am Monatsende stolz auf sich, wenn der Kontostand keine roten Zahlen schreibt. Meistens ist das seinen Mitbewohnern zu verdanken, die nicht nur für ihn kochen, sondern auch regelmäßig für ihn einkaufen gehen. Yoongi selbst arbeitet als Teilzeitkraft in einem kleinen Zoogeschäft, mittlerweile schon seit zwei Monaten. Er streicht im Kalender die Tage durch. In exakt 24 Tagen erreicht er seinen persönlichen Rekord. Länger als diese Zeitspanne hat er noch keinen anderen Job durchgehalten. Seine Arbeitskleidung trägt er viel zu oft auch privat, weil er einfach nicht so viele Klamotten besitzt. Um genau zu sein hat Yoongi nur zwei Pullover, weil Pullover im Vergleich zu T-Shirts wirklich sehr teuer sind, und drei Hosen (eine Jeans, eine Jogginghose, eine Stoffhose – warum auch immer, er zieht sie nur an, wenn die anderen beiden Hosen in der Waschmaschine sind oder mal wieder eins seiner zahlreichen Vorstellungsgespräche ansteht. Ah. Genau deswegen hat er sie sich ja gekauft).

Heute schreiben wir den 01.12.2021. Das Piepen des Weckers kommt Yoongi nicht unbedingt vertraut vor. Was vermutlich daran liegt, dass er sich selbst zuletzt in der Schulzeit einen Wecker gestellt hat. An der Arbeit übernimmt er freiwillig alle Spätschichten, denn er hasst frühes Aufstehen. Das Weckerklingeln kann also unmöglich für ihn bestimmt sein und trotzdem piepst es ekelhaft laut. Direkt. Neben. Seinem. Ohr.

Yoongi stöhnt hingebungsvoll. Ist das hier ein verdammter Witz? Wieder so eine Du-musst-dein-Leben-auf-die-Reihe-bekommen-Agenda seiner Mitbewohner? Und sie foltern ihn jetzt mit unmenschlichen Weckzeiten? Es ist noch dunkel draußen. Was bedeutet, dass es noch nicht mal 09.00 Uhr sein kann. Das ist l ä c h e r l i c h. Kein Mensch steht so früh auf.

Er dreht sich auf die Seite und versucht mit geschlossenen Augen nach seinem Handy zu angeln. Unter der trägen Müdigkeit und dem gequälten Versuch, nicht noch wacher zu werden, als er unbedingt für diese Aktion sein muss, leidet seine Koordination gewaltig. Liegt sein Handy nicht sonst immer rechts von ihm? Das Klingeln kommt aber doch eher von links, oder nicht? Yoongi holt weit aus und... trifft nicht, wie ursprünglich vermutet, auf seinen Nachttisch. What the fuck?!

Statt kühlem Holz hat er plötzlich Haare in der Hand. Seit wann besitzt er denn einen Nachttisch mit HAAREN? Warmen Haaren? Kopfförmigen Haaren? Also nicht, dass die Haare kopfförmig sind, sondern die Form darunter ist halt wie ein Kopf. Yoongi streichelt angestrengt darüber, um irgendwie herauszubekommen (oder viel mehr herauszufühlen), was seine Idioten von Mitbewohner sich da jetzt bitte wieder überlegt haben. Es fühlt sich verdächtig nach einer Bekomm-dein-Leben-auf-die-Reihe-Agenda an. Super. Als hätte es davon nicht schon 23 gegeben (ja, Yoongi zählt mit).

Das kopfförmige Haar kann Geräusche machen. Wenn Yoongi zu fest darüber streichelt, grummelt es. Wenn seine Bewegungen sanfter werden, ist es fast schon ein Schnurren.

Scheiße, denkt Yoongi, immer noch angestrengt darum bemüht, bloß nicht zu wach zu werden. Haben sie ihm etwa ein HAUSTIER gekauft? Und wenn ja, kann er es dann an der Arbeit zurückgeben???

Er kann Jins Stimme quasi durch die geschlossene Zimmertür hören: Du musst endlich etwas Verantwortung übernehmen, Min Yoongi. Und jetzt schmeißen sie ihm die Verantwortung gleich mit ins Bett? In Form eines anderen Lebewesens? Jin muss den Verstand verloren haben. Yoongi kann nicht mal auf sich selbst aufpassen. Wie soll er sich dann um ein Haustier kümmern??? An der Arbeit ist das etwas ganz Anderes. Da ist es nur temporär und wenn er verkackt, dann höchstens für sechs Stunden, weil dann ein anderer Mitarbeiter seine Scheiße ausbaden muss. Ein Haustier in seinem Bett ist eine GANZ ANDERE Hausnummer. Yoongis müdes Gehirn fühlt sich nicht bereit dafür.

Der Wecker klingelt immer noch. Das kopfförmige Haar bewegt sich jetzt auch selbstständig. Scheinbar zeigt das penetrante Piepsen auch bei ihm endlich Wirkung. „Wecker.... Aus... bitte...", wimmert das Haar.

Das ist neu. Haare sollten nicht sprechen können. Auch nicht, wenn sie zu einem Haustier gehören. Yoongis müdes Gehirn ist eindeutig überlastet von den Informationen. Zur Verarbeitung braucht es dringend Unterstützung von Yoongis wachem Gehirn, auch wenn da klipp und klar ein Schild draußen hängt: DO NOT DISTURB UNTIL SUNRISE. Tja. Gelitten. Besondere Situationen erfordern besondere Maßnahmen. Und das hier ist quasi ein Notfall.

Yoongis waches Gehirn schreit innerlich gequält auf, als die Müdigkeit heftig anklopft und den Ball an es abgibt. Notgedrungen übernimmt es dann also sein Handeln und macht das einzig Sinnvolle: Es schaltet den Wecker aus. BAM!!!

Himmlische Ruhe. Geil. Bis...

„HALB FÜNF??? WOLLEN DIE PISSER MICH VERARSCHEN??" Yoongis waches Gehirn ist brüskiert. Um halb fünf geht er vielleicht mal schlafen, aber so früh steht er ganz sicher nicht auf. Diesmal hat Jin eindeutig übertrieben. Erst die Aktion mit dem Haustier und dann das... Oder erst der Wecker und dann das Haustier? Whatever. Wenn er nicht so müde wäre, würde er jetzt aufstehen und seinen Mitbewohnern ordentlich die Meinung geigen, bis -

„Danke..." Wieder nur gemurmelt, aber eindeutig ein Wort.

Yoongis waches Gehirn schaltet deutlich schneller als die müde, katastrophale Version. Haustiere können nicht sprechen. Punkt. Wir sind hier nicht bei Digimon Adventure. Es muss eine andere Erklärung... Menschen. Menschen können sprechen.

„Fuck that shit..." Hat sich einer seiner Mitbewohner letzte Nacht tatsächlich in der Tür geirrt? Oder ist Jin mal wieder einer nächtlichen Knuddelsehnsucht erlegen?

Yoongis waches Gehirn lässt ihn sich wieder auf die andere Seite drehen, den Arm ausstrecken, tasten. Es ist ja noch zu dunkel, um auch nur irgendwas zu sehen. Noch ein Grund dafür, warum man wirklich nicht aufstehen sollte, wenn es noch dunkel draußen ist. Man sieht dann ja gar nicht, was einen erwartet. Zu den kopfförmigen Haaren gehört tatsächlich ein Kopf. Ein Kopf-Kopf. Ein Menschenkopf. Mit zwei geschlossenen Augen (kann Yoongi fühlen, als er sanft über die Augenlider streift), einer Nase und einem Mund. Eine markante Kinnpartie, ein Hals, deutlich hervorstehende Schulterblätter, nackter Oberkörper, ziemlich definierte Brustmuskeln. Mhm. Nicht schlecht. Fühlt sich alles ziemlich menschlich an. Männlich menschlich. Was eindeutig besser ist als weiblich menschlich.

Yoongi überlegt gerade, ob er mit seinen Händen auf Tuchfühlung gehen sollte (natürlich nur um im Sinne der Wissenschaft zu überprüfen, ob der Körper neben ihm noch mehr nackte Haut zu bieten hat), als es unmenschlich laut an der Tür klopft. Alter. So wenig Feingefühl besitzt nur eine einzige Person, die Yoongi kennt. Einer seiner anderen Mitbewohner – Namjoon. Fucking Verschwörung gegen ihn.

„YOONGI? JUNGKOOK?", tönt da auch schon die unangemessen laute und nervige Stimme seines Mitbewohners durch die geschlossene Tür. „SEID IHR SCHON WACH? Ich will ungern reinkommen, nur... naja... falls ihr nackt seid und so... aber... ihr müsst echt aufstehen. Wir werden in 20 Minuten abgeholt."

Selbst Yoongis waches Gehirn ist mit den sparsamen Informationen überfordert. Jungkook? Wer zur Hölle ist Jungkook? Okay, vermutlich das kopfförmige Haar neben ihm, aber das erklärt irgendwie gar nichts... oder? Waren sie gestern aus? Nein. Das kann nicht sein. Namjoon wollte über das Wochenende zu seiner Familie fahren. Er sollte also nicht einmal in Seoul sein. Was macht er also hier? Und wer zur Hölle ist Jungkook?

„HALLO??? SEID IHR WACH? Wenn ihr nichts sagt, dann komm ich rein... 3.. 2..."

„ICH BIN WACH", brummt Yoongi aufgebracht zurück. Das hier ist doch scheiße. Sein Handy sagt 4:41 Uhr. Warum zur Hölle werden sie überhaupt in zwanzig Minuten abgeholt? Von wem? Und wohin?

„Ist Jungkook auch wach??", fragt Namjoon durch die geschlossene Tür.

„Nein", grummelt Yoongi.

„DANN WECK IHN ODER MUSS ICH REINKOMMEN? Verdammte Scheiße, wir müssen gleich los, BEEILT EUCH!!"

Immerhin registriert Yoongis waches Gehirn, dass er tatsächlich nackt ist, so wie Namjoon vermutet hat. Was nahe legt, dass auch dieser Jungkook nackt sein wird. Und egal, wer das genau ist, will Yoongi ihn nicht schon so früh am Morgen mit seinen verrückten Mitbewohnern verstören (auch wenn er selbst ziemlich nah an der Grenze zum Ausflippen ist, weil er nackt neben einem Typen aufwacht und was zur Hölle einfach, wie ist das passiert?)

„Hey... Du musst aufstehen...", sagt er und versucht so sanft wie möglich an der Schulter, die neben ihm liegt, zu rütteln. „Ich weiß zwar nicht, was in meine Mitbewohner gefahren ist und es tut mir echt verdammt leid, aber... hey... du musst leider wachwerden jetzt."

Das leise Brummen neben ihm ist das süßeste Geräusch, dass Yoongi jemals gehört hat. Obwohl er sich nicht an diesen Jungkook erinnern kann, bildet sich automatisch ein Bild in seinem Kopf. Der Junge darauf ist niedlich. Etwas jünger als Yoongi selbst und kleiner. Dunkle Haare, große, braune Augen und verboten verführerische Lippen. Shit. Wahrscheinlich hat seine Vorstellung rein gar nichts mit der Realität. Das Bild in Yoongis Kopf ist viel zu gut, als dass es sich jemals auf so jemanden wie ihn einlassen würde.

„Will... nicht..."

„Ich weiß", sagt Yoongi und versucht seiner Stimme einen einfühlsamen Klang zu verleihen. „Ich will auch nicht... Aber Namjoon – mein Mitbewohner – dreht irgendwie am Rad und wenn wir nicht wollen, dass er gleich diese Tür eintritt, müssen wir wohl jetzt aufstehen..."

„Nam-...joon?", erkundigt sich die verschlafene Stimme erneut.

Dann kommt plötzlich Bewegung in den menschlichen Körper neben ihm im Bett. Ziemlich viel Bewegung für Yoongis Geschmack. Vor allen Dingen um zwanzig vor fünf. MORGENS. Und dann passieren viel zu viele Dinge gleichzeitig.

„AAAAHHHH", schreit die Stimme, erstaunlich laut dafür, dass sie eben noch geflüstert hat.

„AAAAAAHHH", schreit Yoongi zurück, weil er sich erschreckt und insgesamt eine Katastrophe in sozialer Interaktion ist. Mitschreien erscheint ihm auch aus der Retroperspektive betrachtet wie eine akzeptable Reaktion.

Die Tür geht auf, Namjoon stolpert in den Raum und dabei über seine eigenen Füße, erwischt mit der Hand irgendwie noch den Lichtschalter und liegt dann der Länge lang auf dem Boden. In Yoongis Zimmer. Das nicht... Yoongis Zimmer ist.

„AAAHHHH", schreit Yoongi erneut, weil er nicht weiß, wo er ist.

„AAAAHHH", schreit dieser Jungkook – vielleicht aus Gruppenzwang heraus? Aber er hat doch damit angefangen? – weiter.

„Ahhhh", stöhnt Namjoon auf dem Boden des Zimmers und reibt sich über den Hinterkopf.

„Was ist denn hier los?", betritt eine vierte Stimme den Raum, der bei Licht betrachtet, wirklich auf gar keinen Fall Yoongis Zimmer ist.

„AAAHHHH", schreit Yoongi weiter, weil er die fremde Person nicht kennt und diese in seinem Nicht-Zimmer steht und ihn ansieht, als würde sie ihn kennen.

„AAHHHH", schreit eine fünfte Person, als sie das Zimmer betritt und sieht, dass Yoongi und Jungkook nackt sind.

„WER BIST DU?", brüllt dieser nackte Jungkook neben ihm.

„WER SEID IHR?", brüllt Yoongi zurück, weil er – außer Namjoon – gar keinen hier kennt.

Es ist eine Katastrophe.

⊱ ────── ⋅❅⋅ ───── ⊰

„Leute, das ist ein WITZ. Ich will kein Idol mehr werden, seit ich sechszehn Jahre alt war."

„Dann... sorry?"

Sorry trifft es nicht mal ansatzweise. Yoongi weiß wirklich nicht, womit er dieses Fiasko verdient hat und wenn seine Mitbewohner etwas damit zu tun haben, ist es die skurrilste Agenda, die sie sich jemals ausgedacht haben.

Yoongi und „seine Band" sollten um 05.00 Uhr abgeholt werden, weil für 07.00 Uhr ein Interviewtermin geplant war und sie vorher noch in die Maske mussten.

Das Interview wurde zum Glück abgesagt. Das hätte Yoongi nicht auch noch gepackt. Er ist schon froh, dass er es mittlerweile gepackt hat, sich etwas anzuziehen. Eine schwarze, extrem tiefsitzende Jogginghose, die er in „seinem" Kleiderschrank gefunden hat, und ein weißes Shirt. Es ist nicht seine Jogginghose, auch wenn die anderen das behauptet haben. Yoongi ist sich sehr sicher, dass es nicht seine Hose ist. Bei drei Stück ist es sehr leicht die Übersicht zu behalten. Seine Jogginghose ist grau.

Es ist jetzt 06:03 Uhr und Yoongi versucht gedanklich noch einmal alle Informationen zu rekapitulieren, die ihm in der letzten Stunde mitgeteilt wurden.

„Also... ihr wollt mir jetzt ERNSTHAFT erklären, dass ich weltberühmt bin? Dass wir weltberühmt sind? Dass ich ein Rapper namens Suga bin und wir eine Band namens BTS mit Millionen von Fans, die uns verehren?"

Fünf weitere Männer sitzen um ihn herum und blicken ihn mit großen Augen an. Namjoon, nein, entschuldige bitte, Rapmonster, hat er eben gelernt, sieht ihn immer noch so an, als hätte er den Verstand verloren, aber nickt vorsichtig.

„Und ich bin verheiratet...? Jungkook ist mein... Jungkook ist mein Ehemann?"

Rapmonster nickt wiederum sehr, sehr vorsichtig.

Yoongi schweigt. Das ist zu viel (selbst für sein waches Gehirn).

Sein scheinbarer Ehemann ist 23 Jahre alt und genauso süß, wie das Geräusch, dass er beim Aufwachen macht, vor allen Dingen, wenn er seine Nase kräuselt und verlegen lächelt. Die Vorstellung in Yoongis Kopf war natürlich nicht akkurat, aber nur, weil keine Vorstellung jemals beschreiben könnte, wie gut Jungkook in der Realität aussieht. Er ist... wow (Yoongi sucht noch nach den richtigen Worten, aber immer, wenn er kurz davor ist sie zu finden, lenken ihn Jungkooks Bauchmuskeln ab).

Die anderen beiden Personen, die vorhin das Zimmer betreten haben, heißen Jimin und Taehyung. Seine Mitbewohner, alle drei, Hoseok, Namjoon und Jin, sind auch hier. In dieser Welt werden sie J-Hope, Rapmonster und WWH (world wide handsome) Jin genannt. Es ist gut, dass sie einen anderen Namen haben. Je länger Yoongi sie anblickt, desto mehr fällt ihm auf, dass sie nicht viel – außer ihrem Äußerem – mit seinen Mitbewohnern von Zuhause gemeinsam haben.

Sie leben alle gemeinsam in einem riesigen Loft in Seoul, Stadtteil Gangnam-gu. Der teuerste Stadtteil in Seoul. Yoongi kann sich eigentlich nicht einmal eine Fahrkarte leisten, um hier hin zu fahren, umso verrückter fühlt es sich an, dass er gerade tatsächlich hier ist. Der Blick aus dem Fenster hat ihn überzeugt, dass er nicht nur verarscht wird. Die gläsernen Hochhäuser kennt er zwar sonst nur aus der Entfernung, aber ihr Anblick ist so beeindruckend, dass er sie sofort wiedererkannt hat.

Gerade promoted BTS ihre neue Single – Permission to dance – und steckt mitten in den Proben für ihr nächstes Online-Konzert: Permission to dance ON CHRISTMAS. (Yoongi muss feststellen, dass sie vermutlich nicht aufgrund ihrer Kreativität so weltberühmt geworden sind.)

Es ist alles ein bisschen lächerlich, findet Yoongi. Der schlechteste Prank aller Zeiten und wenn das die 24. Agenda namens Bekomm-dein-Leben-auf-die-Reihe-Min-Yoongi sein sollte, dann ist es die unglaubwürdigste Story ever. Was Yoongi innerhalb der letzten Stunde nicht müde wurde zu betonen. Der Junge namens Taehyung hat daraufhin die Initiative ergriffen. Er hat ihm sein Handy mit der geöffneten YouTube-App vor die Nase gehalten. Suchbegriff: BTS. Ergebnis: unzählige Einträge.

[BANGTAN BOMB]Grammy Nomination Night; das Video wurde gestern hochgeladen.

BTS – BUTTER [Official MV] – vor sechs Monaten – 626 Millionen Aufrufe.

BTS – DNA [Official MV] – vor vier Jahren – 1,4 Mrd. Aufrufe.

Fuck.

Damit war es amtlich. Es gab BTS tatsächlich und damit gab es auch Suga. Nur, dass Yoongi sich einhundertprozentig sicher ist, dass er nicht Suga ist und auch noch nie war.

Irgendwann haben das dann wohl auch seine „Bandkollegen" verstanden (Yoongi fällt es immer noch sehr schwer, diesen Begriff auch nur zu denken).

Sie haben verschiedene Möglichkeiten besprochen, warum sich Yoongi nicht an sie und ihre gemeinsame Vergangenheit erinnern kann. Gedächtnisverlust stand ganz hoch im Rennen, bis Taehyung schließlich noch einmal das Wort ergriffen hat.

„Du kommst aus einer anderen Dimension", hat er ehrfürchtig geflüstert.

Es ist ganz still um sie herum geworden.

Dann hat Rapmonster zustimmend genickt. In dieser Welt ist er nicht nur Yoongis Mitbewohner, er ist sein Bandleader. Fuck that shit again. Sein Wort ist sowas wie das Gesetz und wenn er Taehyung zustimmt, sind auch die anderen Member seiner Meinung.

Auch Yoongi muss zugeben, dass es nicht ganz... unwahrscheinlich ist.

Es fühlt sich nicht an wie ein Gedächtnisverlust. Er kann sich ziemlich gut an sein bisheriges Loser-Leben erinnern. Er weiß, was er gestern getan hat und letzte Woche und im vergangenen Jahr. Nur, dass das nicht dieses Leben war. Er erinnert sich an ein anderes Leben – sein Leben – in einer anderen Dimension, anscheinend.

Dann hat sich (nach 37 Minuten) das erste Mal Jungkook, der anscheinend sein sehr schweigsamer Ehemann ist, zu Wort gemeldet. Es war... ernüchternd.

„Ich gehöre hier auch nicht hin", hat er mit erstaunlich fester Stimme gesagt.

„Was?", fragte Rapmonster.

„WAS?", fragte auch WWH Jin, nur ein wenig hysterischer.

Jungkook räusperte sich erneut. „Ich... Ich kann mich auch an nichts erinnern. Also... an nichts von dem, was ihr... erzählt. Ich lebe zwar auch in Seoul, aber ich bin Leichtathlet, ich mache Bodenturnen, hauptsächlich. Ich... bin kein Superstar."

„Aber... du bist mein Ehemann?", wandte Yoongi schwach ein, immer noch in dem Versuch hängengeblieben, die eben erhaltenen Informationen irgendwie zu verinnerlichen.

„In dieser Welt", lächelte Jungkook schwach, „nicht in meiner Welt."

Nachdem nach dieser Aussage alle noch ein bisschen miteinander diskutiert haben, wurde der allgemeine Konsens beschlossen, der bis jetzt den aktuellen Status bildet: Jungkook und Yoongi sind Dimensionsreisende. Sie stammen nicht aus dieser Welt und sind aus welchen Gründen auch immer am Morgen des 01. Dezembers in einer anderen Realität aufgewacht.

Niemand von ihnen hat eine Ahnung davon, wie und warum das passiert sein könnte. Und was noch viel wichtiger ist, niemand hat auch nur einen blassen Schimmer davon, wie man es wieder rückgängig machen könnte.

⊱ ────── ⋅❅⋅ ───── ⊰

Nach Jungkooks Offenbarung ist Yoongi erst einmal ins Bad geflüchtet.

Die anderen diskutieren gerade darüber, wie sie ihren restlichen Tag managen sollen. Sie können nicht alle Termine absagen. Das Interview war auffällig genug. Außerdem können auf gar keinen Fall Jungkook UND Yoongi fehlen – das allein wäre schon sowas wie ein medienwirksamer Skandal. Wenn beide Ehepartner fehlen, würde man sofort vermuten, dass der Segen im Hause Min schiefhängt. Das können sie sich nicht leisten.

Auch wenn Yoongi sein Ebenbild – Min Suga – und dessen Ehemann – Min Jaykay – nicht kennt, weiß er schon, dass er ihnen diesen Spießrutenlauf nicht antun kann.

Ein Blick in die Augen seiner „Bandkollegen" (strrraaaanggggeeee, ruft eine Stimme in Yoongis Innerem) hat ihm gesagt, dass sie das genauso sehen. Einer von den unverhofften Ehepartnern musste also in den sauren Apfel beißen. Erst wollte sich Yoongi drücken. Er ist wirklich ziemlich gut darin, sich vor jedweder Art von Verantwortung zu drücken, aber dann hat er Jungkook angesehen. Ihn wirklich angesehen und nicht nur verlegen auf seine Bauchmuskeln gestarrt im gleichzeitigen Versuch nicht allzu auffällig hinzugucken. Er hat Jungkook ins Gesicht gesehen – sein wunder-, wunderschöner und fremder Ehemann (warum fühlt sich das eigentlich nicht so strange an?), dessen Augen tellergroß verzogen waren. Er sah aus wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Es war hinreißend. Und es hat Yoongi dazu hingerissen, sich freiwillig zu melden. WARUM AUCH IMMER. Die einzige Erklärung, die ihm einfällt, ist die, dass sein Gehirn unterversorgt mit Sauerstoff war (er vergisst regelmäßig zu atmen, wann immer sein Blick auf Jungkook fällt) und infolge davon unkalkulierte Rettungsversuche unternommen hat, wie zum Beispiel sprechen. Sprechen benötigt Sauerstoff. Sein Gehirn hat sich also quasi selbst gerettet und ihn dadurch ins Verderben getrieben. Jetzt steht er kurz vor seinem ersten Interview. In zehn Minuten wollen sie los.

Irgendwie muss Yoongi da heute durch. Auch wenn er keine Ahnung hat, was ihn da draußen erwartet. Die YouTube-Videos haben nur einen kleinen Einblick gegeben, zu klein. Er hat keinen blassen Schimmer davon, wie es ist, berühmt zu sein.

Er klatscht sich kaltes Wasser ins Gesicht, um die Panik zu unterdrücken. Als er aufblickt, mitten in ein Spiegelbild, dass nicht sein eigenes ist, kommt die Botschaft langsam bei ihm an. Er. Ist. In. Einer. Anderen. Dimension. Zu sagen, dass Yoongi bei der Erkenntnis blass wird, wäre wirklich eine euphemistische Beschreibung. Er ist so blass wie ein fucking Zombie aus the walking dead.

Das Bild im Spiegel – das ist nicht er. Sein Spiegelbild sieht ihm ähnlich, aber mehr auch nicht. Der Gedanke fühlt sich genauso befremdlich an, wie er klingt.

Der Yoongi aus dieser Welt, Suga heißt er doch hier, ist viel dünner als er, fast schon knochig. Im Gesicht fällt es extrem auf, vor allen Dingen an den Wangen. Normalerweise sind sie rund, ein bisschen wie ein Hamster, hier im Badezimmerlicht wirken sie eingefallen. Außerdem hat Yoongi eine natürliche Veranlagung für ein Doppelkinn. Egal, wie wenig er in seiner Welt jemals gewogen hat (auch wenn er sicher niemals so dünn war wie Suga), ist es niemals vollständig verschwunden. Scheiß Genetik halt. Hier ist es weg, vollständig, aber vermutlich wurde mit der ein oder anderen Fett-weg-Spritze nachgeholfen. Sugas Nase ist gerader und vorne etwas stupsiger. Yoongi muss ganz nah an den Spiegel herangehen, um die Unterschiede zu sehen. Eine OP? Nein. Vermutlich nur irgendwelche Filler, um die minimalen Defizite auszugleichen.

Sugas Haus ist reiner, aber dafür fühlt sich sein Haar wie abgestorbenes Stroh an, dass zu lange in der Sonne lag. Es sieht gut aus, muss er zugeben, die orangerote Farbe, der Sidecut und die Länge, aber die Haptik ist wirklich ein Albtraum.

Er sieht aus wie Suga, der Superstar, und das fühlt sich falsch an. Er ist doch Yoongi, der Loser.

Yoongi streicht sich durch die Haare und bemerkt dabei noch einen Unterschied. An seinem Ringfinger befindet sich ein einzelner goldener Ring, recht schmal und trotzdem glänzend. Auf der Außenseite befinden sich keine Verzierungen. Ein schlichter Ehering, der Yoongi erneut aus den Latschen haut.

Stimmt. Suga ist verheiratet. Er selbst hingegen ist Single as fuck und hyperventilliert bereits, wenn ihn ein heißer Typ auf der Straße zufällig anrempelt. Allein die Erinnerung an Jungkook treibt ihm die Schamesröte ins Gesicht. Wie soll er diesem Mann jemals näherkommen? Auch wenn es nur für die Kameras ist.

Eine Weile sieht er stumm auf den Ring an seiner Hand. Dann blickt er wieder auf.

„Wer bist du?", fragt Yoongi sein Spiegelbild und ist irgendwie seltsam erstaunt darüber, dass er keine Antwort erhält.

⊱ ────── 04.12.2021 ───── ⊰

„Babe?"

„Nein."

„Ba-by..."

„NEIN."

„Komm schon, Ba-by..." – Jungkook dehnt das Wort und kostet es aus. Es zerfließt zwischen seinen Lippen zu einem sündigen Versprechen und schickt Feuer durch Yoongis Blutbahnen. Hab' Erbarmen Herr, Yoongi ist nicht dein stärkster Soldat. Vor allen Dingen nicht, wenn Jungkook ihn so anblickt.

„NEIN. Hör sofort auf damit. Ich kann das nicht... Kannst du mich nicht einfach Hyung nennen?"

„Aber Jaykay nennt Suga nicht ‚Hyung'. Er nennt ihn Ba-by..."

„Woher willst du das wissen?"

Jungkook hält ihm stolz das Display seines Handys entgegen. Es zeigt die YouTube-App. Ein Video mit dem Titel ‚SUGA AND JAYKAY – CUTEST MOMENT COMPILATION (+PROPOSAL!!)' ist geöffnet und Yoongi kann nicht anders als seine Augen zu verdrehen und noch ein Stück tiefer in den Sitz zu sinken.

„Schaust du schon wieder diese bescheuerten Videos?"

„Recherchearbeit, Hyung. Du solltest dir auch ein paar Videos ansehen. Wir sind wirklich... süß." Jungkook strahlt bei dem letzten Wort. Yoongi rutscht noch ein Stück tiefer. Zum Glück sind die Scheiben in ihrem Van getönt. Gerade im Moment ist er ziemlich froh darüber, dass er sich keine Sorgen darum machen muss, dass sie gerade von irgendeinem Paparazzo gefilmt werden könnten.

„Sie sind gruselig", entgegnet Yoongi trocken, der sich immer noch nicht an den Anblick von sich selbst in den Videos gewöhnen kann. Es ist befremdlich, vor allen Dingen weil er nicht darauf klarkommt, wie gut Suga auf einer Bühne aussieht, wie einnehmend seine Performances sind und wie eindrucksvoll seine Lyrics. Im Vergleich zu Suga fühlt sich sein eigenes Leben noch bedeutungsloser an, als ohnehin schon ist, und es ist immer wieder ein Schlag in die Fresse, damit konfrontiert zu werden.

„Nein, das sind sie nicht", entgegnet Jungkook vergnügt. „Außerdem musst du dich irgendwann mal an mich gewöhnen. Du wirst immer noch feuerrot, wenn ich dir auch nur ein winziges Stück zu nah komme."

„Ich werde nicht rot", erklärt Yoongi vollkommen ruhig, während sein Gesicht vor Hitze glüht. Jungkook hebt nur aussagekräftig seine Augenbraue.

„Und was ist das?"

„Das ist meine natürliche Hautfarbe", entgegnet Yoongi trocken.

Eine warme Hand schiebt sich zwischen seine verkrampften Finger. Jungkook strahlt ihn immer noch an und löst langsam ein Finger nach dem anderen, bis sie endlich richtig miteinander Händchen halten können.

„Was wird das?", fragt Yoongi, während sein Gesicht brennt. Wie war das mit dem Erbarmen, Herr? Das hier macht es nicht besser.

„Training. Jaykay und Suga halten andauernd Händchen. Das wüsstest du, wenn du die Videos gucken würdest."

„Aber- ", beginnt Yoongi und verstummt ziemlich direkt wieder, als er Jungkooks intensiven Blick begegnet. Es ist ein wenig... einschüchternd. Das Kribbeln in Yoongis Bauch ist sicherlich nur ein Symptom der Angst. Er hat bereits vorher versucht mit seinem fremden Ehemann eine Diskussion zu führen und ist immer wieder an genau diesem Blick gescheitert. Er fühlt sich ziemlich entblößt dabei, wenn Jungkook ihn so intensiv mustert (und ist gleichzeitig noch schockierter über den Gedanken, dass er sich wirklich gerne vor Jungkook entblößen würde. Himmel, hilf ihm).

Der Gedanke ist seiner Gesichtsfarbe und generellen Körpertemperatur sicher nicht zuträglich. Jungkook betrachtet ihn noch zwei, drei Sekunden länger, bis er sicher ist, dass von Yoongi keine Gegenwehr mehr zu erwarten ist, dann widmet er sich wieder den Inhalten seines Handys. Yoongi versucht sich innerlich mit einer Rezitation von Erich Kästners Gedichten abzulenken. Seine Hände sind sicherlich schwitzig wie sau, aber Jungkook hält immer noch daran fest, als würde es ihn überhaupt nicht stören.

Ächzend sinkt Yoongi in seinem Sitz tiefer, immer in der stillen Hoffnung, der Sitz würde ihn einfach verschlingen und in seiner eigenen Welt wieder ausspucken. Sein aktueller Zustand ist immer noch als relativ katastrophal zu beschreiben, auch wenn er im Gegensatz zum ersten Tag in der neuen Welt wirklich deutlich gefasster in der Gegenwart von Jungkook ist. Dafür hat er sich körperlich noch nie so beschissen gefühlt wie in den letzten 72 Stunden. Das Weckerklingeln hat ihn jetzt schon den dritten konsekutiven Tag in dieser neuen und sehr bizarren Realität aufwachen lassen. (Insgeheim ist sich Yoongi sicher, dass es überhaupt erst am Weckerklingeln klingt. Würde der Wecker NICHT klingeln, würde er sich schon lange wieder Zuhause – seinem eigenen Zuhause – befinden.)

Auch heute ist immer noch alles verrückt – und... fremd. Nicht einmal seine Mitbewohner / Bandkollegen, WWH Jin, Rapmonster und J-Hope, wecken in Yoongi das Gefühl der Vertrautheit. Es sind zwar die gleichen Menschen, aber unterschiedliche Versionen. Sie teilen nicht das gleiche Leben, nicht die gleichen Erinnerungen, Erfahrungen und Gefühle. Wenn Yoongi etwas sagt, dann versteht ihn WWH Jin nicht so, wie es sein Seokjin getan hätte. Er wünscht sich eigentlich nur wieder zurück in ihre WG-Küche, in der er Seokjin dabei beobachten kann, wie er Bibimbap für sie zubereitet, während Yoongi wirre Gedanken in seinen Notizbüchern versenkt. Aber dann blickt er zu Jungkook und denkt, dass er es sich vielleicht doch nicht ganz so doll wünscht, wie er bestimmt könnte...

Sein Fake-Ehemann hingegen hat sich erstaunlich gut mit ihrer neuen Situation arrangiert. Er ist von Tag zu Tag mehr aufgeblüht, ist redseliger und offener geworden und hat schnell Anschluss bei Taehyung und Jimin gefunden, die ihm 24/7 alles über diese Welt erklären. Er saugt alle Informationen auf wie trockene Blumenerde, die zum ersten Mal in ihrem Leben in Berührung mit Wasser kommt. Es ist, als hätte er erst hier die Möglichkeit entdeckt, dass in der langweiligen Erde auch Samen begraben liegen, die mit der richtigen Pflege zu einer wunderschönen Blumenwiese heranwachsen können.

Yoongi würde ihn gerne danach fragen, warum er sich hier so wohlfühlt, aber soweit sind sie noch nicht. Obwohl sie verheiratet sind und damit automatisch dazu gezwungen sind, sich zu berühren und die meiste Zeit miteinander zu verbringen, fühlen sie sich einander nicht verbunden. Yoongi fühlt sich zwar zu ihm hingezogen, nicht nur körperlich, aber Jungkook ist eher wie ein Tagtraum. Ein unerreichbares Idealbild. Yoongi versinkt in Selbstmitleid und Melancholie, während sein dimensionsreisender Genosse die Erfahrung in vollen Zügen zu genießen scheint. Das würde er auch gerne, aber diese Welt erinnert ihn ständig und ohne Unterlass an alles, was er selbst nie erreicht hat.

Suga ist die bessere Version von ihm und sein Schatten verhöhnt ihn. Yoongis Blick streift erneut herüber zu Jungkook. Ihre Hände sind immer noch miteinander verschlungen. Der Anblick ist auch eine Erinnerung daran, was Yoongi selbst nie erreicht hat. Dass er jetzt seine Hand hält, ist nicht sein Verdienst. Es ist Sugas. Und er weiß nicht, ob diese Welt ein Traum ist oder sein Albtraum.

⊱ ────── ⋅❅⋅ ───── ⊰

Training beendet.

Es sind zwei Worte, die für Yoongi noch vor einer Woche so weit entfernt waren wie ein anderes Universum.

Jetzt sind sie plötzlich erstaunlich nah. Yoongi hat sich auf die Couch geschmissen und versucht die diffusen Schmerzgefühle zu lokalisieren. Nicht besonders erfolgreich. Eine Aufzählung der Körperteile, die gerade wehtun, würde zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Fassen wir es also kurz zusammen: Yoongi tut weh. Im Gesamten. Und es ist echt ein beschissenes Gefühl.

„Ba-by? Geht's dir gut?"

„Aaahhh", gibt Yoongi gequält von sich, „ichwillsterben. Lassmichinruhe." Sein Kopf ist so tief in den Sofakissen vergraben, dass der Stoff die einzelnen Silben verschluckt. Das Ergebnis ist ein unverständliches Gebrummel.

„Was hast du gesagt?"

„Nichtslassmicheinfachinruhesterben."

„Das war jetzt nicht wesentlich besser, Ba-by."

„Nennmichnichtsodasistnichtfairdasallesistnichtfairsagdasnichtmehrokaydanke."

„Nur, weil du mehr nuschelst, heißt das nicht automatisch, dass man dich auch mehr versteht. Wie wärs damit, den Kopf wenigstens ein winziges Stück anzuheben?"

Yoongis waches Gehirn ist sicher, dass es eine schlechte Idee ist, sich auch nur irgendwie zu bewegen, denn jede Art von Bewegung schmerzt. Außerdem ist sein waches Gehirn schon seit mehreren Stunden bereit dazu, den Staffelstab wieder an sein müdes Pendant zu übergeben. Es kann nicht mehr. Es ist fucking erschöpft. Bewegen ist also eindeutig eine Scheißidee, aber irgendwie hat Jungkooks Stimme diesen Farbton, der auch beschissene Vorschläge irgendwie verlockend klingen lässt.

Yoongi dreht also seinen Kopf (nur drei Millimeter, aber das ist weit genug für seine Nackenmuskulatur, um wütend zu rebellieren) und grummelt: „Mir tut alles weh. Ich will einfach nur schlafen, 24 Stunden lang und danach- "

MOMENT. Yoongis Augen finden Jungkooks Silhouette vor dem Kleiderschrank stehend und sie verursacht einen Totalausfall. Sein waches Gehirn betätigt den roten PANIKKNOPF und verabschiedet sich.

„Und danach?", erkundigt sich das Triggerobjekt arglos, verwundert über das abrupte Ende des Satzes.

Yoongi würde wirklich gerne antworten, aber in seinem Kopf brennen alle Sirenen. Er bemerkt noch, wie sein Unterkiefer nach unten klappt und... sabbert er?

Auf jeden Fall starrt er. Anders als Yoongi hat Jungkook es nach dem Training noch bis unter die Dusche geschafft und wie das nun mal so ist, duscht er scheinbar... nackt. Was zur Folge hat, dass er kurz nach dem Duschen immer noch fast nackt ist. Okay, da ist eine schwarze Calvin Klein Boxershorts, aber sie ist klein und eng, wow, wirklich verdammt eng, und ist sie blickdicht?

Fuck. Fuck. Fuck. Fuck. FUCK.

Nicht starren und Mund zu!! UND KEINE SELBSTGESPRÄCHE HIER!

„DUSCHEN!", bricht Yoongi hektisch über die Lippen. Oh scheiße, er ist zu auffällig, oder? Bitte, lass Jungkook nicht mitbekommen, was für ein absolutes Chaos er ist. Oh Herr, was haben wir über starke Soldaten gesagt? Yoongi ist keiner von ihnen.

„Du willst erst schlafen und dann duschen?", fragt Jungkook nach, während er mit entblößtem Oberkörper (absolut definiertem Oberkörper, mit der perfekten Mischung aus muskulös, aber nicht zu muskulös und diesem goldbraunen Hautton, der im weichen Licht ihrer Zimmerlampe leicht glänzt und oh – ist das noch ein Wassertropfen, da in seinem Nacken?) zu Yoongi gewandt ist und ein T-Shirt vor sich hält.

Puuuhhh. Tief durchatmen und dann ruhig und besonnen antworten. Das ist ein guter Plan.
Also: „Ja, wunderbare Erfindung diese Duschen. Ich liebe Duschen. Ich nehme total gerne ausführliche Duschen. Wusstest du, dass man nackt duschen gehen kann? Unglaublich, oder? Ich zum Beispiel gehe manchmal nackt duschen. Also nicht immer, aber schon oft und-" SCHEIßE, WAS REDET ER DA?

Sein Zimmergenosse gluckst nur vergnügt, während er sich das T-Shirt nun tatsächlich über den Kopf zieht. „Du gehst nicht immer nackt duschen? Was trägst du denn, wenn du nicht nackt duschen gehst?", fragt er interessiert nach und nähert sich der Couch, auf der es sich Yoongi gemütlich gemacht hat.

„Badelatschen?", antwortet Yoongi verzweifelt, während er sein Kopf zurück in Richtung Kissen dreht und seinen baldigen Tod akzeptiert.

„Oh, du gehst mit Schuhen duschen? Auch Zuhause?"

„Natürlichdasistsehrgutfürdiehygieneundduwillstgarnichtwissenwasmeinemitbewohnerallessoindiewohnungschlepppen,ehrlichjetzt,badelatschenistdasMINDESTE,eigentlichbräuchtemaneinenschutzanzug,aberdannwäredasduschenjawiedersinnlos,also..." GOTT, BITTE RETTE IHN. Obwohl Yoongi die Augen fest zusammenpresst, manifestiert sich vor seinem inneren Auge ein Bild von Jungkook in diesen engen schwarzen Boxershorts und den Umrissen von... - NEIN!!! So darf er nicht an ihn denken. Okay, sie sind verheiratet, aber eigentlich sind sie eben NICHT verheiratet, sondern sich komplett fremd und dann denkt man nicht so übereinander, wenn man in der gleichen Scheißsituation feststeckt und das hier ist vollkommen unangemessen und – STOP. Yoongi, komm mal klar.

„Du musst wieder langsamer sprechen, wenn du willst, dass ich dich verstehe."

Jungkooks Stimme ist jetzt sehr nah und gleichzeitig auch sehr sanft und amüsiert. Yoongi spürt die Bewegung neben sich, als das Kissenpolster unter dem Gewicht seines Ehemannes und irgendwie Nicht-Ehemannes eingedrückt wird.

Diesmal beißt sich Yoongi auf die Zunge, damit er nicht antwortet. Ganz ehrlich, er hat sich für einen Abend genug blamiert.

„Du bist echt vollkommen fertig, mh?", erkundigt sich Jungkook erneut mit dieser einfühlsamen Stimme.

„Komplett durch", bestätigt Yoongi murrend, während er sein Bestes dafür gibt, die Silben irgendwie an dem Kissenbezug in seiner Fresse vorbeizuquetschen.

„Soll ich dich massieren, Ba-by?"

„Dir macht das Spaß, oder?"

„Was?"

„Mich zu quälen."

„Hey!! Ich habe dir gerade angeboten, dich zu massieren!"

„Nein, das meine ich nicht", antwortet Yoongi, „sondern das Ba-by." Er gibt sein Bestes, die beiden Silben genauso gedehnt und verrucht auszusprechen, wie Jungkook es immer tut. Nicht erwähnenswert, dass der Versuch von ihm lächerlich weit von verführerisch entfernt ist.

„Wir müssen uns dran gewöhnen, oder?", erklärt Jungkook pragmatisch. „Wir können für die ganzen Kameras nicht das verliebte Ehepaar spielen, wenn wir uns im Privaten aus dem Weg gehen. Wir müssen mehr... üben. Damit es natürlich wirkt, weißt du?"

„Mhm."

Die ehrgeizige Seite von Jungkook hat Yoongi schon an ihrem ersten Abend kennengelernt. Nachdem er sich todesmutig den ersten Interviews alleine gestellt hat, ist er abends zurück ins Loft gekehrt, nur um Jungkook immer noch im Bett vorzufinden, umgeben von unzähligen Notizzetteln. Er hat den ganzen Tag damit verbracht, die wichtigsten Eckdaten über die Karriere von BTS und die Beziehung von Suga und Jaykay herauszuarbeiten und ein kurzes Essay darüber zu verfassen. Zwischenzeitlich hatte er ebenfalls Taehyung getextet und sich die Setlist für ihr baldiges Onlinekonzert zuschicken lassen. Noch am gleichen Abend kannte er bereits ca. 50% der Songtexte auswendig.

Yoongis Gehirn setzt kurzzeitig erneut aus, als warme Finger sanft an seinen Schulterblättern entlangstreichen und schließlich auf seinem Rücken liegenbleiben.

„Ist das in Ordnung?", erkundigt sich Jungkook einfühlsam, denn das hier ist ihre erste richtige Berührung im privaten Raum, ohne die Kameras, die Medien und ihre Bandmitglieder.

„Mhm", erwidert Yoongi zustimmend und verfasst gedanklich eine Ode an den Erfinder der Baumwolle. Ohne Scheiß, geheiligt sei der T-Shirt-Stoff. Yoongi war zwar noch nie so gläubig wie in den letzten vier Tagen in dieser fremden Dimension, aber so ein Realitätswechsel macht was mit einem, ich sag's euch. Ohne das Shirt würde er nicht mit dieser Situation umgehen können (nicht das er das jetzt kann), aber so kann er sich zumindest einreden, dass ihn Jungkook ja ohnehin gar nicht direkt berührt. Indirekte Berührungen sind okay. Damit muss er wirklich umgehen lernen (LERN DU MAL DAMIT UMZUGEHEN VON JUNGKOOK ANGEFASST ZU WERDEN, ICH WILL DICH MAL SEHEN, DAS IST NÄMLICH GAR NICHT SO LEICHT).

„Entspann dich", murmelt Jungkook, während seine Hände sanfte Kreise über den Rücken fahren. „Nach dem Turnen bekommen wir ständig Massagen von unseren Physiotherapeuten und... ich hab' auch selbst schon echt viele Athleten nach dem Turnen massiert... Wir kriegen dich schon wieder hin."

„Mhm", entgegnet Yoongi wieder, denn nein, er wird sicherlich nie wieder etwas sagen, um sich nicht wieder zu blamieren. Außerdem wird er sich jetzt nicht vorstellen, dass die Hände noch tiefer wandern, etwas weiter nach unten, so in Richtung seines Hinterns, der auch eine Massage gut gebrauchen könnte, nein, an so etwas würde er zum Glück nie denken.

„Erzähl mir von deinem Leben", fordert Jungkook ihn auf und Yoongis eiserne Selbstdisziplin geht bereits in der ersten Runde K.O.

Mhm? Hast du nicht schon längst alles bei Wikipedia gelesen?"

„Nein. Nicht von diesem Leben. Von deinem Zuhause... Wer bist du, wenn du nicht Suga von BTS bist?"

„Niemand", entgegnet Yoongi, denn was soll er auch anderes sagen? Sein Leben im Vergleich zu Sugas Leben ist das Sinnbild der Lächerlichkeit. Möchte er diese Peinlichkeit mit seinem ultraheißen Fast-Ehemann teilen? Mit Sicherheit nicht.

„Das kann ja schon mal nicht sein... Ich weiß immer schon, dass du Min Yoongi bist, 28 Jahre alt und scheinbar hast du... fragwürdige?... Mitbewohner."

„Ich hätte nicht von den ‚Bekomm-dein-Leben-auf-die-Reihe-Min-Yoongi'-Agendas erzählen dürfen, oder? Das werde ich jetzt nie wieder los", gesteht er ein und beginnt tatsächlich damit, sich unter den Berührungen seines Nicht-Ehemannes zu entspannen. Jungkook hat nicht gelogen. Seine Hände sind magisch und finden zielsicher jede einzelne Verspannung in seinem Rücken, bevor er mit sanften Bewegungen damit beginnt, sie wieder zu lösen. „Nicht fragwürdig", ergänzt Yoongi, „nur ein bisschen bekloppt. Die meiste Zeit meinen sie es gut, denke ich zumindest. Eigentlich bin ich mir ziemlich sicher. Sie haben zwar oft verrückte Einfälle, aber insgesamt... sie sind echt super."

Dann schweigt Yoongi und auch Jungkook schweigt, vielleicht in der stillen Erwartung, noch mehr über sein Leben zu erfahren.

„Sag ihnen nie, dass ich das gesagt habe", fordert Yoongi und kann sich bildlich vorstellen, wie Hoseoks Lächeln wie eine Supernova explodiert und Jin ihn für mindestens zehn Minuten nicht mehr aus einer knochenzerbrechenden Umarmung freilässt.

„Warum nicht? Das klingt... schön."

„Nein. Das sind Idioten. Sie würden mich nur damit aufziehen und plötzlich Umarmungen und sowas wollen. Sie lieben Umarmungen."

„Ich mag Umarmungen auch."

„Bist du Olaf?"

„Olaf?"

„Der Schneemann. Aus ‚Die Eiskönigin'? Guckst du etwa keine Disneyfilme?", erkundigt sich Yoongi mit aufrichtigem Schock in der Stimme.

„No-pe", antwortet Jungkook. Lässt dabei das ‚p' mit einem obszönen Geräusch zwischen seinen Lippen hervorploppen, ähnlich gehaucht wie Ba-by und Yoongi wird schon wieder rot und zittrig und verliert den Anschluss. „Erzähl du mir lieber was über dein Leben, Jeon Jungkook", fordert er deswegen schnell. „Wer bist du, wenn du nicht gerade Min Jaykay von BTS bist?"

„Mhmmm", überlegt der Angesprochene eine Weile, „ich glaub, ich hab' schon alles erzählt, was es über mich zu sagen gibt."

„Du hast fast gar nichts erzählt?", widerspricht Yoongi sofort.

„Doch. Klar. Ich bin Jungkook, 23 Jahre alt. Ich bin Leichtathlet, meine beste Disziplin ist das Bodenturnen. Ich wohne in Seoul, komme aber ursprünglich aus Busan. Das wars. Ende der Geschichte."

„Mitbewohner?"

„Keine."

„Familie?"

„Lebt noch in Busan. Ich bin alleine nach Seoul gegangen."

„Freunde?"

„Im Sport gibts das irgendwie nicht so richtig... Der Konkurrenzkampf ist zu groß..."

„Freundin?", wagt sich Yoongi vor und hält gleichzeitig den Atem an, bis ihm einfällt, dass Jungkook das wahrscheinlich spüren kann und das mehr als auffällig ist. Noch auffälliger als sein beschleunigter Herzschlag vermutlich nicht, aber den kann man sicherlich auch auf andere Umstände zurückführen, wie zum Beispiel den Sport, den er... vor zwei Stunden gemacht hat. Ja. So ne erhöhte Herzfrequenz hält bei ihm halt länger an, als bei anderen Menschen. Das ist auch in Ordnung. Er ist deswegen trotzdem ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft!!!

Pscht. Aufpassen jetzt. Sonst verpasst er noch die Antwort.

„Nein."

Freund?, will Yoongi eigentlich noch hinterherjagen, aber Jungkook unterbricht ihn, bevor er seine Gedanken laut ausformulieren kann.

„Und jetzt Schluss mit der Fragerei. Ich hab' gesagt, dass du dich entspannen sollst und mir etwas aus deinem Leben erzählen. Was machst du beruflich?"

Wie war das? Diskutieren mit Jungkook macht keinen Sinn? Also beginnt Yoongi zu erzählen. Erst von seiner Aushilfsstelle im Zoogeschäft, dann von seinen vorherigen Jobs. Davon, dass er schon viel ausprobiert hat, aber noch nie etwas so richtig, dass er nie drangeblieben ist und am längsten eine berufliche Perspektive verfolgt hat, als er vier Jahre alt war. Damals wollte er nämlich ein Bonbon werden. Alle späteren Fehlschläge führt er auf die Erkenntnis zurück, dass er kein Bonbon werden konnte. Das hat ein frühkindliches Trauma in ihm ausgelöst und so...

Irgendwann verliert sich Yoongi zwischen sinnlosen Worten und immer abstruseren Geschichten. Er übertreibt schamlos, schmückt aus, was nur geht und erzählt danach noch mehr Unsinn, nur damit er noch etwas länger Jungkooks süßem Kichern und Glucksen lauschen kann.

⊱ ────── 11.12.2021 ───── ⊰

Der heutige Morgen beginnt genauso schmerzhaft früh wie die letzten Tage. Im wahrsten Sinne des Wortes. Sein Rücken protestiert wie der grummelige Schlägertyp aus der Dorfkneipe. Yoongi hat auf der Couch nicht besonders bequem geschlafen und sein Rücken HEULT deswegen. Aber Jungkook und er haben sich darauf geeinigt, abwechselnd im Bett und auf der Couch zu schlafen. Da sie sich kaum kennen, wäre es seltsam unangemessen gemeinsam im Ehebett ihrer Dimensionszwillinge zu schlafen.

Ein Blick zum Bett bestätigt ihm jedoch das gleiche Bild wie jeden Morgen: Jungkook ist bereits wach und chillt vermutlich im großen Wohnbereich, um Songtexte durchzugehen oder einzelne Tanzschritte nochmal zu üben.

Permission to dance ON CHRISTMAS – die Probe – steht heute auf ihrem Programmzettel.

Das anstehende Onlinekonzert von BTS ist zumindest insofern ein Segen, dass sich Yoongi ab dem heutigen Tag keinen fragwürdigen Interviews mehr stellen muss. Um ehrlich zu sein, hat er zwar eh immer nur stumm daneben gesessen und an den richtigen Stellen (er hofft inständig, dass es die richtigen Stellen waren) süß gegrinst, aber es war trotzdem so verdammt anstrengend und PEINLICH.

In einem Interview wurden sie von einem amerikanischen Interviewer auf das Harry Styles Konzert angesprochen, welches ein paar seiner Bandkollegen bei ihrem letzten Aufenthalt in Amerika besucht haben. Kurz darauf fingen alle an ein Lied zu singen: Watermelon SUGA hiiiigh...

Und er hats natürlich nicht gerafft. Yoongi hat sich nicht mal ansatzweise angesprochen gefühlt. Der Take wurde wiederholt und er wurde zwischenzeitlich von J-Hope instruiert, was er nun zu tun habe. TANZEN? Yoongi ist jegliches Blut aus dem Gesicht gewichen. Nur so ein bisschen mit den Händen wackeln, von rechts nach links, das schaffst du schon. J-Hopes 5000 Watt-Strahlen erinnerte ihn zumindest ein bisschen an den Hoseok von Zuhause, also hat Yoongi es versucht. Er hat es wirklich versucht, auch wenn das Ergebnis dann wohl doch eher an einem 80jährigen Opa erinnerte, der sich aufgrund von fortgeschrittener Arthrose nicht mehr ganz so geschmeidig bewegen kann. Ein Albtraum.

Am gleichen Tag haben sie bei ihrer ersten Probe zu PERMISSION TO DANCE ON CHRISTMAS beschlossen, dass Yoongi überraschenderweise wieder extreme Probleme mit seiner eigentlich sehr gut verheilten Schulter hat. Er wird leider bei ihrem Onlinekonzert nicht tanzen können, sondern der Show auf einem Stuhl beiwohnen. Und Playback. Sie brauchen unbedingt Playback, sonst funktioniert es gar nicht und so beschränken sich Yoongis Proben größtenteils darauf zu lernen, wie er von seinem Stuhl, auch wenn das Ding aussieht wie ein Thron, aus mit der Band interagieren kann und wie er möglichst überzeugend seine Lippen zu einem Text bewegt, der ihm vollkommen fremd ist.

In diesem Sinne: Herzlich Willkommen zu unserer heutigen Ausgabe von ‚yoongi being a shitty loser and a very gay mess'.

Der größte Unterschied zu den bisherigen Proben ist, dass sie heute mit einer Anprobe der Bühnenoutfits beginnen. Ihr erster Look ist eindeutig von einer All-White-Motto-Party inspiriert. Yoongi inspiziert gerade noch akribisch seine ersten Kleidungsstücke, die – gottseidank – einen relativ harmlosen Eindruck auf ihn machen, als J-Hope selbstbewusst hinter der mobilen Trennwand hervortritt. Er trägt eine Art weißmattierten Spaceanzug, der an genau den richtigen Stellen eng sitzt und seiner Silhouette einen beeindruckenden Schliff verpasst. Insgesamt sieht er so supercool aus, dass Yoongi der Mund vor Erstaunen weit offensteht.

Ba-by, wie findest du mein Outfit?"

Autsch. Yoongis Nacken knackst besorgniserregend, als er sich in Höchstgeschwindigkeit zu der Stimme seines Irgendwie-Ehemannes umdreht.

Okay. THIS IS AN OVERKILL. FIRST STAGE GAY PANIC.

Jungkook ist ebenfalls ganz in weiß gekleidet. Die Hose, die er trägt, ist die gleiche, die Yoongi eben in der Hand hatte und in der hintersten Ecke seines überforderten Gehirns wird ihm bewusst, dass sie dem verliebten Ehepaar Matching Outfits verpasst haben. Im Gegensatz zu Yoongi trägt Jungkook dazu aber kein normales, weißes T-Shirt, sondern eine irre Mischung aus wilden Schnüren, die mehr Haut zeigen, als sie tatsächlich verdecken. Yoongis Hautfarbe ist in nullkommanichts wieder in den dunkelroten Bereich gerutscht.

„Sieht... gut... aus", presst er irgendwie hervor und versucht seinen Kopf wieder von diesem überfordernden Anblick zu lösen, nur um erneut mit J-Hope konfrontiert zu werden, der sich gerade nach vorne beugt, um seine Schuhe zu binden, und dabei seinen mehr als ansehnlichen Hintern präsentiert. GANZ SCHLECHTE IDEE. Als sein Blick zurück zu Jungkook wandert, steht der plötzlich extrem dicht vor ihm.

„Guck mal, Babe, wenn ich mich so bewege, dann sieht man meine Nippel." Jungkook kichert vergnügt, als wäre es die lustigste Sache der Welt sein Publikum mit seinen Nippeln zu überfordern und Yoongi tut sein fucking Bestes, um eben nicht genau dort hinzusehen. „Hast du auch so ein Shirt mit Schnüren?"

„Mh. Ne. Ganz normal. Ein ganz. Normales. Shirt", antwortet der Angesprochene stocksteif und starrt dabei verdammte Löcher in die Wand, nur damit er sich nicht umsehen muss.

„Schade, das würde dir sicher auch ganz hervorragend stehen", sagt Jungkook und verleiht seiner Stimme einen tiefen, vibrierenden Unterton, der Areale in Yoongis Körper anspricht, die gerade bei einer Anprobe eigentlich ganz doll in Ruhe gelassen werden sollten. Shit.

Schon bei den letzten Auftritten hat Yoongi bemerkt, dass das hier Jungkooks Lieblingsteil an ihrem Schauspiel ist: Schamloses Anflirten vor den Crewmitgliedern, die allesamt nicht darüber Bescheid wissen, dass Jaykay und Suga durch Pendants aus einer anderen Dimension ersetzt wurden.

Das Management haben sie eingeweiht – das war ja irgendwie notwendig -, aber ansonsten versuchen sie das Fiasko möglichst geheim zu halten. Und Jimin und Taehyung haben Jungkook ausführliche Geschichten darüber erzählt, wie verdammt anstrengend (und gleichzeitig liebenswert) die ständigen Flirtereien zwischen dem Liebespaar sind. Wie Jaykay seinen Mann Suga immer noch bei jeder Gelegenheit so heftig anbaggert, als würde er ihm gerade zum ersten Mal begegnen und sein Herz noch erobern wollen.

Jungkook nimmt diese Herausforderung zu ernst. Sein ehrgeiziger Charakter schreibt es ihm wahrscheinlich vor, die Rolle so überzeugend wie möglich zu spielen, aber Yoongis Selbstbeherrschung wandert dadurch auf einem sehr schmalen Grat.

„Ich würde gerne etwas mehr von deinem... Körper... sehen", haucht Jungkook und schenkt ihm einem anzüglichen Blick. Ein einzelner Finger von ihm wandert bereits Yoongis Brust herunter, der immer noch die Wand anstarrt und betet. Der Finger passiert seinen Bauchnabel, wandert weiter nach unten und findet seine Destination schließlich unter Yoongis T-Shirt. Er fährt die Umrisse des Ansatzes von seiner Boxershorts nach. „Wollen wir die Outfits vielleicht tauschen?"

Yoongi wird gleich ohnmächtig, no joke. Es ist vielleicht die bessere Alternative, als sich wie ein liebeskranker Köter an Jungkooks Beinen zu reiben und ihn darum zu bitten, mit ihm zurück ins Loft zu verschwinden, damit er ihm mehr von seinem Körper zeigen kann.

„JUNGS BITTE, mehr Konzentration für die Anprobe, erkundigt eure Körper bitte erst, wenn wir wieder Zuhause sind!!", unterbricht RM die angespannte Situation rüde. Er tritt, wie J-Hope eben, hinter einer mobilen Trennwand hervor und scheucht das verliebte Ehepaar mit ein paar Handbewegungen auseinander. „Suga, was ist mit dir? Warum hast du deine Sachen nicht an? LOS, SCHWING DICH IN DEIN ERSTES OUTFIT! Wir wollen später noch proben!"

Das erste Mal, seit Yoongi in dieser Dimension ist, ist er froh über die Anweisungen seines Bandleaders.

Jungkook schenkt ihm ein letztes Zwinkern und einen letzten zweideutigen Augenaufschlag, bevor er sich die schwarzen Klamotten schnappt, die eine Stylisten bereits für ihn herausgesucht hat und damit erneut in seiner Umkleide verschwindet.

„Du kannst dich gerne auch bei mir umziehen, Ba-by", flötet er vergnügt über die Wände hinweg.

„NEIN, DANKE", lehnt Yoongi panisch ab, verschwindet hinter seiner eigenen Trennwand und versucht seinem hämmernden Herzen einzureden, dass nichts hiervon echt ist. Jungkook flirtet nicht ihn an. Er flirtet mit einer Version von ihm, die nicht hier ist. Sein Verhalten ist fake und Yoongi sollte nicht so dumm sein, etwas anderes dahinter zu vermuten.

⊱ ────── ⋅❅⋅ ───── ⊰

Auf der Rückfahrt von der Probe halten Yoongi und Jungkook wieder Händchen, auch ihre Schultern sind leicht gegeneinander gelehnt. Nach den ständigen Überforderungen während der heutigen Anprobe (das zweite Outfit von Jungkook war noch schlimmer als das Erste. Ein schwarzes, tief ausgeschnittenes CROP TOP, quasi mit freiem Blick auf seine definierten Bauchmuskeln. Der Anblick hat Yoongis Gehirn gay panic stage 2 ausrufen lassen), ist der jetzige Kontakt beinah beruhigend. Natürlich schlägt Yoongis Herz immer noch zu schnell und seine Wangen ziert ein zartes Rosa, aber zumindest wandern seine Gedanken nicht mehr die ganze Zeit in eine falsche Richtung.

Er und Jungkook sitzen in der letzten Sitzreihe ihres Vans und sind vor den Blicken der anderen Bandmitglieder geschützt. Alle sind ziemlich erschöpft. Sein Fake-Ehemann vermutlich am meisten, weil er bei den Proben wirklich alles von sich gibt. Obwohl er die einzelnen Choreografien erst seit wenigen Tagen lernt, ist er erstaunlich präzise in seinen Bewegungen. Das gute Körpergedächtnis stammt vom Bodenturnen, hat er Yoongi vor wenigen Tagen erklärt. Da musste er auch einstudierte Choreografien vorturnen, mehrere davon bei einem Wettkampf, auch an unterschiedlichen Geräten. Dass Idol-Dancing auf einem ganzen anderen Niveau als normales Tanzen stattfindet, scheint er dabei pflichtbewusst zu übergehen. Es ist überdeutlich, dass Jungkook die Band nicht hängenlassen möchte, auch wenn er dafür über seine Grenzen hinauswachsen muss. Yoongi bewundert ihn für seinen Ehrgeiz. Das tut er wirklich.

Mittlerweile fühlen sich ihre Berührungen etwas vertrauter an. Jungkooks Hände sind größer als seine eigenen, kräftiger und rauer. Sie passen ineinander wie zwei Puzzlestücke, die extra für diesen Zweck gefertigt wurden. Yoongis Blick ruht auf ihren Eheringen. Sie sehen exakt gleich aus. Auch Jungkooks Exemplar ist schmal, golden und schlicht.

Jungkooks Augen folgen seinem Blick und er scheint intuitiv zu spüren, an welchem Aspekt Yoongis Gedanken hängengeblieben sind.

„Hast du ihn schon mal abgenommen?"

„Mh?"

„Den Ring", präzisiert Jungkook und hebt ihre Hände ein Stück in die Luft. „Sie sind graviert, weißt du? Von innen."

„Echt? Was steht bei dir?", erkundigt sich Yoongi. Zeitgleich löst er seine Hand aus Jungkooks, um den Ehering von seinem Finger zu ziehen.

My heart is on fire for your love", liest er in gebrochenem Englisch vor. „Was heißt das?"

„Mein Herz brennt für deine Liebe", übersetzt Jungkook federleicht, „bei mir steht: I feel the destiny in you – Ich fühle, dass du mein Schicksal bist."

„Oh. Das ist... sehr romantisch."

„Das sind Lyrics", erklärt sein Fake-Ehemann weiter, „Suga hat sie für Jungkook geschrieben. Der Song heißt Heartbeat, wenn ich mich richtig erinnere. Es war sein Hochzeitsgeschenk für Jaykay... Es geht in dem Lied darum, dass er Jungkook überall lieben würde... egal, wo sie sich begegnet wären."

„Fuck", entgegnet Yoongi. „Dieser Suga ist echt ein verdammt romantischer Dude, oder?"

„Ja... Jaykay hat ziemliches Glück mit ihm", antwortet Jungkook und verschränkt ihre Hände in dem Moment wieder miteinander, als Yoongi den Ring erneut an seiner Hand platziert.

⊱ ────── 20.12.2021 ───── ⊰

„Kommst du ins Bett?", fragt Jungkook und bleibt dabei viel zu ruhig in Anbetracht der Tatsache, in was für ein Gefühlsfiasko er Yoongi mit dieser einfachen Frage wirft. Aber er hats vermutlich immer noch nicht gecheckt einfach, oder? Was für eine Katastrophe Yoongi ist und wie sehr er ihn mit diesem Körperkontakt ständig überfordert? Vielleicht geht er wirklich davon aus, dass der rote Hautton Yoongis natürliche Hautfarbe darstellt. Verwunderlich wäre es nicht. Er hat Yoongi vermutlich noch nie mit einer anderen Hautfarbe gesehen, außer es hat sich zentimeterdick Make-Up auf seinem Gesicht befunden (und das zählt ja wohl kaum).

Auch jetzt glüht Yoongis Gesicht wieder wie ein motivierter Heizofen im Winter.

„K-Klar", sagt er und räuspert sich, weil seine Stimme so schwach klingt, wie sich seine Knie fühlen. „Ich hol' nur noch kurz mein... Handy."

Sie haben sich heute Morgen etwas gestritten. Weil Jungkook mit Rückenschmerzen von der unbequemen Couch aufgewacht ist und Yoongi daraufhin angeboten hat, die nächsten Nächte auf der Couch zu verbringen, aber das ist ja auch kein Dauerzustand, weil sie Beide fit sein müssen, topfit sogar, und sich hier gar niemand einen verspannten Rücken leisten kann und –

Sie haben sich dafür entschieden, von nun an gemeinsam in einem Bett zu schlafen. Nach fast drei Wochen sind sie ja auch schon wesentlich vertrauter miteinander, hahaha. In ihrem EHEBETT wollen sie nun also gemeinsam schlafen. Es ist breit genug, dass sie beide locker darin Platz finden können, ohne sich zu berühren. EASY. Wenn die ganze Sache nicht nur so verdammt abstrus wäre und Yoongi endlich mal drauf klarkommen würde, dass ihre Berührungen nur für die Bühne sind und privat verboten und insgesamt rein gar nichts bedeuten.

Yoongi stakst etwas ungelenk zum Bett (EHEBETT, okay, die Besitzer sind verheiratet) und lässt sich auf der äußersten Kante nieder. Als sein Blick wie automatisiert über Jungkook schweift, muss er neidlos anerkennen, dass der Jüngere natürlich vollkommen entspannt seine eigene Bettseite eingenommen hat. Er hat es sich bereits gemütlich gemacht, schüttelt gerade das Kopfkissen auf und die Bettdecke rutscht dabei von seinen Schultern, von seinen nackten Schultern und –

Jungkook schläft ohne T-Shirt.

Himmel, Herr Gott, Halleluja und weitere heilige Ansprachen mit H. Das hier ist Yoongis Untergang. Jungkooks goldene Haut glänzt im schwachen Schein ihrer Nachttischlampen nur umso heller. Vereinzelt befinden sich blaue Flecke auf seinem Armen und seinem Brustkorb, von einigen Stürzen, die sich beim Tanztraining zugetragen haben. Yoongi möchte sie anfassen. Nicht nur die blauen Flecke, die möchte er sanft küssen, bis sie nicht mehr weh tun und verblassen und danach mit dem Kopf tiefer wandern und – STOOOOPPPPPPPPPP. Sein Blut wandert bereits Richtung Süden und das ist NICHT IN ORDNUNG.

Immer wieder bitter zu erfahren, dass selbst eine andere Dimension, in der er ein absoluter Superstar und mit dem heißesten Wesen der Welt verheiratet ist, ihn nicht davon abhalten kann, den Umgang mit einem attraktiven Mann für ihn zu einer absoluten Katastrophe werden zu lassen.

„Soll ich das Licht schon ausmachen?", erkundigt sich Jungkook hilfsbereit und bietet Yoongi damit einen willkommenen Ausweg daraus beim Starren erwischt zu werden.

„JA!", antwortet er deswegen wohl etwas zu enthusiastisch. Zeitgleich verkriecht er sich tief unter seiner eigenen Bettdecke und bedeckt alle kritischen Stellen mit genügend Stoff, sodass selbst wenn ihm ein Missgeschick passiert, es nicht direkt zu sehen sein sollte (ja, wir nennen es nur ‚missgeschick' und solche dinge passieren nun mal, wenn man mit einem halbnackten jungkook in einem bett liegt, yoongi ist einfach nicht so stark).

Jungkook schenkt ihm zwar einen irritierten Blick, verzichtet aber zum Glück darauf, Yoongis Gesichtsfarbe zu kommentieren (eventuell ist das der Beweis dafür, dass er sie als Normalität angenommen hat) und schaltet das Licht aus.

Die Dunkelheit hilft Yoongi dabei, sich wieder etwas zu entspannen. Er darf sich nur nicht auf die Atemzüge neben sich konzentrieren, sondern auf seine eigenen. Seinen eigenen Herzschlag, der wild in seinem Brustkorb galoppiert und sich nur langsam beruhigt. Einatmen, ausatmen. Du hast das unter Kontrolle, spricht er sich selbst Mut zu. Jungkook liegt zwar nur ca. 30 Zentimeter von dir entfernt, aber das tangiert dich überhaupt nicht. Du denkst nicht an seine seidige Haut und du denkst nicht an diese kräftigen Oberschenkel oder dieses süße Kichern, bei der er seine Nase kraus zieht und lächelt wie ein kleiner Hase, ein süßes Bunny, so süß und heiß... Nein. Yoongi denkt wirklich absolut nicht daran.

„An was denkst du?"

DÖDÖM. Jungkook gewinnt mit seiner Frage den Hauptgewinn des Abends.

„An... Zuhause?", versucht er es mit der erstbesten Option, die selbst für sein müdes Gehirn einigermaßen legitim klingt.

„Dein eigenes Zuhause? Vermisst du es? Deine Mitbewohner?"

„Mh... ja... schon", antwortet Yoongi, dreht sich dabei auf den Rücken und versucht eine bequeme Position zu finden, in der er nichts von der Körperwärme seines Irgendwie-Ehemannes mitbekommt, die ihn in den Wahnsinn treibt.

„Schon? Was vermisst du daran?"

„Ja... schon, halt. Ich denk', ich vermisse einfach... mein Leben? Klar, es ist nicht so glamourös, wie das hier, aber... Ich hab' die besten Freunde überhaupt. Ich vermisse es einfach, mit ihnen abzuhängen, sie zu nerven und sie dazu zu überreden für mich zu kochen. Irgendwie vermisse ich sogar meine Arbeit. Vor allen Dingen die Kids, die zu uns in den Laden kommen, weil sie sich selbst kein Haustier leisten können. Die dann einfach ne halbe Stunde oder so da sind, um die Katzen zu streicheln und dabei ihre Hausaufgaben zu machen."

Jungkook kichert wieder vergnügt. Es ist immer noch das süßeste Geräusch der Welt.

„Und du lässt sie das machen?"

„Klar!", antwortet Yoongi inbrünstig. „Manchmal helfe ich sogar bei den Hausaufgaben. Außerdem habe ich ihnen irgendwann mal gesteckt, dass ich mit Bonbons bestechlich bin, und seitdem geht mein Vorrat niemals leer."

Das Kichern wächst zu einem ausgeprägten Lachen. „Du lässt dich mit Bonbons dafür bestechen, dass man eure Katzen streicheln darf?"

Er wird ein wenig rot um die Nase. Wenn Jungkook das so betont, dann klingt das wirklich nicht nach einer besonders erwachsenen Entscheidung. „Ja...?", gibt er trotzdem zu, denn es ist nun mal die Wahrheit und wohl irgendwie Teil seines Loser-Lebens.

„Du bist der softeste Mensch, den ich jemals kennengelernt habe, Min Yoongi", erklärt Jungkook feierlich. Warme Finger tasten sich vorsichtig an Yoongis Hand heran und umschließen sie sanft, beinah fragend.

Yoongi erwidert die Berührung ebenso vorsichtig. Alle seine Sinne fokussieren sich auf die Berührung und seine Herzrate beschleunigt sich wieder rapide. Händchenhalten im Dunkeln fühlt sich so viel anders an als bei Tageslicht. Die Geste wirkt in ihrem gemeinsamen Bett, dass nicht ihres ist, viel intimer als jemals zuvor und er kann seinen Daumen nicht davon abhalten, sanft über den Handrücken seines Fake-Ehemannes zu streicheln. Tja, so viel zu, Yoongi hat die Situation unter Kontrolle.

„Und du?", räuspert er sich angestrengt. „Was vermisst du an Zuhause?"

Stille antwortet ihm, aber anhand von Jungkooks Atemzügen kann Yoongi erahnen, dass der Jüngere noch nicht eingeschlafen ist, sondern vielmehr angestrengt über seine Antwort nachdenken muss.

„Ich glaube... ich vermisse Zuhause gar nicht so sehr...", gibt er schließlich sehr leise zu.

„Oh?" Yoongi ist überrascht. „Warum das?" Er ist davon ausgegangen, dass Jungkook Zuhause ein erfolgreiches Leben führt. Mit seinem ganzen Ehrgeiz kann es gar nicht anders sein, als dass er der beste Leichtathlet in ganz Seoul ist.

„Keine Ahnung", reagiert Jungkook zuerst, obwohl man seiner Stimmlage bereits anhört, dass er sehr wohl eine Ahnung hat. Dass es nur zu schwer ist, diese Ahnung laut auszusprechen. Yoongi gibt ihm die Zeit, die er dafür braucht. Währenddessen streichelt sein Daumen weiterhin in beruhigenden Kreisen über die Hand in seiner.

„Zuhause... wartet niemand auf mich, i guess? Es ist nicht so, als hätte ich ein enges Verhältnis zu meiner Familie und... wie ich schon mal sagte, im Sport sind wir alles Konkurrenten, da... kämpft jeder für sich. Entsprechend habe ich jetzt auch nicht unbedingt Freunde... Also mh... Ich hab' nicht mal ein Haustier, dass mich braucht und hier... alle sind so verdammt eng miteinander, weißt du wie ich meine? Taehyung und Jimin waren besser und herzlicher zu mir, als alle Kollegen in der Leichtathletik... zusammen? Ich weiß nicht, ich... fühl mich wohl hier. Gebraucht. Gemocht. Nicht so... allein. Und dann bist da auch noch du...."

Yoongi spitzt gespannt die Ohren. Sein Körper ist so angespannt, dass er sich nicht einmal traut zu atmen, damit er den nächsten Satz unter keinen Umständen verpasst. Aber Jungkook stockt und hört kurze Zeit ganz auf zu sprechen, bis...

„Scheiße", gesteht Jungkook schließlich, „du musst mich für einen ganz schönen Loser halten, oder?"

„Ich halte dich für einen der besten Menschen der Welt, Bun", reagiert Yoongi schneller, als sein müdes Gehirn denken kann.

Sein Gesicht geht augenblicklich in Flammen auf. BUN WIE DIE KURZFORM VON BUNNY? Ist er von allen guten Geistern verlassen?

„Ich halte dich auch für einen guten Menschen, Hyung...", antwortet Jungkook ein wenig atemloser als vorher.

„Vom Gut-Sein kann man sich halt nur leider nichts kaufen... Ehrlich, Jungkook, von uns beiden bin ich ja wohl der viel größere Loser..."

„Also für mich hast du schon alles erreicht, was ich mir seit Ewigkeiten wünsche..."

Ihre Hände lassen einander nicht los, auch nicht nachdem sie endlos viele geflüsterte Worte später schließlich einschlafen.

⊱ ────── ⋅❅⋅ ───── ⊰

Am nächsten Morgen kritzelt Yoongi direkt nach dem Aufstehen seine Adresse auf einen der losen Notizzettel, die überall in Jungkooks Zimmerhälfte rumfliegen.

Es ist die Adresse von seinem eigenen Zuhause, nicht von ihrem Loft in Seoul.

„Damit du weißt, dass auch in einer anderen Dimension immer jemand auf dich wartet", schreibt er dazu. Sein Herz klopft bis zum Anschlag. Dann faltet er den Zettel und legt ihn auf das Kopfkissen seines Ehemannes.

⊱ ────── 23.12.2021 ───── ⊰

Die Generalprobe verläuft, gelinde ausgedrückt, absolut beschissen.

Yoongi sitzt so stocksteif auf seinem Stuhl am Bühnenrand, dass man meinen könnte, dass bereits Millionen von Augen auf ihn gerichtet sind. Seine Interaktionen mit der Band haben nichts, aber auch absolut nichts mit Sugas gelassener Coolness gemein. Selbst die Lip-Synch verkackt er dermaßen, dass man meinen könnte, er hätte die Lieder niemals zuvor gehört.

Jungkook gibt eine bessere Figur ab, aber leider nur marginal und leider nur, weil sein Körperbau ohnehin schon die bessere Figur abgibt. Er stolpert mindestens fünf Mal über seine eigenen Füße (pro Song) und verpatzt andauernd seinen Einsatz (und dabei singt er nicht mal live). Jimin und Taehyung versuchen seine dilettantischen Versuche auszugleichen, überkompensieren dabei aber, und wirken letztendlich selbst nicht mehr wie die selbstbewussten und anziehenden Idole, die sie ansonsten sind. WWH Jin ergibt sich schließlich dem herrlichen Chaos auf der Bühne und ersetzt einzelne Choreografieabschnitte mit seinem Tanz aus Super Tuna, weil sie ohnehin nichts mehr zu verlieren haben.

Einzig J-Hope bleibt leidlich bei der Sache und gibt sein Bestes, die Band mit seiner Professionalität beisammenzuhalten.

Und RM? Erst war er verständnisvoll. Das Lampenfieber, natürlich, und sie hatten ja auch nicht so viel Zeit zum Proben, aber das hat er doch auch schon besser von ihnen gesehen und ehrlich – sie können das. Er glaubt an sie. Der perfekte Bandleader halt. Solange bis Jungkook bei einem Tanzmove sein Oberteil zerstört, sich dabei der oberste Knopf seines Crop-Tops löst und Yoongi sich bei dem Anblick an seiner eigenen Spucke verschluckt. Taehyung und Jimin eilen rettend zu Hilfe, verlassen dabei jedoch ihre Position in ihrer Tanzaufstellung, stolpern übereinander und stürzen.

Nun ja. Danach war RM nicht mehr so besonnen.

Jetzt sitzen sie alle gemeinsam im Van und werden zurück in ihr Loft gefahren. Die Stimmung ist gedrückt und alle sind schweigend in ihre eigenen Gedanken vertieft. Niemand traut sich etwas zu sagen, aber wohl jedem von ihnen ist bewusst, dass sie die Show morgen unmöglich ohne Suga und Jaykay rocken können.

Ihre Äquivalente sitzen wieder in der hintersten Reihe und haben die Köpfe eng zusammengesteckt. Ihre Hände sind fest umschlungen, aber mittlerweile ist die Berührung so natürlich geworden, dass sie sie kaum mehr bemerken.

„Was denkst du?", flüstert Jungkook. Sein Kopf ist an Yoongis Schulter gelehnt und er blickt ihn mit diesen riesigen, braunen Rehaugen an.

„Wir sind am Arsch", antwortet Yoongi pragmatisch. Beschönigen hilft an dieser Stelle auch nicht mehr. „Die Show wird live ausgestrahlt, es sind bereits tausende von Tickets verkauft worden, es gibt keinen glaubwürdigen Grund das Ding morgen komplett abzusagen, mal abgesehen von dem Aufwand, der damit verbunden würde und ja... Wir sind einfach gefickt."

„Mhmm", macht Jungkook zustimmend und vergräbt seinen Kopf in Yoongis Halsbeuge. Sein Atem ist warm und heiß und Yoongi ist froh, dass es so dunkel im Van ist, dass niemand sehen kann, dass seine Wangen bei der Berührung immer noch rot werden.

„Aber es gibt eine Lösung", flüstert Jungkook. Auch wenn seine Stimme so leise ist, dass nur Yoongi sie hören kann, klingt er erstaunlich sicher.

„Und welche?"

„Wir müssen zurück in unsere richtigen Leben", erklärt er und kann die wehmütige Nuance aus seiner Stimme nicht komplett vertreiben.

„Wenn's so einfach wäre...", beginnt Yoongi, aber besinnt sich dann eines Besseren. „Ich dachte, du willst gar nicht unbedingt zurück?"

„Will ich auch nicht", gesteht der Jüngere und kuschelt sich dabei noch etwas enger an Yoongi, dem bei der Berührung schon wieder der blanke Panikschweiß ausbricht. „Aber ich denke wir müssen, oder? Suga und Jaykay gehören hier hin... Die Band braucht sie und... sie brauchen einander. Wir wissen gar nicht, ob die beiden in der gleichen Dimension gelandet sind. Stell dir vor, wie einsam sie sein müssen.... Wie sehr sie sich vermissen müssen. Ich denke, wir haben ihre Plätze lang genug eingenommen."

„Das ist süß von dir, Bun." Schon wieder dieses Wort, aber der Spitzname fühlt sich so vertraut an, dass er immer wieder ohne sein Zutun von seinen Lippen fällt. Nicht, dass es das weniger peinlich macht. Yoongis Gesicht steht erneut in Flammen und vermutlich ist das Leuchtfeuer bis in die vorderste Sitzreihe zu sehen. „Aber deswegen haben wir immer noch keine Ahnung, wie wir zurückkommen, mh?

„Vielleicht müssen wir es uns nur fest genug wünschen..."

„Wenn's danach ginge, wäre ich wohl schon lange wieder Zuhause."

Der Körper an seiner Seite verspannt sich kurz, dann bewegt er sich und schließlich blickt Jungkook ihn erneut mit diesen unfassbaren Augen an. „Heißt das also, dass du dich von mir weggewünscht hast, Ba-by?"

Seine Tonlage ist spielerisch, aber der ernste Zug um seine Mundwinkel verrät ihn, dass die Aussage mehr Ernsthaftigkeit besitzt, als er seinen Gegenüber Glauben machen möchte. Yoongi nimmt sich die Zeit, die eindrucksvollen Gesichtszüge seines Fake-Ehemannes eingehend zu betrachten, damit ihm keine Reaktion entgeht. Sein Herz schlägt ihm bis zum Hals, aber ehrlich gesagt erinnert ihn diese Unterhaltung gerade ernsthaft daran, dass seine Zeit mit Jungkook nur begrenzt sein wird. Dass er ihn nicht ewig aus der Distanz wird anschmachten können. Dass er nicht endlose Nächte neben ihm einschlafen wird. Dass sie nicht wissen, wie viele solcher Gespräche sie noch führen können. Die Erkenntnis ist ernüchternd und schmeckt bitter, aber Jungkooks Augen sind funkelnde Diamanten auf der Rücksitzbank des Vans und sie funkeln nur für ihn und Yoongi fasst sich ein Herz.

„Um ehrlich zu sein", gesteht er, „warst du wohl der einzige Grund dafür, dass ich es mir nicht ernsthaft genug gewünscht habe, wieder nach Hause zu kommen..."

Jungkook nickt bestätigend, als würde er schon lange vermuten, was Yoongi gerade erst bereit war zuzugeben.

„Ich hab' Angst, weißt du? ... Ich hab' Angst, dass es nicht die gleiche Dimension ist. Ich weiß, dass ich Jimin, Taehyung und die anderen wieder verlieren werde... Dass war mir von Anfang an bewusst, aber du.. Ich will dich nicht auch verlieren. Irgendwie hab' ich mich an die Hoffnung geklammert, dass ich dich nicht auch verlieren müsste. Wer sagt uns denn, ob wir aus der gleichen Welt kommen? Es gibt diese hier und es gibt meine... und vielleicht gibt es auch noch zusätzlich deine? Wir können das nicht ausschließen, weißt du.... Es wäre leichter für mich zurückzukehren, wenn ich wüsste, dass du auch da wärst."

„Damit du einen Freund auch in deiner Dimension hättest?", wagt sich Yoongi zu fragen, aber nicht mehr, danach noch weiter zu atmen. Sein Herz verstolpert sich in seiner Brust, galoppiert nicht mal mehr im Takt und im Endeffekt weiß er, dass er Jungkook in seiner Realität nicht viel zu bieten hat, aber was er hat, dass möchte er ihm geben und vielleicht gemeinsam ein Mehr daraus machen.

„Du bist nicht nur mein Freund, Yoongi...", flüstert Jungkook andächtig und drückt Yoongis Hand fest in seiner. Sein Daumen streicht dabei über die Eheringe, die zwar nicht ihnen gehören, aber die sie trotzdem mit Stolz tragen. „Das hoffe ich zumindest."

„Das hoffe ich auch", erwidert Yoongi atemlos und gleichzeitig überschwemmen ihn Selbstzweifel. „Aber du weißt, dass ich nicht wie der Suga aus dieser Dimension bin? Ich hab' mein Leben nicht unter Kontrolle und ich bin auch nicht so dünn und meine Haare sind nicht gefärbt und ich hab' nie Kohle..."

Jungkook lässt ihn nicht aussprechen. „Na und?", fragt er und seine glänzenden Diamantaugen verleihen der Frage eine Leichtigkeit, mit der Yoongi sein eigenes Leben nie betrachten konnte. „Aber dafür bist du warmherzig. Du hörst mir zu und du hilfst mir. Du hältst meine Hand, wenn ich es brauche und sogar meine schlechtesten Anmachversuche aus... Ich hab' diesen Suga nie kennengelernt und auch wenn ich denke, dass er kein verkehrter Typ ist, würde ich ihn doch nicht gegen dich eintauschen wollen...Ich bin in dich verliebt, Yoon-gi."

Yoon-gi... das Wort hat die gleiche Betonung wie Ba-by, doch es klingt wesentlich schöner. Yoongi ist so gerührt, dass er nur mit einem dummen Konter antworten kann, um nicht auf der Rückbank loszuflennen wie ein kleines Kind.

„Ganz ehrlich, ich glaube, ich wäre ein ganz beschissener Freund für dich..."

„Warum?", kichert Jungkook, sichtlich erleichtert und auch seine angespannten Schultern lösen sich wieder, als er zurück in Yoongis Halsbeuge fließt.

„Weil ich immer vergesse, wie denken funktioniert, sobald du dein T-Shirt ausziehst, Bun..."

Das süße Kichern ist die schönste Belohnung, die sich Yoongi für seine nicht besonders intellektuellen Bemerkungen nur wünschen kann. Außerdem hat er vermutlich viel Glück, weil sein Sitznachbar den Kommentar nicht ganz ernst nimmt (aber wir wissen ja nun mal alle, dass es nun mal echt kein Joke ist).

„Also... was machen wir jetzt? Wenn wir morgen wieder Zuhause aufwachen?"

„Sollte es tatsächlich so sein", beginnt Yoongi langsam, „dann werde ich dich suchen. Und finden. Egal, in welcher Welt wir aufwachen, es wird immer eine Welt sein, in der es uns beide gibt und... ich glaube, ich muss jetzt ernsthaft Suga zitieren, aber... Ich denke nicht, dass irgendeine Realität existiert, in der wir nicht...", - tja, was sind sie denn jetzt eigentlich? – „...in der wir nicht füreinander da sein werden."

⊱ ────── 24.12.2021 ───── ⊰

Es ist so ruhig, dass es ein bisschen wehtut, als Yoongi aufwacht. Etwas kommt ihm dabei gleich Spanisch vor, aber sein müdes Gehirn (wir haben es mittlerweile zu genüge kennenlernen dürfen) verarbeitet Eindrücke ja nicht ganz so schnell.

Es ist so hell in seinem Zimmer, dass er die Augen gleich wieder zukneift. Scheiße, man. Kann mal bitte jemand die Sonne ausmachen?

Moment. Zimmer. Sonne. Sonne in seinem Zimmer. MOMENT. Da ist ein Fehler im System, oder? Er würde die Augen noch einmal aufmachen, um sich vielleicht darüber zu vergewissern, dass er sich die Sonne in seinem Zimmer nicht eingebildet hat, aber es blendet zu krass. Yoongis müdes Gehirn arbeitet wirklich hart, es läuft auf Hochtouren, in etwa vergleichbar mit dem Faultier Flash aus dem Film Zoomania, nur halt etwas langsamer, aber es kann das Rätsel trotzdem nicht knacken.

Yoongi versucht zu blinzeln, aber – aaaaahh, fuck, scheißdreck, fuck, fuck – einfach zu hell. Sein müdes Gehirn schreit Kapitulation und Rückzug und sein Kopf verschwindet unter der Bettdecke. Das Rätsels Lösung muss also auch mit geschlossenen Augen zu sehen sein. Er hat ja auch noch andere Sinnesorgane, für irgendwas müssen die doch auch gut sein.

Okay, dann also der Tastsinn. Yoongi grabscht wild umher und spürt... ein Bett. Wow. Wie außergewöhnlich. Er tastet weiter. Da ist ein Kissen... noch ein Kissen... das muss dann Jungkooks sein und... kein Haar darauf. Jungkook ist also bereits aufgestanden, soweit nichts Ungewöhnliches, Jungkook steht schließlich immer vor ihm auf und außerdem ist es ja schon hell und –

ES IST SCHON HELL.

DING DING.

Gratulation, müdes Gehirn von Yoongi, du hast den Fehler gefunden. Yoongi ist das letzte Mal vor exakt 12 Tagen von der Sonne geweckt wurden und nicht von seinem Wecker. Was erstens bedeutet, dass heute Weihnachten ist und zweitens natürlich nicht bedeutet, dass BTS deswegen heute ausschlafen kann. RM lacht sich wahrscheinlich scheckig, allein bei dem Gedanken daran. Heute steht schließlich ihr Konzert an und das bedeutet eigentlich besonders frühes Aufstehen und nochmal Lippenbewegungen üben und –

ER HAT VERSCHLAFEN.

RM wird ihn umbringen, er wird ihn langsam und qualvoll umbringen. Erst reist Yoongi durch die Dimensionen, um ihre Band zu korrumpieren, ist ein bemitleidenswerter Loser, der nichts mit ihrem Suga gemeinsam hat als sein Aussehen und dann ruiniert er auch noch ihr heiliges Weihnachtskonzert, in dem er verschläft. RM wird ihn umbringen, er wird ihn –

Niemals hätte RM es heute zugelassen, dass er verschläft. Er hätte Yoongi zur Not mit den Füßen voran über den Boden und bis zum Auto geschleift. Dass er jetzt immer noch im Bett liegt, kann nur eins bedeuten... (komm schon müdes Gehirn, du bist ganz nah dran, ich kann es spüren) und zwar dass er...

Yoongi reißt die Augen auf und die Decke vom Kopf und...

„Aaaahhhhhh", schreit er und es fühlt sich an wie ein Déjà-vu.

„Aaaaahhhh", schreit Jin von draußen, als er sich wegen Yoongis Schrei erschreckt.

„Hä, was ist los", lautes Poltern und ein noch lauteres DOING. Dann ein schmerzverzerrtes „Aaaaahhhhh", auch von Namjoon und jetzt ist es amtlich. Es ist wirklich ein Déjà-vu.

Herzlichen Glückwunsch, müdes Gehirn von Min Yoongi, du hast ein amtliches Déjà-vu gewonnen, was gleichzeitig auch bedeutet, dass du...

„Ich bin wieder Zuhause", flüstert Yoongi leise. Er hat weiße Flecken vor den Augen, weil helles Licht ihn blendet, welches nicht unbedingt die Sonne ist, sondern viel mehr der Schnee auf den Dächern, der umgebenden Gebäude, der halt trotzdem scheiße hell funkelt und glitzert, aber trotzdem... das hier ist sein Zimmer. Eine aufgeräumte Variante davon. Selbst sein Schreibtisch ist fucking ordentlich.

Der Anblick ist so gruselig, dass sich Yoongi die Decke von den Beinen strampelt und aufsteht. Seine ganzen Notizzettel und Blöcke voller Ideen sind ordentlich aufeinandergestapelt. Ganz oben auf liegt ein weißes Blatt Papier, beschrieben mit einer Schrift, die nicht seine ist, aber verdammt ähnlich aussieht.

Für: Yoongi

steht drauf. Er ist einmal in der Mitte gefaltet und Yoongi zögert nicht, danach zu greifen und ihn aufzuklappen.

Hallo Yoongi,

willkommen zurück. Sicher hast du einige Fragen und glaub' mir, die hatte ich auch. Deine Mitbewohner haben mir schließlich unter Todesangst gebeichtet (scheinbar bin ich recht einschüchternd im Gegensatz zu dir), dass dieses gesamte Seelentausch-Spektakel auf ihrem Mist gewachsen ist.

Im Rahmen ihrer 24. „Bringt-dein-Leben-auf-die-Reihe-Min-Yoongi"-Agenda haben sie wohl einen sehr dubiosen Voodoo-Zauber ausprobiert, der dich mit deinem Seelenverwandten bekannt machen sollte. Es war nicht damit zu rechnen, dass der Zauber tatsächlich wirkt und uns jeweils in eine andere Dimension schickt.

Ernsthaft, Yoongi, deine Mitbewohner sind wirklich eine Klasse für sich (komplett durchgedreht und eindeutig noch verrückter als die Versionen in meiner Welt, wie ist das möglich?) und wir haben ewig gebraucht um herauszufinden, wie man diesen scheiß Zauber rückgängig machen kann. Gestern wars dann zum Glück endlich so weit.

Ich hoffe für dich, dass der Plan deiner Mitbewohner erfolgreich war, denn nochmal mache ich den Scheiß nicht mit. No fucking way.

Also:
Bekomm' dein Leben auf die Reihe, Min Yoongi.

Keine Agenda. Nur die Wahrheit.

Wir sehen uns in einem anderen Leben,
Suga

P.S. Solltest du den Jungkook aus deiner Dimension kennengelernt haben (denn wer sonst sollte dein Seelenverwandter sein?): Lass ihn nicht gehen.

P.P.S. Der Job im Zoohandel ist super. Sie haben dir angeboten, dich festanzustellen... Wie wärs?

Am Ende grinst Yoongi beim Lesen. Also war das Ganze tatsächlich einer der berühmt-berüchtigten Pläne seiner Mitbewohner... Eigentlich war nichts anderes zu erwarten gewesen, oder? Wenn Yoongi gewusst hätte, dass er am Weihnachtsmorgen zurück in seine Dimension reist, hätte er Suga auch eine Nachricht dagelassen.

Vielleicht einfach nur: Gut gemacht. Yoongi ist sich fast sicher, dass Suga gewusst hätte, was er damit sagen will.

Er steht noch etwas verloren in seinem Zimmer herum, hält den Zettel von Suga fest in der Hand, lauscht dem Geflüster seiner Mitbewohner und beobachtet den Schnee.

Es ist schön... Zuhause zu sein.

Er freut sich schon darauf mit Namjoon zu sprechen, mit Hoseok zu lachen und Seokjin beim Kochen zu beobachten. Er hat diese Dinge vermisst, viel zu sehr (aber das wird er nicht zugeben, nein, nope, keine Chance). Trotzdem müssen sie warten, denn es gibt eine Sache, die jetzt noch viel wichtiger ist.

Yoongi dreht sich für einen Moment verloren im Kreis, wirft den Zettel zurück auf den Schreibtisch und sucht mit seinen Augen hektisch das kleine WG-Zimmer ab. Wenns ordentlich ist, wirkt es gleich viel größer, vielleicht sollte er das wirklich beibehalten...? Sein Handy liegt halbverborgen unter dem zweiten Kopfkissen. Sobald er es erspäht, hält er es auch schon in der Hand. Yoongi atmet tief durch, entsperrt es und muss automatisch kichern, als er sieht, dass sein Hintergrundbild natürlich bereits aus einem Bild von Jungkook besteht.

Dann traut er sich endlich zu googeln.

JEON JUNGKOOK, LEICHTATHLETIK tippt er aufgeregt in die Suchanzeige bei Google ein. Als er auf enter drückt, schließt Yoongi die Augen und beginnt innerlich ein Mantra, was irgendwie in ein Gebet abschweift. Er hat noch nie gebetet, aber ihm war auch noch nie irgendetwas so wichtig.

bitte, lass es treffer geben, bitte, lass es treffer geben, bitte, lass es dieselbe dimension sein, bitte, nimm ihn mir nicht wieder weg, bitte, ich werds auch probieren, echt jetzt, mein leben auf die reihe zu bekommen, aber bitte, lass es treffer geben, bitte, bitte, bitte, ich werd' auch keine bestechungen mehr in form von bonbons annehmen, okay, doch, vielleicht schon, aber trotzdem bitte, lass es die gleiche dimension sein...

Yoongi öffnet die Augen und –

Es klingelt an der Tür.

┍━━━━ ⋆⋅– ⭒✧⭒ –⋅⋆ ━━━━┑

„it was you who led me through the labyrinth
you're my light and salvation

the rain is coming close to an end
and I won't let go of your hand"

┕━━━━ ⋆⋅– ⭒✧⭒ –⋅⋆ ━━━━┙

______________________________________

... und damit findet unser Adventskalender seinen Abschluss.

Ich bin mir sicher, dass ich heute für alle Autoren/-innen sprechen kann, wenn ich sage, dass wir euch eine frohe, frohe Weihnachten wünschen. ❄︎𐂂☃︎

Dieses ganze Jahr war echt bescheiden... Ein bisschen habe ich auch das Gefühl, dass sich der Dezember nochmal größte Mühe dafür gibt, dem ganzen eine beschissene Krone aufzusetzen.

Umso mehr hoffe(n) ich (wir), dass dieses Projekt dazu beitragen konnte, ein bisschen Licht in die dunkle Jahreszeit zu bringen und den kalten Tagen etwas Wärme zu schenken. ❤︎

Habt heute bitte einen ganz wundervollen Tag. Macht euch selbst ein Geschenk und wenn es nur das ist, den bösen Gedanken weniger Platz einzuräumen als sonst.
Macht etwas, was euch guttut. Kuschelt euch, wenn möglich, an eure Liebsten und ansonsten in ein paar schöne Gedanken. Erinnert euch an die guten Momente aus 2021. Denkt an etwas, dass euch glücklich macht.

Abschließend möchte ich mich noch ganz herzlich bei den 23 wundervollen Autoren/-innen bedanken, die an dem Projekt mitgewirkt haben. Eure Beiträge haben alle meine Erwartungen übertroffen – so abwechslungsreich, kreativ und liebevoll gestaltet. Danke, dass ihr euch so viel Mühe gegeben habt! Das Ergebnis ist überragend. ❤︎

Ebenfalls vielen, vielen Dank an die fleißigen Leser und Kommentierer, die den Kalender zum Leben erweckt haben. Really, an manchen Tagen ist mein Wattpad vor Benachrichtigungen eskaliert. Ich hatte mir selbst vorgenommen, alle Beiträge zu kommentieren, aber ich muss neidlos anerkennen, dass da ein paar andere einen wesentlich besseren Job als ich gemacht haben. Ihr seid der Wahnsinn. ❤︎

Und jetzt husch, husch, ab mit euch unter den Baum, denn bitte niemals vergessen:

Ihr seid selbst das größte Geschenk. 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top