Kapitel 8 - Das Knospenfest

ACHTUNG!!: In diesem Kapitel taucht für bereits "fortgeschrittene" Leser ganz plötzlich der Name Bjarki auf. Bjarki ist der Sohn von Bjame und Laina, der in diesem Kapitel mittlerweile 3 Pferde(!!!)jahre alt ist (also noch ein richtiges Baby). Der Grund für dieses plötzliche Auftauchen ist, dass ich noch einmal Erren durchgelesen und bemerkt habe, dass Bjame dort erzählt, dass seine schwangere Stute den Brand damals knapp überlebt hat. Das bedeutet, dass Bjarki maximal ein Jahr nach dem Mühlenbrand zur Welt gekommen sein kann und damit geboren wurde, kurz nachdem Veikko bei dem Müllerspaar eingezogen ist. Logik und so :P Also nicht wundern. Die alten Kapitel habe ich dementsprechend bereits angepasst. Bis zur Hörbuchversion werde ich dann alle Timeline-Fehler ausgebessert haben, die sich eingeschlichen haben. So ein Fehler schleicht sich schneller ein als man denkt.

________________________________________________________________

»Tadaa! Wie neu!«

Voller Stolz schwoll Liams Brust an, als Veikko sich im Spiegel des jungen Falben betrachtete. Sie waren nach ihrem Abenteuer umgehend zu ihm nach Hause gelaufen und hatten dafür gesorgt, dass niemand Veikko in diesem Zustand entdeckte. Doch nun war von dem weißen Fleck auf seiner Stirn zum Glück beinahe gar nichts mehr zu sehen.

»Und weißt du was das Beste ist?«, lispelte der freche Falbe aufgeregt. »Das Zeug habe ich mit Schwarzbeerensaft vermischt. Mama haut mir immer den Hintern voll, wenn ich mich damit verschmiere, weil das Zeug wochenlang schwarze Flecken in meinem Fell hinterlässt. Und das egal, wie lange ich mich beim Baden schrubbe!«

»Das ist toll!«, wieherte Veikko begeistert. »So muss ich keine Angst haben, dass ich sofort auffliege!«

»Nix zu danken!«, Liam winkte grinsend ab. »Dafür sind Freunde da!«

Veikko sah sich in dem alten Holzhaus um, das etwas abseits der Stadt stand. Hier stank es fürchterlich nach Urin und anderen Exkrementen. Über langen, durch den kompletten Raum des Hauses gespannten Wäscheseilen, waren bunte Stoffe zum Trocknen aufgehängt worden. Veikko erinnerte sich, dass manche Farbstoffe mit Urin aus ihren pflanzlichen Trägern herausgelöst wurden.

Liams Eltern musste die Bauernfärberei gehören! Zwar war ihr Betrieb sehr klein und nicht mit den Färbereien der Adeligen Berufsfärber zu vergleichen, dennoch machten sie mit den bunten Stoffen genug Geld, um damit gerade so über die Runden zu kommen.

Gerade jetzt zum Knospenfest würden mit Sicherheit wieder bunte Fahnen und Decken gebraucht werden, um das Dorf zu schmücken und Verkleidungen zu nähen. Aber dieser Gestank war wirklich unerträglich. Veikko fragte sich, wie Liam es schaffte, hier schlafen zu können. Er persönlich hätte wahrscheinlich kein Auge zumachen können.

Dennoch war Veikko erleichtert, dass Kjartan und Liam in sein Geheimnis eingeweiht waren. Er fragte sich, wie lange er es sonst geschafft hätte, es vor ihnen zu verheimlichen. Jetzt musste er sich zumindest darüber keine Gedanken mehr machen.

Als die drei Fohlen mit Veikkos Bemalung zufrieden waren, öffnete sich die Tür zu ihrem Zimmer und eine sehr massive Braunschimmelstute, offenbar Liams Mutter, trat herein. Das etwas betagte Kaltblut sah allerdings wenig überrascht aus, die drei in ihrem Haus zu sehen.

»Nanu, Liam! Ist das ein neuer Freund von dir?«

»Ja! Ich bin Veikko!«, nahm der junge Hengst seinem Freund das Wort vorweg. Liams Mutter strahlte nun über beide Ohren, als sie überrascht nach Luft schnappte.

»Du bist Bjames großer! So ein hübscher! Du siehst deinem Vater wirklich sehr ähnlich! Wie geht es deinem kleinen Bruder?«

Veikko dachte einen Moment nach, wie er darauf antworten sollte. Meinte sie mit Vater etwa Eirik? Oder Bjame? Und wen meinte sie mit Bruder? Zuerst dachte Veikko an seinen richtigen Bruder, der dort oben im Schloss lebte. Doch sie hätte ihn sicherlich nicht gefragt, wie es ihm ging. Woher hätte er das auch wissen sollen? Da wurde ihm klar, dass die Stute vor ihm seinen Stiefbruder meinte. Und wenn sie der Meinung war, dass er Bjame ähnelte, dann musste sie offenbar keine besonders guten Augen haben. Wie konnte er denn einem Pferd ähneln, mit dem er nicht einmal verwandt war?

»Bjarki?«, fragte Veikko verwundert. » Gut, denke ich. Er sabbert sehr viel und nimmt alles in den Mund.«

Seine beiden Freunde und Liams Mutter brachen in ein herzhaftes Gelächter aus. Offenbar die richtige Antwort. Dem jungen Hengst fiel ein Stein vom Herzen.

»Kinder eben! Du wirst dich daran gewöhnen!«, schnaubte Liams Mutter. »Ich bin übrigens Tilda.« 

»Freut mich!«, lächelte Veikko und verneigte sich vor ihr. Es war wie ein Reflex, eine Angewohnheit aus eine längst vergangenen Zeit. Doch die Dorfpferde verneigten sich nicht voreinander. Das fiel Veikko allerdings erst auf, als er den Kopf wieder hob und in Tildas verwunderte Augen blickte.

»Ein richtiger Kavalier bist du! So höflich! Und so hübsch wie ein Prinz!«, ihre Verwunderung wich äußerstem Entzücken, das ihre Augen zum Strahlen brachte, doch Veikkos Herz klopfte inzwischen so schnell, dass er kein weiteres Wort herausbrachte.

»Und dabei stinkt er wie ein Fisch!«, versuchte Kjartan den angespannten Dunkelbraunen aus seiner Schockstarre zu reißen. Er hatte wohl gemerkt, dass sein Freund sich immer sehr unwohl fühlte, sobald das Wort Prinz in den Raum geworfen wurde. Und wie recht er damit hatte. Wenn Bjame herausfand, dass sich die Nachricht über Veikkos wahre Identität, dank seiner Unvorsichtigkeit, noch weiter verbreitet hatte, dann ließ er ihn mit großer Sicherheit nie wieder ins Dorf. 

»Ein verdorbener Fisch!«, ergänzte Liam seinen gescheckten Freund lispelnd und spuckte Kjartan dabei versehentlich ins Gesicht, der sich angewidert die Spucke des schiefzahnigen Falben von den Nüstern rieb.

»Veikko ist ein müffelnder Fischkönig im Mehlmantel!«, neckte Liam weiter und blickte ein paar mal mit weit aufgerissenen Augen fordernd von Veikko zur Tür und wieder zurück. Er wollte, dass sie von hier verschwanden! Veikko verstand und lächelte Tilda noch einmal an.

»Liam ist ein super nettes Pferd!«, schnaubte er etwas unbeholfen zum Abschied und folgte dann flink seinen beiden neuen Kumpels hinaus ins Freie. Kaum war Liams Hof außer Sichtweite, atmete Veikko erleichtert auf. 

»Das war knapp!«

»Tja, wer stinkt, gewinnt!« 

Kjartan lachte zum Himmel empor. Veikko musste seinen Hals etwas verrenken, um die These seiner beiden Freunde überprüfen zu können, aber er fand eigentlich, dass er nicht anders roch als sonst.

»Deine Nase ist bestimmt noch ganz vernebelt von den Dämpfen der Färbebäder«, Liam stieß Veikko spielerisch in die Seite. Veikko konnte nicht genau sagen, ob das junge Kaltblut es nun ernst meinte oder ob er ihn nur aufziehen wollte. Aber es machte für ihn keinen Sinn, sich länger den Kopf darüber zu zerbrechen.

»Vielleicht riechst du aber auch nur dich selbst!«, entgegnete er frech. Kjartan und Liam stiegen auf die Hinterbeine und wirbelten mit ihren Hufen. Kjartan stieß Liam mit der Schulter in die Flanke und wieherte: »Oh nein! Der Fischkönig hat uns erwischt. Aber uns kriegt er nicht!«

Und damit galoppierten die beiden Rabauken in vollem Tempo davon. Veikko sauste ihnen johlend hinterher. Kichernd und kieksend jagten sie hinunter ins Dorf, wo sie sich durch die Unmengen an beschäftigten Pferden schlängelten, die dort die letzten Vorkehrungen für die Festlichkeiten trafen.

Aus den Straßen erklang Musik und Gesang und auf dem Marktplatz war ein großer Bamstamm aufgerichtet worden, von dem ein Ring aus zusammengebundenem und in Wasser getränktem Moos herab hing, in den jeder Bauer einen Knospenzweig gesteckt hatte. Diese Zweige würden in den nächsten Wochen erblühen und keiner konnte im Voraus genau sagen, in welchen Farben der Knospenring dann erstrahlen würde.

Aber eines war Veikko klar: In der Burg hatten sie nie das Knospenfest gefeiert. Dieses magische Spektakel, das er in den letzten Jahren so liebgewonnen hatte. Außerdem besagte ein altes Bauernsprichwort, dass die Liebe, die man am Abend des Knospenfests fand, ein ganzes Leben lang anhalten würde.

»Alles Quatsch!«, japste Kjartan auf die alte Legende hin nur. »Wer braucht schon Mädchen? Die meckern doch eh nur rum. Glaub mir. Ich habe fünf Schwestern! Ich werde mich niemals in ein Mädchen verlieben!«

Das war tatsächlich viel. Aber Veikko fühlte, dass er bei diesem Thema nicht wirklich mitreden konnte. Er hatte noch nicht einmal mit einem Mädchen in seinem Alter gesprochen. Wie auch? Schließlich kam er nur sehr selten von seiner Mühle ins Dorf und wenn, dann nur, um Waren abzuliefern. Marthas Fohlen waren schon viel zu alt für ihn und hatten sich nie sonderlich für ihn interessiert, wenn er mit Bjame dort gewesen war. 

Gerade in diesem Moment erklangen helle Hufschritte auf dem Kopfsteinpflaster hinter ihnen. Als Veikko sich umwandte, konnte er eine Gruppe von Stutfohlen erkennen, die weiße Gewänder trugen und laut jubelnd grüne Blätter in die Gassen streuten. Sie sollten den eintreffenden Frühling symbolisieren. In ihre Schöpfe hatten sie Blumen geflochten. Hübsch sah das aus. Liam starrte wie gebannt den lustigen Zug an.

»Liam, guck nicht so, sonst denken die auch noch, dass wir totale Spinner sind!«

Auf Kjartans Anliegen wendete der falbfarbene Hengst augenblicklich den Kopf ab. Veikko verstand nicht ganz, warum dem stämmigen Schecken die Meinung der Stuten so wichtig war. Schließlich war er es doch gewesen, der behauptet hatte, dass Mädchen unnötig waren.

»Er ist voll verknallt in Effi, weißt du? Die Rappstute mit dem Stern und den vier weißen Beinen, da hinten.«

Veikko reckte den Kopf und erkannte, wen Liam meinte. Sie war hübsch. Sehr hübsch sogar und sie hatte gütige, goldbraune Augen, die ihn an die seiner Mutter erinnerten.

»Bin ich gar nicht!«, protestierte Kjartan gegen Liams kleine Stichelei. »Sie ist nur nicht ganz so doof, wie all die anderen!«

Veikko und Liam warfen sich ein schelmisches Zwinkern zu, das mehr als tausend Worte sagte. Kjartan wollte gerade Luft holen, um seine Verteidigungsrede fortzuführen, da wurde er beinahe von einem massiven schwarz-weiß gescheckten Kaltblut mit dichtem Fesselbehang umgerannt und stürzte. 

Der Junghengst lachte nur laut auf, als er und sein Gefolge sich vor Liam und dem vor Schmerz ächzenden Kjartan aufbauten, welcher sich hustend und schüttelnd wieder aus dem Staub erhob. 

»Na sieh an! Wen man hier nicht alles trifft. Hast du mich von rechts nicht kommen hören, Cousinchen?«

»Bart! Nimm deine feigen Freunde und zieh Leine!«, schnauzte Liam den Neuankömmling an. Dem gefiel es natürlich überhaupt nicht, dass das junge Kaltblut sich gegen ihn stellte.Die drei Kaltblüter und das Zwergenpony hinter Bart lachten nur über die Schau, die sich ihnen bot. Veikko jedoch spürte, wie Wut in ihm aufstieg. Für wen hielt sich dieses Pferd?

»Hast du was gesagt, Hasenzahn? Mir war so, als hättest du eben versucht die taube Nuss zu verteidige«, funkelte Bart Liam an und hob seinen Huf, um dem Falben einen Tritt zu verpassen. In diesem Moment sprang Veikko zwischen die beiden.

»Nun hör schon auf! Wenn du streiten willst, dann tu das mit jemandem, der sich zu wehren weiß!«

Bart rümpfte die Nüstern, als er von oben auf Veikko herabschaute. »Und du halbe Portion bist?«

»Nicht an deiner Anerkennung oder einem Streit interessiert«, entgegnete Veikko scharf. »Sparen wir uns also diesen Quatsch! Oder muss ich mich wiederholen?«

Mit dieser Antwort hatte Bart offenbar nicht gerechnet. Unruhig trat er von Huf zu Huf, bevor er sich mit verunsicherter Miene zu seinen Freunden umwandte. Veikko wusste, dass er versuchen würde, die beiden nun auch auf ihn anzusetzen, aber er hatte von Bjame gelernt, keine Schwäche zu zeigen. Eine Fähigkeit, die seinen Freunden offenbar fehlte.

»Du bist ganz schön taff, kleiner!«, schnaubte Bart, während er prüfend um Veikko herum schritt. »Warum gibst du dich mit diesem Abfall ab? Oder hast du auch so eine Macke, wie die beiden?«

»Finde es doch raus, Großmaul!«

Anhand der entsetzten Gesichter, die sowohl seine beiden Freunde als auch Barts Gefolgsleute machten, erkannte Veikko, dass er zu weit gegangen war. Doch jetzt gab es kein Zurück mehr. Bart war deutlich älter als er. Wahrscheinlich schon fünfzehn oder sechzehn. Aber kein Pferd, dem sich Veikko maßlos unterlegen fühlte. Er hatte schließlich auch Kraft vom vielen Mehlsack-schleppen. 

»Das hat er nicht getan oder? Das hat er nicht getan!«, japste Kjartan verzweifelt.  

»Hast du mich gerade herausgefordert, du Wicht?«, knurrte Bart zornig. »Du bist doch vielleicht gerade mal 10! Und du denkst, dass du eine Chance gegen mich hast?«

»Überlegenheit ist keine Sache des Alters«, schnaubte Veikko ruhig, aber mit den Hufen scharrend. »Sondern eine Sache der Einstellung!«

Da schien Bart ein Licht aufzugehen. »Du bist dann wohl Bjames kleiner, Bjarki, nicht wahr?«

»Ich heiße Veikko!«

»Kein Wunder, dass er so lebensmüde ist, aber gut. Fordere mich ruhig heraus«, lachte er mit einem arroganten Grinsen. »Du kannst von Glück sprechen, dass heute so viele Pferde hier sind. An jedem anderen Tag hätte ich jetzt Hackfleisch aus dir gemacht.«

»Gut!«, brummte Veikko herausfordernd. »Dann sag an!«

»Wir treffen uns bei Sonnenuntergang auf dem Duelliergelände. Die Regeln schreiben wir, die Bärenkrallen!« 

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top