Kapitel 4 - Die Hinrichtung
Kaum war Veikko aus dem Zimmer, fiel Martha das Lachen augenblicklich aus dem Gesicht. Sie wirkte urplötzlich, als ob auf ihrem Rücken eine schwere Last läge, die sie alleine zu stemmen hatte. Bjame beobachtete schweigend, wie Laina die alte Stute stützte, als sie zu fallen drohte und sie vorsichtig an den Esstisch geleitete, wo eine Schale Wasser für sie bereit stand.
Einmal mehr kam Bjame nicht umhin zu bemerken, wie sehr sich die Züge der beiden Stuten ähnelten. Martha war das letzte Überbleibsel aus Lainas Familie. Sie hatte damals die Dorfbäckerei ihrer älteren Schwester übernommen, als diese an einer unbekannten Krankheit urplötzlich verstorben war. Und wie es sich für eine gute Tante gehörte, hatte sich Martha nach dem Tod von Lainas Mutter dafür zuständig gefühlt, dass es ihrer kleinen Nichte an nichts fehlte.
Sie war Augen und Ohren des Dorfes und eine außerordentlich gesprächige Stute. Wenn ein Pferd über den Klatsch und Tratsch von Kilgrim Bescheid wusste, dann war sie es. Martha war eine absolut gute Seele aber leider so zerbrechlich, wenn es um tragische Schicksale ging. Dennoch konnte man sich darauf verlassen, dass sie wichtige Geheimnisse für sich behielt und sie nicht einfach ausplauderte. Und nur das zählte im Moment.
»Was ist passiert?«, schnaubte Laina besorgt. Martha zog ein Taschentuch aus ihrer Tasche auf der anderen Seite ihres Gurtes um ihren Bauch, legte es sich auf ihr Vorderbein und tupfte dann ein paar Tränen von ihrer Wange.
»Es ist die kleine Van Alviss«, schniefte sie. »Sie soll heute inoffiziell hingerichtet werden. Tod durch Enthauptung.«
»Was?!«
Augenblicklich fuhr Bjame herum. Er hatte wohl nicht richtig gehört. Mildri Van Alviss war Teil einer Allianz mit dem Van Alviss Königreich. Eine Hinrichtung würde König Farin Van Alviss entzürnen und könnte einen Krieg mit dem Norden des Landes bedeuten.
»Woher weißt du das?«, fragte er, merkte dabei aber nicht, wie er immer lauter wurde. Seine erregte Stimme ließ Martha noch kleiner werden, als sie ohnehin schon war.
»Ich weiß es von Jodi, die weiß es von Alana und die weiß es von Smilla. Und Smilla ist schon lange Dienerin im Königshaus, das wisst ihr doch.«
Bjame rollte mit den Augen. Derartige Flüsterpost war niemals zu hundert Prozent zuverlässig.. Aber was war, wenn doch etwas an der Geschichte dran war?
»Außerdem soll eine Familie aus Sköllmsmog hingerichtet werden. Du weißt schon - Die Hexenfamilie mit ihrem Sohn. Der Scheiterhaufen steht schon«, fuhr Martha aufgeregt fort. Zusätzlich zu ihrer Gesprächigkeit war Martha leider äußerst abergläubisch. Nicht nur, dass sie alle Katzen verabscheute, weil sie der festen Überzeugung war, dass die Farbe einer von links kommenden Katze keine Rolle spielte und dass jede Katze es in ihren Genen trug, Unglück zu bringen. Daher stellte sie auch nicht die vollkommen alltäglichen Hexenverbrennungen infrage, die regelmäßig auf der Burg veranstaltet wurden.
Bjame konnte diese Praktik einfach nicht gutheißen, zumal er wusste, wie leichtfertig diese Pferde wegen Hexerei verurteilt wurden. Manchmal gar sogar nur, weil der König nichts anderes gegen sie aufbringen konnte und sie trotzdem loswerden wollte.
»Damit soll die Enthauptung der Königin vertuscht werden, um Farin in dem Glauben zu lassen, dass seine Tochter bei einem Unfall ums Leben gekommen sei.«
Bei Marthas letzten Worten, schwangen Bjames Ohren zurück, bis sie ganz dicht an seinem Hals anlagen.
»Er will sie hinrichten, ohne einen Krieg in Kauf zu nehmen? Das ist sogar noch feiger, als ich es von ihm erwartet hätte.«
»Er weiß eben«, merkte Laina an, »dass er sich bei seiner momentanen Stellung bei seinem Volk keinen Krieg erlauben kann. Es gäbe wahrscheinlich mehr Deserteure in seien Reihen, als kampwillige Hengste.«
Darauf nickten die drei Pferde nur schweigend. Traurig aber wahr. Die letzten Jahre von Eirik Van Alvarrs Regierung hatten selbst die friedfertigsten Pferde zu rachedurstigen Rebellen gemacht. Eirik hatte zu viele Fehler gemacht und ein Krieg würde in diesem Fall bedeuten, dass er nicht nur sein Königreich und seine Reichtümer verlor, sondern höchstwahrscheinlich auch noch selbst hingerichtet wurde. Mildri am Leben zu lassen und sie in den Kerker zu stecken, wäre eine Option gewesen.
Doch König Eirik Van Alvarr liebte das Drama. Bjame war nicht das erste Mal Zeuge seiner grausamen Entscheidungen geworden. Er schlug vollkommen nach seinem Vater. Doch im Gegensatz zu seinem Vorgänger hatte er es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, noch einen Scheit an Dreistigkeit und Gewissenlosigkeit obendrauf zu legen.
»Jedenfalls soll die Hinrichtung schon heute stattfinden.«
Martha seufzte, als sie bemerkte, dass Bjame vor ihr zu einer lebenden Statue erstarrt war. Keines der Pferde konnte sich erklären, was ihren König zu solch einer Grausamkeit gerührt hatte. Aber eines war ihnen sicher. Die Konsequenzen dafür würde König Eirik ganz alleine tragen müssen.
Mit einem Ruck entfernte sich Bjame plötzlich von dem Tisch und eilte zur Tür hinaus. Martha, die ganz genau wusste, wo er hinwollte, folgte ihm meckernd nach. Sie war nicht mehr so fit, als dass sie leicht mit dem großen Schecken mithalten konnte. Dennoch holte sie nach kurzer Zeit zu ihm auf, als sie den Weg erreichten, der von Kilgrim zur Alvarrsburg hinauf führte.
»Bjame, bist du sicher, dass du das wirklich tun willst? Was werden die Wachen sagen? Kein einfaches Bauernpferd darf zur Zeit ihrer Hinrichtung auch nur in der Nähe sein. Das weißt du doch!«
Der Schecke würdigte die alte Ponystute mit einem anmaßenden Seitenblick.
»Ich bin weit mehr, als nur ein ›einfaches Bauernpferd‹. Das weißt du. Und er weiß es auch.«
Martha brauchte nun zwei Galoppsprünge, um mit einer Phase von Bjames Trab mithalten zu können.
»Eben deshalb solltest du nicht unter den Schaulustigen stehen! Sei kein Esel, Bjame! Du weißt, dass er jede Möglichkeit, dir eine Schlinge um den Hals zuzuziehen, mit offenen Armen begrüßen wird«, völlig außer Atem versuchte sie ihren außer Kontrolle geratenen adoptiv-Schwiegersohn zur Vernunft zu bringen. Doch der würdigte ihren weisen Rat nur mit einem sturen Schnauben. Als die alte Dame danach immer noch nicht aufgeben wollte, schlitterte er zum Stehen und stellte sich Martha in den Weg.
»Wenn du nicht mitkommen möchtest, dann geh zurück zum Dorf. Ich weiß, es ist unvernünftig, aber ich will es mit eigenen Augen sehen, bevor ich wirklich glaube, dass es mittlerweile schon so schlimm um ihn steht. Ich will vollkommen überzeugt davon sein, dass er herzlos genug ist, seine eigene Frau und die Mutter seiner beiden Söhne tötet und seinen anderen Sohn in dem Glauben aufwachsen lässt, dass sie eine Verräterin gewesen sei!«, knurrte er wütend. »Dann und nur dann kann ich mich mit reinem Gewissen dafür einsetzen, dass dieser Bastard für seine Taten zur Rechenschaft gezogen wird!«
»Dafür wirst du jedoch noch ein paar weitere Augen benötigen, oder nicht?«, schnaubte Martha niedergeschlagen. Bjame nickte. Die Bauern aus Kilgrim vertrauten ihm zwar, dennoch war es immer gut, wenn man mehr als einen Zeugen für eine Schandtat hatte.
»Wie lautet dein Plan?«
»Es gibt keinen Plan. Wir werden die Hinrichtung ansehen.«
»Und die Wachen?«
Auf Bjames Gesicht schlich sich ein hinterlistiges Lächeln.
»Die werden kein Problem sein, keine Sorge!«
Der Weg hinauf zur Burg war steinig und stieg stark an. Martha schnaufte schon nach wenigen Minuten jämmerlich, doch sie sah wohl ein, dass Bjame keine Pause dulden würde.
Kaum waren sie vor den Toren angelangt, trafen sie auf die ersten beiden Wachen, die sie nach dem Grund ihres Besuchs fragten. Auf Bjames »Wir wollen zur Hexenverbrennung«, senkten die beiden dunkelbraunen Hengste ihre Speere und ließen Martha und den Schecken passieren.
»Die Enthauptung soll in den königlichen Gärten stattfinden«, flüsterte die helle Stute ihrem grimmigen Begleiter zu. »Hinter der Burg, dort, wo es keiner sieht.«
Die beiden Pferde drängten sich durch Massen von Schaulustigen, die zur Hexenverbrennung hierhergekommen waren. In riesigen Scharen drängten sie sich um den gewaltigen Scheiterhaufen, auf dem an zwei robuste Holzpfähle gefesselt zwei erwachsene Pferde standen und schwach ihre Köpfe hängen ließen. Ihre Körper waren von der Folter völlig geschunden und entstellt. Der Hengst belastete sein eines Hinterbein nicht mehr, das ihm schlaff herunterhing und ihm schreckliche Schmerzen zu breiten schien.
»Der arme Kleine«, murmelte Martha, als sie den Sohn der beiden sah, dem man einen Strick um den Hals gebunden hatte und ihn nun zwischen zwei Rittern festhielt, um ihm später die Kehle durchzuschneiden und ihn dann zu seinen Eltern auf den Scheiterhaufen zu werfen. Eine gängige Methode, um dem armen Kind das lange Leid der Verbrennung zu ersparen.
Bjame schüttelte nur vor Ekel ungläubig den Kopf, als er den armen, jungen Lichtfuchshengst sah, dessen Flanken von Blut verschmiert war, das aus Wunden an seinen Seiten rann. Peitschenstriemen musterten seinen furchtbar abgemagerten Körper.
Bjame seufzte laut. Er würde dem armen Kleinen nicht helfen können. Nicht hier in der Burg. Nicht vor all diesen Wachen. Nach der Flucht der Königssöhne waren die Posten mit großer Wahrscheinlichkeit nochmals verstärkt worden.
Seine Hufe trugen ihn schnell am Burgfried vorbei, eine Treppe hinunter und um einen großen Brunnen herum, bis er das erste Grün des Hofgartens erspähen konnte.
Hier, umgeben von Büschen und Bäumen sollte es also stattfinden. Mit Argwohn beobachtete Bjame, wie sich bereits die Ritter an einer Stelle des Gartens versammelten und vier von ihnen sich schließlich vor dem Eingang des Gartens postierten, um niemandem Einlass zu gewähren.
Doch Bjame hatte nicht vor, sich unter die Ritter zu mischen. Mit Martha an seiner Seite schlich er sich entlang des Buschwerks das den Garten umgab und schlüpfte schließlich durch einen kleinen Spalt zwischen zwei Koniferen, die hier schon gestanden hatten, als er noch ein Fohlen gewesen war. Die beiden Bäume waren mittlerweile groß genug, um ihn komplett zwischen sich einzuschließen, boten ihm jedoch genug Deckung für geheime Beobachtungen.
Martha presste sich ängstlich neben ihn, als sie ihrem Begleiter über die Schulter blickte.
»Bist du sicher dass das eine gute Idee ist?«
»Sch! Da kommt er!«
Bjame reckte den Kopf, um König Eirik zu erblicken, der mit seinem maskierten Henker Seite an Seite in den Garten Marschierte. Ihm nach folgten noch mehr Ritter, die in ihrer Mitte die Königin Mildri Van Alviss führten. Die arme sah furchtbar verwahrlost aus. Wahrscheinlich hatte man sie in den letzten zwei Tagen hungern lassen und sie schließlich in die Jauchegrube gestoßen, um sie dort schlafen zu lassen.
»Es wäre mir ein Anliegen, dass wir diesen unschönen Akt so schnell wie möglich über die Bühne bringen!«, hörte Bjame den Schimmel schnauben. »Ich habe noch andere Dinge zu tun, als mich um lästige Verräterinnen zu kümmern.«
Bjame spürte, wie sich die Mähne in seinem Nacken vor Zorn aufstellte. Wie konnte dieser Mistkerl es wagen so von diesem wunderbaren Pferd zu sprechen? Er hätte ihn liebend gerne in Stücke gerissen, doch er wusste seinen Zorn zu zügeln.
»Irgendwelche letzen Worte, du biestige, falsche Schlange?«
Mildri hob den Kopf und spuckte Eirik mitten ins Gesicht, bevor sie zu lachen begann.
»Das hätte ich vor langer Zeit schon tun sollen!«, lachte sie. »Lang lebe der wahre König, Frodur Van Alvarr! Irgendwann wird er kommen und dich holen. Bis dahin wirst du durch sieben Höllen gehen und jeden Tag in der Angst verbringen, bis dein eigenes Kind kommt, um deine Taten zu vergelten, du alter Teufel, du!«
Eirik verzog keine Miene, als Mildri so mit ihm sprach. Im Gegenteil – er wirkte vollkommen ruhig und gelassen. Für einen Augenblick hatte Bjame jedoch das Gefühl, dass die ehemalige Königin in seine Richtung blickte und ihm einen beschwichtigenden Augenaufschlag widmete. Als ob sie ihm sagen wollte, dass alles in Ordnung war. Oh wie gütig dieses Pferd doch war. Er hatte ihr doch versprochen, ihr zu helfen! Und er war gescheitert! Nur noch Veikko stand nun unter seinem Schutz.
»Hiermit spreche ich dich von all deinen Verbindungen mit dem Hause Van Alvarr frei. Du begingst Hochverrat an meiner Familie und brachtest Schmach über dein eigenes Königreich! Wisse, dass dein Tod ein schändlicher Tot ist und dass meine Gebete darum anhalten, dass du für alle Ewigkeit in der Hölle schmoren wirst!«
Dann hob Eirik den Kopf und rief: »Ich verurteile die Verräterin hiermit zur Höchststrafe! Tod durch Enthauptung!«
Auf seinen Ruh hin, rissen die Ritter die hübsche Stute herum und pressten ihren Kopf auf einen ausgehöhlten Baumstumpf. Der Henker schritt musternd um Mildri herum, wog die Axt in seinem Maul ab und holte schließlich zum Schlag aus.
Bjame wendete mit zusammengekniffenen Augen den Kopf ab, als Blutgeruch vom Wind zu ihm herübergetragen wurde. Ohne Vorwarnung trat er rücklings aus dem Gebüsch heraus und eilte dann zum Burgtor zurück. Martha hatte auch nun Schwierigkeiten, zu ihm aufzuschließen.
»Bjame, jetzt warte doch mal!«
»Ich habe gesehen, was ich sehen musste«, knurrte er düster. »Und Mildri hatte recht. Sein Sohn wird wiederkehren. Dafür sorge ich. Sie wusste, dass ich da war.«
In diesem Moment ging ein Raunen durch die Menge. Der Scheiterhaufen brannte bereits lichterloh, als man dem Fohlen den Todesstoß versetzte und ihn schließlich zu seinen Eltern in die Flammen warf.
Bjame wollte nicht hinsehen, doch er blickte trotzdem zurück. Er konnte die Eltern des Fohlens sehen, die dort lichterloh in Flammen standen und nur für einen Moment machte er den großen Fehler, sich an seine eigene Familie zu erinnern, wie sie von dem hungrigen Feuerbrand seiner Mühle verschlungen worden waren.
Eine einzige Träne rollte seine Wange herab, als er sich zurück auf den Heimweg machte.
Ja, Eirik würde büßen für das, was er diesem Königreich angetan hatte. Und wenn er der erste war, der für die Gerechtigkeit in die Schlacht zog, dann würde er kämpfen, bis er letztendlich alles verloren hatte, was ihm noch etwas bedeutete.
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