8. Weit im Norden...

I've got bad blood

I've done bad things

How can I control myself

If I enjoy these nasty habits?

- Creature Feature, Bad Blood


Heulend fuhr der Wind durch die offene Tür, Schneeflocken fanden ihren Weg in den kleinen, warmen Raum, dem Zufluchtsort in der eisigen Hölle. Eine Gestalt in einem langen Mantel trat hindurch und lehnte seine Waffe, ein Bagatar, ein Beil mit langer gerader Klinge, neben fünf anderen an die Wand.

  „Bei Unzars Reißzähnen, mit denen er Madras den Arm abbiss, mach die verdammte Tür zu!", brüllte eine Stimme ungehalten.

  Die Gestalt trat hinter sich gegen die Tür, donnernd fiel sie ins Schloss. Sie legte den Mantel ab und zeigte, wer sie war: ein Eiswolf, mit staubgrauem, zottigen Fell. Schwere Lederstiefel landeten in einer Ecke, ein verschwitztes Hemd folgte. Mit bloßem Oberkörper trat der Eiswolf in den Raum, die Arme leicht vom Körper abgespreizt, das Fell zerzaust und nass von Schnee und Schweiß. Seine Pranken tappten leicht auf dem hölzernen Fußboden, seine Krallen klackten leise. Müde streckte er den Nacken und schüttelte sich das Wasser aus den langen Haaren am Kopf.

  Der Raum war klein, kaum fünf Schritte lang. Eine kleine Feuerstelle in einer Ecke, über dem zwei Kessel vor sich hin köchelten, und eine große, vor der ein paar mit abgewetzten Fellen gepolsterte Stühle standen, tauchten ihn in ein warmes Zwielicht. Ein Tisch stand neben der großen Feuerstelle, auf dem sich Tassen und Schüsseln stapelten. Es war still, bis auf das Heulen des Windes draußen, dem Knistern des Feuers und ab und an war das leise Rascheln von Papier zu hören. Der Raum roch eigenartig, er stank nach nassem Fell, Leder und Stoff, darunter mischte sich der Geruch nach Rauch und Eintopf und die scharfe Note von verbranntem Haar, Schweiß, Blut und Kälte, doch für den Eiswolf roch es nach Sicherheit.

  Fünf weitere Eiswölfe lungerten in dem Raum herum. Zwei, ein dunkelgrauer und ein graubrauner, saßen auf den Stühlen vor der Feuerstelle und wärmten sich die Füße an den Flammen, ein dritter, hellgrau, saß auf dem Tisch und las ein Buch, weswegen er ein paar zweifelnde Blicke von seinen Kameraden erntete. Nicht viele Soldaten konnten lesen, schon gar nicht im Weißen Fort. Ein Wolf mit fast schwarzem Fell rührte eifrig in einem der Kessel. Der fünfte lehnte mit geschlossenen Augen mit dem Rücken an den heißen Steinen der Wand neben der Feuerstelle.

  Der Neuankömmling sah sich um. „Andraj, du bist dran."

  Der dunkle Wolf sah von dem Eintopf auf. Ohne ein weiteres Wort schloss er den Kessel und ging an dem Neuen vorbei, schlüpfte in seine Stiefel und seinen Mantel, nahm sein Bagatar und verschwand in der schneidenden Kälte. Als er die Tür öffnete, fuhr der eisige Hauch durch den Raum. Der lesende Wolf erschauderte.

  Der Dunkelbraune sah von seinen Füßen zu dem Neuen. „Ay, Skald. Wie sieht es aus, draußen in der Kälte?"

  Skald nahm eine Tasse und eine Schüssel vom Tisch. „Weißt du doch, Atreyu. Eisig. Heute ist es schlimmer als sonst, die Herbststürme habe uns erreicht, und es schneit, als würde Unzar eine Lawine auf und herabbeschwören."

  Arteyu rutschte tiefer in seinen Stuhl hinein. „Ich freue mich jetzt schon, wenn ich in drei Stunden wieder raus muss."

  Der Graubraune schnaubte. „Du hast es gut. Drei Stunden. Ich muss in zwei wieder raus, und Dirr muss in einer in den Sturm." Er verschränkte die Arme. „Deswegen sitzt er auch an der Wand und lässt sich die Haare am Rücken versengen."

  Dirr öffnete ein Auge. „Man wärmt sich, so lange man noch kann. Nicht wahr, Baldr?"

  Baldr streckte seine Tatzen näher ans Feuer. „Wo du recht hast, hast du recht."

  Skald schöpfte sich Eintopf und Tee in Schüssel und Tasse, dann ließ er sich neben Atreyu auf einem Stuhl nieder. „Bei Unzar, meine Füße sind Eisklumpen." Gierig begann er, sein Essen herunterzuschlingen.

  „Ich will nicht wissen, wie es jemandem ohne Fell hier gehen würde", warf Atreyu ein.

  Baldr grinste. „Dirr weiß es ab heute." Dirr lächelte kurz und drückte sich fester an den heißen Stein.

  Kurz kehrte Stille ein. Draußen tobte der Sturm, rüttelte an den verschlossenen Fensterläden und trieb die Gesänge der Gefangenen aus dem Steinbruch zu ihnen. Das schrille Wiehern eines Einhorns heulte über das eisige Gestein draußen und hallte von den senkrechten Steinwänden wider, als würde tausende Einhörner auf den Schrei antworten. Direkt neben der Tür, wo außen die Einhörner der sechs Soldaten angebunden waren, erwiderte eines den Ruf des ersten, ein Kreischen von einer Lautstärke und Macht, dass die metallenen Schüsseln leise klirrten.

  „Wenn ich nicht wüsste, dass sie festgekettet sind, würde ich diesen Raum nie wieder verlassen. Die Biester zerbeißen Fleisch wie ein Beil, das durch Schnee schneidet", sinnierte Atreyu.

  „Wenn ich nicht müsste, würde ich diesen Raum nicht mehr verlassen", entgegnete Baldr.

  Brummend stimmten die anderen Eiswölfe zu, sogar der schweigsame Hellgraue mit dem Buch.

  „Was liest du eigentlich, Dmitri?", fragte Skald und drehte sich zu dem Lesenden um.

  Dmitri starrte weiter auf sein Buch.

  „Dmitri...", sagte Skald etwas lauter, und der Hellgraue riss sich ruckartig los. Er klappte sein Buch zu und betrachtete den Rücken. „Es geht um die Eisigen Kriege. Um die fünf großen Schlachten am Eisfluss."

  „Damals, als der Fluss rot war. Ich erinnere mich", sagte Skald und trank einen Schluck von seinem Tee.

  „Du warst noch nicht mal geboren, das war vor fast achthundert Jahren", erwiderte Baldr verwirrt.

  Skald bedachte ihn mit einem wütenden Blick. „Ich habe schon einmal davon gehört, das meine ich damit. Und, Dmitri, ist es interessant?"

  „Ja", sagte Dmitri abwesend, er starrte schon wieder auf sein Buch.

  Belustigt wandte Skald sich wieder dem Feuer zu.

  Plötzlich öffnete sich die Tür wieder. Dirr stieß ein tiefes, schicksalsergebenes Seufzen aus. „Rugir? Muss ich jetzt los?", fragte er.

  Der Eiswolf, den sie Rugir nannten, packte seine Waffe fester. Kein Bagatar, wie die Soldaten, sondern eine Spitzhacke, mit denen die Gefangenen im Weißen Fort Steine aus dem Fels schlugen. Seine Augen, eines bernsteinfarben, das andere hellblau, funkelten. Sein Fell unter dem schweren Mantel, der nach dem noch feuchten Blut seines Vorbesitzers roch, hatte die Farbe des Schnees. Leise stellte er die Hacke weg, nahm sich ein Bagatar und schwang es probeweise. Ich habe nichts verlernt.

  „Bei Unzar, muss ich eigentlich jedem sagen, dass er die von Madras verdammte Tür zumachen soll?", beschwerte sich Baldr.

  „Rugir?", fragte Dirr wieder.

  „Ich bin hier", sagte der Eiswolf. Seine Stimme war heiser. „Du musst jetzt los." Du musst los, aber nicht durch die Tür. Mit einem Tritt schloss er sie.

  Dirr seufzte und stemmte sich hoch. Und sie merken nicht, dass es keine Stiefel sind, die hier den Holzboden berühren, sondern bloße Tatzen, und dass Rugir nicht so klingt wie ich. Er wird auch nie wieder ein Wort sagen, ob mit meiner oder seiner Stimme.

  „Wie kalt ist es draußen?", fragte Dirr und bückte sich nach seinem Mantel, den er wie Skald einfach auf den Boden hatte fallen lassen.

  „Tut nichts zur Sache." Der Weiße sprang vor und rammte Dirr das Bagatar in die Seite. Das schwere Beil glitt zwischen seine Rippen und tötete ihn auf der Stelle. Als er die Waffe aus der Leiche zog, tropfte das Blut mit einem leisen Geräusch auf dem Boden.

  Als Dirrs toter Körper mit einem dumpfen Schlag auf den Holzbohlen aufkam, sah Skald sich ruckartig um und sah ihn mit dem blutigen Beil, eingehüllt in den Mantel eines ebenfalls toten Soldaten namens Rugir. Er brüllte eine Warnung, als der Weiße ihm mit einem schweren Schlag des Bagatars den Körper aufschlitzte und ihm dann die Spitze in den Bauch stieß. Das Blut lief über den Boden wie verschütteter Wein.

  Mit einem Sprung waren die anderen Soldaten auf den Beinen. Baldr wich zurück und zog Atreyu mit sich. Dmitri verstaute sein Buch in seinem Gürtel und ballte die Fäuste. Ihre Gesichter zeigten verschiedenste Emotionen, von Angst über Mut und Tapferkeit zu der Gewissheit ihres Todes. Sie wissen, was ihnen blüht, und sie fürchten es. Der Weiße lächelte sein hässliches Lächeln, verzerrt durch eine Narbe, die sich von seinem bernsteinfarbenen Auge über seine Lefzen zog.

  Die drei Wölfe warfen sich ängstliche Blicke zu, sie schienen etwas zu planen. Diese Zeit werde ich ihnen nicht geben. Mit einer einzigen Bewegung sprang er ruckartig auf die Männer zu und schwang das Bagatar. Der rechte, von dem Beil im Gesicht getroffen, wurde zu Boden geworfen, der mittlere jedoch setzte zum Gegenangriff an und stürze sich auf den Weißen, der mit der Spitze des Bagatars seine Rippen traf. Mit einem widerwärtigen Geräusch splitterten sie. Atreyu stöhnte, stolperte und fiel auf die Knie, doch er richtete sich sofort wieder auf, die Hand auf seine linke Seite gedrückt. Widerspenstig ist er. Tapferer als der Marquess, er hat geheult wie ein kleines Kind. Atreyu sah den letzten Mann an.

  „Lauf, Baldr", flüsterte er.

  Der Weiße wirbelte zu Baldr herum, als Atreyu ihm auf den Rücken sprang und hinterrücks zu Boden riss. Gleichzeitig rammte der Weiße ihm den Ellenbogen in die verletzte Seite und wollte Baldr das Bagatar in die Seite stoßen, doch der Hellgraue wich aus, riss die Tür auf und stürmte hinaus. Kurz darauf hörte der Weiße Hufschläge, die sich rasch entfernten. Donnernd fiel die Tür wieder ins Schloss.

  Beeilung. Mit einem Faustschlag auf Atreyus Rippen befreite er sich von dem Soldaten, der jaulend wie ein Welpe gegen einen der Stühle krachte und wollte gerade davongehen, als ihn ein Faustschlag ins Gesicht traf. Fauchend fuhr er herum und sah den letzten Soldaten, den er mit dem Bagatar niedergeschlagen hatte. Sein Gesicht war blutüberströmt, der Kiefer teilweise gebrochen, Fleischfetzen hingen von seinen Lippen.

  „Hier kommst du nicht raus, Königsmörder!", nuschelte er und spuckte Blut auf den Boden.

  Doch. Der Weiße schwang das Bagatar, die Klinge schlitzte Dmitri den Oberschenkel auf, doch er fiel nicht. Stattdessen packte er die Waffe knapp oberhalb der Klinge und zog. Kurz leistete der Weiße Widerstand, dann ließ er das Beil los und lief auf die Tür zu. Dmitri stolperte einen Schritt rückwärts, dann drehte er das Bagatar, sodass die Klinge auf den Weißen zeigte, und stieß zu.

  Es traf den Weißen einen Fingerbreit neben dem Rückgrat, und nur der schwere Mantel des toten Mannes namens Rugir bewahrte ihn vor dem Tod. Trotzdem durchdrang der Stahl Leder und Futter, durchtrennte das dünne Leinenhemd des Weißen und bohrte sich in sein Fleisch. Mit einem ekelhaften Geräusch rutschte es an den Rippen ab, schabte über den Knochen und riss Haut und Gewebe mit sich.

  Der plötzliche Schmerz ließ den Weißen nach Luft schnappen, seine Knie gaben unter ihm nach, bis er vor der Tür kniete. Ich habe jedoch schon Schlimmeres erlebt. Steh auf. Unter Qualen stemmte er sich wieder auf die Füße, Blut lief ihm den Rücken herunter.

  Das Bagatar wurde zurückgezogen. Der Weiße biss die Zähne zusammen und drückte die Klinke herunter, als das Bagatar gegen seinen Kopf krachte. Weiße Lichter explodierten vor seinen Augen, weiß wie der Schnee, wie sein Fell, wie Eis.

  Das letzte, das er wahrnahm, war Blut. Sanft und warm lief es seinen Rücken herab wie die Finger einer Frau, er roch es, ein metallischer und kalter Geruch, wie Eisen, es floss ihm auf die Zunge, seine Lippen waren zerrissen wie die des hellgrauen Eiswolfes, der ihn besiegt hatte, sein eigener Herzschlag pochte in seinen Ohren, nicht schneller als sonst. Rot wie Rubine rann es in seine Augen, legte der Welt eine roten Schleier um.

   Dann umfing ihn die Schwärze. Sie hatte einen roten Schimmer.

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