73. Dunkel im Licht
The truth is
I lied about everything
You lied about you and I lied about me
Now that you know I'm finally free
One last thing I'll say that's true
I lied when I said "I'm in love with you"
- Theory of a Deadman, The Truth is...(I lied about everything)
Die Luft flirrte und ließ die tobende Menge der Cerebras zu einem einzigen verschwommenen Flecken aus schwarz und weiß verschwimmen. Der Lärm war unerträglich, und selbst im Schatten zwischen den Häusern war die Hitze erdrückend.
Madrid rutschte schwitzend im Sattel seines Drachen hin und her. Bei allen Göttern, ich ertrinke in meinem eigenen Saft, dabei wäre mir in Gold ertrinken so viel lieber. Er lockerte seine Rüstung und widerstand dem Drang, sich das gehärtete Leder vom Körper zu reißen. Nicht mehr lange, und ich habe es hinter mir. Der verfluchte Hurensohn von einem Eiswolf wird den König töten, ich hole mir den Erstgeborenen, mache ihm unsere Bedingungen klar und wir verschwinden nach Diavolo Pueblo. Wo Darnovey wartet und es sich gutgehen lässt.
Er wusste selbst nicht genau, warum es ihn störte, dass Ravan nicht mit ihnen in Caldera war. Er war ein Auftraggeber wie jeder andere. Trotzdem war Ravan das gewesen, was er am ehesten als Freund bezeichnen würde, seit Eziel unter Komarovs Waffen gestorben war, und er hatte noch immer ein wenig an die Kameradschaft der Söldner geglaubt. Aber Ravan ist kein Söldner. Er ist ein Auftraggeber. Er ist nicht wie ich. In der Kette der Befehle steht er weit über mir.
Raybeau hatte ein paar Sticheleien darüber verloren. „Seid Ihr verliebt, Master Yarrow? Bringt Eurer Liebe doch eine Blume aus der Wüste mit!", hatte er gesagt, und Komarovs Lefzen hatten sich zu einem finsteren Lächeln verzogen. „Fahrt doch zurück nach Lichtentum, Raybeau, und werft Eure Seele zu Eurer Liebe ins Meer", hatte Madrid zurückgegeben, und seitdem hatte der ehemalige Kapitän sich nicht mehr in seine Angelegenheiten eingemischt. Selbst, als er und Komarov sich an die Kehlen gingen, kaum dass sie festen Boden unter den Füßen hatten, hatte er nur mürrisch seinen Greif versorgt. Nur manchmal brachte er den Söldner und den Eiswolf mit ein paar harten Worten zur Vernunft.
Nervös schielte er zu dem Dach, auf dem Komarov liegen musste. Nichts regte sich dort, selbst als der Herold mit großer Geste den Tjost ankündigte. Auf dem Platz begann die Menge zu brüllen und zu jubeln, und Madrids Drache scharrte aufgeregt mit den Krallen. Die Cerebras um ihn herum murrten.
„Bewege deine Riesenechse weg von hier, du streifenloser Sohn einer Hündin!", brüllte ein Mann. „Niemand kann auch nur den Arsch des Königs sehen!"
Madrid sah hinab zu dem Cerebra, der furchtlos seinen Blick erwiderte. „Halt dein dreckiges Pferdemaul und verpiss dich." Das Gesicht des Cerebra verzog sich und er hob zu einer Erwiderung an, als der Drache seinen Kopf zu ihm wandte und ein tiefes, furchteinflößendes Knurren ausstieß. „Wollt Ihr immer noch, dass ich beiseite gehe?", hakte Madrid drohend nach.
Der Cerebra verneigte sich. „Nein, Sir, Mylord, alles bestens, Sir, ich meinte ihn dort", er wies mit zitternder Hand in eine unbestimmte Richtung, „niemand würde Euch jemals..."
Madrid winkte ab. „Verschwinde einfach."
Der Cerebra verneigte sich erneut und stolperte durch die Menge davon.
Madrid beobachtete die Calderis, die nun wesentlich respektvoller zu ihm aufsahen oder bemüht unauffällig seinen Blick mieden. Ich hoffe, dass es ebenso einfach ist, Sekander Castillo einzuschüchtern. Er warf einen vorsichtigen Blick hinter sich, wo Raybeau mit seinem Greif an einer Taverne stand und ihn wachsam beobachtete. Der Kapitän zeigte kein Zeichen des Erkennens, doch starrte ihn weiterhin unverwandt an. Madrid wandte sich mit einem arroganten Lächeln ab und lud seine Pistole nach. Ich kann alle Waffen gebrauchen, die ich habe. Er überprüfte Schwert, Dolch und Jagdmesser, lockerte sie in den Scheiden und schob das Messer schließlich zwischen Sattel und Satteldecke.
Wartend starrte er auf das Treiben auf dem Platz, beobachtete, wie Ritter um Ritter aus dem Sattel gehoben wurde und klirrend in den Staub fiel. Bunt flatterten Banner und Wappen in der Luft. Wieder und wieder heulte und jubelte die Menge, während Madrid der Schweiß den Rücken hinablief und er nur auf die Erlösung durch den Kampf des Erstgeborenen gegen den Gamroeg-Ritter wartete. Dies war der erste Kampf Sekander Castillos an diesem Tag, so hatte es zumindest einer der Soldaten behauptet.
Doch bis dorthin waren es noch viele Kämpfe, und es juckte ihm in den Fingern, mit seinem Drachen auf den Platz zu reiten und jeden der lächerlichen Greifenreiter einzeln aus dem Sattel zu reißen, nur damit Castillo reiten und Komarov endlich den König töten konnte.
Die Hitze machte ihn schläfrig, und er bemühte sich heftig, nicht auf der Stelle einzuschlafen. Mürrisch nahm er einen Schluck aus seiner Feldflasche und sah zu, wie der Herold den Platz betrat und laut begann, den nächsten Kampf anzukündigen.
„Es mögen nun antreten im Tjost zum Fest der Verlobung Ihrer Königlichen Hoheit, der Prinzessin Valerijah: Sekander Colscran Marigish Nicodemus Castillo, der Goldene Lord, der Erstgeborene, unser edler und geliebter Lord Kommandant der Königlichen Armeen, erbarmungslos im Kampf, ungeschlagen im Turnier!", schmetterte der Herold und machte eine affektierte Kunstpause. Madrid hörte, wie Sekander Castillo etwas brüllte, das er nicht verstehen konnte. „Und der älteste Sohn des Hauses Gamroeg, Styraet Ascorb Widrag Gamroeg, die Bestie von Tripala! Möge er seinem Vater, dem Fluch von Cantalair, ein würdiger Erbe sein!"
Mit einem Schwung der Lanze grüßten die Gegner den König vor seiner Loge, dann nahmen sie ihre Positionen an den Enden des Feldes ein und senkten ihre Waffen.
Sofort war Madrid hellwach. Er richtete sich im Sattel auf und weckte mit einem Ruck an den Zügeln die Aufmerksamkeit seines Drachen, der den Kopf hob und leicht die Flügel spreizte. Wieder sah Madrid hinauf zu dem Dach, auf den Komarov sitzen musste, und legte dem Drachen leicht die Hacken an die Seiten.
Castillo und Gamroeg preschten aufeinander zu und stießen mit einem ohrenbetäubenden Kreischen und Splittern zusammen.
Der König hatte sich erhoben und starrte ungläubig auf den Pfeil in seiner Brust. „Sekander!", rief er und stolperte rückwärts. Das Jubeln der Menge verwandelte sich in entsetztes Kreischen.
Madrid rammte seinem Drachen die Hacken in die Seiten, und die Bestie pflügte durch die Menge der verängstigten Cerebras voran, auf Sekander Castillo zu. Der Erstgeborene riss seinen Greif herum und verlangte nach seinem Schwert. „Wachen!", brüllte er. „Holt mir den Mann auf dem Dach dort. Tötet ihn!"
Der arme Komarov. Vielleicht habe ich Glück, und sie erledigen ihn für mich. Madrid warf einen hastigen Blick zur Loge, erwartete den König tot neben seiner Schwester und seinen Beratern... doch stattdessen stand der König immer noch auf beiden Beinen, presste sich die Hand auf die Brust, die sich schnell hob und senkte, und winkte mühsam beherrscht nach seinen Soldaten und Ärzten, während Sekander in den Himmel davonschoss.
Madrid erstarrte. Der König ist nicht tot. Er fluchte. Komarov hat ihn nicht getötet, und er wird nicht sterben. Nicht, wenn ich nicht nachhelfen werde... Er griff nach seiner Pistole, doch hielt inne. Dann werden auch sie mich jagen. Und Raybeau hat nicht die Fähigkeiten, Sekander zu überwältigen... Ich kann Raybeau nicht übermitteln, dass Komarov gescheitert ist... Er erwog kurz, Sekander einfach zu entführen, um mit ihm den König zu erpressen, doch nach allem, was er wusste, würden die Cerebras ihre Streitmacht ausschicken, um ihn zurückzuholen. Und wenn in diesem Zusammenhang der Name der Bruderschaft fallen würde... Madrid war die Bruderschaft egal, doch er wusste, dass Ravan über einen Krieg mit Abisyala nicht erbaut sein würde. Niemand kann gegen einen Krieg gegen das größte Land der Welt gewinnen. Und der mächtige, kluge Palaimon Castillo weiß sicher genau, wie er sich gegen so etwas kindisches wie Erpressung wehrt. Hastig wog er alle Optionen gegeneinander ab, und entschied sich für die intelligenteste.
Er riss seinen Drachen herum und trieb ihn zurück in die Gassen.
Raybeau starrte ihm entgegen, die Zügel seines aufgeregten Greifen fest in der Hand. „Was ist passiert?"
Madrid warf einen schnellen Blick auf die ängstlichen Cerebras um sie herum. „Es gab ein Attentat. Aber der König hat es überlebt. Sekander Castillo jagt nun den Killer."
„Verfluchte Götter", knurrte Raybeau und schwang sich in den Sattel. „Wir verschwinden. Gehen wir nach Diavolo Pueblo und erklären ihm die Angelegenheit. Um Komarov kümmern wir uns nicht, der ist tot. Vorwärts!"
Sie galoppierten durch die Gassen, Krallen stoben über den Dreck und kratzten auf dem Steinpflaster der Flussstraßen. Cerebras sahen ihnen verwundert nach, wütendes Gebrüll erhob sich hinter ihnen, als Raybeaus Greif zwischen zwei Marktständen hindurchpreschte und Madrids Drache hinter ihm sie in ein Chaos aus Segeltuch, Holz, Scherben und zerplatztem Obst verwandelte.
„Wir müssen aus der Stadt raus!", schrie Madrid, als sie am Fluss entlangjagten. „Damit wir fliegen können! In den engen Gassen kann mein Drache seine Flügel nicht gebrauchen!" Es ist immer das Gleiche. Wir entwerfen einen Plan, er schlägt fehl, und wir winden uns irgendwie wieder hinaus.
Raybeau nickte und hob zu einer Antwort an, als sich ein Schatten neben Madrid regte und ihn angriff.
Ein Minotaurus sprang seitlich auf ihn zu, doppelt so schwer wie Madrid und traf ihn mit voller Wucht. Sie fielen, Madrid versuchte hastig, an sein Messer zu gelangen, und in einem schmerzhaften Moment des Bedauerns erinnerte er sich, dass es am Sattel seines Drachen hing. Offenbar ist das Herauswinden diesmal nicht so einfach.
Hart prallten sie auf den Boden, und etwas in Madrids Arm brach mit einem widerwärtigen Knacken. Schmerz flutete durch sein Bewusstsein, kochte seine Kehle hinauf und würgte ihn. Er keuchte und erhob sich mit schmerzverzerrtem Gesicht, als sich haarige Arme um seinen Brutkorb schlossen und wieder zu Boden rissen. Er landete auf seinem gebrochenen Arm und brüllte vor Schmerz, als etwas mit Wucht seinen Kopf traf. Schwärze umfing ihm, und mit ihr die Erlösung.
„Du kannst es, Roxane. Ich bin mir sicher. Wir haben ihn gefesselt und geknebelt. Er kann dir nichts tun", sagte eine harte Frauenstimme.
Stille.
„Du wolltest immer, dass du ihn zur Rede stellen kannst. Hier ist er. Und sag mir jetzt nicht, wir sollen ihn einfach wieder freilassen. Wegen dir, und nur wegen dir, sind wir jetzt hier und nicht zuhause. Ich hätte mein Schiff noch und Nicolas wäre dort, wo er hingehört! Also geh und rede mit diesem elenden Bastard!", fauchte die Frau aufgebracht.
Madrid versuchte ein Auge zu öffnen und scheiterte. Es war drückend heiß und feuchtwarm, wie in einem Bordell auf den Racheinseln. Schweiß lief ihm übers Gesicht. Sein Kopf dröhnte, sein Arm pochte schmerzhaft, und er spürte hunderte und abertausende Prellungen und Wunden an seinem Körper. Seine Zunge ertastete etwas fischig schmeckendes, Pelziges in seinem Mund. Vorsichtig versuchte er, sich zu bewegen, doch er traf sofort auf Widerstand.
„Ich bin bei dir. Er kann dir nichts mehr antun", flüsterte nun auch eine Männerstimme beruhigend.
Wieder Stille. Dann: „Gut. Ich werde mit ihm reden. Ein Geständnis aus ihm herausbringen", sagte eine Frau entschlossen, die Madrid in einem verwirrten Moment der Klarheit als Roxane Blackheart erkannte.
Roxane Blackheart? Was bei allen Geistern macht sie denn hier? Ich dachte, ich wäre sie los. Für immer und ewig. Aber nun, offensichtlich ist sie von dieser unbarmherzigen Sorte, die einen niemals loslässt. Am Ende muss man solche immer umbringen. Ich weiß es genau. Er öffnete die Augen und blinzelte, um sich an das fleckige Zwielicht zu gewöhnen, das durch das Segeltuch über ihm sickerte. Schließlich erkannte er die Männer und Frauen um ihn herum. Roxane Blackheart. Dieses Seefahrermädchen, wie hieß sie gleich, woher kenne ich sie... Port Liberty. Sie heißt... Morgaine Silver. Natürlich. Und Nicolas de Oro, und der Kerl, den wir mit De Oro in Imarad zurückgelassen haben. Der Minotaurus, dieser verfluchte Hurensohn, der mir meinen Arm gebrochen hat. Den letzten Mann, der Roxane den Arm um die Taille gelegt hatte, kannte er nicht. Aber er ist hübscher als sie und diese Gräfin aus Imarad zusammen.
Er grinste unter seinem Knebel. Ravans Verfolger. Sie haben ihn nicht gefunden, aber dafür mich. Und ich bin an einen verdammten Stuhl gefesselt. Auf einem... Er sah sich um. Flussschiff. Welch ein eigenartiger Zufall. Aber was macht Roxane hier?
Silver trat auf ihm zu und brachte ihr Gesicht auf seine Höhe. „Ich bin sicher, du kennst uns?"
Madrid nickte.
„Und du weißt auch, was du getan hast?"
Götter und Geister. Bin ich hier im Tempel? Muss ich meine Sünden beichten? Er schüttelte den Kopf und grinste weiter.
Silver schlug ihm ins Gesicht. „Roxane meint, du hättest ihr Herz gebrochen. Ich weiß, eine schreckliche Schande, und normalerweise würde ich keinen Penny um irgendwelche Herzen geben, aber nein, du bist der Grund, warum mein Schiff auf dem Grund des Meeres liegt und deswegen wirst du ihr bitte sagen, was du angestellt hast." Sie riss ihm unsanft dem Knebel aus dem Mund.
Madrid lachte leise und versuchte, den Schmerz in seinem Arm zu ignorieren. „Wo ist mein Drache?"
„Draußen. Wir bewachen ihn. Aber das tut nichts zur Sache." Silver verschränkte die Arme.
„Wie habt ihr mich gefunden?"
„Wir haben nach dem größten Bastard der Welt auf einem stinkenden Drachen gesucht. Nicolas ahnte, dass du in Caldera sein könntest, weil du hier den König töten, oder dabei helfen solltest. Und jetzt haben wir dich gefunden. Wie schade, dass Euer Attentat nicht geglückt ist."
Madrid rutschte auf dem Stuhl herum und riss an seinen Fesseln. Doch statt der erhofften Lockerung peitschte erneut der Schmerz durch seinen Arm. Er knurrte wütend. Nun denn, dann werden sie jetzt erwarten, dass ich meine Sünden beichte, und mich dann an die Cerebras ausliefern. Ich freue mich schon auf den Strick. „Was wollt ihr jetzt noch von mir? Wir sind gescheitert, ihr habt gewonnen, aber auch nur, weil unser Attentäter nicht halb so großartig ist, wie Ravan dachte. Was mache ich jetzt noch hier?" Der Schmerz machte ihn fast wahnsinnig.
Roxane löste sich von dem Mann neben sich und trat auf ihn zu. „Kennst du mich noch?", fragte sie mit zitternder Stimme.
Madrid lächelte. „Wie könnte ich dich vergessen, meine Königin?"
Sie wandte sich ab, ihre Augen glänzten feucht.
„Wie kommt es, dass du hier bist? Die Wüste ist kein Ort für eine Schönheit wie dich. Du solltest in Amostown sein. Dort, wo du in Sicherheit bist." Und mich nicht aufhältst.
„Ich... ich habe dich gesucht", brachte sie hervor.
Was du nicht sagst. „Und warum, meine Königin?"
„Nenn mich nicht so!", schrie sie mit Tränen in den Augen. „Du hast mich betrogen! Hunderte Male, während du mir gesagt hast, dass ich deine Einzige wäre. Deine Königin. Du hast gesagt, dass du mich liebst. Aber das hast du nie, nicht wahr? Nicht wahr?" Ihre Stimme brach, und der gutaussehende Mann trat zu ihr und schlang seine Arme um sie.
Madrid grinste. Da hofft man einmal, man wäre ein Weib los, und sie segelt bis ans Ende der Welt, nur um sich sicher zu sein, dass man sie wirklich betrogen hat. Er sah zu dem Mann, der empört seinen Blick erwiderte. Wenn ich sage, ich hätte sie nie betrogen, würde sie dann zu mir zurückkehren? Es wäre in der Tat interessant zu sehen. Er lächelte dem Mann gewinnend zu. „Ist sie immer noch so willig, wie sie in meinem Bett war?", fragte er beiläufig.
Eine flache Hand traf sein Gesicht und schleuderte seinen Kopf zur Seite. Der Schmerz explodierte in seiner Stirn und riss an seinem Arm, und Madrid schüttelte sich langsam seine blonden Haarsträhnen aus dem Gesicht. Vor ihm stand der Minotaurus und ließ langsam die Hand sinken. Madrid spielte mit dem Gedanken, einfach weiter zu sticheln, doch das Pochen in seinem Arm hielt ihn davon ab. Je schneller der Strick mich bekommt, desto besser.
Er sah zu Silver auf. „Soll ich mich auch bei dir entschuldigen, dass ich dir das Herz gebrochen habe?"
Sie schüttelte den Kopf. „Mir hast du nie das Herz gebrochen, ich bin nicht so naiv. Eher dafür, dass du ihr den Kopf so sehr verdreht hast, dass sie dir überall hin folgt und mich dabei mit in die Scheiße reißt. Ich habe immer gedacht, der Mann, der ihr, der Verzauberin aller Männer und Frauen, das Herz stiehlt, muss etwas Besonderes sein. Stattdessen hat sie sich den größten Ficker aller Zeiten ausgesucht."
„Wo die Liebe hinfällt..."
Sie schnaubte. „Wären die Umstände anders, würde ich dir einen Platz in meiner Crew anbieten. Aber da du ihr eine Menge Probleme bereitet hast, und dadurch auch mir, kann ich das leider nicht."
Der Minotaurus hob wieder die Hand, und Madrid biss die Zähne zusammen. Doch der Schlag blieb aus. Stattdessen schien Roxane sich wieder gesammelt zu haben. Madrid setzte sein liebenswürdigstes Lächeln auf und wartete auf ihre Vorwürfe.
„Hast du mich betrogen?", fragte sie gefasst.
Wenn eine Frau dich so etwas fragt, weiß sie die Antwort bereits, und will dich nur tiefer in die Scheiße reiten. Er erwog kurz, zu lügen oder noch ein paar boshafte Worte loszuwerden, nur um den hübschen Mann zur Weißglut zur treiben, doch sein Arm und sein Kopf trieben ihn schließlich zur Vernunft. „Ich gestehe", begann er, und erinnerte sich an Ravans Geschichte in der Höhle von Isvangar. „Ich habe dich betrogen. Mit dem Schankmädchen. Mit irgendwelchen Weibern, die mir gerade über den Weg gelaufen sind. Mit allen Damen, die mir beim Vorbeilaufen gefallen haben. Mit Fürstinnen, Straßenhuren und Kaufmannsfrauen. Und ich habe dabei nicht einen einzigen Gedanken an dich verschwendet, weil du auch nur irgendein Weib bist. Ich habe tausenden Frauen gesagt, dass ich sie liebe, und ich habe tausend Frauen bewiesen, dass ich lüge. Denn das ist es was ich bin. Ein lügender, betrügerischer Bastard." Madrid grinste freudlos. Ravan wäre stolz auf meine Rede gewesen. „War es das, was du wissen wolltest, meine Königin?"
Roxane trat einen Schritt zurück. In ihrem Gesicht fochten Abscheu, Zorn, Enttäuschung und Erleichterung einen wilden Kampf aus, bis sie ihre Gefühle mit größter Mühe unter Kontrolle brachte. „Ja. Das wollte ich wissen. Danke, dass du mir die Augen geöffnet hast und mir gezeigt hast, dass die Welt finster und böse ist."
„Gern geschehen."
Silver setzte zum sprechen an, doch ein Pistolenschuss schnitt ihr das Wort ab. Madrids Drache brüllte auf, und jemand fluchte, nur um gurgelnd zum Schweigen gebracht zu werden. Ein Greif kreischte aufgeregt. Laute Schritte polterten auf dem Deck.
„Murdoch, sieh nach, was da los ist", befahl Silver, und der Minotaurus setzte sich in Bewegung.
Doch er kam nicht weit. Ein grauhaariger Mann, den Madrid als Raybeau erkannte, stürmte die morsche Treppe hinab und trat Murdoch gegen die Brust, sodass er wieder zurück auf die Planken fiel. Silver griff ihn an, und Raybeau parierte wild, einen Säbel in jeder Hand, und drängte die Kapitänin mühelos zurück. Mit einem schnellen Streich schnitt er ihr den Oberkörper auf, und Silver stolperte fluchend rückwärts. Raybeau sprang vor und schwang den Säbel erneut. Die Klinge beschrieb einen silbernen Bogen und zerschnitt Silver das Gesicht. Mit einem letzten schnellen Stoß rammte er ihr den Knauf auf die Stirn, und sie brach zusammen.
De Oros Schoßhund zog nun ebenfalls sein Schwert und stürzte sich auf den ehemaligen Kapitän, der einen schnellen Schritt zur Seite machte, sodass er hinter Madrids Stuhl stand. Er wehrte die Angriffe des dunkelhaarigen jungen Mannes ab, trieb ihn mit einem Kampfschrei zurück und durchtrennte Madrids Fesseln.
Madrid erhob sich und setzte zu einem Dank an, doch der Kapitän unterbrach ihn rau. „Verpisst Euch. Ich will nur Rache für mein Schiff. Eure Waffen sind draußen." Er reichte ihm ein Messer, das Madrid als eigenes erkannte, und stürzte sich wieder auf den Dunkelhaarigen.
Niemals hätte ich gedacht, dass er mich rettet. Nie im Leben. Er kann mich nicht ausstehen, und ich ihn nicht, eine gute alte Feindschaft, und umso seltsamer ist es, dass er mich nun aus den Klauen von Nicolas de Oro und seiner Begleitung befreit. Doch er schob seine Gedanken beiseite und konzentrierte sich auf den Weg vor sich. Der Minotaurus trat ihm in den Weg, doch er zog ihm das Messer quer über den Oberkörper, während der Krieger noch nach seinem Schwert griff. Brüllend fuhr der Minotaurus zurück.
Madrid schlüpfte an ihm vorbei, erreichte die Treppe und warf einen schnellen Blick zurück. Silver und der Minotaurus lagen auf den Planken, die Kapitänin rührte sich nicht, während das Blut über ihr Gesicht floss. Murdoch machte Anstalten, sich wieder zu erheben, doch er erblickte Silver und stockte noch in der Bewegung. Roxane und der Schönling waren nicht zu sehen.
Raybeau kämpfte gleichzeitig gegen den Dunkelhaarigen und De Oro. Seine Klingen wirbelten durch die Luft, schnell und doch genau, und Madrid wusste, dass er Schwierigkeiten hätte, den ehemaligen Kapitän im Schwertkampf zu besiegen. De Oro schien zwar nicht so sehr in Bedrängnis zu sein wie sein Gefolgsmann, doch auch er wusste sich nicht gegen alle Finten und Schläge zu wehren.
Mit einem entschlossenen Schwung stieß er dem Dunkelhaarigen einen Fuß in die Magengrube, sodass er würgend zurückwich. „Für meine Männer", knurrte er wütend, schmetterte De Oros Klinge beiseite und holte zum vernichtenden Schlag aus. Madrid holte Atem für eine Warnung, als plötzlich der Dunkelhaarige sich auf ihn stürzte und ihm das Schwert bis zum Heft in den Rücken rammte.
Raybeau stockte und hustete dunkles Blut. „Für die Leviathan", flüsterte er rau, und legte seine letzte Kraft in den Schlag auf De Oros Gesicht.
Madrid fluchte innerlich, wandte sich ab und lief. An Deck fand er seine Waffen, neben einem schwarzhaarigen Mann in einer Lache aus Blut, den er als einen Teil der Besatzung von Silvers Schiff wiedererkannte. Einhändig schnallte er sie sich um, steckte das Messer in die Scheide und wandte sich zu seinem Drachen, der neben einem weiteren Toten stand und geräuschvoll große Stücke aus der Leiche riss. Ein paar Cerebras standen in furchtsamer Entfernung um ihn herum und starrten ängstlich auf das Treiben. Ich muss hier weg, bevor die Stadtwache mich findet. Dann hänge ich wirklich noch. Vorsichtig kletterte er auf den Rücken des Drachen und wollte gerade nach den Zügeln greifen, als der Schönling nach ihm rief.
„Madrid Yarrow! Bleib stehen!"
Er fluchte und sah sich zu ihm um. „Was gibt es, Schönheit?"
Der Schönling trat mit gezogener Pistole auf ihn zu. „Runter von dem Drachen. Wir werden dich an den König übergeben. Damit du niemandem mehr etwas antun kannst, so wie du Roxane etwas angetan hast."
Madrid gestikulierte mit den Zügeln. „Verschwinde, Schönheit. Bleib bei deinesgleichen. Echte Männer sind zu stark für dich. Ist Roxane nicht eifersüchtig auf dein blendendes Aussehen? Gegen sich sieht sie aus wie eine tote Ratte."
„Bist du es?"
„Ich würde mich selbst ficken wollen, wenn ich so aussähe wie du. Leider bin ich daran interessiert, mir meinen Arsch noch ein paar Jahre zu erhalten, deswegen: nein, ich bin nicht eifersüchtig auf deine umwerfende Schönheit." Madrid tastete langsam nach seiner Pistole, bis er das kalte Holz unter seinen Fingern spürte. Geladen und gesichert.
Roxane lief auf den Mann zu. „Lass ihn gehen, Fair Johnny. Ich habe, was ich wollte. Er ist es nicht wert", sagte sie beschwichtigend, doch der Mann senkte seine Waffe nicht.
„Er wird für das bezahlen, was er dir angetan hat", zischte er.
Roxane biss sich auf die Lippe. „Lass ihn gehen."
Fair Johnny schob sich an ihr vorbei. „Runter von dem Drachen", beharrte er.
„Geh aus dem Weg", seufzte Madrid. Der Schmerz in seinem Arm machte ihn ungeduldig. Sein Drache riss ungehalten an den Zügeln, und Madrid hielt ihn mühsam auf der Stelle.
„Nein. Runter."
Schluss mit den Worten. Madrid riss die Pistole aus dem Gürtel, spannte sie und zielte. „Ich hatte gehofft, niemanden umbringen zu müssen. Aber jetzt reicht es mir." Noch bevor Fair Johnny reagieren konnte, drückte er ab.
Der Schönling taumelte, Roxane brüllte seinen Namen, während das Blut sein Hemd durchtränkte. Dumpf kam sein Körper auf dem Boden auf. Sie stürzte auf ihn zu und bedeckte sein Gesicht mit Küssen, während das Leben aus Fair Johnny schwand. Sie schluchzte einmal, dann legte sie den Kopf in den Nacken und schrie.
Madrid lief ein kalter Schauer über den Rücken. Ob sie auch so geschrien hat, als ich verschwunden bin? Ohne einen weiteren Gedanken an sie zu verschwenden, riss er seinen Drachen herum und ließ ihn angaloppieren. Cerebras stoben wie Staub unter seinen Krallen davon. So macht man das, Komarov. Zielen, schießen, töten. Ravan ist einmal um die Welt gesegelt, damit Komarov es versauen konnte. Hervorragend. Dennoch wusste er, dass er niemanden auf dreihundert Metern auch nur treffen konnte.
Sein Arm pochte mit jedem Sprung, den sein Drache machte. Was werde ich nun tun? Nach Diavolo Pueblo? Nein. Was soll ich noch dort tun? Meinen Auftraggeber vor der Hölle warnen, die über ihn hineinbrechen wird? Sie wird ihn so oder so finden. Wenn ich ihn warne, werde auch ich nicht unversehrt davonkommen. Am besten ist es, nach Norden zu gehen, und den Süden sich zu überlassen. Viele werden sterben, aber so werde ich wenigstens nicht einer von ihnen sein. Eric Fox tauchte in seinen Gedanken auf, und Madrid wusste, wo er hinkonnte. Felipe da Cunha. Wo die Fuchsbrüder auf mich warten. Ich werde wieder ein Söldner. Dort, wo man Kameradschaft noch schätzt, nicht wie bei diesen elenden Wölfen und ihren geldgierigen Träumen.
Entschlossen trieb er seinen Drachen an und warf einen Blick auf den schmalen Streifen Himmel, der zwischen den Häuserwänden zu erkennen war, gleißend blau zwischen den orangefarben glühenden Lehmwänden. Dunkle Flecken durchkreuzten ihn, zu groß für gewöhnliche Vögel. Es wird schwer, all den Greifenreitern zu entkommen, die man zu unseren Ehren entsandt hat. Aber was sollen Greife schon gegen einen Drachen ausrichten?
Mit einem neuen Ziel schlug er den Weg zum Stadttor ein. Roxanes gellender Schrei begleitete ihn die Straßen hinab, und er meinte, ihn noch zu hören, als er längst über die Outlands hinweg nach Norden flog.
~ ~ ~
Der arme, arme Fair Johnny. Und die arme Roxane. Bin ich gemein? Böse? Finster? Miss R R Martin (danke, Nikal00!), mörderisch und unaufhaltsam? JA? Danke.
Ich muss zugeben, dass ich jedes mal lache wie ein Psychopath, wenn ich dieses Kapitel lese. Und das allein, weil ich auf eure Reaktionen warte. Es ist zu köstlich. Johnny töten, als ich Liebesgechichte eröffnet habe. Ihn verschonen. Mich an eurer neu erwachten Hoffnung ergötzen. Und ihn dann grausam zu ermorden. Durch den Mann, den einige von euch hassen wie die braune Pest (DU weißt, dass ich DICH meine!).
Also nun... Sagt mir! Wie groß ist euer Hass? Eure Trauer? Euer Entsetzen? Sprecht!
*theatralische Verbeugung* Es ist mir ein Vergnügen.
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