60. Der Zarenmörder
Not coming back, I have no doubt
My time is done, I am checking out, I AM FREE!
- Turisas, Into the Free
Ravan hob langsam die Fackel und trat auf die atmende Gestalt vor ihm zu. Ketten klirrten, als der Mann in den Schatten sich bewegte.
Das erste, das Ravan sah, waren seine Augen. Blau und orangefarben glühten sie im Feuerschein. Das Licht der Fackel glitt über muskulöse Arme und Beine, die mit kurzen Ketten an der Wand fixiert worden waren. Weißes Fell, gelbschimmernd im Halbdunkel, bedeckte seinen Körper, lang und strähnig am Hinterkopf, struppig an Schultern, Rücken, Kinn und Brust, kurz an Armen, Beinen und im Gesicht. Eine dunkle, eisverkrustete Hose und ein zerrissenes Hemd bildeten die Überreste seiner Kleidung, die wohl einst in einem viel besseren Zustand gewesen war. Eine Narbe zog sich von seinem Auge bis zu seinem Mundwinkel, und gab ihm den Anschein eines stetigen, verächtlichen Lächelns.
Ravan konnte nicht verhindern, dass eine eigenartige Aufregung ihn ergriff. Da bin ich nun, stehe vor dem Mann, der das Werkzeug zu meinen Zielen sein wird. Eine der größten Hürden ist getan. Ich bin in den Norden gesegelt, wie die Rhymers es mir rieten, und habe den letzten lebendigen Königsmörder gefunden. Trotz seiner Erregung war seine Stimme ruhig. Allein sein Atem ging schnell. Ob vor Aufregung wegen dem, was hinter ihm lag, oder wegen seiner baldigen Flucht, konnte er nicht sagen. „Ihr seid also der, den ich gesucht habe", raunte er leise. Hoffentlich spricht er die Sprache des Südens.
Der Eiswolf hob den Kopf. Sein Akzent war hart wie Granit. „Warum habt Ihr nach mir gesucht? Sie haben mich doch längst gefunden. Sie fanden mich und brachten mich hierher."
„Ich weiß um Eure Geschichte, Master Komarov, und ich muss Euch gratulieren. Ihr habt eine bedeutende Fähigkeit, die mir sehr zugute käme." Ravan grinste innerlich selbst über seine Wortwahl. Oh, ich liebe die Rolle des fiesen Wolfslords aus dem Süden. Zwar mag es lächerlich sein, dass ich nun einen schimmeligen Mantel trage statt einem Gehrock aus Brokat, doch der Effekt dürfte der gleiche sein. Vielleicht nicht ganz.
Komarov legte den Kopf schief. „Was für eine Fähigkeit meint Ihr?", fragte er misstrauisch.
„Töten."
Komarov bedachte ihn mit einem zutiefst skeptischen Blick.
Ravan steckte die Fackel in eine Halterung an der Wand. „Ich meine es ernst, Master Komarov. Ihr habt den Zar von Isvangar getötet, mit einer Leichtigkeit, von der ich bisher nur selten gehört habe. Danach seid Ihr fast zwei Jahre durch den Eisigen Norden geflohen, klug genug, um nach Corvangar zu gehen, das Land, das alle Wölfe hassen."
Komarov stieß ein wütendes Knurren aus.
Ravan überging es. „Der Zar musste zu Hilfe aus dem Süden greifen, um euch zu fassen, denn nur sie können im Eisigen Norden über die Grenzen springen, wie es ihnen gerade passt."
Komarov unterbrach ihn barsch. „Was genau wollt Ihr von mir, und meiner Fähigkeit?"
„Ich will, dass Ihr Euer Kunststück noch einmal wiederholt."
Der Eiswolf legte den Kopf schief. „Ich soll Kirill Danarov töten? Warum? Was kümmert es Euch, einen Südländer", das Wort spuckte er mir genug Verachtung aus, um Raybau Konkurrenz zu machen, „wer auf dem Eisigen Thron von Isvangar sitzt?"
„Da habt Ihr recht, es interessiert mich nicht im Geringsten, wer Isvangar regiert und auf neuem die ewigen kleinen Streitereien gegen die Vintas anführt."
Wieder glühten Komarovs Augen golden vor Hass, als Ravan die Schneeleoparden erwähnte. Es wird wirklich ein Höllenspaß, ihn auf Sveracssons Schiff zu bringen. Trotzdem fuhr er unbeirrt fort. „Nein, mich interessiert ein anderes Land, ein anderer Kontinent. Größer und reicher als diese Einöde, die Wölfe und Schneeleoparden ihr Zuhause nennen. Mein Ziel sind die Kriegerstaaten."
„Die Kriegerstaaten", wiederholte Komarov.
„Ich will, dass Ihr Palaimon Castillo tötet, den König von Abisyala."
„Warum?"
„Für Blut und Gold, mehr braucht Ihr vorerst nicht zu wissen."
„Warum?", drängte Komarov. „Ich habe genug von blindem Vertrauen. Ihr wollt meine Hilfe. Sagt mir, warum Ihr den König töten wollt."
Ravan seufzte, um sein Unwohlsein zu überspielen. Mit dem Kerl ist wirklich nicht zu spaßen. „Er ist die letzte Person, die die Staaten noch in ihrem Zustand hält. Pantheras und Dracones fauchen sich über die Grenze hinweg an, und auch die Kriegerpferde und die Minotauren lassen auf dem Meer die Muskeln spielen. Palaimon hält den Frieden, denn niemand will sich ihm stellen. Und das müssten sie, falls ein Krieg ausbrechen würde, denn im Fall einer Auseinandersetzung würde er sofort eingreifen und umgehend wieder für Frieden sorgen. Er ist klug und weiß zu viel über die Politik und Kriegführung, als dass man ihn hintergehen oder gar besiegen könnte. Sein Volk liebt ihn. Doch wenn er sterben würde, durch die Hand eines einzelnen Attentäters", Ravan machte eine bedeutungsvolle Pause, „wäre sein Bruder an der Macht. Und Sekander Castillo ist ein wahrer Krieger. Zu viel Temperament, zu viel Muskeln, zu wenig Hirn." Genau wie Mackerel Stanraer. Mit ihm macht ein Krieg auch richtig Spaß. „Jede kleine Beleidigung eines Gegners würde ihn zu den Waffen greifen lassen, und so würden sich alle Länder nacheinander an die Kehle gehen. Die Zentauren greifen die Grenzen von Abisyala an, die meraconischen Völker versuchen wieder einmal, ihre Religion auf dem Kontinent zu verbreiten, die Minotauren wärmen eine alte Erbfeindschaft mit den Kriegerpferden auf, und schon hätten wir ein Inferno, das alles um sich verschlingt."
„Und was, Südländer, habt Ihr davon? Ein Mensch, der einen Krieg im Süden auslösen will? Die Kriegerstaaten sind mit den Vereinigten Königreichen verbündet. Was nützt Euch ein Krieg Eurer Verbündeter?" Komarov war interessiert, das könnte er hören. Doch offensichtlich war er nicht gewillt, einem Wahnsinnigen zu folgen.
„Was lässt Euch denken, ich sei ein Mensch?" Ravan spürte seinen Stolz über die Bruderschaft. „Es gibt noch andere Länder auf dieser Welt, weit entfernt von hier, südlich von Darquir. Vor dort komme ich."
Komarov schien nicht beeindruckt. Eher berechnend. „Ich habe von einem Kontinent im Süden gehört. Seid Ihr ein Feind der Krieger?"
„Nein. Wir sind weder Freunde noch Feinde. Die wenigsten wissen, dass wir existieren, noch weniger interessieren sich für uns, und noch weniger wissen, womit wir unser Gold verdienen."
Komarovs Schweigen war fast erwartungsvoll.
„Wir handeln mit Waffen, Drogen und Sklaven. Mag der exzessive Handel mit diesen Dingen verboten sein – uns kümmert das nicht. Doch mit einem Krieg hätten wir eine Nachfrage für unser Angebot, eine solche Nachfrage, dass wir sie mit Freuden erfüllen können. Wir wären reich wie die Götter und würden in Gold ertrinken."
„Wer sind wir?", hakte Komarov nach.
„Wir sind die Herren des Südens. Die Wölfe der Jagd. Die Bruderschaft des Lykaon." Beinahe erwartete Ravan den Wirbel der Trommeln, die vor den Jagdfesten erklang, wenn er seine Hatzrede mit diesen Worten beendete.
Doch stattdessen erklang nur das leise Klirren der Ketten, als Komarov sich bewegte. Der Eiswolf lachte heiser. „Ihr wollt ein Wolf sein? Ihr glaubt, ein Tier auf einem Banner macht Euch zu einem Wolf, oder gar Euer grausames Verhalten? Ihr seid nicht wölfischer als ein Vintas." Er spuckte in den Dreck.
Ravan verdrehte die Augen. Unser Banner zeigt nicht mal einen Wolf. Du wirst schon noch sehen, warum man uns Wölfe nennt, du elender Köter. Statt einer unfreundlichen Antwort lächelte er falsch. „Master Komarov, Ihr mögt mir glauben oder nicht, doch wir sind uns ähnlicher, als Ihr denkt. Was sagt Ihr zu meinem Angebot?"
Komarov legte wieder den Kopf schief. „Es ist einfach, einen König zu töten. Sie sterben genauso wie alle anderen auch. Warum ich? Warum braucht es meine Fähigkeiten", wieder eisige Verachtung in seiner Stimme, „um diesen Palaimon zu töten?"
„Weil es gelingen muss, um jeden Preis. Sonst ist die Bruderschaft dem Untergang geweiht." Und Ihr auch, falls Ihr für das Misslingen meines Unterfangens verantwortlich seid.
Der Eiswolf knurrte und zerrte an seinen Fesseln. „Ihr gebt mir eine Menge Aufgaben und hässliche Versprechen. Warum sollte ich das tun?"
Ravan breitete die Arme aus. „Ich schenke Euch die Freiheit. Ich hole Euch aus diesem Loch, das sich Gefängnis schimpft. Und wenn Ihr erfüllt habt, was ich Euch auftrage, seid Ihr frei, frei zu tun, was immer Ihr wollt. Ich gebe Euch auch Gold dazu, wenn Ihr es verlangt."
Komarov blieb skeptisch. „Dies ist das Weiße Fort. Ihr seid mit Danarovs Welpen angereist. Er und seine Soldaten sind nicht weit entfernt. Es ist kaum möglich, hier auszubrechen."
„Glaubt Ihr, Ich hätte nicht ein halbes Jahr auf See verbracht, für ein Fort, aus dem man nicht ausbrechen kann? Es gibt immer einen Weg." Ravan knurrte ungeduldig. Sturer Hurensohn. Ich hätte nicht auf die Rhymers hören sollen.
Komarov ballte die Hände zu Fäusten. „Diese Zelle ist abgeschlossen. Holt uns hier raus. Wenn ihr es schafft, folge ich Euch."
Was für eine billige Prüfung. Ravan wusste längst, wie er die Zelle wieder verlassen würde. „Nun gut. Gleich wird hier die Hölle losbrechen, deswegen würde ich hier und jetzt gerne ein paar Angelegenheiten klären, die uns auf unserer Flucht nicht im Weg stehen dürfen."
Komarov starrte ihn nur schweigend an, doch Ravan hörte, wie schnell sei Atem ging.
„Erstens, Ihr stellt meine Helfer nicht infrage. Ihr werdet sie weder mögen noch werden sie Euch mögen, doch sie gehorchen meinen Befehlen, und solange Ihr sie nicht angreift, werden sie es kaum wagen, Euch auch nur ein Haar zu krümmen. Deswegen, egal wer es sein wird, der uns aus diesem Gefängnis hilft, folgt ihm."
Der Gefangene bedachte ihn mit einem so argwöhnischen Blick, dass Ravan fast um sein Leben fürchtete. Wenn ich ihm sage, dass meine Verbündeten ein Fuchsbruder und ein Vintas sind, lehnt er meinen Vorschlag ab, und wir sind verloren.
Trotzdem fuhr er fort. „Zweitens, Ihr versucht niemals, mich oder einen meiner Helfer umzubringen, bis Ihr aus meinen Diensten entlassen seid, sprich, wenn der König tot ist. Ich brauche jede einzelne Hand, und falls Ihr diesen Befehl nicht beachtet, werde ich eine Möglichkeit finden, um es Euch heimzuzahlen. Auch aus dem Grab. Unterschätzt mich nicht." Oh, wie er mit sanfter Stimme ausgesprochene Drohungen liebte. „Ihr werdet eine Waffe Eurer Wahl bekommen. Ich habe gehört, Ihr seid ein Mann der Armbrust?"
Komarovs Augen waren ihm Antwort genug. Sie schimmerten vor Mordhunger.
„In meinen Satteltaschen ist eine. Sie ist Euer, aber untersteht Euch, sie gegen mich oder meine Verbündeten einzusetzen."
Der Eiswolf rührte sich nicht, sondern sah ihn nur aus seinen ungleichen Augen an.
„Drittens, es mag Euch schwerfallen, aber vertraut meinen Befehlen. Ich weiß, was ich tue." Meistens zumindest. „Wir werden diese Zelle verlassen, in die Richtung der Halle, wo wir unsere Einhörner angebunden haben. Ihr werdet meines bekommen, ich werde es nicht brauchen. Auf der Strecke dorthin werden wir auf meinen Kameraden treffen, und mit ihm fliehen. Wenn Ihr ihn seht, greift Ihr ihn weder an, noch lasst Ihr Euch von ihm aus jeglicher Kontrolle bringen. Folgt ihm einfach."
Komarovs Augen glühten vor Tatendrang, doch sein Misstrauen war deutlich zu sehen. „Wer ist dieser Mann?", fragte er schließlich.
Ravan antwortete nicht, sondern gab dem Wachmann vor der Tür das Zeichen und ließ sich dann im Schneidersitz auf dem eisigen Boden nieder. Er zog einen schmalen Dolch aus seiner Kleidung hervor und versteckte ihn sorgfältig in den Falten seines weiten, nach Fisch stinkenden Mantels.
Für einen entsetzlichen Moment geschah nichts, und Ravan fürchtete, der Mann sei einfach verschwunden, doch dann waren die Schlüssel und das Knirschen der stählernen Riegel zu hören, und die Tür öffnete sich mit einem widerlichen Kreischen.
„Kommt Ihr, Master?", fragte der Wolf.
„Master Soldat, mögt Ihr mir bitte aufhelfen? Ich bin diese verfluchte Kälte nicht gewohnt, und jetzt bin ich vom Sitzen auf diesem Boden ganz eingefroren", jammerte Ravan blasiert. Der Griff des Dolches erwärmte sich langsam in seinen leichenkalten Fingern.
Der Wachmann stieß ein gereiztes Seufzen aus und betrat die Zelle. Mürrisch hielt er Ravan die Hand hin.
Der Lykaner ergriff sie, zog sich hoch und stieß ihm in der selben Bewegung die Klinge in den Hals. Der Mann zuckte zurück und wollte schreien, doch aus seinem geöffneten Maul drang nur ein gurgelndes Röcheln. Ravan rammte ihm den Dolch ins Auge, und sein Keuchen verstummte. Seine Leiche sackte dumpf auf dem Gestein zusammen.
Ravan wischte die Waffe an dem dicken Mantel des Mannes ab. Außer dem Stilett hatte er keine anderen Waffen bei sich, sie lagen in den Satteltaschen seines Einhorns. Doch er brauchte sie nicht.
Der Wachmann hatte ein rostiges Schwert im Gürtel stecken, kaum mehr ein großes Messer. Ravan nahm es und legte es zur Seite. Er befreite die Schlüssel aus der verkrampften, totenstarren Hand und wog sie in seiner.
Komarov starrte gierig auf die metallenen Stäbe. Sein Körper war gespannt wie eine Feder.
Ravan schloss die Tür und senkte die Stimme. „Master Komarov, wenn ich Euch befreit habe, nehmt Ihr meinen Mantel und zieht ihn an. Ich werde meine Sachen nicht brauchen, bis wir einen Unterschlupf gefunden haben. Meine restliche Kleidung nehmt Ihr mit zu den Einhörnern. Verliert nichts davon. Und wenn Ihr die Möglichkeit habt, Sergej Danarov zu ergreifen und ihn als Geisel zu nehmen oder auf ihn zu schießen, dann tut es. Tötet ihn nicht, aber richtet es so ein, dass seine Verletzung ihn und die anderen Soldaten aufhält. Habt Ihr meine Forderungen verstanden?"
„Aye. Wie ist Euer Name?"
„Ravan Darnovey."
Komarov nickte, und Ravan machte sich ans Werk. Er legte seine Kleidung ab, bis auf eine dünne Kniehose des Herzogs von Ranon, die er unter seinen gefütterten Lederhosen trug. Die Kälte kroch durch seine ohnehin schon gefrorenen Füße und ließ ihn schaudern. Mit zitternden Fingern griff er nach dem Schlüsselbund und begann, Komarov zu befreien. Zuerst die Ketten an den Füßen, dann die an den Handgelenken.
Als der Eiswolf frei war, trat Ravan einen schnellen Schritt zurück, in der Erwartung eines Angriffs. Doch er blieb aus. Komarov starrte ihn nur stumm an.
„Beeilung, es wird nicht lange unentdeckt bleiben, dass er hier", Ravan stieß den Toten mit seinem gefühllosen Fuß an, „verschwunden ist."
Komarov ließ die Schultern kreisen, bedachte Ravan mit einem verächtlichen Blick und schlüpfte in Ravans Mäntel. Den Toten erleichterte er um seine Hose und die Stiefel, die er sich ebenfalls überzog. Ravans restliche Kleidung verknotete er zu einem praktischen Bündel und schlang es sich um die Schultern. „Was macht Ihr jetzt? Nackt den Wachen gegenübertreten?" Die Verachtung in einer Stimme ließ keinen Zweifel daran, für wie verrückt er Ravan hielt.
Der Lykaner ignorierte ihn und lauschte auf das Heulen des Wolfes in ihm. Er strich an den Grenzen des Abgrunds entlang und spürte die Wärme, die ihn erfüllte. Fell jagte über seine Haut, braungrau, fast schwarz in der Dunkelheit, mit goldenen Feuerreflektionen. Für einen Moment genoss er das Gefühl der Zwischenwelt, schwebend über dem Abgrund, dann gab er dem Sog nach. Knochen sprangen an andere Orte, verkürzten sich, streckten sich an anderen Stellen. Sein Knurren ließ die Zelle erbeben. Als er auf alle viere fiel, landete er auf Pranken. Seine Krallen scharrten über das Gestein. Als der Geruch des Blutes seine Nase erreichte, schauderte er zum ersten Mal seit langem nicht wegen der Kälte.
Komarov schien gänzlich unbeeindruckt, das einzige Anzeichen seines Unwohlseins war das Messer des toten Wachmanns, das er an sich genommen hatte und nun kampfbereit hielt. Er murmelte etwas, das Ravan nicht verstand, selbst dann nicht, als die Worte nach einem Augenblick sein Gehirn erreichten. Es war wohl ein Fluch in der Sprache des Nordens.
Ravan knurrte auffordernd und stieß die Tür auf. Schritte hinter ihm verrieten, dass Komarov ihm folgte. Er sah sich um. Niemand war zu sehen. Leise sog er die eisige Luft in seine Lungen, atmete wieder aus, wieder ein. Dann heulte er.
Der Ton durchdrang Stein und Eis wie das Geschrei der Einhörner, ein Schrei voller Hunger und Blutdurst, und ließ die Mauern erzittern.
Die Welt stockte, und lief wieder an, als Ravan schnelle Schritte hörten, die sich rasch näherten. Dann rannte er los, Komarov folgte ihm, das rostige Messer erhoben.
Sie kamen keine dreißig Meter weit. Hinter der ersten Abzweigung wartete der erste Soldatentrupp auf sie. Sechs Männer. Alle bewaffnet mit Bagatarn und Schwertern. Ravan sprang einem von ihnen an die Kehle und zerfetzte einem zweiten das Gesicht, während Komarov das Bagatar der Leiche an sich nahm und mit beeindruckender Präzision die anderen tötete. Einer nach dem anderen fiel unter seinen Schlägen.
Weitere Soldaten begegneten ihnen, flogen an ihnen vorbei wie Schlieren aus Blut und Tod. Zuerst dachte Ravan, er erinnere sich an den Weg, doch als Komarov ihn barsch in eine andere Richtung wies, die er schließlich als die richtige erkannte, überließ er dem Eiswolf die Führung in die Halle. Er musste ihn hunderte Male gegangen sein.
Ein einzelner Soldat rannte ihnen entgegen, das Schwert mit Blut verschmiert, das Gesicht unter einer Kapuze verborgen. Ravan krümmte sich zusammen und wollte ihn angreifen, als der Mann die Kapuze herunterriss. Schmutziges blondes Haar und ein struppiger Bart über einem menschlichen Gesicht statt die Schnauze eines Wolfes. Ravan erinnerte sich vage an den Namen des Mannes. Bastard.
Der Söldner sagte etwas Wütendes, und Ravan trieb den Wolf gerade genug zurück, um ihn zu verstehen.
„Was für eine Schande, dass ich dich nicht hier und jetzt umbringen darf."
Komarov schwieg, seine Hand verkrampfte sich um den Griff des Bagatar. Doch kein Wort des Spotts, kein Laut der Beschwerde drang über seine Lippen.
„Halt... Klappe, Bastard", keuchte Ravan. „Führ uns... Raus."
Bastard warf einen letzten hasserfüllten Blick auf Komarov, dann wandte er sich um und lief los. Ravan knurrte den Eiswolf warnend an, als dieser seine Waffe hob, und Komarov beließ es bei einem zornigen Zähnefletschen.
Tatzen und Stiefel polterten über das eisige Gestein. Auf dem Weg zu der Zelle war Ravan öfter ausgerutscht, als er zählen konnte, doch seine Wolfspranken trugen ihn sicher über das Glatteis. Sie rannten an der Tür vorbei, in der Ivan ihn, Bastard und Sergej empfangen hatte, und erreichten die Halle. Die Einhörner witterten das Blut an den Waffen und schrien ihren Hunger heraus.
Dort, mitten in dem Saal standen Sergej und Ivan. Die sorgenvolle Miene des Prinzen verwandelte sich in ein hasserfülltes Knurren, als er Komarov entdeckte, und Zarensohn und Hauptmann griffen synchron zu den Waffen.
Ravan warf sich auf Ivan. Der Eiswolf stolperte und fiel. Ravan roch Alkohol in seinem Atem, bevor er ihm die Kehle herausriss.
Bastard kreuzte die Klingen mit Sergej, der ihm wüste Beschimpfungen an den Kopf warf und unter seinem Zorn kaum zu kämpfen vermochte. Doch der Söldner wehrte sich nur halbherzig gegen die Attacken.
Plötzlich ertönte ein Horn, dröhnte donnernd durch die Festung und ließ das Eis erbeben. Draußen stimmte ein Einhorn ein, dann ein zweites, schließlich immer mehr, bis sich ihr Heulen wie ein vielstimmiger Klagegesang unter das Knurren des Horns legte.
Sergej hielt inne und lauschte.
Komarov zögerte keine Sekunde. Er packte Sergej und drückte ihm das Messer an die Kehle. Heiser flüsterte er eine Drohung, und der Prinz ließ sein Schwert fallen. Offenbar fürchtete sich selbst der furchtlose junge Erbe Isvangars vor dem Mann, der seinen Großvater getötet hatte. Der Zarenmörder warf einen kurzen Blick zu Ravan, der nervös durch die Halle strich.
Doch statt ihm übernahm Bastard die Führung. Mit einer hastigen Geste wies er auf die Einhörner, die außer sich vor Hunger bockten und jaulten. Ravan trieb seine Begleiter grollend zur Eile an. Der Söldner gab Komarov eine kurze Anweisung, und der Eiswolf nickte widerwillig.
Komarov zerrte den Prinzen vor sich auf sein Einhorn und gab dem Tier die Sporen. Bastard und Ravan folgten ihm, aus der Halle in den eisigen Steinbruch. Wachen mit angelegten Armbrüsten und kampfbereiten Bagatarn bildeten einen Halbkreis um den Ausgang.
Bastard begann, etwas zu rufen, und Ravan bemühte sich, es zu verstehen. Knurrend trabte er um die tänzelnden Einhörner seiner Kameraden.
Bastard riss hart an den Zügeln. Sein Einhorn erhob sich auf die Hinterbeine, krachend berührten die stahlbeschlagenen Hufe wieder das Eis. „Wir haben euren Prinzen!", rief er, der Wind trug seine Stimme. „Folgt uns, und er wird sterben. Sucht nach uns, und er wird sterben. Ihr kennt diesen Mann", er wies auf Komarov, der nach wie vor sein Messer an Sergejs Kehle presste, „und zu was er fähig ist. Er wird kaum zögern, ein weiteres Mitglied der Zarenfamilie zu töten." Er ließ die Worte bedeutungsvoll im Kessel hängen, wo sie verhallten wie Nebel. „Und jetzt öffnet das Tor!"
„Nein, nicht!", rief Sergej, doch Komarov brachte ihn mit einem Zischen zum Schweigen.
Die Eiswölfe schienen unschlüssig, bis Komarov dem Prinzen das Messer über die Kehle zog und eine dünne rote Linie im hellgrauen Fell entstand. Er brüllte ein heiseres Wort, sein Einhorn scheute zu Seite, doch er brachte es einhändig wieder unter Kontrolle.
Seine Drohung zeigte Wirkung. In den Augen der Eiswölfe glühte der Hass, als sie die schwere Stahltür öffneten. Sergej sah sie flehend an, doch die anderen Wölfe schienen seinen Blicken auszuweichen. Niemand unternahm einen Versuch, einen der drei Männer aufzuhalten.
Kaum war das Tor offen, stürmten sie voran. Bastard und Komarov ließen die Zügel schießen und die Einhörner galoppierten los, Ravan auf den Fersen. Die Mauern des Weißen Forts blieben hinter ihnen zurück und verschmolzen mit dem ewigen Weiß Isvangars.
Bastard rief wieder etwas, und Komarov verstand. Einer der Befehle Ravans, die der Söldner weitergab. Komarov nahm das Messer vom Hals des Prinzen, der eine Drohung ausstieß. Sie verklang ungehört im Wind.
Der Zarenmörder versetzte Sergej einen Stoß. Er kippte seitlich vom Pferd und landete mit einem widerlichen Geräusch auf dem Eis. Noch im selben Moment riss Komarov die Armbrust aus der Satteltasche, lud und spannte sie.
Hinter ihnen erhob Sergej sich mit verzerrtem Gesicht aus dem Eisstaub, Ravan sah ihn aus den Augenwinkeln.
Komarov wandte sich blitzschnell im Sattel um, zielte und drückte ab.
Sergej fiel erneut. Diesmal stand er nicht wieder auf.
Komarov hängte sich die Armbrust um und rammte seinem Einhorn die Hacken in die Seiten.
Ravan preschte neben ihm und Bastard her, und zum ersten Mal seit Wochen war ihm warm. Es war nicht nur die Hitze seiner Wolfsgestalt, die ihn wärmte. Sondern auch die heiße Glut des Triumphs.
* * *
Das Kapitel, auf das alle gewartet haben! Hier habt ihr die Lösung zu meinem Cliffhanger. Ihr könnt sicher verstehen, warum ich bei "Hölle aus Eis" einen Cliffhanger einbauen musste, es war einfach zu verlockend... Freue mich immer noch diebisch über eure Reaktionen ;)
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