59. Eine finstere Welt
My arms aching, back's breaking, legs aching, neck
And this whole ruddy ship is a huge creaking wreck.
We've flown ten thousand miles with this thorn in our sides
Though the wind's steady, strong with no clouds in the skies
- Abney Park, Aether Shanties
„Und nun zu dir." Morgaines Tonfall war mühsam beherrscht.
Nicolas wandte sich direkt an Roxane. „Ro... Miss Blackheart, es tut mir leid, was ich Euch angetan habe. Ich war nicht..."
Roxane unterbrach ihn. Er soll sich bei Fair Johnny entschuldigen. „Nicht ich bin für Eure Absolution zuständig", sagte sie steif. „Und nichts kann entschuldigen, was die Männer mir auf Euren Befehl hin antun wollten."
Morgaine nickte anerkennend zu Roxane und betrachtete Nicolas, der in seiner Zelle zurückgeblieben war, und sie nun erwartungsvoll und bittend ansah. „Götter und Geister. Wenn sie es mir einfach gesagt hätten, dann hätte ich ihnen recht gegeben, denn auch ich werde keine Sekunde mehr an Darnovey verschwenden." Sie atmete tief durch. „Im Grunde genommen haben sie ihr Ziel erreicht. Die Jagd ist vorbei. Wir segeln nach Süden."
Nicolas sprang auf. „Morgaine, die Jagd muss nicht vorbei sein. Darnovey wird ebenfalls nach Süden segeln. Er wird nach Imarad reisen wollen, und das wird er nicht auf dem Landweg tun. Wir können ihn abpassen und versenken!"
Morgaine knurrte unmenschlich. „Schweig. Halt einfach dein Maul. Wir werden gar nichts mehr tun, um ihn zu fassen. Nichts, hast du mich verstanden?"
Roxane holte Luft und nahm ihren Mut zusammen. „Und Madrid? Würden wir etwas tun, um Madrid Yarrow zu fassen?"
Morgaine erstarrte. „Nein, Roxane. Die Jagd ist vorbei. Wir werden niemanden mehr jagen. Nicht Darnovey, soll er doch den König töten, und auch nicht den Bastard, und wenn er noch tausende Herzen in seinem verfluchten Leben bricht. Was kümmert es mich."
„Sie mögen dich nicht interessieren, aber ich bin von Belang, oder?" Roxane sah Morgaine fest an. „Bitte. Für mich."
„Nein, Roxane."
„Bitte. Morgaine", mischte sich auch Nicolas ein. „Wenn wir Darnovey auflauern und gefangennehmen..."
„Für dich immer noch Captain Silver. Sind wir jetzt zu Gefangenen zurückgekehrt? Zuletzt war Abschlachten deine Lieblingsbeschäftigung", höhnte Morgaine.
„Ich war nicht bei Sinnen. Was ich getan habe, war falsch, das weiß ich. Ich kann es nicht wieder gut machen, und auch das weiß ich. Ich würde dich nie wieder um etwas bitten, wenn ich nicht müsste, aber das ist meine Pflicht. Wir müssen die Zivilisation in Darquir retten, bevor Darnovey alles in Chaos stürzt. Bitte, Mor... Captain Silver."
Roxane sah Morgaine flehend an, während sie beide mit wütenden Blicken bedachte.
„Es hat seine Schönheit, euch beide förmlich im Schlamm knien zu sehen, nur damit ich eure Wünsche erfülle", knurrte sie. „Schön. Ich werde mich auf den Weg nach Süden machen, und ich werde euch dabei helfen, eure heiß ersehnte Rache zu bekommen. Aber."
Nicolas und Roxane starrten sie an. „Aber?", flüsterte Roxane zaghaft.
„Ich werde Nicolas auspeitschen für seine Untaten. Zwanzig Schläge auf den bloßen Rücken."
„Morgaine", hob Roxane an, „das ist übertrieben, du weißt, dass er mir nichts bedeutet, aber zwanzig Schläge?" Ich weiß nichts über Peitschenhiebe. Aber da selbst ein versehentlicher Schlag mit einem Seil wehtut, wie sind dann zwanzig mit voller Wucht?
„Das sind meine Bedingungen. Du kannst in Dalcaster an Land gehen, Nicolas, und ich werde nie wieder auch nur eine Sekunde an dich verschwenden. Heuer an einem anderen Schiff an und versuche sie von deiner noblen Quest zu überzeugen. Es wird dir beeindruckend schwer fallen, denn niemand wird dir auch nur ansatzweise Glauben schenken. Ein Lord aus dem Süden? Jemand will einen Krieg in Darquir auslösen? Sie werden dich nur für einen Spinner halten. Oder du siehst von jeglicher Jagd ab. Wir segeln nach Crusadia zurück, ich liefere dich unverletzt auf deiner Lieblingsinsel ab und wir sprechen nie wieder ein Wort miteinander. Nebenbei können wir uns den Krieg ansehen und wetten, welches Land am längsten die Oberhand behält. Ich würde auf Subat tippen. Oder du lässt dich von mir und Murdoch auspeitschen und ich erfülle dir deinen letzten Wunsch."
Roxane starrte Nicolas an, der schwer schluckte. Trotzdem überlegte er nicht lange. „Ich werde meine Strafe annehmen. Ich... habe es verdient."
„Schön, einfach wunderbar." Morgaines Lächeln war wie Gift. Mit beherrschten Bewegungen schloss sie die Zelle auf. „Dann vorwärts, deinem Verderben entgegen."
Nicolas ging langsam an ihr vorbei und erwiderte ausdruckslos ihr boshaftes Lächeln.
Morgaine nahm die Laterne vom Haken und folgte ihm. „Oh, wie ich mich darauf freue, seinen hübschen Rücken in ansehnliche Fetzen zu reißen."
Roxane ging hinter ihr her und schloss auf. „Warum war ich dabei?"
„Mittlerweile bereue ich es. Ohne dich hätte ich keine Probleme mehr", grollte sie.
Roxane schwieg kurz. „Was wird mit ihm passieren?", fragte sie.
„Ich werde ihn auspeitschen. Du wirst nicht dabei sein, obwohl der Steinerne Joe wirklich gerne dein Erbrochenes aufwischen würde. Danach wird Rockey ihn wieder zusammenflicken, er wird ein paar Tage lang unpässlich sein und vor sich hinjammern, und dann ist er wieder ganz der Alte, zu unserem Leidwesen."
Die kalte Nordsonne blendete sie, als sie an Deck trat. Im Westen war ein buckliges Band über dem grauen Meer zu erkennen: die Küste von Murnersshire. Der ewige Wind schnitt ihr in die Kleidung, und sie schauderte. Zwar hatte sie sich ein paar andere Kleidungsstücke angesammelt, seit sie aufgebrochen war, ein Paar Handschuhe, eine kratzige Wolljacke, die einst Morgaine gehört hatte, und ein viel zu großer Umhang aus Ölzeug, der bestialisch nach totem Tier roch, doch am liebsten mochte sie immer noch Ben Grays ausgeblichene rote Jacke. Fröstelnd wickelte sie sich enger in den schweren Stoff. Zwar wurde es jeden Tag etwas wärmer, doch sie fror immer noch.
Murdoch trat auf die drei zu. „Was will er hier? Ich dachte, du willst ihn verrotten lassen, Captain", brummte der Minotaurus und nickte zu Nicolas.
„Das will ich auch. Aber ich habe ihn vor eine Wahl gestellt, und man muss eines Mannes lächerliche Entscheidungen respektieren. Ich peitsche ihn aus, und wir segeln... wohin?"
„Vor die Küste Abisyalas. In die Gegend, die am nächsten an Caldera ist", antwortete Nicolas.
„In die Gewässer vor Arare. Dort sollen wir Darnovey aufhalten, in Gewahrsam nehmen und dann segeln wir glücklich nach Hause. Verstanden?"
Murdoch schwieg mürrisch und nickte.
„Haben die anderen Männer sich auf ihren neuen Positionen eingefunden?"
„Der Eiserne Joe hat versucht, Befehle zu geben, niemand hat ihm gehorcht, und er hat sich erinnert, wer er nun ist."
„Was ist mit Dibah?"
„Wir haben ihn in Segeltuch eingenäht und beschwert. Wir müssen ihn nur noch über Bord werfen und die Worte sprechen."
„So viel, worüber ich mich freuen kann. Eisenjoe, Steinjoe, kommt her. Fesselt ihn", Morgaine stieß Nicolas an, „an die Wanten. Stopft ihm etwas in den Mund, damit man sein Geschrei nicht bis nach Crusadia hört. Dalton, bring mir die Peitsche."
Grob packten die Seemänner Nicolas an den Armen und wanden sie um die groben Seile der Wanten. Nicolas wehrte sich nicht, nur die Angst in seinen Augen verriet, was er wirklich fühlte. Dalton drückte der Kapitänin die Peitsche in die Hand, zweieinhalb Meter Drachenleder durchschnitten die Luft. Als Morgaine auf die Planken schlug, klang es fast so endgültig wie der Schuss, mit dem sie Dibah getötet hatte.
Jemand stieß Roxane hart zur Seite, und sie erkannte Rusty Levasque. Entgeistert trat er auf die Kapitänin zu. „Captain, was soll das?"
„Er büßt für seine Taten in Lichtenturm. Er hat es verdient. Und jetzt geh mir aus dem Weg!", fauchte sie.
„Nein, Captain! Wir können darüber reden! Ich weiß, was er getan hat, aber gleich..."
Nicolas unterbrach Levasque. „Ich habe es mir selbst ausgesucht. Sie gibt mir meine Strafe, und wir werden weiterjagen."
„Nicolas", sagte Levasque verzweifelt, „niemand auf der Welt ist es wert, das zu ertragen."
„Doch. Der Frieden in Darquir ist es wert."
Morgaine knurrte gereizt. „Herzzerreißend. Roxane, du gehst jetzt unter Deck und bleibst da, so lange, bis zu zwanzig Schläge gehört hast. Danach kannst du wieder hoch. Wenn ich dich unter den Männern erwische, nimmst du Nicolas' Platz ein. Verstanden?"
Roxane glaubte ihr nicht eine Sekunde, dass sie sie auspeitschen würde. Aber herausfordern will ich es auch nicht. Im dieser Stimmung ist nicht mit ihr zu spaßen. Sie nickte gefasst.
„Brav." Morgaine gab ihr einen Schubs, und Roxane befolgte ihren Befehl und ging die Treppe hinab. „Levasque!", hörte sie den nächsten Befehl, „runter mit dir zu Blackheart!" Ein paar wütende Worte später stolperte auch Rusty hinunter.
Durch die Luke fiel nun das weiße Licht der Sonne herein. Die Schatten ließen die Balken und Spanten des Schiffes wie Knochen wirken. Langsam ging sie zu der einsamen Hängematte und lauschte. Eine erwartungsvolle Stille hing über der Kroneneinhorn, selbst das ewige Schlagen des Wassers gegen das Holz schien leiser. Selbst hier unten war das Knarzen des Holzes und der Takelage zu hören. Die Schritte einer einzelnen Person klangen dumpf auf den Planken, wie ein langsamer Herzschlag.
Der erste Knall ließ sie zusammenzucken. Laut durchschnitt er die Stille, die Männer brüllten ihre Zustimmung heraus. Bestimmt jubeln die am lautesten, die mit ihm Darnoveys Schiff angegriffen haben, dachte sie voll Abscheu.
Sie warf einen Blick zu Levasque, der zwischen zwei Kanonen auf dem Boden saß und konzentriert ins Leere starrte. All seine Muskeln waren angespannt, seine Hände zu Fäusten geballt. Roxane überlegte, ob sie ihn ansprechen sollte, doch sie wusste, dass es weder ihm noch ihr helfen würde. Wenn ich es doch geschafft hätte, Nicolas nach meinem Gespräch mit Levasque zurückzuholen...
Die Rufe der Männer wurden nicht leiser. Mit jedem Schlag jubelten sie, bevor sich wieder gespannte Stille über das Schiff senkte. Roxane betrachtete Fair Johnny und versuchte, nicht an Nicolas zu denken, der für sie litt. Er leidet, damit wir die Jagd weiterführen können. Ich müsste einen Teil der Strafe auch tragen.
Sofort wusste sie, dass es nicht stimmte. Er hat all diese Männer getötet, und andere Männer zum Mord angestiftet. Es ist nur gerecht, dass er jetzt bestraft wird. Trotzdem fühlte sie sich nicht besser. Eher schuldbewusst, da sie Morgaine ebenfalls gedrängt hatte, die Jagd wieder aufzunehmen.
Der zwanzigste Schlag verklang. Rusty sprang auf und rannte aufs Deck. Roxane rührte sich nicht. Sie fühlte sich merkwürdig, als wäre sie verpflichtet gewesen, einzugreifen und die Bestrafung zu verhindern, doch gleichzeitig wusste sie, dass Nicolas es verdient hatte. Ich werde wohl niemals damit klarkommen, dass diese Welt so voller Gewalt ist, und dass Morgaine es so liebt. Sie wollte nicht an Deck gehen und dort den blutigen Nicolas sehen, nicht die fröhlichen Männer und auch nicht Morgaine, die voller Genugtuung war über ihren Triumph.
Sie sah zu Fair Johnny. Bilder flackerten durch ihren Kopf, von Madrid Yarrow, der mit blutigem Schwert vor ihr stand, nachdem er die Straßenräuber getötet hatte, von Morgaine, die ihr vor Salita erklärte, wie man Männer bändigt, von Nicolas mit blutiger Kleidung neben ihr im Pub in Lichtenturm, von Fair Johnny, der sie vor der Mannschaft verteidigte.
„Ich wünschte, die Welt wäre nicht so, wie sie ist", flüsterte sie.
Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top