56. Der Fürst der Kälte

I've chased this dream since I was five

And I have barely stayed alive

While folks have fallen off this ship

I have never lost my grip

- Abney Park, Until The Day I Die


Ein mürrischer Eiswolf in der steingrauen Uniform der Stadtwache von Svardens Ark führte sie schweigend durch schmucklose, hallende Korridore. Weitere Wölfe gingen stumm an ihnen vorbei, beschäftigt mit ihren Aufgaben in der Festung. Niemand beachtete sie, die Bediensteten hoben nur kurz die Köpfe und nahmen sie zur Kenntnis. Kein neugieriges Starren, kein Gruß an den Soldaten vor ihnen.

Ravan war beeindruckt von der Festung. Beinahe eingeschüchtert fühlte er sich. Eisiges Weiß, steinernes Grau und finsteres Schwarz waren die vorherrschenden Farben, der Boden war aus unebenen Granitfliesen statt aus poliertem Marmor, die Wände rau und nur selten von zerfransten Wandteppichen bedeckt, die Jagden, mythische Monster und Schlachten darstellten. Die Kleidung der Wölfe war aus Leder und grober Wolle, nur die Wachen trugen teilweise Rüstungen aus Stahl. Ihre Waffen waren ebenso schmucklos wie ihre Kleidung.

Schließlich blieben sie vor einer schweren zweiflügeligen Tür stehen. Sie war aus Holz, eines der wenigen Dinge, die nicht aus Stein waren. Dicke Stahlbänder zogen sich über die Flügel. Vier Soldaten standen davor, die Gesichter unter Stahlhelmen verborgen. Sie trugen Kettenhemden unter den schwarzweißen Überwürfen, die den Wolf mit erhobenem Schwert zeigten, das Wappen Isvangars. Sie waren bewaffnet mit Langschwertern und Beilen mit langer, gerader Klinge, die sie abweisend vor der Tür kreuzten.

Ravan lehnte sich zu Bastard. „Sie mögen keine Fremden, kann das sein?"

„Oh, sie hassen sie sogar. Ihnen wäre es am liebsten, sie wären allein auf dieser Welt, damit sie sich mit niemandem herumschlagen müssen, der anders ist als sie. Aber sie leben auf einer Welt, in der sie nur eine Minderheit sind, und sie sind angewiesen auf alles, was südlich des Eisigen Meeres liegt."

„Wie das?"

„Alles, was sie brauchen, aber nicht selbst haben, müssen sie von den Nordfahrern hierher bringen lassen. Was glaubst du, warum es so viele Nordfahrer gibt? Sie versorgen ganz Sundarsquir mit Holz, Gewürzen und Nahrungsmitteln. Die Wölfe jagen und bauen in den Bergen ab. Viel mehr können sie nicht machen. Sogar die Kartoffeln für ihren verfluchten Vodka müssen sie importieren." Er warf einen freundlichen Blick zu den misstrauischen Wachen am Tor. „Die Burg hat ein Glashaus, unter dem eine warme Quelle verläuft. So haben wenigstens die hohen Herrschaften die Möglichkeiten, mal eine Beilage zu Drache, Einhorn, Bär, Fisch und dem Fleisch ihrer erschlagenen Feinde zu bekommen."

„Das Fleisch ihrer erschlagenen Feinde. Nun, ich wollte schon immer wissen, wie Sveracssons Brüder schmecken."

Bastard verkniff sich sichtbar das Lachen.

Einer der Wölfe am Tor wandte sich an die beiden Männer und grollte etwas in der Sprache des Eisigen Nordens, Bastard antwortete in derselben. Ravan verstand nicht, was sie sagte, doch er erkannte seinen Namen. Der Wolf grollte eine unfreundliche Erwiderung.

Bastard sah zu Ravan. „Wir müssen unsere Waffen ablegen."

„So viel Vertrauen in den Mann, der einst den wichtigsten Staatsfeind Isvangars ins Gefängnis brachte", schnaubte Ravan trocken, doch schnallte sein Schwert und seinen Dolch ab.

„Du bist ein Hurensohn, Darnovey. Weißt du das?" Bastard legte Schwert, nyradonischen Dolch und Jagdmesser ab und legte es in die Hände des Wachmannes.

„Und du ein Bastard, Yarrow."

„Schön, dass wir uns verstehen. Und jetzt halt dein dreckiges Wolfsmaul, wir müssen einem König gegenübertreten. Also nimm dich etwas zurück, und gib dich so demütig wie möglich."

„Es wird hart, aber ich werde es schaffen."

„Das hoffe ich, denn sonst wird es eine erstaunlich kurze Reise. Gerade die Zarin ist schrecklich unumgänglich."

Bin ich froh, dass Raybeau nicht hier ist. Ravan grinste über den Gedanken und schwieg.

Die Wölfe hoben die Beile und ließen die Besucher eintreten.

Der Thronsaal war gigantisch. Er war lang und breit, durch hohe, schmale Fenster, die an riesige Schießscharten erinnerten, fielen Streifen von kaltem Licht hinein. Feuerkörbe umschlossen die Füße von hohen Säulen. Auf einem erhöhten Teil des Saals standen zwei Throne, gesäumt von Soldaten. Der rechte war ein massiges, grobes Ungetüm, ein einziger Brocken aus schwarzgrauem Gestein, als hätten die Wölfe einen an einen Stuhl erinnernden Felsen in den Bergen gefunden und ihn zu ihrem Thron gemacht. Runen waren in die Armlehnen gemeißelt. Der linke Thron dagegen war kleiner, kunstvoller und heller, er wirkte femininer als der rechte. Trotzdem hatte er eine einschüchternde Macht an sich.

Die Steinthrone passten zu dem Zar und seiner Königin. Sein Fell schimmerte rauchgrau, in seinem Gesicht schimmerte es silbern. Er hielt sich militärisch aufrecht, und Ravan hätte ihn in einem Saal voller Eiswölfe als den Zar erkannt, selbst ohne seine prächtige Kleidung. Er trug eine schwarze Rüstung, reich verziert mit Einlegearbeiten aus Halbedelsteinen, Gold und Knochen. Unter seinem seidenen Überwurf lugte Kettengeflecht hervor. Um seinen Rücken lag ein grobes, dunkelgraues Fell, das den Kragen seines schwarzen Umhanges bildete. Seine ledernen Stiefel waren mit Silber und Stahl beschlagen.

Seine Gemahlin trug ein schweres hellblaues Kleid mit aufwändigen Stickereien und Verzierungen aus Silber. Ihr Fell war weiß wie der Schnee, und für eine Wölfin war sie einschüchternd schön. Sie war kleiner und schmaler als er und wirkte neben seiner gewaltigen Ausstrahlung beinahe zerbrechlich. Doch in ihren blauen Augen schimmerte der Stahl.

Sie sieht aus wie Maura Ithakea. Die Wildfire-Anführerin ähnelte in ihrer Wolfsgestalt tatsächlich der Königin von Isvangar, mit ihrem weißen Fell. Wenn sie genau das Temperament hat, das Bastard mir beschrieben hat, wären die beiden beste Freundinnen. Oder doch eher Todfeindinnen. Für einen Kampf zwischen den beiden würde ich viel Gold bezahlen.

Vor dem Thron ging Bastard auf ein Knie, und Ravan tat es ihm gleich. Der grobe Steinboden grub sich in schmerzhaft in sein Knie. Ein Herold kündigte sie an. Wieder verstand Ravan nichts, außer seinem Namen, der im Akzent der Eiswölfe seltsam klang, mit hart gerollten Rs und merkwürdig lang gezogenen Vokalen. „Ihr steht vor Seiner Hoheit, dem edlen Zar von Isvangar, Kirill, Sohn des Alexander, aus dem Hause Danarov, und seiner Gemahlin, Svetlana, Tochter der Ferya, aus dem Hause Hadrasbrok", grollte der Herold. Seine Aussprache war holprig und er schien die Sprache zu hassen.

Die Wölfe verabscheuen wirklich alles, das nicht zu ihnen gehört. Ravan sah zu Boden, damit das Königspaar sein Grinsen nicht bemerkte.

Der Zar winkte die beiden auf die Füße. „Tragt Euer Anliegen vor."

Bastard hob den Blick und sprach mit ruhiger, fester Stimme. „Euer Hoheit, es ist uns eine Ehre, wieder vor Euch und eure wunderschöne Gemahlin zu treten. Vor fast zwanzig Jahren war ich ein Teil der Fuchsbrüder, der Söldnerkompanie, die den schändlichen Skyoll Komarov zu seiner gerechten Strafe im Weißen Fort verdammten. Erinnert Ihr Euch?"

Der Zar hielt inne, und die Königin antwortete an seiner Stelle. Ihr Akzent war singender und eleganter als der seine, doch um einiges stärker. „Da, die Söldner aus dem Süden. Ihr Anführer war ein lojad. Sie halfen, den Mörder deines Vaters zu fassen." Sie murmelte ihm etwas in ihrer Sprache zu und er nickte.

„Willkommen, Master Yarrow. In der Tat, ich erinnere mich. Ihr habt meinem Sohn eine Menge beigebracht. Selbst wenn es nicht gerade ehrenhafte Züge sind."

„Ein zukünftiger Zar muss auch die üblen Seiten des Lebens kennen", konterte Bastard.

Ich bin beeindruckt, wie kultiviert er sein kann. Ravan beobachtete seinen Gefährten, der selbst in Imarad nicht so nobel gewirkt hatte. Aber dort passte es auch zu seiner Rolle als skrupelloser Leibwächter, nicht allzu edel zu sein. Er kann sich besser verstellen als ich. Aber nun, er hat die Welt gesehen, während ich selten weiter als ins santacanische Hinterland gekommen bin, von den Racheinseln einmal abgesehen. Dort habe ich ein solch ritterliches Betragen nicht gebraucht, dort genügte das Recht des schnelleren Messers.

Der Zar schnaubte. „Aye, da habt Ihr recht. Wie kommt es nun, nach so langer Zeit, dass es Euch wieder in diese Gegend verschlägt? Wo ist Eric Fox, der lojad? Ist jemand ausgebrochen, von dem ich noch nichts weiß?"

Der Tonfall des Zaren war scherzhaft, und doch musste Ravan unwillkürlich grinsen. Bald, Euer Hoheit, bald.

„Nein, Euer Hoheit, es ist niemand ausgebrochen, der unser Eingreifen erfordert. Was den Verbleib von Eric Fox angeht, ich kann Euch nur sagen, dass er immer noch mit den Fuchsbrüdern durch die Lande zieht. Ich habe die Kompanie vor einigen Jahren verlassen, nachdem ich mich mit ihm gestritten habe. Seitdem habe ich ihn nur selten gesehen. Nein, uns hat die Abenteuerlust in diese Gegend getrieben. Mein Freund, Ravan Darnovey, hat selten die Inselgruppe verlassen, die er seine Heimat nennt. Nun strebt er in den Norden. In einigen Nächten des Rum und Met habe ich ihm viel erzählt über Euer großartiges Reich, und nun wollte er sich von seiner Größe selbst überzeugen." Bastard wies mit großer Geste auf Ravan, der den Blick von Boden löste und gewinnend lächelte, wie er glaubte. „Ich habe vor allem die Eissturmebenen gesehen, die Gletscherberge, die im verfluchten Osten liegen, wo der Dreck der Welt lebt, und natürlich das Weiße Fort, und davon hatte ich viel zu berichten. Nun möchte er sie selbst sehen, die Mauer, die Berge und den Abschaum, der dort haust."

„Worum wir Euch bitten, Euer Hoheit, ist eine Unterstützung auf dem Weg dorthin", ergriff Ravan das Wort. „Es ist weit, und es führt durch die grausam kalten Ebenen, auf denen der Wind kalt ist wie das Herz eines Eisdrachen."

„Außerdem sind einige der Wachen des Forts gute Zeitgenossen. Ich würde sie gerne wiedersehen", fügte Bastard hinzu mit einem schnellen zufriedenen Blick auf Ravan.

Der Zar zögerte und hob zu einer Antwort an, als ein Eiswolf den Saal betrat. Er war jung, kaum älter als zwanzig. Sein Fell war hellgrau, etwas dunkler als das der Zarin, und er trug eine leichte Rüstung aus Kettenhemd und Leder über einem Waffenrock, darüber einen Umhang, gefüttert mit dunklem, grobem Fell, wie der des Zaren. In seinem Ohr schimmerten zwei goldene Ringe. Er strahlte vor Abenteuerlust, als er an den Zaren und seine Frau wandte. Ravan konnte kaum die einzelnen Worte unterscheiden, so schnell sprach er.

Als die Zarin antwortete, war ihre Stimme pikiert und belustigt. „Sergej, dies ist eine Audienz, dein Vater spricht gerade mit diesen Männern. Ich denke, du kennst einen von ihnen."

Sergej stockte und wandte sich Bastard und Ravan zu, der auf dem Gesicht seines Kameraden ein Lächeln erkennen konnte.

Der Eiswolf trat auf Bastard zu und und umarmte ihn fest. „Bastard Yarrow! Mit dir hätte ich nie gerechnet! Ich bin gerade von der Jagd zurück, du musst dir den Bären ansehen, den wir erlegt haben. Doppelt so groß wie ein Einhorn und viermal so schwer. Wie kommt es, dass du hier bist?", rief er. Sein Akzent war schwächer als der seiner Mutter, doch stärker als der seines Vaters, und manche Wörter betonte er falsch.

Bastard schien das nicht zu kümmern. „Sergej der Erbe. Du hast dich verändert, Mann, du bist sicher doppelt so lang wie damals. Heilige Götter, du siehst so aus, als könntest du mit dieser Waffe umgehen anstatt nur damit herumzuwedeln!", sagte er mit einem Blick auf das Schwert, das Sergej am Gürtel trug.

„Aye, ich habe gelernt, und nicht nur von dir. Aber sag, was treibt dich in diese Gegend?"

Bastard deutete auf Ravan. „Er will Isvangar sehen, und vor allem den Teil, den ich am meisten gesehen habe."

„Das Weiße Fort", sagte Sergej bedeutungsvoll.

„Aye, das Weiße Fort", mischte Ravan sich ein. „Niemand auf der Welt kann eine kilometerhohe Mauer bauen. Niemand." Das wird ihn anstacheln.

Sergej hob den Kopf. „Die Eiswölfe können es. So mögen die verfluchten Vintas Gjallarhorni haben, so verblasst diese Sandburg hinter der Pracht des Weißen Forts! Ay!"

Die Wachen im Saal brüllten eine Zustimmung, der Zar grinste stolz und amüsiert, während seine Frau den Kopf senkte. Doch Ravan sah ihr Lächeln immer noch. Wenn Sergej uns zustimmt, dann wird der Zar uns ebenfalls zustimmen.

Zar Kirill schnaubte. „Mein Erbe, stolz und hitzköpfig. Er wird einmal ein guter Zar werden, und das Volk liebt ihn jetzt schon. Was denkt ihr?"

„Er wird der beste Zar sein, seit Unzar Madras den Arm abbiss", stimmte Bastard zu, wenn auch mit einem Funken Ironie.

„Unvergleichlich", murmelte Ravan.

„Sergej, die Herren wollen meine Unterstützung auf dem langen und kalten Weg zum Weißen Fort. Vorräte, Einhörner, Waffen. Was sagst du?"

Gespannt wartete Ravan auf eine Antwort. Er wusste, wie sie lauten wurde, selbst, als Sergej umständlich die Lederhandschuhe auszog und sinnierend murmelte: „Nun, ich weiß nicht, ob ich diese milde Gabe gestatten sollte."

Jetzt sag schon, du hochwohlgeborener Köter.

„Gestattet. Ihr bekommt eure Vorräte, Einhörner, Waffen, und ein Dekret zur Öffnung des Weißen Forts. Die Größe unseres Landes soll auch dem Freund von Bastard Yarrow nicht verwehrt bleiben", entschied Sergej schließlich.

Ravan warf Bastard einen kurzen berechnenden Blick zu, den er grimmig erwiderte. „Vielen Dank, Euer Hoheit, für Eure Gabe. Wir stehen in Eurer Schuld, und ich denke nicht, dass wir das jemals bereinigen können", sagte Ravan demütig.

„Doch der Weg ist lang und gefährlich, und deswegen sollt ihr noch mehr Unterstützung bekommen."

Ravan sah auf.

„Ein Trupp Soldaten wird euch begleiten, auf dem langen Weg durch die Eissturmebenen."

Oh, verfluchte Geister. „Euer Hoheit", begann Ravan, „das ist nicht nötig..."

„Und ich werde ebenfalls mitkommen." Sergej blickte zufrieden in die Runde, nickte seinen Eltern und den Gästen zu und verließ den Saal mit federnden Schritten.

Mögen die Götter mich erlösen. Ravan wusste nicht, wessen Gesicht den größten Schock zeigte: das der Zarin, Bastards, oder sein eigenes.


* * *

Die Widmung geht an Nikal00, für seine beiden Kommentare ;) Danke, da bin ich gleich motivierter, ehrlich^^ meldet euch ruhig öfter mal, sonst ist es in den Kommentaren hier immer so langweilig :P Und zum ersten Mal seit ÄONEN habe ich daran gedacht, ein Kapitel auch mal an einem Mittwoch hochzuladen. YEAH.




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