45. Wer Wind sät
You got the world on its knees
You're taking all that you please
You want more
But you'll get nothing from me
You're like the burden with air
You love the hate that we share
You want more
But you'll get nothing from me
But enemies!
- Shinedown, Enemies
Er machte ihr Angst. Roxane fürchtete ihn, seine starren Blicke, die über die Leere der See schweiften, seine angespannten Körperhaltung, und die Art, wie er alle, die ihn ansprachen, mit aggressiven, kurz angebundenen Antworten bedachte.
Seit Rusty auf das Schiff gestürmt war und laut um Hilfe für den verletzten Nicolas gebeten hatte, hatte sich vieles geändert. Rusty war mit Murdoch und ein paar anderen Männern losgezogen, um Nicolas zu retten. Murdoch war mit dem bewusstlosen Nicolas in den Armen auf die Kroneneinhorn zurückgekehrt, und kaum war er erwacht, schien der Anführer der Zafiro wie ausgewechselt. Drei Tage lang war er im Delirium gelegen, drei Tage, in denen er sich ruhelos in der schmalen Koje in Morgaines Kajüte von einer Seite auf die andere gewälzt hatte. Rockey hatte mit einem Messer die Kugel aus Nicolas' Schulter geschnitten, die Wunde großzügig mit Rum übergossen, genäht und danach nachlässig mit einem Segeltuchfetzen verbunden. Nur ein Wunder hatte verhindert, dass sie sich entzündet hatte.
Levasque war nicht von seiner Seite gewichen, seit er seinen Freund auf das Schiff geschleppt hatte. Morgaine hatte ihn mir Fragen bestürmt, wohin sie nun segeln sollten, doch Rusty wusste nichts, außer, dass die Reise nach Norden gehen sollte. Fluchend hatte die Kapitänin ihren Männern befohlen, aus der Stadt zum Schiff zurückzukommen, doch in dieser Zeit war Darnoveys Schiff, die Leviathan, aus dem Hafen von Imarad ausgelaufen und mit der Dunkelheit verschwunden.
Doch am Morgen danach entdeckte Murdoch den Umriss des Schiffes am Horizont. Und in der Tat, der Kurs führte nach Norden.
Nachdem er erwacht war, war Nicolas aus Morgaines Kajüte gestolpert, in seine Decke gehüllt wie ein Drogensüchtiger in den Straßen Amostowns, und hatte sich an den Bug gestellt, den Blick starr auf die Leviathan gerichtet. Diesen Platz hatte er nur noch verlassen, wenn Rusty ihn zu ein paar Stunden Schlaf überreden konnte. Doch es dauerte kaum einen Wachwechsel, und er stand wieder über dem Bugspriet und blickte wieder stur in die Nacht.
Er aß kaum. Nach nur einer Woche nach seinem Erwachen sah er aus wie ein Skelett, hohläugig und grimmig. Selbst die Männer, die ihn zuvor so sehr ausgelacht und verachtet hatten, ließen ihn nun in Ruhe. Niemand wollte sich mit ihm anlegen, und sogar Morgaine schien ihn nun zu fürchten, oder zumindest zu wissen, dass es unklug war, sich jetzt mit ihm anzulegen.
Es ist fast so, als hätte ihn ein Dämon besessen. Oder... als hätte der Wolf ihn zu guter Letzt doch gefunden. Roxane selbst wusste fast nichts über die Bruderschaft. Sie war ihr immer wie eine böse Macht vorgekommen, vor der sie sich beschützen musste. Ihr Erbe war zu finster, als dass sich die Taten ihres Namens wiederholen durften. Sie wusste, wenn sie die Warnungen ihres Ziehvaters Benedict Gray ignoriert hätte und das Ritual der Bruderschaft, von dem Marie ihr erzählt hatte, ohne sein Wissen durchlaufen hätte, dass sie dann wahrscheinlich nicht sehr lange gelebt hätte. Der Rat der Bruderschaft hätte sie gefunden und getötet.
Wie sehr sie mich fürchten, nur weil mein Vater so viele schlimme Dinge getan hat. Absurd. Aber was für eine Macht ich hätte, wenn ich wüsste, wie ich mein Potenzial nützen könnte... Aber Morgaine hatte recht gehabt. Sie fürchtete sich davor, was passieren könnte, wenn sie ihr Können ausnutzte. Eigentlich wollte sie es auch gar nicht. Ich will nur mit Madrid ans Ende der Welt segeln, wo mich die Bruderschaft in Ruhe lässt.
Doch sie wusste, dass sich dieser Traum nie erfüllen würde. Weil er mich betrogen hat. Oh Madrid, warum... Für einen Moment versank sie in der traurigen Gewissheit.
Dann hob sie den Kopf, und rieb sich trotzig die Tränen aus den Augen. Ich werde ihn finden, und ich werde ihm in die Augen sehen, wenn er mir sein Geständnis macht.
Kurz malte sie sich aus, was sie sagen würde, wenn sie sich wieder begegnen würden, als sie von Rusty Levasque aus ihren Gedanken gerissen wurde. „Miss Blackheart."
Überrascht sah sie auf. „Mr Levasque. Ich hatte nicht erwartet..." ...dass Ihr das Wort an mich richten würdet, beendete sie im Geiste den Satz, doch er kam ihr zu unfreundlich vor, um ihn zu Ende zu sprechen.
Levasque jedoch überging es, und schien nach einem Grund zu suchen, weiter mit ihr zu sprechen, ohne direkt zum Punkt zu kommen. Eine unbehagliche Stille entstand.
Roxane verlor die Geduld. „Mr Levasque, sprecht einfach. Es kann Euch nichts passieren", sagte sie sanft. Ich glaube, er hat noch nie zu mir gesprochen. Nicht ein einziges Mal, obwohl wir fast seit vier Monaten auf dem gleichen Schiff festsitzen.
„Miss Blackheart, ich weiß, dass ich kaum ein Wort mit Euch gesprochen habe, seit wir uns zum ersten Mal gesehen haben, und dass es vielleicht seltsam ist, dass ich jetzt damit beginne. Ich würde es auch nicht tun, wenn es nicht um ihn ginge." Er nickte in Nicolas' Richtung.
Roxane versteifte sich und biss die Zähne zusammen. „Was wollt Ihr, Mr Levasque?", fragte sie reserviert.
„Ich..." Levasque unterbrach sich. Unwohl sah er übers Meer, bis sein Blick wieder zu seinem Freund schweifte. „Ich mache mir Sorgen um ihn. Seit wir aus Amostown aufgebrochen sind. Ich weiß, was zwischen ihm und Silver passiert ist, und es stört mich, dass sie so mit ihm umgeht. Zwar habe ich versucht mit ihr zu reden, aber sie hat nur gesagt, dass es nicht meine Angelegenheit ist. Aber... Es macht Nicolas zu schaffen, dass sie ihn nicht in Ruhe lässt." Wieder sah er zu De Oro. „Oder es hat ihm zugesetzt. Jetzt... ist ihm alles egal."
Roxane wandte unbehaglich den Blick ab. „Mr Levasque... Ich kann die Verhältnisse zwischen Silver und De Oro nicht in Ordnung bringen, und auch nicht all die anderen Probleme, die sich Euer Freund in der Zeit auf diesem Schiff eingehandelt hat. Ich verstehe nicht viel von Seefahrt, aber ich verstehe dennoch, dass die Crew jemanden respektieren muss, bevor sie ihn akzeptieren."
Morgaine erschien vor ihrem inneren Auge. Drei Dinge braucht man, damit man Männer im Zaum halten kann. Du brauchst nicht alle drei, damit sie dir folgen, aber sie sind von Vorteil, wenn du willst, dass sie dir auch gehorchen, flüsterte ihre abfällige Stimme in ihrem Kopf. Roxane lächelte kurz und vertrieb dann den Gedanken. „Euch zum Beispiel mögen sie, Ihr seid einer von ihnen. Ihr esst mit ihnen, Ihr feiert mit ihnen, Ihr würdet mit ihnen kämpfen. Mr de Oro... tut das nicht."
Levasque sah sie durchdringend an. „Was ist mit Euch?", fragte er vorwurfsvoll.
Roxane biss die Zähne zusammen. „Die Mannschaft respektiert mich nicht. Aber Morgaine ist meine Freundin, und sie fürchten ihren Captain. Doch ohne sie und ohne Fair Johnny wäre ich ebenso verloren wie Euer Freund."
„Und Ihr habt Fair Johnny als eure Leibwache einteilen lassen, damit Ihr vor meinem Freund, meinem Bruder, geschützt seid?" Levasques Tonfall war hart, doch mit einem schmerzerfüllten Unterton.
„Er war beinahe wahnsinnig nach mir! Und nachdem er ein einfaches Nein nicht mehr akzeptiert hat, musste ich Morgaine um einen Gefallen bitten." Jetzt, wo sie es aussprach, verspürte Roxane einen Stich des Schuldbewusstseins, doch sie kämpfte ihn nieder.
Levasque schien sich zu beruhigen. „Es tut mir leid. Ich hätte das nicht sagen sollen. Aber... es bringt mich um. Es macht mich fertig, dass er seit dem Kampf gegen Darnovey so seltsam ist." Seine Stimme brach bei dem letzten Wort. Für einen Moment sah er beinahe so alt aus wie Nicolas.
Roxane wickelte sich ratlos die Fransen ihres Schals um die Finger. Er ist wirklich besorgt um ihn. Levasque war ihr immer wie ein Mann mit dem frechen Temperament eines Jungen vorgekommen, wild und ungestüm, mit einem lauten Lachen und stets offen für die bösen Scherze der Mannschaft und die Abenteuer, die das Leben auf See versprach. Zwar war das Verhältnis zwischen ihm und De Oro spürbar abgekühlt, je länger sie auf der Kroneneinhorn waren, doch offensichtlich sorgte Levasque sich immer noch um ihn. Es ist wohl einiges hinter der Mauer aus lässigen Witzen und Sorglosigkeit.
Levasque holte Luft, atmete wieder aus und sah dann schweigend aufs Meer.
„Mr Levasque... Rusty... Ist der Grund, dass Ihr mit mir redet, wirklich der, dass die Männer ihn nicht respektieren?", fragte sie behutsam.
„Es ist... wie er ist, seit er aufgewacht ist. In Imarad, als er von Darnovey angeschossen wurde, kam die Wahrheit ans Licht. Die Bestätigung. Darnovey hat Alonzo de Oro wirklich getötet, er hat es gesagt. Seitdem... ist er noch besessener von seiner Jagd. Zuerst war es nur der Plan, dass wir Darnovey gefangen nehmen und dann zurück nach Amostown bringen, wo er vor Gericht gestellt werden soll."
Roxane sah ihn an. Soll ich ihm sagen, dass es keine Gerichte in Crusadia gibt? Ben sagte immer, das einzige Recht, das in Crusadia gilt, ist das des Stärkeren. Was passiert, wenn sie ihn zurückbringen würden, kann ich mir kaum vorstellen. Werden sie ihn töten? Oder wieder freilassen, und er wagt in nicht allzu weiter Ferne einen neuen Versuch, während Nicolas getötet wird? Für einen Moment erwog sie, es ihm zu sagen, doch sie schwieg. Ich bin mir sicher, er weiß es sowieso.
„Aber jetzt bin ich mir sicher, dass Nicolas ihn umbringt, sobald er ihn findet", fuhr Levasque verzweifelt fort. „Im Moment ist er nicht er selbst, und wenn er etwas tut, das normalerweise seiner Moral widersprechen würde, würde er es später bitter bereuen. Was er dann tut, will ich mir nicht vorstellen."
Levasques Tonfall verlor seinen schmerzerfüllten Unterton, als wäre er ihm peinlich. Trotzdem blieb etwas von seiner Angst um seinen Freund. „Ich bin mit Nicolas aufgewachsen. Wir kennen uns, seit wir Kinder sind. Aber trotzdem habe ich ihn noch nie so gesehen. Zwar war er schon immer etwas auf sein Ziel versessen, und wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, war er kaum davon abzubringen, aber so, wie er jetzt ist... ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Er hat seinen Vater immer eher gefürchtet als geliebt, aber als er erfahren hat, dass sein Tod nicht zufällig war, und dass Darnovey daran schuld ist, ist seine Verfolgung fast zu einer Art... Wahn geworden. Je näher wir Darnovey gekommen sind, desto finsterer wurde er, und jetzt, wo er ihm entwischt ist..."
„Steht er an der Schwelle zum Wolf." Roxane schluckte.
Levasque nickte. „Er ist der Meinung, die Wege der Bruderschaft seien unmenschlich."
Was sie ja auch sind.
„Er war immer sehr weit entfernt davon, wirklich einer von ihnen zu werden. Er wollte die Bruderschaft bremsen, aber offensichtlich hat sie ihn überrollt." Levasque verschränkte die Arme, als wäre ihm kalt. „Ich bin ein Teil und ein Befürworter der Bruderschaft, und auch ihre Methoden sind meiner Meinung nach begründet, aber Nicolas ist für so etwas nicht geschaffen. Nicht für die Gewalt und nicht für die Intrigen. Er kann kämpfen, sogar sehr gut, und er hat auch keine Probleme mit dem Töten, wenn es einen Grund hat. Selbstverteidigung. Befreiung. Etwas, was der Gemeinschaft hilft und nicht dem Einzelnen. Aber die Bruderschaft mit ihrer Selbstsucht... Das tötet ihn."
„Warum erzählt Ihr mir das alles?", fragte Roxane vorsichtig.
„Ich weiß, dass Ihr ihn nicht ausstehen könnt. Ihr habt sogar einen Mann zu Eurem Schutz vor ihm in Euren Diensten." Er schielte zu Fair Johnny, der die beiden aufmerksam beobachtete. „Aber Nicolas liebt Euch. Er denkt nur an Euch, und wie er Euch für sich gewinnen kann. Wenn Ihr vielleicht... mit ihm reden könntet... vielleicht holt ihn das aus seinem Wahn."
Roxane starrte ihn an und schwieg ungläubig. Meint er das ernst?
Levasque schien ihr Unbehagen zu spüren. „Ich würde Euch nicht darum bitte, wenn mir etwas anderes einfallen würde. Aber, ich bitte Euch inständig, redet mit ihm. Bitte." Seine Verzweiflung war beinahe greifbar.
Roxane schielte zu Nicolas, der gerade seine Decke zurechtrückte. Es wurde immer kühler, je nördlicher sie kamen, der Wind wurde schärfer, und für einen Moment wünschte sie sich ebenfalls eine warme Decke. Obwohl sie ihre Jacke trug, fror sie. Ich konnte aber auch nicht wissen, dass mich meine Reise so weit in den Norden führen würde.
Sie sah zurück zu Levasque. Warum sollte ich mit Nicolas reden? Ihn zurückzubringen, würde bedeuten, seine lästigen Avancen zurückzubringen. So, wie er jetzt ist, würde alles viel schneller voran gehen. Wir kämen schneller an unsere Ziele. Sein Hass auf Darnovey wäre bei seiner nächsten Gelegenheit verschwunden, und für einige Zeit würde es nur vier Anführer in Crusadia geben. Ich würde Madrid wiederfinden, und ihn zur Rede stellen. Morgaine würde sich nicht mehr über seine Schwächen beschweren können. Doch sie wusste, dass dies keine Lösung war. Nicolas war eine Gefahr für sie alle. Sollte er wirklich jede Kontrolle über sich verlieren, wäre er in der Lage, Morgaine zu besiegen, das wusste sie.
Ängstlich sah sie zu Nicolas, der unbewegt am Bug stand und auf den sich verdunkelnden Himmel starrte. Blitze zuckten über den Horizont, und die Leviathan zeichnete sich wie ein Geisterschiff vor den plötzlich aufflackernden Lichtern ab. Eine eiskalte Windbö fuhr wie eine Messerklinge in Roxane Kleidung und ließ sie zittern. Nicolas Haare standen für einen Moment von seinem Kopf ab, aufgepeitscht vom aufziehenden Sturm, und der nächste Blitz ließ ihn wie einen Rachegott erscheinen. Sekunden später folgte der Donner und rollte über das sich sträubende Meer wie das Knurren eines Wolfes.
Nervös sah sie zurück zu Rusty, der sie immer noch flehend ansah. Schnell wandte sie den Blick ab. Bevor der Mut sie vollends verließ, stieß sie sich von der Reling ab und lief über das bockende, stöhnende Schiff zum Bug.
Nicolas wandte nur leicht den Kopf, als sie an ihn herantrat. Gischt sprühte auf das Deck und brannte in Roxanes Augen wie Tränen. Die Ruhe, mit der Nicolas sich wieder dem Sturm und der Leviathan zuwandte, hatte etwas von einem Tier auf der Jagd, grausam und voller Blutdurst.
Roxane spürte die Angst in sich hochkriechen. Sie sammelte sich und trat neben ihn an die Reling. „Mr de... Nicolas." Sie verfluchte ihre Stimme dafür, dass sie so dünn klang.
„Miss Blackheart." Seine war um mehrere Töne tiefer als sonst und so rau wie Granit.
Fieberhaft suchte Roxane nach einem Weg, das Gespräch aufrecht zuerhalten. Vertauschte Rollen. Sonst versucht er, mit mir zu sprechen, und ich will ihn loswerden. „Wie geht es Euch?"
„Gut."
In seiner Antwort schwang eine Drohung mit, die sie ebenfalls von sich kannte. Verschwinde. Sie fischte verzweifelt nach Wörtern, mit denen sie das Gespräch in die gewünschte Richtung lenken konnte, doch alles, was blieb, war ein unbehagliches Schweigen.
Nicolas löste ihr Problem, indem er das Wort ergriff. „Er schickt Euch, nicht wahr? Rusty."
Roxane sah ihn überrascht an. „Ja, aber-"
Er ließ sie nicht ausreden. „Er will, dass ich mich wieder besinne."
Als er sie ansah, waren seine Augen gerötet und von dunklen Augenringen umrandet. Seine Haut war vom Salz wie gegerbt, und rote Flecken zeigte sich dort, wo seine Haut aufgekratzt war. Die Decke, die er sich um seine Schultern geworfen hatte, zeigte rostfarbene Flecken. Er sah grausam aus, wie ein Ungeheuer.
Eingeschüchtert senkte sie den Blick. „Ja."
Sie spürte, wie sein Blick weiter auf ihr haftete. „Ich bin bei Sinnen. Ich bin normal. So wie es die Bruderschaft verlangt." Seine Stimme wurde hart wie Stahl.
Sie riss sich zusammen und sah auf. „Nicolas..."
Er beachtete sie nicht. „Denn wer zur Bruderschaft gehören will, muss über Leichen gehen, um seine Ziele zu erreichen. Und das werde ich tun. Zu dem werden, was sie wollen. Ich werde zu einem Bruder des Lykaon, wie Falcony, Stanraer, Ithakea und Darnovey es verlangen. Sag ihm das." Er wandte den Blick wieder aufs Meer. „Wenn Darnovey seinen Krieg will, dann kann er ihn haben."
Roxane wollte zu einer Antwort anheben und spürte ihre Angst als Knoten in ihrer Kehle, als sie Morgaines Befehl hörte.
„Wir brechen die Jagd ab! Beidrehen, Kurs auf Osten!"
Die Männer beeilten sich, ihrem Befehl nachzukommen, und Roxane spürte ihre Erleichterung wie warmes Wasser in ihren Gliedern. Doch Nicolas schien nicht begeistert. Mit einem unmenschlichen Knurren drehte er sich um und rannte über das Mittelschiff zum Achterdeck. Roxane folgte ihm.
Kaum hatte er die Treppen erklommen, trat er auf Morgaine zu. „Nein. Wir jagen weiter."
Morgaines Tonfall war kalt wie das Wasser unter dem Kiel. „Wir brechen ab. Der Sturm würde uns nach Osten treiben, auf die Klippen von Westerturm zu. Das Schiff überlebt das nicht, und wir haben es kaum geschafft, die Schäden vom letzten Sturm zu reparieren. Nein. Wir segeln zur Küste und warten ab."
Etwas in Nicolas' Stimme veränderte sich. Roxane wusste nicht, was es war, und es ließ sie erschaudern. „Du segelst weiter. Der Leviathan hinterher. Dein Schiff kannst du reparieren, wenn Darnovey tot ist."
Morgaine starrte ihn an. Jeder andere hätte sich umgesehen, auf der Suche nach Hilfe. Aber niemals Morgaine. Wenn sie jetzt Schwäche zeigt... Alles, was sie besitzt, beruht auf ihrer Macht über die Mannschaft, die sie durch ihre Stärke erlangt hat.
Nicolas verzog keine Miene. Roxane sah den stummen Kampf, den sie ausfochten, Nicolas' puren Willen und Mordlust gegen Morgaines Wut und dem Instinkt, ihr Schiff und ihre Crew zu verteidigen. Sie trat vor, um das sich anbahnende Blutvergießen zu verhindern, doch eine schwere Hand auf ihrer Schulter hielt sie zurück. Sie fuhr herum und sah Murdoch, der langsam den Kopf schüttelte. Nervös blieb sie stehen und spürte die Stille. Die Mannschaft hielt inne und sah zwischen den hastig ausgeführten Handgriffen an Tampen und Tauen zu ihrem Kapitän, der sich mit dem Wolfslord ein wortloses Duell lieferte. Niemand sprach ein Wort, eine angespannte Ruhe, nur der Wind heulte und brachte die Takelage zum Singen, ein Lied der Verdammten, erinnerte sich Roxane an eine der Geschichten, die Fair Johnny ihr erzählt hatte. Dumpf klatschte das Meer gegen die Bordwand. Der Donner brüllte seinen Zorn über das Meer.
Schneller, als Roxane es ihr je zugetraut hätte, schlug Morgaine plötzlich zu. Ihre Faust traf Nicolas an seiner Schulter, in der noch wenige Wochen zuvor eine Kugel aus Ravan Darnoveys Waffe gesteckt hatte. Nicolas stieß ein ersticktes Geräusch aus und ging zu Boden. In seinen Augen stand eisiger Hass, vermischt mit weißglühendem Schmerz.
Morgaine zog ihr Schwert. „Fordere mich nie wieder heraus. Nie wieder. Hast du verstanden?"
Nicolas erwiderte nichts, nur ein heiseres Stöhnen kam über seine Lippen. Morgaine setzte ihr Schwert an seinen Hals und holte zum Schnitt aus, als Rusty sich auf sie stürzte.
Doch er kam nicht weit. Morgaine rammte ihm den Schwertgriff ins Gesicht, etwas knackte hörbar, und Rusty zuckte zurück. Ein Tritt mit beiden Füßen in die Magengrube, und er krümmte sich heulend zusammen.
„Hast du seine Lektion nicht gelernt?", fauchte sie. „Er", sie wies mit dem Schwert auf Nicolas, der immer noch an der Grenze zur Bewusstlosigkeit auf den Planken lag, „wird mir zu übermütig, und du, Rusty, sein treuer Hund, musst ihm folgen." Sie wandte sich an ihre Mannschaft. „Eisenjoe, Dibah, Steinjoe! Fesselt De Oro an den Vormast, über das Vor-Untermarssegel. Levasque lasst ihr hier."
Die drei Männer machten sich an die Arbeit. Unsanft wurde Nicolas über das Deck geschleift, einer spuckte auf ihn. „Soll dir 'ne Lehre sein, dich mit unserm Captain anzulegen!" Die anderen lachten.
Murdoch ließ endlich Roxanes Schulter los, und sie trat zu Morgaine. „Was soll das? Du weißt, wie ich zu ihm stehe, aber ihn gleich aufzuhängen?"
„Er wird nicht gehängt." Sie spuckte aus. „Er stellt meine Herrschaft infrage, und wer sich nicht schnell genug fügt, wird entweder kielgeholt, was ich bei diesem Wetter nicht machen kann, oder er muss die Schlampe reiten."
Roxane starrte sie an. „Die... Schlampe reiten?"
Bevor sie eine Antwort geben könnte, mischte Murdoch sich ein. „Captain, Eure Befehle?"
Morgaine lächelte grimmig. „Kurs nach Norden. Wenn wir das Kap erreicht haben, nach Osten drehen, auf Lichtenturm zu."
Murdoch nickte und gab die Befehle weiter, während Roxane ihre Freundin entsetzt anstarrte. „Wir segeln durch den Sturm? Warum? Du hast ihn gerade dafür bestraft, dass er genau das vorgeschlagen hat!"
Morgaine schüttelte den Kopf. „Er hat es mir befohlen. Da ist ein Unterschied. Zu oft hat er mir seine Befehle gegeben, und jetzt reicht es mir. Jetzt muss er die Schlampe dafür reiten."
„Was bedeutet das?"
Morgaines Grinsen erinnerte an den Wolf, der unter ihrer Haut lebte. „Du weißt, wie es uns geht bei Sturm. Hier unten, wo es still und ruhig ist." Ihr Lächeln war verächtlich, und Roxane wusste, dass sie an ihren Zustand in den Gewässern um Muriel dachte. „Dann weißt du auch, wie es ihm gehen wird. Dort oben, wo alles tausend Mal schlimmer ist."
Sie ist genauso wahnsinnig wie Nicolas, dachte Roxane, doch für einen Moment bewunderte sie Morgaine dafür. Trotz allem scheint sie immer zu wissen, was sie tut. Vor ihnen ragte eine schwarze Mauer aus Wolkenbergen und tosendem Regen auf, als wollten Himmel und Wasser gemeinsam ihre Weiterfahrt verhindern. Blitze zuckten und ließen die Schwärze für Sekundenbruchteile violett wirken. Roxane starrte ängstlich und fasziniert auf die donnernden Wellen, gekrönt von weißem Schaum, die nach dem dunklen Himmel zu greifen schienen. Ich verstehe, warum Morgaine so gerne durch Stürme fährt.
Doch als Morgaine das Steuerrad ergriff und den Kurs korrigierte, sodass sie direkt auf die schwarze Wand zustürmten, fuhr ihr die Angst wie ein Tier in die Glieder, und sie war froh über Fair Johnnys Arm, der sie fest auf den Beinen hielt.
* * *
Nun saget mir, meine Freunde - was passiert mit jenen, die Wind säen?
Auuußerdem hat Brotherhood Geburtstag - seit einem Jahr bin ich diese Geschichte am schreiben... wie schnell so ein Jahr vergeht. Bei den Geistern.
Und ich bin noch nicht mal beim Showdown angelangt. Es wird wohl nichts mit dem erzähelsuns Wettbewerb... Dafür müsste ich einen Monat lang jeden Tag ein Kapitel schreiben, und das schaffe ich nicht, wenn ich nebenbei noch essen, schlafen, mich mit Menschen treffen und mal richtig Ferien machen will. Die Hausarbeit schreibt sich außerdem auch nicht von alleine, und im Gegensatz zu Brotherhood hängt davon eine Note ab.
Aber nun, die Hoffnung stirbt zuletzt! Vielleicht schaffe ich es ja doch... ihr werdet es früh genug erfahren.
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