36. Vor dem Sturm
Well swing a little more little more o'er the merry'o
Swing a little more a little more next to me
Swing a little more little more o'er the merry'o
Swing a little more on the Devil's Dance Floor
- Flogging Molly, Devil's Dance Floor
Ravan wurde durch wütende Stimmen vor der Tür seines Gemachs geweckt.
„Lasst mich durch, ich muss mit Seiner Hoheit sprechen", befahl Bastards Stimme, laut und autoritär.
„Es tut mir leid, aber Seine Hoheit möchte nicht gestört werden", antwortete einer der Wachmänner, die die Königin vor seiner Tür postiert hatte. Zu seinem Schutz, wie es hieß, aber Ravan wurde den Verdacht nicht los, dass die Königin ihn wenigstens ein bisschen durchschaute.
„Mach die Tür auf, oder muss ich das selbst machen?" Das war wieder Bastard, diesmal eindeutig drohend.
„Die Befehle Seiner Hoheit waren eindeutig!", verteidigte sich der Mann.
Ravan hörte, wie Stahl mit einem leisen Klirren gezogen wurde. „Es gibt zwei Möglichkeiten, wie ich in diesen Raum komme. Bei der einen davon kommst du mit dem Leben davon, bei der anderen... eher nicht. Entscheide dich, du räudiger Sohn einer gehörnten Hure!"
„Mein Herr, mäßigt eure Sprache!", rief ein anderer Wachmann empört.
Seufzend stemmte Ravan sich von dem pompösen Himmelbett hoch, schlüpfte in sein Hemd und warf sich seinen Mantel um die Schultern. Hoffentlich hat er endlich etwas Interessantes erfahren. Nachdem sie in der Festung von Imarad angekommen waren, hatte er sein Zimmer bezogen und sich ein Bad genehmigt, eine Wohltat nach all den Wochen auf See. Bastard hatte er befohlen, durch die Festung zu gehen und sich umzuhören, nach Neuigkeiten, die ihnen von Nutzen sein könnten. Währenddessen hatte er geschlafen, Wein getrunken und gewartet.
Mit nackten Füßen schritt er über die teuren haracanischen Teppiche, die den Boden bedeckten, und öffnete die Tür. „Lasst ihn rein."
Die Wachmänner zogen die Köpfe ein. „Jawohl, Euer Hoheit."
„Unfähiges Pack, nichts bekommen sie auf die Reihe", brummte Bastard verächtlich und ging an Ravan vorbei in das Zimmer. Beeindruckt drehte er sich einmal im Kreis und nickte anerkennend. „Nett hast du es hier."
Ravan schloss die Tür und fuhr sich verschlafen mit den Fingern durch die Haare. „Stimmt." Sein Gemach war in der Tat prächtig, ein großer Raum mit holzvergitterten Fenstern, durch die kleine viereckige Lichtstrahlen hineinfielen. Die Wände waren bedeckt mit Malereien von exotischen Tieren. Neben dem gewaltigen Bett bestand die Einrichtung aus einem wuchtigen Tisch und mehreren geschnitzten Stühlen, einem Diwan und einer Liege aus kostbaren Hölzern und seidenen Bezügen und einem fragilen Bestelltisch, auf dem eine Karaffe mit Wein und Becher aus Silber standen. Eine unauffällige Tür führte in ein kleines Badezimmer, eine weitere, umrahmt von beinahe durchsichtigen Vorhängen, war der Zugang zu einem Balkon, von dem man eine atemberaubende Aussicht auf Imarad und das Meer hatte.
„Also, was gibt es Neues?", fragte Ravan Bastard.
Der Söldner ging zu dem Bett, stach mit dem Finger in die Matratze und ließ sich dann rücklings darauf fallen. „Ah, das ist angenehm. Ay, Eure Hoheit", sein Tonfall wurde spöttisch, „ich hab mich umgehört, und ich fürchte, unsere Pläne lassen sich nicht so einfach umsetzen, wie wir dachten."
Ravan zog die Augenbrauen hoch. „Was meinst du damit?"
„Ich habe mit den Wachen geredet. Mich über Hermanus' Freunde schlau gemacht. Und weißt du was?" Er senkte die Stimme. „Eigentlich ist Hermanus hochbeliebt, er und seine Freunde gehen immer jagen und feiern, wenn sie sich in der Hauptstadt treffen. Dass du dich jetzt hier verkriechst, ist für sie höchst eigenartig."
Ravan schenkte sich und Bastard Wein in zwei Becher und reichte dem Söldner einen. „Du weißt, dass ich mich nicht bei ihnen blicken lassen kann. Es wäre viel zu gefährlich. Sie würden sofort wissen, dass ich nicht der bin, der ich vorgebe zu sein", antwortete er im Flüsterton.
„Ich weiß. Ich habe dich erst mal mit der Begründung, du wärst noch zu müde von der Reise, aus der Affäre gezogen. Aber das reicht nun mal nur für einen Tag."
„Verdammt, was soll ich denn machen? Ich habe von Hermanus einen Haufen Namen und ein paar Geschichten aus seinem Leben, mit denen ich auch nichts anfangen kann. Sobald es um Details geht, kann ich nur noch raten. Zwar könnten wir seine Freunde unauffällig aus dem Weg räumen, aber das wäre doch ein wenig zu merkwürdig, wenn plötzlich ein paar junge Lords tot aufgefunden werden, kurz nachdem ein mysteriöser Unbekannter in der Festung auftaucht."
Bastard richtete sich auf dem Bett auf und stürzte den Wein in einem Schluck herunter. „Wir könnten wieder abhauen. Innerhalb von zwei Stunden haben wir die Segel gesetzt und sind wieder auf dem Weg nach Norden."
Ravan fluchte laut. „Das geht nicht. Ich habe Raybeaus Mannschaft ein paar Tage Ruhe versprochen, und wenn ich das breche, hänge ich innerhalb von drei Tagen am Mast mit ein paar Kugeln im Bauch. Stell die Crew zufrieden, und du kannst friedlich schlafen. Erzürne die Crew und du bist ein toter Mann. Von Raybeau und den anderen hängt unser verdammtes Leben ab, Bastard! Wenn er uns nicht mehr hilft, können wir auch gleich zum Kerkermeister von der Festung gehen und sagen Hallo zusammen, wir haben den Herzog von Ranon in den Bauch eines Schiffes gesperrt und sind in Wirklichkeit ein Bruder des Lykaon und ein Fenriswolf. Das hilft uns nicht im geringsten weiter!"
„Bei den Geistern, du bist der Anführer eines Kartells! Befehle ihnen, weiterzusegeln!", zischte Bastard.
„Weißt du, wie weit von Crusadia wir entfernt sind? Raybeau könnte uns umlegen und einfach bei der Marine von der Nordmark anheuern, wenn er sich davon etwas verspräche. Nein, ich werde nicht einfach sterben und De Oro in die Hände spielen, ohne dass er einen Finger rühren muss. Es war deine beschissene Idee, uns zu verkleiden. Wir haben es angefangen und bringen es auch zu Ende."
Bastard zuckte mit den Schultern. „Ich verstehe deinen Punkt, aber wehe, du jammerst mir die Ohren voll, wenn wir am Ende tot im Rinnstein liegen."
Ravan schnaubte. „Wir sind nicht in Amostown. Hier liegt man nicht einfach tot im Rinnstein. Aber ich werde auch nicht herumnörgeln, wenn wir nebeneinander am Galgen hängen und unsere toten Füße beschaulich im Wind schaukeln."
„Ich hoffe, darauf habe ich dein Wort. Also, was machen wir nun?"
Ravan nahm einen Schluck aus seinem Weinbecher und begann, auf den Teppichen auf und ab zu gehen. „Der Ball der Königin ist in zwei Tagen. De Oro weiß nicht, dass wir hier sind, wenn er nicht gesehen hat, wie wir in die Bucht von Askaron abgebogen sind, wird er uns nicht finden. Wir sind vor ihm sicher, also haben wir es wegen ihm nicht sonderlich eilig, hier wieder wegzukommen. Dafür müssen wir zusehen, dass die anderen Herrschaften der Vereinigten Königreiche, die nach und nach in Imarad ankommen, uns nicht erkennen, oder beziehungsweise nicht an die Königin verraten."
„Ich bin mir allerdings sicher, dass die Königin schon ahnt, dass wir nicht der Herzog von Ranon und sein Leibwächter sind."
Ravan blieb abrupt stehen. „Wie bitte?"
Bastard seufzte. „Natürlich weiß sie es. Du hast gesehen, wie skeptisch sie im Hafen war."
„Warum bei allen Dämonen lässt sie uns dann in ihr Allerheiligstes?"
„Wir sind nicht in ihrem Allerheiligstem." Bastard grinste. „Es wäre wärmer und feuchter dort. Aber ich war schon da."
Ravan prustete in seinen Weinbecher. Hustend blinzelte er sich den Wein aus den Augen und wischte mit seinem Ärmel über sein Gesicht. Als er sich wieder gesammelt hatte, musste er sich zusammenzureißen, um nicht zu schreien. „Du warst im Allerheiligsten der Königin?", zischte er ungläubig.
Bastard nickte. „Damals hatte ich die Aufgabe, eine uneheliche Tochter der Königin auszuschalten. Sie erhob Anspruch auf den Thron und das gefiel Helena nicht. Sie hatte nämlich vor, ihre älteste legitime Tochter auf den Thron zu bringen."
„Tochter? Nicht Sohn?"
„In Askaron haben Frauen das Erbrecht. Männer sind nur unnützes Beiwerk." Bastard lachte verächtlich. „Also bekam ich eine Audienz bei der Königin. Noch am selben Abend ließ sie mich in ihre Gemächer rufen, und so bin ich ins Allerheiligste der Königin gekommen."
„Und hast die tote illegitime Tochter gegen deinen eigenen Bastard ausgetauscht? Der Bastard des Bastards?" Ravan konnte es kaum glauben.
„Unsinn. Sie hatte so einen Schnaps, der das verhinderte. Bei den Geistern, die Alte hat so viel von diesem Hexengebräu getrunken, dass ich meinen Drachen darin ersäufen könnte."
In Ravan kämpften Belustigung, Unglaube und Entsetzen einen wilden Kampf gegeneinander, bis die Belustigung gewann und er schallend loslachte. „Wolltest du deshalb nach Imarad? Damit du sie wiedersehen konntest?", fragte er, nachdem er sich wieder besonnen hatte. Was für ein elender Bastard.
Diesmal war an dem Söldner, zu lachen. „Nein, niemals. So gut war sie nicht. Ich hielt es nur für eine gute Idee, uns hier zu verstecken. Dass die Königin Helena immer noch die gleiche wie damals ist, hatte ich vergessen. Und offensichtlich steht die Alte immer noch auf Abenteuer, sonst hätte sie uns einfach umgelegt."
„Bei allen Geistern, Bastard. Und inwiefern soll uns das jetzt weiterhelfen?" Ravan ließ sich auf den Diwan fallen und legte die Füße auf den niedrigen Beistelltisch.
Bastard warf den Becher auf den Boden, klappernd hüpfte er über die Fliesen. „Keine Ahnung. Auf jedem Fall müssen wir dich ein bisschen unter die Leute bringen. Kennst du dich eigentlich mit nördlicher Etikette aus? Hier kannst du nicht wie in Crusadia ein paar Drohungen in den Raum werfen, wenn dir jemand auf die Eier geht."
„Ich war in Manastar, der Baron dort hat eine Vorliebe für artequirische höfische Kultur. Als ich ihn einmal Mylord statt Baron genannt habe, wollte er mich umbringen. Zählt das?"
„Es sollte reichen. Hier wird man dich nur schief ansehen, wenn man jemanden falsch anredet, nicht gleich umbringen. Trotzdem wird es kaum ausreichen, um dich vor den Adeligen zu retten. Zwar wird dich niemand öffentlich enttarnen, dafür mögen sie ihre geheimen Spielchen und Intrigen zu gerne, aber sobald sich der Ball auflöst, wird jeder, der dich seltsam findet, zur Königin rennen und ich glaube, dann kann dich auch Helenas Neugierde nicht mehr retten." Bastard strich mit dem Daumen über den Griff seines nyradonischen Dolches.
Ravan seufzte. Einfach wieder verschwinden ist doch eine gute Idee. „Dann spiele ich ihre Spielchen mit. Ich bin ein Bruder des Lykaon, und schlimmer als Maura Ithekea und ihre intriganten Titten kann kein verdammter Herzog sein. Ich werde das schon überstehen. Wenn nicht, kann ich, bevor ich gehängt werde, immer noch Es lebe Virrey brüllen."
Bastard zog eine Augenbraue nach oben. „Was ist aus dem Ziel geworden, einen König umzulegen?"
Ravan grinste. „Was ist aus dem Problem geworden, das uns verfolgt hat? Verdammt, niemand jagt uns mehr, und wir haben Zeit. Zwar nicht alle Zeit der Welt, aber ein paar Spielchen können wir uns doch erlauben."
„Ay, wo du recht hast, hast du recht. Was machen wir also?"
Ravan ging zu seiner Kleidertruhe am Fußende des Bettes und holte ein frisches Hemd, eine dunkelrote Weste mit schwarzem Muster und einen ebensolchen Mantel heraus. „Wir gehen zur Leviathan und reden mit Raybeau. Treiben ihn ein bisschen zur Eile an, wer weiß, was auf diesem Ball alles passiert, nachher müssten wir vielleicht schnell verschwinden und dann sollten wir die Mannschaft versammelt haben." Er befreite sich aus seiner alten Kleidung und zog sich die frische über. „Außerdem können wir Hermanus noch ein wenig befragen, über seine Freunde und seine Verlobte."
Bastard richtete sich auf, erhob sich schwerfällig und streckte sich. „Guter Plan."
Unbehelligt von den Wachen und anderen Höflingen verließen Bastard und Ravan die Festung. Zwar wollten ein paar Soldaten der Königin als Ravans persönlicher Schutz mitkommen, aber Ravan befahl ihnen, zu bleiben. Wenn sie uns unbedingt ausspionieren will, soll sie es schon etwas subtiler anstellen.
Die beiden Männer schlenderten die große Hauptstraße entlang, immer bergab. Händler boten ihnen ihre Waren an, Bettler schrien um Almosen, aber niemand griff sie an oder versuchte gar, sie zu bestehlen. Die Straßen waren sauber und die Menschen sahen lange nicht so hungrig und ungepflegt aus wie die im Süden.
Ravan fiel auf, wie sehr sich Imarad von Amostown unterschied. Zwar hatte er schon viele Städte gesehen in seinem Leben, aber die meisten waren auf Santaca oder den Racheinseln gewesen. Städte voller Mörder, Diebe, Söldner, Piraten und Gestaltwandler, die wenig auf Gesetze gaben. Gegen diese finsteren Löcher voller Dreck und Abschaum war Imarad geradezu strahlend. Zwar war ihm bewusst, dass es auch Armenviertel gab, wie in jeder großen Stadt, wo auch ich mich heimisch fühlen würde, dachte er mit einem Anflug von Belustigung. Aber es war doch nicht das gleiche, wenn eine Stadt nicht nur aus niedrigen Stein- und Holzhäusern bestand, sondern auch aus prächtigen Villen und gepflegten Kaufmannshäusern. Beinahe fühlte er sich unwohl in der hellen, herbstlichen Stadt.
Doch als sie den Hafen erreichten, verflog seine Befangenheit. Das schmutzige Gedränge voller schwitzender Arbeiter, die fluchend Fracht an Bord von Schiffen brachten und andere entluden, darunter Huren, die versuchten, ihre Namen unter den Männern bekannt zu machen, und Aufseher, die Befehle über die Docks brüllten, fühlte er sich wirklich wie in Crusadia. Geschäftige Hafenviertel gibt es wohl überall.
Die Werwölfe schoben sich durch das Gewühl, vorbei an majestätischen Kriegsschiffen, über denen die Flagge von diversen Fürstentümern und Grafschaften flatterten, zur Leviathan, die immer noch unter den Farben von Ranon stand. Ein Seemann erkannte die beiden und ließ sie an Deck, wo die Crew dabei war, das Schiff mit neuen Vorräten auszustatten. Am Bug lag, wie üblich, Bastards Drache, und schlief in der Sonne. Ravan kämpfte sich zu Raybeaus Kajüte durch und klopfte.
Die Tür wurde von innen aufgerissen, und Raybeaus Quartiermeister stürzte hinaus. „Jawoll Sir, wird gemacht, Sir", stammelte er und verschwand, seine Absätze knallten auf den Planken.
Ravan schlenderte in die Kajüte, gefolgt von Bastard, der dir Tür hinter sich zuzog. „Was hat er dir denn angetan, dass er so entsetzt ist?", fragte der Lykaner belustigt.
„Er glaubt mir nicht, dass wir zu wenig Geld für das haben, was ich bestellt habe. Das ist hirnrissiger Schwachsinn. Ich habe es berechnet, es passt genau, und wir haben exakt drei Shilling, zwei Cer und dreiundzwanzig Pennys über. Jetzt habe ich ihm gesagt, wenn er es wagt, mir noch einmal zu widersprechen, ist er das Salzfleisch, was wir in den nächsten Wochen essen." Raybeau nahm ein paar Papiere von seinem Tisch und warf sie auf den Boden. Raschelnd gesellten sie sich zu dem Chaos. „Warum seid Ihr hier?"
Ravan breitete die Arme aus. „Darf ich nicht hier sein?"
„Ihr wärt aber nicht hier, wenn Ihr nichts von mir wollen würdet."
Da hat er recht. „Raybeau, in zwei Tagen muss das Schiff klar zum Auslaufen sein, für den Fall, dass wir nach dem Ball schnell verschwinden müssen. Wir müssen es mindestens bis Lichtenturm mit den Vorräten schaffen. Halte dich und die Mannschaft bereit. Heute und morgen Abend können sie sich noch entspannen, aber übermorgen will ich sie auf dem Schiff haben, bereit, vor den wilden Horden Askarons zu fliehen."
Raybeau zog die Augenbrauen hoch. „Wird das denn nötig sein?"
Ravan zuckte mit den Schultern. „Wir werden sehen, aber es ist wahrscheinlich. Die Königin ahnt, dass wir nicht der Herzog von Ranon und sein Söldnerfreund sind, und auch Hermanus' Freunde haben irgendwas bemerkt. Trotzdem, Bastard ist der Meinung, dass uns bis zum Ball nichts passieren wird, und davon gehen wir aus."
Der Kapitän murmelte etwas Unfreundliches über Bastards Glaubwürdigkeit und studierte seine Papiere. Ravan warf dem Söldner, der zu seinem Dolch gegriffen hatte, einen warnenden Blick zu. Reißt euch verdammt noch mal zusammen. Sal und Mackerel sind nicht so schlimm wie ihr beide.
„Sonst noch etwas? Ich habe ein Schiff und einen Haufen Männer zu befehligen, während ihr mit den Weibern von Askaron schäkert", schnauzte Raybeau.
Ravan lächelte amüsiert. „Wo ist eigentlich dein Steuermann? Ich wollte ihn ein paar Sachen über die Gegend fragen." Der Junge kommt aus Askaron, und wenn er genauso viel über sein Heimatland weiß wie über Alpha Centauri, dann kann er uns etwas weiterhelfen mit unserem Dilemma.
„Embry? Ist in der Stadt, er wollte seine Schwester besuchen, hat er gesagt."
Verdammt. Ravan seufzte resigniert.
„War es wichtig? Dann sage ich ihm, dass Ihr nach ihm verlangt habt." Raybeau sah nicht von seinen Unterlagen auf.
„Nein, wenn er jetzt weg ist, ist es eh zu spät. Wir sehen noch kurz nach dem Gefangenen, und fragen ihn ein wenig über seine Freunde aus, dann gehen wir zurück."
„Ay, viel Glück."
Ravan verließ mit Bastard die Kajüte. „Dass Embry jetzt nicht da ist, kommt ziemlich ungelegen. Er hätte uns wirklich weiterhelfen können."
Bastard nickte und folgte Ravan unter Deck. „Ja, das hätte er."
Ihre Schritte klangen dumpf auf den Planken, als sie weiter in den Bauch des Schiffes vordrangen. Als sie die wenigen Zellen erreichten, über die die Leviathan zur Verwahrung von Gefangenen verfügte, rief Ravan: „Ay, Hermanus! Wir haben ein paar Fragen an dich! Wen du brav bist, bringen wir dir ein Geschenk von deiner hübschen Verlobten mit!"
Niemand antwortete.
Ravan blinzelte heftig, um sich an die Dunkelheit im Schiffsbauch zu gewöhnen, und sah sich um. In den Zellen herrschte gähnende Leere, keine lebendige Seele war zu sehen. Eiskalte Beklommenheit ergriff ihn, als er realisierte, was passiert war. „Verdammte Höllen."
Bastard fluchte ebenfalls. „Verfluchte Scheiße, er kann doch nicht einfach verschwunden sein! Wie hätte er von Bord gehen können? Jeder hätte ihn erkannt und aufgehalten!"
Ravan wandte sich um und stürmte wieder nach oben, Bastard folgte ihm. „Wie hätte er aus seiner Zelle kommen können? Und ist dir eigentlich klar, was das bedeutet? Wenn er jetzt am Königshof auftaucht, werden wir gehängt, und haben nicht mal mehr die Zeit, uns zu verteidigen!", rief er. Und meine ganze Planung war umsonst.
„Wer hat denn alles die Schlüssel zu den Zellen?", fragte Bastard.
Ravan verlangsamte seinen Schritt nicht, als er die Frage im Geiste beantwortete. Raybeau. Nur er hat sie. Er hat Hermanus befreit, und mein Vertrauen missbraucht. Der beste Mann, den Virrey in seinen Diensten hat... Wütend schüttelte er die Worte seines Vaters ab. Kingsley Darnovey war tot, und seine Worte waren mit ihm gestorben.
Er betrat Raybeaus Kajüte, ohne zu klopfen, und blickte in die Mündung einer Pistole. Abrupt blieb er stehen. Verräter.
Raybeau senkte seine Waffe. „Verzeihung, aber ich bin es nicht gewöhnt, dass man einfach so hereinstürmt. Was macht Ihr hier?"
„Hermanus. Er ist weg."
„Wie bitte?"
„Der gottverdammte Gefangene! Den ich unter deinem Schutz gelassen habe! Er ist verdammt nochmal weg, seine Zelle wurde aufgeschlossen und er ist unauffindbar. Du bist der Einzige, der einen Schlüssel zu den Zellen hat. Was hast du getan?", brüllte Ravan wütend.
Raybeau machte einen harten Schritt auf Ravan zu. „Ich habe ihn nicht befreit! Ich schwöre es bei meinem Schiff. Die Schlüssel zu den Zellen sind genau hier." Er marschierte um seinen Tisch herum und riss ruckartig eine der Schubladen auf, sodass ein Wasserfall aus Papieren sich über den Boden ergoss. Kurz wühlte er darin herum, dann stutzte er. „Sie sind verdammt noch mal weg! Irgendein Arschloch hat sie gestohlen und den verdammten Gefangenen damit befreit."
Ravan spürte seine Wut auf Raybeau, und einen beinahe bedauernden Stich der Enttäuschung. Ich habe ihm vertraut, und jetzt hat er mich verraten. Er trat auf den Kapitän zu. „Bastard, fessle ihm an seinen Stuhl", befahl er kalt. „Mit ihm befasse ich mich später."
Mit einem Grinsen voller Genugtuung bewegte Bastard sich auf den Kapitän zu, als ein Seemann eintrat. „Captain, Euer Hoheit, das habe ich draußen auf der Straße gefunden. Ich wollte es Euch zurückgeben." Er hob die Hand und schüttelte den Gegenstand darin. Ein Schlüsselbund.
Raybeau wand seine Arme aus Bastards Griff und riss dem Mann die Schlüssel aus der Hand. „Danke, Hawthorne. Du hast mir soeben das Leben gerettet. Wo genau hast du sie gefunden?"
„In den Lagerhallen, wo Teer gelagert wird. Sie lagen dort einfach herum."
„Ich habe noch genug Teer an Bord gebracht. Warum warst du dort?"
Hawthorne wurde rot. „Eine Hure hat mich hineingezerrt, zwischen die Fässer."
„Gut, dass du sie gefunden hast. Du kannst gehen." Raybeaus Stimme nahm eine fast freundliche Färbung an, dann wandte er sich an Ravan und Bastard. Mit deutlich säuerlicherem Tonfall fuhr er fort: „Ich habe euren Herzog nicht befreit. Sucht nach einem Schuldigen, wenn wir wieder auf See sind. Dann kann er euch nicht entkommen, wenn er sich unter meiner Crew verbirgt."
„Verbürgt Ihr Euch nicht für Eure Männer?", fragte Bastard verächtlich. „Ihr seid ein großartiger Captain, in der Tat."
Raybeau fixierte Bastard mit seinen hellblauen Augen. „Nur die, die ich kenne. Wer nicht länger als zwei Jahre auf meinem Schiff ist, den kenne ich nicht. Und jetzt raus."
Bastard hob zu einer Antwort an, doch Ravan packte ihn am Kragen, schob ihn zur Tür hinaus, über das Schiff und auf den Steg. „Bastard, ich habe einen Auftrag für dich. Finde diesen elenden Hermanus und bring ihn um. Wenn er sich auch nur ansatzweise bei der Königin bemerkbar macht, bin ich ein toter Mann. Also, lass ihn von der Bildfläche verschwinden."
„Und was machst du so lange?"
„Darüber nachdenken, wem ich auf Raybeaus Schiff nicht vertrauen kann."
„Vertraust du diesem Kapitän?"
Nein. Nicht mehr so wie früher. „Ja. Ihm schon. Seine Männer, die sind das Problem. Und jetzt mach, dass du diesen Herzog tötest!"
Bastard nickte nur knapp und mischte sich unter die Arbeiter, sein blonder Haarschopf verschwand in der Menge. Ravan sah ihm kurz hinterher, dann fluchte er und trat den Weg zurück zur Festung an, immer in Begleitung finsterer Gedanken.
***
Ich widme dieses Kapitel Locke Lamora und Jean Esteban Tannen... Zwar komplett fiktive Personen, aber ihre Abenteuer haben mich zu dem kleinen Ausflug meiner Helden nach Askaron inspiriert. Es lebe Camorr!
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