34. Hermanus

You keep me locked up in your broken mind

I've keep searching, never been able

to find a light behind your dead eyes

Not anything at all

You keep living in your own lie

Ever deceitful and ever unfaithful

Keep me guessing, keep me terrified

Take everything from my world

- Seether, Words as Weapons

In Raybeaus Kajüte bedeckten Papiere, leere Flaschen, nautische Gegenstände und Seekarten wie Blätter den Boden. Sie raschelten leise, als Ravan und Bastard hindurchschritten, auf Raybeaus Stuhl zu, der von zwei Seemännern mit Pistolen flankiert wurde.

Auf dem Möbelstück saß ein junger Mann, vielleicht etwas jünger als Ravan. Er hatte kurze braune Haare, war von athletischem Körperbau und wäre in sauberen Zustand als attraktiv durchgegangen. Doch nun, mit einem Bartschatten, dem Bluterguss an der Schläfe und der zerrissenen Kleidung sah er furchtbar aus. Er zitterte und hielt den Blick ängstlich gesenkt.

"Hat er schon etwas gesagt?", wandte Ravan sich an Raybeau, der sich mit einem Glas voll Wein am Tisch lehnte.

Der Kapitän nahm einen Schluck seines Getränks und zuckte mit den Schultern. „Er hat seinen Namen gesagt und wie unfassbar wütend sein Vater wird, wenn er erfährt, was wir getan haben. Ich habe ihm unauffällig klar gemacht, wer hier das Sagen hat, und was wir mit ihm tun, wenn er nicht das macht, was wir ihm befehlen. Seitdem hat er sein Maul gehalten."

Ravan betrachtete den Gefangenen ein paar Sekunden lang. Dann sagte er: „Wer bist du?"

„Ich bin Darius Omeric Hermanus von Ranon, Herzog von Ranon und den Ebenen von Kareion."

Ravan nickte langsam. „Nun, Darius, ich habe gehört, dass du auf dem Weg nach Imarad bist, um dem Ball von Königin Helena beizuwohnen. Stimmt das?"

„Ja."

„Wo ist dann deine Begleitung?"

„Ich soll auf dem Ball meine Verlobte treffen."

„Wie niedlich. Darius, erzähl doch ein bisschen von dir. Über deine Eltern, deine Freunde und Vorlieben... Einfach alles."

Darius hob den Kopf, seine braungrünen Augen, die von blauen Flecken und Kratzern umrandet wurden, blitzten. „Und wer seid Ihr, der sich anmaßt, mich einfach so gefangen zu nehmen?"

Ravan grinste und ließ sich auf seine Wolfsnatur zutreiben. Das Fell flackerte über seine Haut, und er spürte, wie sich seine Sinne verschärften. Der Geruch nach Angst und Salz war überwältigend. Sein Körper schmerzte von der Anstrengung, in seiner menschlichen Gestalt zu bleiben. „Das tut nichts zur Sache. Ich habe ein Ziel, und nichts wird mich davon abbringen. Hör zu, Herzog, wenn du überleben willst, dann sag mir, was ich wissen will."

„Und wenn ich Euch nichts verrate?"

Ravan trat auf den Stuhl zu und brachte sein Gesicht auf die Höhe von Darius'. „Dann werde ich es auf eine andere Weise herausfinden. Ob auf die sanfte oder die harte Tour, liegt ganz bei dir. Und wage es ja nicht, mich anzulügen. Ich rieche es, wenn du lügst."

Mit einem Knurren verwandelte er seinen Kopf, nur eine Sekunde lang, und ein wütender Wolf schnappte nach dem Gesicht des jungen Mannes. Mit knirschenden Knochen verwandelte Ravan sich zurück, der Schmerz ließ ihn das Gesicht verziehen.

Auf Darius' Gesicht flackerte die Panik auf. „Werwolf", flüsterte er, und dann brach es aus ihm heraus. Er erzählte ihnen alles, über seine Freunde, über seinen toten Vater und seine Mutter, die an einem Fieber litt, nachdem sie nach Haracan gereist war, über seine ältere Schwester, die jung gestorben war und wie er deswegen die Geschäfte des Hauses Hermanus übernehmen musste, über seine Verlobte und die teuren Geschenke, die er ihr gemacht hatte, und die Feindschaften mit den Lords von Westerkap, Artosh und Maross. Ravan hörte zu und versuchte, sich alles zu merken. Das wird nicht leicht. Der Junge hat ein komplizierteres Leben, als ich dachte. Aber ich habe Herausforderungen schon immer gemocht.

„Eine letzte Frage habe ich noch, Darius", sagte Ravan, als der Herzog geendet hatte, „wann hast du die Königin zuletzt gesehen?"

„Vor... vor drei Jahren. Ich weiß nicht einmal, ob sie sich überhaupt an mich erinnern kann."

„Gut." Ravan lächelte. „Dann haben wir einen Plan. Raybeau, bring ihn in eine Zelle."

Nachdem die beiden Seemänner neben dem Stuhl den Gefangenen weggebracht hatten, öffnete Ravan die Kiste, die Bastard erbeutet hatte. Darin fand er eine Flagge mit dem Wappen von Askaron und eine mit dem Zeichen derer von Ranon, einige Kleidungsstücke und die Einladung zum Ball. Ich bin in etwa gleich gebaut wie der Herzog, habe die gleiche Haarfarbe und sehe ihm auch sonst ähnlich. Sein Aussehen nachzuahmen wird einfach. Gut, seiner Verlobten könnte auffallen, dass meine Augenfarbe anders ist, aber sonst... „Wenn wir in Imarad sind, werde ich der Herzog sein. Du, Bastard, wirst mein Leibwächter. Aber gib nichts über dich preis, selbst wenn sie dich lebendig häuten. Wenn du schon einmal in Askaron gekämpft hast, würde es für eine Menge Unannehmlichkeiten sorgen, wenn dich jemand wiedererkennt. Darius hat anscheinend ein relativ hohes Ansehen, und ich glaube nicht, dass er sich mit Söldnern umgibt." Er warf einen Blick aus dem Heckfenster. „Und dann werden wir unsere Rollen spielen."

Eine Woche später erreichten sie Imarad. Es war eine gewaltige Stadt, gigantisch und hell, sodass Amostown im Vergleich dazu wie ein Haufen Dreck neben einem Brocken geschliffenem Marmor war. Sie lag auf einem Hügel, umgeben von hohen Stadtmauern, die von Bretterbuden und Viehställen gesäumt wurden. Auf der Kuppe des Hügel lag die Burg von Imarad, die Festung der Könige, vollständig aus weißen Sandstein, mit golden schimmernden Kuppeln. Die Elfen haben ganze Arbeit geleistet, als dieses Schloss erbaut haben, dachte Ravan und versuchte, nicht allzu beeindruckt zu wirken.

Über ihnen flatterten die Flaggen: die schwarze mit der goldenen Krone und den gekreuzten Schlüsseln von Askaron, darunter die blaue mit dem Schiff und den drei Sternen. Der wahre Besitzer dieses Wappens saß in einer Zelle im Schiffsbauch, die er seit seiner Gefangenschaft nicht verlassen hatte.

Ravan trug die Verkleidung zu seiner Rolle: die Kleidung des Fürsten, eine blaue Hose, einen ebensolchen Waffenrock mit einem dezent aufgestickten Wappen des Hauses Hermanus und darüber ein dunkelroter Mantel mit goldenen Schnallen. An seiner Seite hing sein Schwert, in seinem Stiefel steckte, vor Blicken verborgen, ein Dolch. Seine Pistole hatte er in seiner Truhe unter Deck gelassen, doch schon jetzt fehlte ihm das vertraute Gewicht in seinem Gürtel.

Bastard dagegen war nicht so zurückhaltend. Zwar trug auch er eine Uniform, mit einem Hemd und einer blauen Weste zu seiner üblichen schwarzen Hose und darüber ein Mantel, der Ravans zwar von der Farbe her ähnelte, aber aus weit weniger kostbarem Stoff geschneidert war, doch er trug seine üblichen Waffen: Das eineinhalbhändige Schwert hing um seinen Rücken, das Jagdmesser hatte er sich an den Oberschenkel geschnallt und in seinem Gürtel steckte das armlange, gebogene Schwert aus Nyradon in seiner emaillierten Scheide. Es war seine Lieblingswaffe, das wusste Ravan. Gerade lud der Söldner seine Pistole nach und steckte sie an seinem Rücken und den Gürtel.

„Bastard, lass dein Schwert und das Jagdmesser hier. Wir gehen auf ein Fest und ziehen nicht in die Schlacht."

Der Söldner sah auf. „Ich habe schon erlebt, dass aus dem einen das andere wurde, glaub mir."

„Aber das ist garantiert nicht der Normalfall. Wir sollen ein Lord, nein, ein Herzog und sein Leibwächter sein und nicht ein Lykaner und sein Söldnerfreund."

Knurrend folgte Bastard seiner Anweisung. „Wenn du nachher mein Schwert vermisst, weil es Komplikationen gibt, kann ich dir auch nicht mehr helfen", murrte er und legte seine Waffen ab.

Ravan wandte sich an seine Begleiter. „Ab jetzt bin ich Darius Omeric Hermanus von Ranon. Ihr sprecht mich, wenn überhaupt, mit Euer Hoheit an und folgt allen meinen Befehlen ohne Widerrede. Ihr sprecht nicht darüber, wer ich wirklich bin, niemals. Mit niemandem. Spione lauern überall. Allerdings habe ich einen Lohn für euch." Er ließ den Blick über die Mannschaft der Leviathan schweifen. „Heute Nacht, wenn ihr die Vorräte für unsere Weiterreise an Bord gebracht habt, dürft ihr euch Imarad ansehen und euch den Huren und dem Alkohol hingeben. Versprecht mir nur eins: Vögelt ein paar für mich mit." Die Crew jubelte und skandierte seinen Namen, als er sie unterbrach. „Wie lautet mein Name?"

„Der Herzog von Ranon!", brüllte ein Seemann, und die anderen fielen ein.

„Brav", murmelte Ravan, und Bastard erschien wieder neben ihm. Ohne sein Schwert und dem Messer, aber immer noch mit dem langen nyradonischen Dolch. Ravan wollte etwas einwenden, doch der Söldner unterbrach ihn.

„Sagt einfach, Ihr habt es mir für meine Treue geschenkt, Euer Hoheit", sagte er leise.

Ravan lächelte halb. Er hat es begriffen.

Als sie im Hafen von Imarad anlegten und den Boden Askarons betraten, sah Ravan die vielen Menschen. Edle Damen, Höflinge, Diener, Soldaten und Ritter drängten sich auf dem hellen Sandsteinpflaster. In ihrer Mitte stand die Königin, eine rothaarige Frau mittleren Alters mit einem umwerfenden Lächeln, das sie sofort zeigte, als Ravan, gefolgt von Bastard, den Kai betrat. Entschlossen straffte er die Schultern. Dann sehen wir mal, was meine Verkleidung taugt.

Festen Schrittes marschierte er auf die Königin zu, kniete vor ihr nieder, ergriff die ihm dargebotene Hand und küsste sie sanft.

„Erhebt Euch", sagte Königin Helena, und Ravan konnte das Lächeln in ihrer Stimme hören. „Mein lieber Herzog Hermanus, wie schön es ist, euch zu sehen."

„Die Freude ist ganz meinerseits." Ravan stand auf und sah sie an. Für ihr Alter war ihre Haut geradezu makellos, und ihre blauen Augen blitzten amüsiert. In ihren Gesichtszügen erkannte er Wohlwollen und... Wissen? Kann es sein, dass die Königin mich jetzt schon durchschaut hat? Ist meine Tarnung so schlecht? Er beschloss, sich nichts anmerken zu lassen.

„Wie war Eure Reise? Ich muss sagen, Ihr habt Euch verändert. Ihr seht anders aus als früher", bemerkte die Königin.

Ravan verkniff sich ein erschrockenes Zusammenzucken und spürte Bastards misstrauische Anwesenheit in seinem Rücken. Metall flüsterte leise auf Metall, und er kroch langsam auf seinen Abgrund zu, als Helena hinzufügte: „Ihr seht viel besser aus. Die langen Haare stehen Euch."

Ravan unterdrückte ein erleichtertes Ausatmen und bot ihr galant seinen Arm an. „Ich habe sie nur für Euch wachsen lassen, damit sie mit Eurer atemberaubenden Mähne mithalten können. Dennoch kann ich nicht mit eurer Schönheit messen", sagte er charmant.

Sie kicherte. „Oh, ein Selbstbewusstsein habt Ihr Euch auch wachsen lassen?"

„Es hat lange gedauert und brauchte viel Pflege, aber nun ist es reif." Er wandte sich an Bastard. „Lass dir ein Pferd geben und folge uns zur Festung."

Der Söldner nickte und befahl ein paar Männern, seine und Ravans Truhe aus dem Schiff zu holen und sie auf eine Kutsche zu laden. Ravan geleitete die Königin zu einer weiteren Kutsche und half ihr hinein, dann stieg er selbst hinzu.

Der Kutscher ließ die Peitsche knallen, Hufe klapperten auf dem steinigen Boden und das Gefährt fuhr ruckelnd an. Ravan sah aus dem Fenster, ließ Imarad an sich vorbeiziehen und gestattete sich ein triumphierendes Lächeln.

***

Oh, ob das gut läuft mit Ravans Plan...? Ein Fenris und ein Lykaner in der Adelsgesellschaft Askarons? ;) Wenn's euch gefällt --> Vote & Kommi! :D

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top