30. Hassilas Bordell
But what was the deal, now...?
And was it for gold?
And how does it feel, now...?
And what shall you know?
I'm going into the wild!
- Johnossi, Into the Wild
Sie fuhren durch die Straßen von Punto Alegre, vorbei an Schenken und Pubs, Gasthäusern, Tavernen und Bordellen, bis sie vor einem Holzhaus in einer Nebenstraße stehenblieben. Es war ein einfaches, zweistöckiges Gebäude, schlampig gestrichen, mit einem großen Balkon auf der Höhe der ersten Etage. Ein Schild hing daran, doch die Schrift war zu abgeblättert, um den Namen des Etablissements noch erkennen zu können. Vor dem Haus standen ein paar leicht bekleidete Frauen und scherzten mit den vorbeigehenden Männern. Einer griff einer Frau grob an die Brüste und sie schrie erschrocken und doch amüsiert auf
Marie schluckte. Oh Geister, ich werde das nicht aushalten. Niemals. All die Männer... Du musst auch nicht, entgegnete die Wölfin. Die Stimme in Maries Kopf hatte einen belustigten Unterton.
Wie, das muss ich nicht? Marie suchte nach dem Grund für die Überzeugung der Wölfin, doch sie konnte ihn nicht finden. Ich weiß nicht, was sie weiß. Mein eigenes Unterbewusstsein hält etwas vor mir geheim! Wild durchsuchte sie ihre Gedanken, doch sie erkannte, dass sie ihn nicht fand. Manchmal spürte sie, wie nahe sie an dem Gedanken der Wölfin war, doch sie konnte ihn nicht fassen. Wie Rauch waberte er durch ihren Kopf. Lass das! Doch die Wölfin antwortete nur mit einem listigen Kichern.
Für eine Sekunde fragte Marie sich, ob es ein Fehler gewesen war, der Wölfin mehr Kontrolle zu lassen. Es hatte sie zunächst viel Willenskraft gekostet, die festen mentalen Mauern, die die Wölfin in ihre Schranken wiesen, etwas zu lockern. Immerzu hatte sie an Jeans Worte denken müssen. Sie hatte gefürchtet, die Kontrolle über sich und ihren Abgrund zu verlieren. Später hatte sie gemerkt, wie viel Mut ihr die vertraute Gegenwart machte, und dass ihre Gespräche ihr halfen, nicht zu aufzugeben. Doch jetzt flammten erste Zweifel in ihr auf. Wenn die Wölfin mehr Macht bekam, würde sie am Ende die Kontrolle über Marie erlangen?
Die Wölfin spürte ihr Misstrauen, und ein warmes Gefühl des Trosts durchströmte Marie. Keine Angst. Ich unterliege immer noch deiner Kontrolle. Du kannst mir vertrauen. Wenn du genau nachdenkst, kannst du den Gedanken auch fassen, schließlich sind wir eins. Kurz verlor sich Marie in den Gedanken, wie sie entkommen könnte, doch sie fand keinen Weg, der ihr sicher erschien. Schließlich gab sie auf, und ließ sich von Hassila in das Bordell scheuchen. Im Inneren war es genauso schäbig wie außen, mit dreckigen Sitzecken und einer schäbigen Bar in einer Ecke, hinter der ein übellauniger Barkeeper stand und mit finsterem Blick Gläser polierte. An der Wand prangten blasse, fleckige Malereien von nackten Frauen in erotischen Posen. Ein paar Kerzen erhellten den Raum nur dürftig. Zerrissene Vorhänge blähten sich vor den offenen Fenstern, trotzdem war die Luft stickig.
Ängstlich sahen sie und die Mädchen sich um. Eine Treppe, die bedrohlich wackelte, als eine junge Panthera herabstolzierte, führte in die erste Etage. Von einem Flur gingen mehrere Türen ab, aus denen eindeutige Geräusche zu hören war. Ein Mann wischte den Boden und grinste die neuen Mädchen zahnlos an.
„Frischfleisch", nuschelte er. „Hassila, wenn ich nur einmal..." Er krümmte die Hände zu Klauen und musterte gierig eine brünette Schönheit, die angeekelt zurückwich.
Hassila schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht. „Für dich immer noch Mistress Hassila, du hässlicher Sohn einer buckligen Hündin. Nein. Wenn du mich noch einmal fragst, schlag ich dir was anderes aus als nur die Zähne. Und jetzt verschwinde und mach deine verdammte Arbeit."
Der Mann nickte unterwürfig und trollte sich.
Hassila drehte sich zu den Mädchen um, die die Szene mit einer Mischung aus Angst und zögerlichem Vertrauen beobachtet hatten. „Keine Angst, meine Lieben, er wird euch nichts tun. Dafür sorge ich."
Ein paar Mädchen lächelten scheu, und Hassila lächelte zurück. Die bräunlichen Zähne in ihrem knochigen Pferdekopf verliehen ihr das Aussehen einer mumifizierten Leiche, fand Marie. Trotzdem war es vertrauenerweckender als die mürrische Miene, die sie am Hafen zur Schau getragen hatte.
„Meine Lieben, ich werde euch vor allem beschützen, die euch etwas Böses wollen. Vor Mördern, vor Dieben, sogar vor Vergewaltigern. Ich werde euch durchs Leben bringen. Ihr werdet nicht hungern müssen und erhaltet sogar Geld." Sie ließ ihren Blick über die Gruppe schweifen. Zwölf ängstliche und zugleich hoffnungsvolle Augenpaare sahen ihr entgegen.
Wie dumm sie sind. Sie haben es wohl noch nicht begriffen, was hier läuft, dachte Marie abfällig. Wahrscheinlich klammern sie sich an jeden Ast, den sie fassen können, obwohl sie wissen, dass es vorbei ist. Man sollte einsehen, wann man verloren hat. Aber sie wusste, sie wäre ebenfalls eine dieser dummen Hühner, wenn die Wölfin nicht wäre. Die Gewissheit, dass sie einen Plan hatte, selbst wenn sie ihn nicht erkannte, verlieh ihr Sicherheit.
Verlass dich lieber nicht zu sehr auf deinen Abgrund, ermahnte ihre Vernunft sie, doch Marie und die Wölfin knurrten sie nieder. Warum sollte ich mir selbst nicht vertrauen? Mit einem leisen Grollen wandte sie sich wieder Hassila zu.
„Allerdings", die Kriegerpferdstute hob einen Zeigefinger, der einem knotigen grauen Zweig ähnelte, „erwarte ich etwas im Gegenzug dafür. Euren Gehorsam und euren Körper. Wer nicht gewillt ist, mir beides zu geben, dem nehme ich es. Und, bei allen achtzehn Höllen, ihr werdet sehen, wie es euch ergeht."
Diesmal waren die Blicke der Mädchen durchweg ängstlich.
„Eure Arbeit wird darin bestehen, Männern Freude zu bereiten. Tut, was sie wollen. Besorgt es ihnen. Vögelt sie durch, wie sie es mit euch machen werden. Euren Lohn, das Geld, das ihr dafür bekommen werdet, gehört zur Hälfte euch und zur Hälfte mir. Mit eurem Anteil dürft ihr machen, was ihr wollt. Mit meinem Anteil füttere ich euch durch und bezahle den Barmann und die Handvoll Männer, die hier drin für Ordnung sorgen."
Ein Dracon in einer dunklen Ecke hob sein Glas und prostete den Mädchen zu, die Panthera auf seinem Schoß lächelte huldvoll. Der Barmann winkte den Mädchen missmutig mit einem Messer zu.
Hassila musterte die Mädchen, eins nach dem anderen. „Seid euch stets der Tatsache bewusst, dass es euch draußen noch schlimmer erginge. Auf den Straßen lauert der Pöbel. Draußen werdet ihr nicht mit einem betrunkenen Lachen und einem Kuss in ein Bett geleitet, sondern mit einem groben Griff in eine dreckige Nebengasse. Dann ficken sie euch, bis ihr blutig seid, und schneiden euch die Kehle durch, einfach, weil es ihnen Spaß macht. Draußen bekommt ihr keine drei Mahlzeiten am Tag und ihr bekommt auch kein Geld. Nur Grauen."
„Und hier vögeln sie uns auch, bis wir blutig sind!", rief eine der Frauen trotzig. „Wir bekommen einen schlechten Lohn und wenn wir uns den Männern widersetzen, werden wir geschlagen. Wie soll es hier besser sein?"
Hassila drehte den Kopf ruckartig in die Richtung, in der das Mädchen stand. Die Umstehenden zogen ängstlich die Köpfe ein, und Marie trat unwohl von einem Fuß auf den anderen. Sie wusste, wenn sie nicht so verängstigt gewesen wäre, hätte sie Hassilas Worte ebenfalls infrage gestellt. Oder war es die Wölfin, die sie ermahnte, zu schweigen? Es war ihr egal. Sie war nur froh, dass nicht sie es gewesen war, die sich widersetzt hatte.
Mit vogelartigen Bewegungen baute Hassila sich vor der widerspenstigen Frau auf. „Du bist also der Meinung, dass es euch hier nicht besser geht als auf der Straße."
Das Mädchen nickte, jedoch nicht mehr so überzeugt wie zuvor.
Hassila legte den Kopf schief. „Du ziehst also betteln und stehlen richtigem Essen vor, und du magst lieber Steine und Pisse unter deinem Rücken statt einer Matratze, wenn ein Mann es dir besorgt. Mit aller Kraft. Hab ich das richtig verstanden, aye?"
Marie konnte erkennen, wie das Mädchen seinen Mut zusammensuchte. Sie bereut sicher, dass sie etwas gesagt hat. „Nein, aber wenn du uns nicht gekauft hättest, wären wir gar nicht hier!", zischte die Frau.
„Du bist hier, weil die Bruderschaft euch hierher gebracht hat. Punto Alegre ist nur die Alternative zu Port Vengeance und den Arenen von Zephyr. Überleg es dir gut, ob du die Hölle oder die reale Welt willst!", entgegnete Hassila.
Das Mädchen antwortete nicht, sondern drehte sich um und rannte los. Die anderen schrien erschrocken auf, doch Hassila würdigte sie nicht eines Blickes, sondern gab dem Dracon in der Ecke ein Zeichen. Mit geschmeidigen Bewegungen erhob sich der Drachenmensch, streckte den Hals und stürmte dem Mädchen hinterher. Marie hörte das Kreischen von Frauen und das Schlagen von ledrigen Flügeln.
Wenige Augenblicke später kam der Drachenkrieger zurück, über seiner Schulter hing die bewusstlose Frau. Von ihren Lippen tropfte Blut, und rote Flecken, die sich schon bald blau verfärben würden, zierten Gesicht und Oberkörper. Ein paar Mädchen schnappten entsetzt nach Luft. Marie spürte, dass sich ihr Mitleid einen Weg in ihr Herz bahnte, doch sie schluckte es herunter. Du bist eine Crusader. Nur du zählst, redete sie sich ein.
„Gute Arbeit. Bring sie in den Hinterhof", befahl Hassila dem Dracon, dann wandte sie sich wieder an die Mädchen, die sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrten. „Das passiert, wenn man mir nicht gibt, was ich verlange. Wer mir meinen Anteil am Geld versagt, wird bestraft. Wer versucht, zu fliehen, wird bestraft. Wer versucht, mich zu bestehlen, wird bestraft. Aber tut das, was ich verlange, und ihr habt ein glückliches Leben. Habt ihr das verstanden?"
Ängstliches Nicken.
„Dann folgt mir."
Marie biss nervös die Zähne zusammen. Ich darf auf gar keinem Fall erwischt werden, wenn ich von hier entkommen will. Sonst bin ich am Ende. Und wenn ich tot bin, kann ich Roxane niemals helfen. Wieder spürte Marie die tröstliche Wärme, die von der Anwesenheit der Wölfin ausging. Wie werden es schaffen. Gemeinsam. Hassilas Hufe klapperten leise auf dem schartigen Holzfußboden, als sie die Mädchen durch den dunklen Flur zu einer Tür führte. Dahinter lag ein kleiner, dampfiger Raum, in dem mehrere Wannen voll heißem Wasser standen. Unsicher sahen die Frauen sich um.
„Wascht euch, aber gründlich. Ihr müsst ja auch gut aussehen für eure Kunden! Ihr habt eine Stunde Zeit."
Kaum war Hassila gegangen, bildeten sich Grüppchen. Einige waren der Meinung, man sollte sich Hassila widersetzen, andere folgten brav der Anweisung der Mistress. Wieder andere fingen an zu weinen, noch bevor die Tür richtig ins Schloss gefallen war.
Marie hielt sich abseits und knöpfte langsam ihren Mantel auf. Sie scherte sich wenig um die anderen, und sie wusste, dass es keine Sinn hätte, sich mit ihnen zu unterhalten. Schließlich würde sie noch in dieser Nacht fliehen, wenn die Wölfin ihr Wort hielt.
Ich halte mein Wort. Vertrau mir. Seit ich von Maura Ithakea auf ein verdammtes Sklavenschiff geschleift wurde, misstraue ich jedem.
Auch dir selbst? Marie stieg in eine Wanne und seufzte wohlig, als das heiße Wasser den Dreck von ihrer Haut und den Schmutz aus ihren fettigen Haaren spülte. Sie griff sich eine Bürste und ein Stück Seife und schrubbte sich die restlichen Flecken von der Haut. Dann lehnte sie sich zurück, und versuchte zu vergessen, dass sie in einem Hurenhaus in Punto Alegre war und nicht ihren Gemächern in der Obsidianfestung. Das Bewusstsein der Wölfin schmiegte sich wie Seide an ihres.
„Hey, du. Raus da. Andere wollen vielleicht auch sauber werden."
Als die aggressive Stimme der Frau Marie aus ihrer entspannten Trägheit holte, reagierte sie, ohne nachzudenken. Blitzartig griff sie nach der Wölfin, die sich mit einem freudigen Knurren mit ihr verband. Als sie aufsprang, fühlte sie, wie sich ihre Knochen im Gesicht verschoben, ihr Haar wurde kürzer und nahm einen goldenen Farbton an. Wütend grollte sie die Frau an, während goldenes Fell über ihre Haut huschte wie Wellen.
Entsetzt fuhr die Frau zurück und kreischte Hassilas Namen, und Marie bemühte sich, wieder menschlich zu werden. Das Fell verschwand von ihrer Haut, ihr Schädel knackte schmerzhaft, als ihr Kiefer sich wieder verkürzte. Benommen schüttelte sie sich das Wasser aus den Haaren, und sie stieg aus der Wanne. Wasser lief in Kaskaden ihren Körper hinab. Das hätte ich sonst nie getan. Du bist zu nahe an mir! Nur wegen dir haben wir jetzt ein Problem!, fuhr sie die Wölfin an.
Du willst doch auch zu mir! Ich bin gekommen, weil du mich gerufen hast. Selbst wenn du früher weiter entfernt von mir warst, so bist du jetzt dennoch stärker, hielt der Abgrund dagegen.
Bevor Marie etwas sagen konnte, flog die Tür auf, und Hassila stürmte herein. Das Mädchen, das Marie gestört hatte, gestikulierte in ihre Richtung, und das Kriegerpferd trat auf die Lykanerin zu.
Graue Mumienfinger schlossen sich um ihr Handgelenk. „Du kommst mit mir", befahl sie und zog Marie mit sich.
Beklommen folgte sie. Das hast du mir eingebrockt!, zischte sie der Wölfin zu. Doch der Abgrund ließ sich nicht zu einer Antwort herab. Stattdessen herrschte eisernes Schweigen in ihrem Kopf.
Hassila stieß Marie in ein leeres Zimmer. Nackt stand Marie der knochigen grauen Mistress gegenüber und wand sich unbehaglich unter ihrem Blick. Ich hätte meinen Mantel mitnehmen sollen. „Du bist also eine von diesen elenden Wölfen", fauchte Hassila. „Ich habe mir fast gedacht, dass es eine von euch ist, wenn Lady Maura mir einen Brief schreibt, um sicherzustellen, dass eine Ladung auch wirklich hier gelandet ist und nicht auf halber Strecke abgesoffen ist. Ihr höllenverdammten Lykaner. Denkt, ihr könnt machen, was ihr wollt. Aber nicht bei mir." Sie stellte sich so nahe vor Marie auf, dass sie ihren fauligen, nach Alkohol und Rauch stinkenden Atem riechen konnte. „Wenn du dich auch nur einmal verwandelst, erschieße ich dich, und trage deinen hübschen Pelz als Umhang. Ist das klar?"
„Ja, Mylady", flüsterte Marie. Sie spürte, wie eisige Angst in ihr hochkroch. Wir werden sterben, wenn wir heute Nacht fliehen! Hast du nicht gehört? Das Kichern der Wölfin hallte in ihrem Schädel wider. Wir werden heute Nacht fliehen, und uns wird nichts geschehen.
Als die Sonne unterging, war Marie frisiert und eingekleidet worden, immer unter dem wachsamen Blick von Hassila. Die knochige Stute hatte sie nicht aus den Augen gelassen. Doch jetzt wartete Marie bemüht ruhig neben der Bar, trug ein luftiges blaues Seidenkleid, das bei jedem Windstoß flatterte wie ihre Nerven und versuchte, sich die Gänsehaut von den Armen zu reiben.
Es wird nicht funktionieren. Wir werden es nicht schaffen. Überall Menschen und Krieger, die uns einfach so töten könnten... Reiß dich zusammen! Eine Crusader zweifelt nicht. Marie atmete zitternd ein und drehte sich zu dem Barmann um. „Wein, bitte."
„Haben wir nicht."
Drecksladen. „Dann Rum."
Der Barkeeper schenkte ihr ein Glas der goldbraunen Flüssigkeit ein, das sie gierig herunterstürzte. Es half nicht viel, aber nun hatte sie ein Glas, mit dem sie herumspielen konnte. Nervös drehte sie es um, dann wieder zurück.
Die anderen Neulinge schienen ebenso aufgeregt zu sein wie sie. Manche flirteten unsicher mit ein paar vorbeikommenden Männern, andere standen etwas linkisch neben dem Eingang und schienen sich zu fragen, was nun zu tun war. Hassila dagegen redete mit jedem Mann, der ihr begegnete, scherzte mit dem einen, schäkerte mit dem anderen und geleitete müde Arbeiter und erschöpfte Seemänner zu den Huren. „Oh, geh doch zu Kenna, sie hat gerade eine gute Woche... Nein, Sory ist nicht da, aber was hältst du von Sera, ihrer jüngeren Schwester, noch hübscher und noch wilder, die verpasst dir Kratzspuren, von denen können Pantheras nur träumen... Zira, Liebes, komm her, und mach ein wenig Sport mit ihm, sieh dir seinen Wanst an, das hat er bitter nötig..."
Immer wieder huschte ihr Blick zu Marie, und wenn sich ihre Augen trafen, erstarrte sie zu einer Statue. Mit einem kleinen Lächeln wandte Hassila sich wieder ab und fuhr fort mit ihren Gesprächen.
Als die Nacht hereinbrach und das Tageslicht durch Fackeln und Kerzen ersetzt wurde, ertönte der Ruf, den Marie gefürchtet hatte, seit sie den Boden von Punto Alegre betreten hatte.
„Mädchen komm her. Ja, du mit dem blauen Kleid." Hassila lächelte ihr grausiges Leichenlächeln, eine Zigarette zwischen den Lippen.
Oh Geister, es geht los. Langsam stieß Marie sich von der Bar ab und stolzierte zu der Mistress hinüber. Neben dem Kriegerpferd stand ein muskulöser, breitschultriger Mann mit fettigen schwarzen Haaren und einer hässlichen Narbe im Gesicht. Er grinste unheilvoll, als Marie sich näherte und vor ihn in einem tiefen Knicks versank.
Hassila kicherte. „Siehst du, die kleine Lady hat sogar Sinn für Anstand. Mädchen, das ist Roay, und er hätte dich gern für sich. Wenigstens für ein paar Stunden."
Roay strich Marie übers Haar, und die Lykanerin widerstand dem Drang, seine Hand wegzustoßen. Stattdessen biss sie die Zähne zusammen und tastete nach dem beruhigenden Bewusstsein der Wölfin.
Gleich. Beruhige dich. Gleich. Spiel deine Rolle.
Wie?, dachte Marie panisch.
Denk an das Schiff. Da wusstest du es auch. Die Wölfin ließ einen Fetzen von ihren Erinnerungen aufflammen, und Marie wusste, was sie zu tun hatte.
Entschlossen schüttelte sie sich die Haarsträhnen aus dem Gesicht, die sich aus ihrer Hochsteckfrisur gelöst hatten und straffte die Schultern, sodass ihr beeindruckendes Dekolleté zur Geltung kam. Mit einem frechen Grinsen strich sie Roay übers Kinn. „Komm mit mir, und ich bin die deine für eine Nacht", schnurrte sie in einem Tonfall, der ihr selbst einen Schauer über den Rücken laufen ließ.
Roays Lachen ließ seinen Körper erbeben, und er ergriff ihre Hand. Hassila schnaubte zufrieden. „Sie hat Feuer", bemerkte sie und warf Marie einen warnenden Blick zu.
Marie erwiderte ihn gespielt unsicher. Eine seltsame Aufregung ergriff von ihr Besitz, und sie spürte, wie die Wölfin sich regte. Gleich, summte sie, und Marie wusste nicht, ob es Vorfreude oder Angst war, die ihren Gedanken tränkte
Mit Roay im Schlepptau bahnte sie sich ihren Weg durch die Männer und Huren, bis sie den Flur erreicht hatte. Sie fand das Zimmer, das Hassila ihr zugeteilt hatte und zog Roay hinein. Mit einem Ruck verschloss sie die Tür.
Der Raum war kahl eingerichtet, neben dem Bett gab es nur ein Möbelstück, ein kleiner Tisch, auf dem eine Kerze brannte. Das Bett war bedeckt mit blau gestreiften Bettlaken. Es machte einen zunächst gemütlichen Eindruck, doch Marie ahnte, dass es nur mit Stroh statt mit Federn gefüllt und schrecklich unbequem war.
Aber das sollte nicht ihre Sorge sein.
Die Wölfin flüsterte ihr die Anweisungen zu, und sie folgte. Mit zitternden Fingern knöpfte sie Roays Hemd auf, während er die Schnüre ihres Kleides löste. Sanft trat sie auf ihn zu und stieß ihn langsam rückwärts aufs Bett, schnell schnürte sie seine Hose auf. Für einen winzigen Moment lang wusste sie nicht, was sie zu tun hatte, und eisige Panik breitete sich in ihn aus, doch die Worte der Wölfin folgten sofort.
Leg dein Kleid ab und leg sich auf ihn. Ihr Herz raste, als sie ihr Kleid hinter sich auf den Boden fallen ließ, rauschend fiel es in sich zusammen. Nackt trat sie auf Roay zu und kletterte über ihn. Er drängte seinen Unterleib an sie, und sie musste sich zusammenreißen, um nicht aus der Rolle zu fallen und zurückzuweichen. Und jetzt? Die Wölfin strich um ihr Bewusstsein. Lass dich fallen. Töte ihn und flieh aus dem Fenster. Sie musste Marie kein zweites Mal bitten. Mit einem leisen Schrei stürzte sie sich in den Abgrund und vereinigte sich mit der Wölfin. Ihre Knochen knirschten und veränderten sich, ihr Kiefer wuchs zu einer Schnauze, Fell bedeckte ihren Körper, und ihre Sinne wurde überwältigend gut. Sie roch pulsierendes Leben und köstliches Blut vor sich, und mit einem Grollen versenkte sie ihre Zähne in dem Fleisch vor sich.
Ihr Opfer hatte kaum eine Sekunde zum Schreien, bevor Marie ihm den Kehlkopf herausriss. Blut tropfte auf die blauen Bettlaken und versickerte in ihrem Fell. Oh, wie wunderbar es schmeckte. So schrecklich gut. Mit einem wohligen Knurren fraß sie ein weiteres Stück des Halses, als sie sich erinnerte, was sie zu tun hatte.
Schnell ließ sie von dem Toten ab und sprang auf die verschlossenen Fensterläden zu. Bitte, lasst sie nicht so fest sein wie die Tür im Laderaum. Sie hatte Glück. Unter dem Gewicht der fast kalbsgroßen Wölfin barst das alte Holz, und sie war frei.
Kaum berührten ihre Pfoten den schlammigen Boden, rannte sie los. Sie schlängelte sich durch die Massen, Hände griffen nach ihr und erstaunte Rufe wurden laut. Sie wusste, wo sie hinwollte. Zum Hafen, und dann auf ein Schiff, das mich nach Hause bringt. Zu Roxane. Aber zuerst muss ich weg aus dieser verdammten Stadt. Als ihre Pranken keine schmatzenden Geräusche mehr erzeugten, sondern über den gepflasterten Boden des Hafens trommelten, verlangsamte sie ihren Schritt und sah sich aufmerksam um. Woran erkenne ich ein Schiff nach Crusadia? Doch sie vergaß sie Frage, als sie Schüsse hinter sich hörte und eine Kugel gefährlich nahe neben ihr einschlug. Wieder begann sie zu rennen, über einen Steg, und setzte elegant über den Wasserstreifen zwischen Kai und einem Schiff hinweg.
Dumpf kamen ihre Pfoten auf den Planken auf, und sie trabte die Treppen hinab unter Deck in den Laderaum. Dort legte sie sich in eine dunkle Ecke zwischen Kisten und Stoffballen, in der man sie nicht auf den ersten Blick entdecken würde, rollte sich zusammen und schloss die Augen. Roxane, ich komme. Ich rette dich.
* * *
Spät gepostet, aber besser spät ls nie ;) Nun, da hat Marie doch eine wahre Verbündete in ihrer Wölfin gefunden... Oder etwa nicht? Was würdet ihr Marie raten? Schreibt's in die Kommentare und lasst ein Vote da :) So zum Anfang des Sommers ...
Die Widmung geht an BL00DW0LF für die ganzen Votes :) Vielen Dank fürs Lesen und Voten :*
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