28. Hängt ihn auf!

 They say I'm psycho

And should be put behind bars

That I am damaged

And my soul is full of scars

You shiny people

You should never come this far

'Cause I'm a killer

I got murder in my heart

- Mustasch, Bring Me Everyone


Der Mann bettelte, ohne Aussicht auf Gnade. „Nein... Lasst mich gehen... Bitte... Bitte, hängt mich nicht auf... ich mache alles, was ihr wollt, bitte..." Seine klagenden Laute wurden ihm von den Lippen gerissen, und seine Tränen gefroren auf seinen Wangen.

  Mit steinernem Gesicht ging Skyoll hinter dem Mann her. Der Wind war auf der Mauer noch schneidender als im Steinbruch, ließ seine langen Haare am Hinterkopf flattern und fuhr heulend in sein weißes Fell. Unten bestand er aus Klingen, die sich ins Fleisch fraßen und beständig den Körper daran erinnerten, wie klein und wertlos er doch war. Dass es nur etwas mehr Kälte brauchte, um ihn zu töten, das Leben aus ihm zu wehen und es mit sich zu nehmen.

  Doch hier auf den Mauern des Weißen Forts war er grausam. Viele hundert Meter über dem Steinbruch, auf Millionen Tonnen gefrorenem Gestein, erbaut von tausenden und abertausenden von den erfrorenen Händen, die im Weißen Fort ihre Strafe absaßen, wehte er mit der Macht, Felsen zu bewegen. An Tagen des Sturms wehten manchmal gigantische Brocken in den Steinbruch, begruben Gefangene wie Wärter unter sich und zeigten den Bewohnern Sundarsquirs, dass der Eisige Norden nicht vollends bezwungen werden konnte.

  Skyoll erinnerte sich kaum an den Weg, der ihn auf die Mauer geführt hatte. Viele, ungezählte Meilen durch finstere, eisige Korridore und über schneeverkrustete Steintreppen waren sie gegangen, er mit auf den Rücken gefesselten Händen und zusammengeketteten Füßen. Er wurde bewacht von acht Wachen, vier vor und vier hinter ihm, die sicherstellten, dass er, der gefährlichste Gefangene, nicht entkam.

  Aber wie soll ich auch entkommen? Soll ich von der Mauer springen? Das wäre selbst mein Tod. Er bewegte seine Arme in den Fesseln und hört das grobe Knurren der Wachen hinter ihm. Unruhe breitete sich unter ihnen aus, Rüstungen knarzten, beinahe verschluckt durch das Heulen des Sturms, Schwerter wurden gezogen.

  Skyoll zog die Lefzen nach oben, ein grimmiges, durch seine Narbe verzogenes Grinsen. Schmerzhaft fand der Wind seinen Weg durch die Zahnlücken in seinen Mund und hinterließ einen Geschmack nach Eis und Tod. Zu oft hatte er die Wachen trotz seiner Fesseln überwunden. Sie waren intelligenter geworden und hatten ihm die Hände auf den Rücken gekettet, nachdem er mehr als zehn Männer mit ihnen erdrosselt hatte. Trotzdem fürchteten sie ihn. Er roch ihr Unbehagen durch die Rüstungen, durch den Sturm, selbst durch den beißenden Geruch nach Todesangst, der der Mann verströmte.

  Er hat einen Wachmann umgebracht, so wie ich auch. So wie ich es mehrmals getan habe. Ihm blüht das gleiche wie mir. Nur, dass er es fürchtet. Skyoll hob den Kopf und sah die eisernen Käfige. Sie hingen an klappernden Ketten, befestigt an langen Stahlstreben, die vor Jahrhunderten, als das Fort erbaut worden war, in das Gestein der Mauer getrieben worden waren. Durch die feinen Eispartikel in der Luft konnte er nicht erkennen, ob noch etwas oder jemand in den Käfigen verbleiben war. Normalerweise fanden Eisdämonen oder die Eisdrachen die Bestraften in den Käfigen und nahmen sie mit sich.

  Der Mann vor Skyoll bettelte immer noch, während die Wachen ihn vor sich her stießen. Über ihnen knatterten die Flaggen im Wind: der silberne Eiswolf auf schwarz, darunter die blutroten Ketten auf schneeweißem Grund. Blut auf Schnee. Das sind die Farben des Weißen Forts.

  Sie erreichten die Käfige, und das Jammern des Mannes erreichte einen panischen Höhepunkt. Niemand kümmerte sich um ihn. Der muskulöse, blaugraue Eiswolf, der mit gezogenen Waffen neben der Winde für die Käfige stand, lehnte sich zu seinem rostbraunen Kameraden. Er musste schreien, damit dieser ihn verstand.

  Der Wind trieb die Worte zu Skyoll. „Der Königsmörder ist sich wohl zu fein fürs Betteln. Sagt kein Wort, selbst wenn er heute Nacht stirbt. Auf die eine oder andere Weise."

  Der braune Wolf stieß ein heiseres Schnauben aus. „Der ist unsterblich. Unten in den Steinbrüchen haben sie ihn gefoltert, ausgepeitscht und versucht, ihn irgendwie anders kleinzukriegen. Sie haben es nicht geschafft. Angeblich hat er sogar ein Bagatar in den Rücken bekommen, und wie du siehst, erfreut er sich bester Gesundheit."

  „Niemand ist unsterblich. Es ist alles nur eine Frage der Zeit."

  „Bei ihm nicht." Die Stimme des braunen Wolfes war durch den Wind verzerrt, aber Skyoll erkannte einen Hauch von Bewunderung und Furcht. „Es ist klar, dass er ein harter Knochen ist. Schließlich war er der Kommandant von Vargensgard. Er hat die Vintas hunderte Male zurückgeschlagen. Angeblich ist er der fähigste Hauptmann des Nordens."

  „Deswegen hat Marquess Kirill, möge er lange leben-"

  „Möge er lange leben."

  „Deswegen hat Kirill Danarov ihn nicht einfach umgebracht. Weil er hofft, dass er seinen Wahnsinn hinter sich lässt."

  Der Braune lachte, ein heiseres Bellen. „Nein. Er ist hier, damit er leidet. Danarov will, dass er die Hölle sieht, bevor er bei Unzar feiern darf."

  Diesmal war es der Graue, der lachte. „Der Königsmörder kommt nicht mehr an Unzars Tafel. Er hat seinen Marquess getötet. Unzars Vertreter in unserem Land! Er wird in den Unsäglichen Landen herumgeistern, wenn er stirbt. Und das wird er heute Nacht."

  Das glauben sie. Denn ich habe nicht vor zu sterben. Ich werde nicht erfrieren, sondern im Kampf sterben, wie es sich für einen wahren Eiswolf gehört. Skyoll trat mit klirrenden Fesseln vor und unterdrückte das Verlangen, den um Gnade winselnden Mann zu töten. Es wäre so einfach. Die Eisenhandschellen auf den Hinterkopf und die Nase von unten ins Hirn schlagen. Mit auf den Rücken gefesselten Händen ist es schwieriger... Die Beine unter dem Körper wegtreten und den Kopf auf den eisigen Boden schmettern. Er malte sich die Reaktionen der Wachen aus, ihre Wut und ihre Bestürzung, und beinahe gab er der Verlockung nach.

  Nur aus Spaß machte er einen plötzlichen Schritt auf die vier Wachen vor ihm zu, die mit erschreckender Schnelligkeit herumwirbelten und ihn mit den Bagataren bedrohten. Er zuckte zurück und versuchte ein entschuldigendes, überlegenes Halblächeln. Hinter sich spürte er die gezogenen Waffen der anderen vier Wölfe. Wie nervös sie sind. Ich müsste Angst haben, ich werde aufgehängt, und doch sind sie es, die mich fürchten. Es war beinahe amüsant, dass die Wachen ihn, einen einfachen Soldaten, mehr fürchteten als er die Eisdämonen und die Eisdrachen.

  Die Ketten der Käfige klirrten und krachten, während der graue Wolf ein angeschirrtes Frosteinhorn um die Winde herumführte und so die Käfige auf die Höhe der Mauer brachten. Mit einer Hand hielt der Wolf die Zügel, mit er anderen kraulte es dem aufgebrachten Tier die Nase. Geifer tropfte von den Zähnen des Einhorns und verwandelte sich noch in der Luft zu Eis, als es nach den Fingern seines Herrn biss. Es verfehlte sie und erntete einen Schnitt in den Hals. Sein kaltes Blut gefror an seinem Fell.

  Skyoll merkte, dass dem grauen Wolf drei Finger fehlten. Er kennt das Spiel, und doch liebt er es. Ich bin nicht anders als er. Wir begeben uns in Gefahr, wir könnten einfach aufgeben. Ich könnte aufhören, Wachen zu töten und versuchen, auszubrechen, und er könnte einfach seine verfluchte Hand außer Reichweite für die gierigen Zähne seines Einhorns bringen. Er schenkte dem Wolf ein grimmiges Lächeln, das dieser voll Verachtung erwiderte.

  Die Wachmänner zogen den ersten Käfig zu sich und stießen den Mann hinein, der schreiend versuchte, sich an den Stäben festzuhalten. Als er nicht loslassen wollte, zog einer der Wölfe seinen Dolch und versuchte, die Finger des Mannes abzuschneiden. Panisch zog er die Hände zurück und der Wächter verschloss mit einem beinahe unheimlichen, zufriedenen Gesichtsausdruck die Tür des Käfigs.

  „Jetzt der Königsmörder!", rief der rostbraune Wolf und schritt zu dem anderen Käfig, doch einer von Skyolls Wachen hielt ihn zurück.

  „Er soll doch gehängt werden, oder nicht?"

  Der Braune sah den Wolf mit dem Ausdruck tiefster Missbilligung an. „Du weißt, was es bedeutet, einen Gefangenen aufzuhängen, hier im Weißen Fort, oder?"

  „Ja, das weiß ich. Aber warum lassen wir den Käfig nicht einfach weg?"

  „Ay, du Idiot. Woran hängen wir ihn dann auf? An seinem Genick?"

  Der Wolf lachte bellend. „Verdient hätte er es. Aber wenn er stirbt, während wir unsere Hände dabei im Spiel haben, werden wir lebendig gehäutet. Die Käfige hängen an Ketten, er hat Ketten um seine Handgelenke. Also..."

  „Das ist eine Heidenarbeit, die elenden Käfige von den Haken zu bekommen!"

  „Willst du, dass er für seine Missetaten leidet oder nicht?"

  Der Braune sah zu Skyoll, der das ganze Gespräch mit stoischer Selbstbeherrschung mitgehört hatte. Aufgehängt, ohne Käfig. Das haben sie noch nie gemacht, und wenn, hat es noch nie jemand überlebt. Eine Herausforderung. Er verzog keine Miene, sondern ballte nur seine Hände hinter seinem Rücken zu Fäusten.

  Gemeinsam lösten die Wachmänner den schweren Eisenkäfig von seinem dazugehörigen Haken, ihre schweren Atemzüge bildeten Wolken aus weißem Nebel in der eisigen Abendluft. Klirrend und knirschend stellten sie ihn auf dem Boden ab.

  „Jetzt er", sagte einer der Männer und wies auf Skyoll.

  Ein harter Schlag traf ihn in die Kniekehlen, sodass seine Beine unter ihm nachgaben und er im Eisstaub kniete. Ich habe schon mal so gekniet. Als der Marquess seinen Schuldspruch tat. Hier, in diesem Gefängnis, im Hof. Dort stand Kirill Danarov, gekleidet in schwarze Pelze und seine Rüstung und erklärte mich für einen Verräter am Reich. Dann legte mir Ivan der Irre die Fußfesseln und sagte, ich sei dazu verflucht, auf Ewigkeit in der eisigen Hölle zu leiden.

  Als könnten die Wärter seine Gedanken lesen, breitete der rostbraune Wolf seine Arme aus und sah auf ihn herunter. „Knie vor deinem Marquess, Skyoll Komarov, Königsmörder!" Die anderen lachten.

  Jemand trat Skyoll in den Rücken, die Sohle riss die verkrusteten Wunden seiner Peitschenhiebe und Bagatarschläge wieder auf. Er fiel mit der Brust voran auf den Steinboden. Schnell hob er den Kopf, um sich nicht den Kiefer zu brechen. Der Mann, der ihn getreten hatte, setzte seinen Fuß in sein Gesicht und lehnte sich darauf. Irgendetwas knirschte schmerzhaft unter Skyolls Haut. Ein zweiter Wolf stellte eine Pranke auf seinen Rücken und belastete sie. Die Luft wich aus Skyolls Lungen unter dem Gewicht, und er schnappte nach Luft.

  Hinter sich hörte er Schlüssel klirren, und jemand machte sich an seinen Fesseln zu schaffen.Vorsichtig bewegte er die Hände, als Metall auf Leder scharrte und eine Dolchspitze vor seinem Auge erschien.

  „Eine einzige dumme Bewegung, und ich steche dir dein hübsches blaues Auge aus. Eine einzige", zischte der Wachmann. Dann wandte er sich an die anderen. „Er wird jetzt seine Arme vor seine Schnauze legen, und du kettest sie wieder zusammen. Wenn er auch nur ansatzweise versucht, irgendeinen Unsinn zu machen, rammt ihr ihm die Bagatarn in den Rücken. Nicht zu tief, aber so, dass es richtig wehtut. Verstanden?"

  Die anderen Wölfe machten zustimmende Geräusche, untermalt von den immer noch bettelnden Schreien des Mannes im Käfig. Wind fegte um metallene Klingen, und obwohl Skyoll die Beile nicht sehen konnte, so hörte er sie dennoch.

  Dann waren seine Hände frei, die Versuchung, dem Soldaten, der auf seinem Gesicht stand, das andere Bein einfach wegzuschlagen, war überwältigend, doch er beherrschte sich. Langsam bewegte er seine Arme vor seinen Kopf, und der Wächter kettete sie wieder zusammen.

  „Holt ihn auf seine Füße", befahl der braune Wolf. Jemand packte Skyoll an der Schulter und zerrte ihn auf seine Knie. Skyoll stand auf und ließ sich widerstandslos zu dem Haken führen, an dem der Käfig gehangen hatte.

  Sie hängten seine Handschellen in den Haken ein und der graue Wolf begann, das Frosteinhorn in die andere Richtung um die Winde zu führen. Die Kette wurde länger und länger, bis sie mehrere Meter in die Tiefe hingen und wieder zurück zu Skyoll führten, der von seinen Wachen flankiert wurde. Der Mann, der nun mit seinem Käfig vom Wind gegen die Mauer geschleudert wurde, kreischte.

  „Königsmörder. Stell dich zwischen die Zinnen." Der Braune drehte erwartungsvoll sein Messer in den Händen, als würde er auf Widerstand warten. Doch Skyoll enttäuschte ihn, indem er ohne ein Wort auf die Brüstung stieg und still hinuntersah, viele hundert Meter hinunter. Das Fundament war nicht mehr zu erkennen in einem Nebel aus Eis und Schnee. Ein leichtes Gefühl in seinem Magen regte sich, als würden seine Innereien tanzen wie die Flaggen an den Masten über ihm. Keine Angst. Wissen um den sicheren Tod, wenn ich springen würde.

  „Sollen wir ihm jetzt einen Stoß verpassen, oder sollen wir ihn zwingen, selbst über die Planke zu gehen?", fragte einer der Wölfe.

  „Wir stoßen ihn. Vielleicht schreit er dann endlich mal. Dann sind wir es, die es geschafft haben, denn allmächtigen, beherrschten Skyoll Komarov zum Kreischen zu bringen wie so eine kleine Schlampe!", antwortete ein anderer.

  Skyoll schloss die Augen und sprang.

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Ich war unterwegs, in einem Land ohne WLAN, deswegen konnte ich am Mittwoch nichts posten. Sorry deswegen! Aber nun gibt es ein neues Kapitel, und nächsten Mittwoch kommt auch schon das nächste. Also, was denkt ihr, was passiert als nächstes? Lasst mal ein Vote und/oder einen Kommentar da! :*

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