25. Erwischt

Full sails ahead, oceans painted red

When the soldiers of fortune hunt for pirates

No questions asked, we fulfil our task

Tones all turn grey after sunset

- Turisas, Hunting Pirates


Das Geräusch von Schritten auf Holz über ihm nahm zu, darunter mischten sich das Gebrüll von Männern und Morgaines laute Stimme, die Befehle über das Deck rief. Nicolas setzte sich verschlafen in seiner Hängematte auf und rieb sich die Müdigkeit aus den Augen. Er sah zu Rusty, der auf einer Kiste saß und gelangweilt sein Schwert schärfte. „Was ist passiert?", fragte er.

Rusty zuckte mit den Schultern. „Ich habe gerade Jamie fragen wollen, aber er hat nicht geantwortet." Er erhob sich und steckte das Schwert in die Scheide zurück. „Gehen wir und sehen nach."

Nicolas schwang die Beine aus der Hängematte und stöhnte leise. Er hasste seine Schlafgelegenheit auf dem Schiff von ganzem Herzen. Jeden Morgen schmerzte sein Körper etwas mehr, und er freute sich auf den Tag, an dem er wieder in einem gewöhnlichen Bett schlafen konnte. Auch war Schlafen gefährlich geworden, seit er die Crew von dem Stopp in Alpha Centauri abgehalten hatte. Die Männer bedachten ihn stets mit wütenden Blicken und jeden Tag drohte einer von ihnen, ihn zu töten. Rusty bewachte ihn nachts, sonst hätte der Steinerne Joe ihn längst ermordet, doch das forderte den Tribut von Nicolas' bestem Freund. Rusty wurde unausgeglichen und launisch durch den Schlafmangel und wahrscheinlich auch durch seine Angst. Nicht, dass er es offen gezeigt hatte, aber Nicolas ahnte, dass Rusty sich Sorgen machte.

Ich wünschte, ich hätte Darnovey schon gefangen. Dann könnte ich endlich nach Hause zurück. Er schon oft Momente der Zweifel gehabt, ob Stanraer die Wahrheit gesagt hatte oder ob er, Nicolas, vielleicht einer Lüge zum Opfer gefallen war. Er hatte befürchtet, dass Stanraer ihn auf seine Reise geschickt hatte, damit die anderen Clanoberhäupter in der Zeit, in der nur noch Wildfire und Crusader und Falcony Crusadia regierten, den Weg für Ravan Darnoveys Krieg ebnen konnten. Doch dieser Gedanke trieb ihn nur noch mehr an.

Ich werde Darnovey aufhalten und diesen Krieg verhindern, und ich werde ihnen zeigen, dass ich ein würdiger Anführer bin. Mit neuem Elan schlüpfte er in seine Stiefel und schnallte sich seinen Gürtel an, dann folgte er Rusty.

An Deck war es dunkel geworden, die Sonne war nur noch ein fernes, verhaltenes Glühen im Westen. Nicolas drängte sich durch die hektisch arbeitende Mannschaft hindurch, die die beiden Lykaner mit wütenden Blicken streiften. Er entdeckte Morgaine auf dem Vorderdeck und erklomm die Stufen.

„Morgaine, was ist hier los?", fragte er so autoritär wie möglich.

Morgaine starrte angestrengt durch ihr Fernglas. „Wir kriegen Besuch. Pegai, wie es scheint. Wir können nur hoffen, dass sie uns nicht aufhalten."

Nicolas sah nach Süden, wo drei Schiffe auf sie zukamen. Sie hatten die Kroneneinhorn beinahe erreicht. Sie sind in Schussweite. Wenn wir jetzt feuern, können wir sie versenken und weiterhin die Leviathan verfolgen, ohne Zeit zu verlieren.

„Captain, Eure Befehle? Sollen wir uns auf ein Gefecht einstellen?", fragte Murdoch. Der Minotaurus war hinzugetreten und wog seinen Dolch in der Hand. Offensichtlich wartete er begierig auf einen Kampf.

Morgaine holte Luft für eine Antwort, doch Nicolas kam ihr zuvor. „Ja. Alle Mann auf Gefechtsstation! Versenken wir die geflügelten, hornlosen Hurensöhne!", rief er aggressiv.

Murdoch musterte ihn skeptisch, und Morgaine stieß ihn unsanft zur Seite. „Halt deine Klappe, du bringst uns noch alle um! Murdoch, Geschütze bereit machen. Erst dann feuern, wenn sie es zuerst tun. Es wird auf gar keinem Fall geschossen!"

Nicolas stolperte einen Schritt zur Seite, aber stürmte sofort wieder zu Morgaine. „Warum nicht? Wenn wir sie versenken, haben wir keine Verfolger mehr!"

Morgaine wirbelte zu ihm herum, und in ihren Augen flackerte neben Wut auch ein Funken Angst. Was könnte Morgaine Angst einjagen?, dachte Nicolas. „Wenn wir feuern und sie auch versenken, was unmöglich ist, denn es steht drei gegen einen, dann wird irgendein Pegai überleben. Sobald wir anfangen zu feuern, schicken sie einen Boten nach Port Rodriguez, der der Königin der Insel verrät, dass wir, ein kleines Schiff aus Crusadia, sie angegriffen hat. Madame de Lascare, Ihre Majestät der Pegai, lässt daraufhin ihre Beziehungen spielen und beschwert sich bei ihren Freunden über uns, und dann werden wir das nächste Schiff auf dem Meeresgrund sein."

„Wen sollte eine Pegai kennen, der die Macht hat, ein Schiff wie uns zu versenken? Wer sollte ihnen dabei helfen, und sich sicher sein, dass wir uns nicht rächen? Salita ist eine kleine Insel, wenn die Bruderschaft ihre Flotte gegen sie aussendet..."

Morgaine starrte ihn entgeistert an. „Du hast auch gar keine Ahnung, oder?"

„Bitte, erleuchte mich", knurrte Nicolas, nun wütend, weil er Morgaines Sorgen nicht verstand.

„Wenn wir Madame de Lascare auch nur genug ans Bein pissen, hetzt sie uns die Flotte Shyreons auf den Hals!"

„Wie soll sie das anstellen? Wie soll ein Hybridin die Macht haben, die größte Seemacht der Kriegerstaaten auf die Jagd nach uns zu schicken?" Nicolas war nun vollständig verwirrt.

Morgaine setzte zu einer heftigen Antwort an, unterbrach sich und seufzte. „Ich erkläre es dir", sagte sie mit gezwungen freundlicher Stimme. „Die Pegai stehen zwischen den Fronten des Seekrieges. Der ist zwar seit vielen Jahren vorüber, aber die Feindschaft zwischen Minotauren und Kriegerpferden besteht noch immer. Keiner von beiden kann die Pegai wirklich leiden. Die Minotauren verachten sie, weil sie zum Teil Kriegerpferd sind, die Hälfte ihres Erzfeindes lebt in ihnen. Die Kriegerpferde hassen sie, weil sie nicht das volle, reine Blut ihrer Rasse besitzen. Keiner zeigt seinen Abscheu offen, denn sonst würden sich die Pegai im Falle eines offenen Konflikts dem anderen Land anschließen. Die Seemacht von Tierra Santa del Oueste, wie manche Salita nennen, ist nicht zu unterschätzen, und allein deswegen sollten wir sie nicht angreifen. Aber der springende Punkt ist, dass jedes Land versucht, sich Salita und seine Streitmacht zu sichern. Um das zu schaffen, überschütten sie die Pegai mit Gold und Geschenken. Kein einziges Schiff in der Flotte von Madame de Lascare ist gekauft. Sie hat sie einfach über die Jahre gesammelt. Und niemand wird ihr eine Bitte ausschlagen. Selbst wenn die alte Schlampe niemals Partei für einen von beiden ergreifen würde."

„Wenn wir angreifen, wird sie uns also bei den Minotauren verraten", schlussfolgerte Nicolas.

„Schön, dass du deinen Kopf nicht nur zum Hüte tragen hast", stichelte Morgaine und wandte sich ab.

Nicolas sah ihr verletzt nach. Wann wird dieser ewige Streit zwischen uns enden? Er sehnte sich nach Frieden zwischen sich und der launischen Kapitänin, doch sie schien die Fehde beinahe zu genießen.

Nervös trat er an die Reling und beobachtete die Leviathan. Sie schien näher als je zuvor. Am Heck konnte er im Zwielicht der Dämmerung kleine Gestalten erkennen, die sich hektisch bewegten. Bis auf eine, die stolz und aufrecht die herannahende Kroneneinhorn fixierte. Darnovey. Ich könnte ihn von hier aus erschießen, dachte Nicolas, und die Versuchung kratzte an seiner Vernunft. Doch er widerstand. Es wäre nicht rechtens, ihn einfach zu erschießen wie einen räudigen Hund. Ich muss ihn vor ein Gericht der Bruderschaft stellen, wo er für seine Verbrechen bestraft werden soll.

Nicolas wandte sich um, wo die drei Kriegsschiffe heranpreschten, beinahe noch näher als das Schiff, das sie verfolgten. Wenn ich es denn endlich schaffe, Darnovey einzuholen und nicht von diesen elenden Kriegern aufgehalten werde.

Plötzlich huschte ein Schatten über das Schiff hinweg, eine schwarze Gestalt vor dem dunklen Blau des Himmels. Der Bootsmann rief zu den Waffen, hektisch wurden Gewehre aus den Halterungen gerissen und Murdoch zog eine Pistole aus dem Gürtel. „Legt an!", bellte er. „Und..."

„Nicht schießen!", fuhr Morgaine dazwischen. „Wer schießt, bekommt von mir persönlich eine Kugel zwischen die Augen!"

„Eure Befehle, Captain?", rief der Bootsmann über das rauschende Meer und die summende Takelage hinweg.

„Schießt ihn vom Himmel, wenn er zuerst auf uns feuert!"

Argwöhnisch starrten die Männer in die Dunkelheit. Nicolas packte den Griff seines Säbels fester und wünschte sich plötzlich, er hätte auch eine Schusswaffe. Zwar war er ein miserabler Schütze, doch sein Schwert nützte ihm auf diese Entfernung wenig.

„Captain, die Schiffe machen sich feuerbereit!", brüllte jemand.

„Wir sollten feuern, bevor sie es tun! Denn sie werden uns versenken, warum sollten sie sonst die Kanonen bereit machen?", rief Murdoch und spannte seine Pistole.

„Nein!", schrie Morgaine. Diesmal ließ ihr Tonfall keine Widerrede zu. „Ihr da, Pegai! Landet auf dem Deck, ich schwöre, Euch wird kein Leid geschehen!", rief sie dem Schatten über sich zu.

Mit einem Rauschen steuerte der Pegai auf das Mittelschiff zu. Aus der Nähe war seine Fellfarbe gut zu erkennen: ein finsteres Schiefergrau, Mähne, Schweif und Flügelspitzen waren tiefschwarz. Der Wind, den seine Flügel erzeugten, ließ Haare und Kleidungsstücke flattern. Die Crew wich zurück, die Waffen fest umklammert, vereinzelt wurden Gewehre gespannt. Jemand zog klirrend ein Schwert, und Nicolas widerstand dem Drang, es ihm gleichzutun. Als er sich umsah, entdeckte er Rusty, der eine Pistole auf den Pegai richtete. Sein Finger zuckte am Abzug. Auf dem Achterdeck sah er Roxane, die ängstlich hinter Fairwell hervorlugte. Der Anblick versetzte ihm den vertrauten Stich der Eifersucht. Ich sollte sie beschützen, und nicht er.

Der Pegai landete geduckt auf den Planken, seine Hufe knallten auf dem polierten Holz. Langsam richtete er sich auf und legte die Flügel an. Sein Blick streifte die Crew, Nicolas und Morgaine mit dem Ausdruck tiefster Überlegenheit und Verachtung. „Wer von euch ist euer Captain?", sagte er und spuckte aufs Deck.

Morgaine neben Nicolas spannte sich spürbar an und trat vor. „Das bin ich, Herzchen. Und wenn du nochmal auf meine Planken spuckst, rasier ich dir deine hübschen Flugfedern ab."

Die Crew raunte zustimmend und bewundernd, und Nicolas musste sich eingestehen, dass er niemals den Mut gehabt hätte, den Pegai zu bedrohen.

Der Pegai strich sich seine Mähne aus dem Gesicht und grinste ein abfälliges Halblächeln. „Du hast mehr Eier in der Hose als deine gesamte zitternde Crew zusammen. Gutes Mädchen."

Der Steinerne Joe trat vor. „Deine hässliche Mutter hat mehr Eier in der Hose als deine Crew zusammen, dass sie dich Missgeburt nicht direkt nach der Geburt erwürgt hat!", röhrte er.

Die Faust des Pegai fuhr blitzschnell nach vorn, und mit einem widerlichen Knacken brach die Nase des massigen Seemannes. Steinjoe zuckte zurück und verfluchte den Pegai, der sich mit einem drohenden Blick in Morgaines Richtung die Knöchel rieb. „Halte deine Crew besser im Zaum, Captain", wies er sie an.

Morgaine biss sichtbar die Zähne zusammen. „Steinjoe, tu das nie wieder. Haltet die Klappe, alle miteinander. Nehmt die Waffen runter, außer du, Murdoch. Warum bist du hier, Herzchen?", wandte sie sich wieder an den Pegai, ihre Stimme war kalt vor Zorn.

„Brecht die Jagd auf dieses Schiff dort", er wies auf die Leviathan, „ab. Steuert Port Rodriguez an. Ihr steht bis auf weiteres unter Arrest."

„Und warum, wenn ich fragen darf?", fauchte Morgaine wütend. Ihr Gesicht flackerte etwas im fahlen Licht, der Wolf drängte an die Oberfläche.

Der Pegai grinste wieder. „Nein, dürft Ihr nicht."

Morgaine murmelte einen Fluch in die kühle Luft und ballte die Fäuste. Nicolas wandte den Blick zur Leviathan, die die fehlende Konzentration der Crew der Kroneneinhorn zum Vergrößern des Abstandes genutzt hatte. Mit voller Geschwindigkeit segelte sie in die Dunkelheit. Nicolas fluchte innerlich. Er ist so nahe, und ich kriege ihn nicht. Der Gedanke, dass der Mörder seines Vaters entkam, überfiel ihn und zerstreute seine Angst. „Was passiert, wenn wir uns nicht an eure Anweisungen halten?", rief er.

Der Pegai drehte langsam den Kopf zu ihm. Auf seinem Gesicht lag der Ausdruck größtem Abscheus, als wäre es eine Schande für ihn, mit Nicolas reden zu müssen. Die Überlegenheit, die sich darunter mischte, bereitete Nicolas Übelkeit. „Dann, mein Freund, werden zwei Dinge geschehen. Erstens, ihr alle werdet massakriert. Wir lassen keine Überlebenden. Zweitens, euer Schiff landet auf dem Meeresgrund. Ihr habt keine Chance. Ich habe drei Schiffe in meinem Rücken, zwei Fregatten und eine Galeone. Wessen Kanonenkugel euer Schiff wohl zuerst verheerend trifft frage ich mich..."

Nicolas zog sein Schwert. „Ich werde dieses Schiff weiter verfolgen. Entweder, du versuchst mich daran zu hindern, oder ich räume dich hier und jetzt aus dem Weg." Er ließ die Waffe in der Hand wirbeln. Offensichtlich kann ich doch den Mut aufbringen, diese Kreatur zu beleidigen.

Der Pegai griff nach seinem Schwert und duckte sich erneut zusammen, als Morgaine wieder vortrat. „Schluss jetzt. Ihr könnt auch noch später eure Schwänze vergleichen... Wenn wir in Port Rodriguez sind."

Nicolas ließ entgeistert das Schwert sinken. „Du gibst nach?"

„Was soll ich sonst tun? Komm zurück auf den Boden, Nick. Du wirst deine elende Rache bekommen, nur eben etwas später. Wir kriegen in Zwischenzeit neue Vorräte und ein paar Huren. Die sind in Port Rodriguez besonders willig." Ihre Stimme war kalt wie das Meer unter dem Kiel des Schiffes, mit einem Funken Missmut darin.

„Ein einziger vernünftiger Mensch", bemerkte der Pegai lakonisch.

Morgaine fuhr zu ihm herum. „Verpiss dich von meinem Schiff, Herzchen, oder ich reiße dir hier und jetzt die Eier ab. Dann habe ich nämlich wirklich mehr als du."

Der Pegai lachte und applaudierte. „Respekt, Captain." Er drehte sich um, nahm Anlauf und sprang über die Reling. Sein Schatten schoss auf das größte der Kriegsschiffe zu, das nun kaum mehr als dreißig Meter von ihnen entfernt war. Die zweite Fregatte hatte sich auf die Steuerbordseite der Kroneneinhorn postiert, sodass Morgaines Schiff nun flankiert wurde von den Pegai. Die Galeone segelte voraus.

Nicolas schob sein Schwert zurück in die Scheide und betrachtete die gähnenden Mündungen der Kanonen. Wann kriege ich meine Rache an Darnovey? Eines Tages, oder ist er jetzt wirklich verloren und uneinholbar? Er sah an der Galeone vorbei zu dem kleinen, schwarzen Fleck, der sich dem Horizont näherte. Sie ist so gut wie verloren. Sobald wir Port Rodriguez verlassen können, werde ich Morgaine zum Aufholen drängen.

Dann wird mich die Crew wirklich hassen.

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