14. Schiffsjunge, Schiffsmädchen

I, I never looked back, I want to never return

- Abney Park, Building Steam


Eilig rannte Roxane über die Planken der Kroneneinhorn, ihre nackten Füße trommelten über das polierte Holz. Sie schlängelte sich durch Seeleute, Kanonen und Fässer, schlüpfte unter einem gespannten Seil hindurch und sprang die Treppen zum unteren Deck hinunter.

  Sie waren nun seit fast zwei Wochen auf See, und bisher war ihre Tarnung nicht aufgedeckt worden. Zwar schien Murdoch immer noch etwas skeptisch, wenn sie ihm gegenübertrat, und sie mied den Minotauren deswegen, aber einige der Seeleute mochten sie.

  Allen voran Rockey, der Roxane schon mehrere Male vor gierigen, hungrigen Seemännern hatte beschützen müssen, die sich einen Aufschlag auf ihre Essensration mit Gewalt hatten holen wollen. Anfangs hatte Roxane furchtbare Angst gehabt. Als sie das erste Mal einem Mann eine größere Portion verweigerte, klopfte ihr Herz so schnell, dass sie glaubte, es würde zerspringen. Ihre Angst war nur noch größer geworden, als der Mann einen Dolch zog und sie bedrohte. Doch der Koch rettete sie, indem er den Mann heftig beschimpfte und mit einem Messer in seine Richtung fuchtelte. Später sagte er zu ihr: „Das war der Eiserne Joe. Vor ihm und seinem Zwillingsbruder, dem Steinernen Joe, musst du dich in Acht nehmen, Kleiner. Die schrecken vor nichts zurück. Sie haben sogar einmal versucht, den Steuermann zu Meuterei aufzurufen, aber dann hat der Captain beide so sehr zusammengestaucht, dass sie sich ein paar Tage lang nicht getraut haben, Silver unter die Augen zu treten."

  Der Kapitän war für Roxane ein Rätsel. Sie hatte ihn noch nie auf dem Deck gesehen, was auch daran lag, dass sie selten die Sonne sah, außer durch die Spalten zwischen den Schiffsplanken. Ihr gesamter Tag bestand aus Fleisch und Gemüse schneiden, dem Quartiermeister die Vorräte abzunehmen und zur Kombüse zu schleppen, und in Töpfen zu rühren. Wenn sie nicht arbeitete, aß oder schlief sie. Sie war die Arbeit nicht gewöhnt, und es war hart, jeden Tag vor Morgengrauen geweckt zu werden. Doch sie beklagte sich nicht, und verließ die Kombüse nur, wenn sie zum Vorräte holen in den Laderaum geschickt wurde. Zu groß war ihre Angst, dass ihre Tarnung auffliegen könnte, und sie fürchtete sich vor den Männern. Rockey hatte ihr nicht nur über die Joe-Brüder schreckliche Dinge erzählt, und manchen Männern wollte sie nicht allein begegnen. Den beiden Gästen an Bord ging sie aus dem Weg. Sie fürchtete, dass Nicolas de Oro sich an sie erinnern könnte, und der andere Mann, Levasque, war ebenfalls ein Teil der Bruderschaft. Sie wollte kein Risiko eingehen, bevor die Bruderschaft entdeckte, dass sie geflohen war.

  Nachts schlief sie unruhig in ihrer Hängematte zwischen Rockey und einem dunkelhäutigen Haracaner, den der Koch als Dibah vorgestellt hatte. Sie schreckte oft auf, weil sie etwas gehört hatte, oder weil sie Alpträume hatte, wie Marie getötet wurde, oder wie ihr wahres Geschlecht entdeckt wurde und die Besatzung sie überfiel. Der Kapitän war jedes Mal ein Teil dieses Traums, er tauchte als gigantischer, grausamer Schatten auf, der über ihr aufragte und ihr die Tücher von der Brust riss, um sie der Mannschaft vorzuwerfen. Sie erwachte schweißgebadet, und beruhigte sich meistens wieder, wenn sie Rockeys schlafende Silhouette neben sich erkannte.

  Der zweite Mann, der sich um sie kümmerte, war Fair Johnny. Er grüßte sie stets freundlich, wenn sie an ihm vorbeirannte, und sie lächelte ihm zu. Dank ihm war sie auf das Schiff gelangt, und abends, wenn die Mannschaft in Grüppchen beisammen saß, ließ er sie ebenfalls einen Schluck von seiner Rumration probieren. Das Getränk brannte ihr auf der Zunge und ließ sie husten, die Tränen traten ihr in die Augen. Johnny hatte gelacht und ihr einen ganzen Becher gegeben, den sie in kleinen Schlucken ausgetrunken. Danach hatte sie sich so leicht wie selten gefühlt.

  Madrid Yarrow war jedoch der Mann, an den sie am häufigsten dachte. Was ist, wenn der Wirt mich belogen hat? Und Madrid jetzt gerade im Toten König auf mich wartet? Bei fast allen Tätigkeiten dachte sie an den Söldner, und fragte sich, ob wirklich ihre gesamte Beziehung nur vorgetäuscht war. Eigentlich ist das unmöglich. Niemand kann so perfekt Liebe nur vorlügen. Er muss Gefühle für mich gehabt haben. Ob er sie immer noch hat, ist fraglich. Viellicht liebte er mich einst, und traut sich nur nicht, unsere Beziehung zu beenden. Doch das konnte sie nicht so recht glauben. Er ist alles, nur kein Feigling. Entweder liebt er mich immer noch, der Wirt hat mich belogen, und ich mache diese Reise umsonst, oder es war alles nur Täuschung und er will mich verlassen. Dazwischen gibt es nichts, das ich ihm zutraue.

  Manchmal dachte sie auch an Marie, und hoffte, dass es ihr gut ging. Sie dankte ihrer Freundin jeden Tag im Geiste, dass sie die Idee mit der Tarnung gehabt hatte. Sie funktionierte hervorragend, bis auf die Tatsache, dass die Schals um ihre Brust ständig rutschten. Eines Nachts hatte sie versucht, sich eine bessere Lösung zu überlegen, doch ihr war nichts Praktisches eingefallen.

  Nun lief sie über das untere Kanonendeck und versuchte gleichzeitig verzweifelt, ihre Tücher festzuhalten. Da sie sich auf ihre Tücher konzentrierte und betete, sie würden sich noch bis zum Laderaum gedulden, merkte sie nicht, dass vor ihr ein Eimer mit schmutzigem Wasser stand. Zielsicher trat sie hinein, das Wasser ergoss sich über den Boden, sie stolperte und versuchte sich an dem erstbesten festzuhalten, das sie zu fassen bekam. Sie erwischte eine Handvoll Hemd, jemand fluchte und ihre Tücher rutschten bis zu ihrer Hüfte hinunter.

  Oh nein. „Tut mir leid, Master, das wird nie wieder vorkommen, es tut mir...", stammelte sie eilig, doch sie wurde unterbrochen.

  „Verdammt, Junge, pass doch auf", schnaubte der Mann, den sie als Jamie Blakk erkannte, und schob sie fest von sich weg, indem er ihr beide Hände auf die Brust legte und schubste.

  Roxane stolperte ein paar Schritte zurück und widerstand dem Drang, sich die Hände auf die Brust zu pressen. „Was?", fragte sie bemüht lässig, doch sie merkte, dass es ihr nicht gelang.

  Blakk starrte sie verwirrt an. „Du...", brachte er hervor, machte einen großen Schritt auf sie zu und riss ihr Hemd nach vorne, sodass er einen Blick in ihren Ausschnitt werfen konnte. „Bei den verdammten Göttern!", rief er. „Ben ist ein Mädchen!"

  Roxane riss ihm ihren Hemdkragen aus der Hand, drehte sich um und rannte los, während die Männer um sie herum begannen, ihr hinterher zu grölen. Sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen traten und grub den Schlüssel für den Laderaum aus ihrer Hosentasche. Jetzt bin ich geliefert, warum musste ich auch Jamie Blakk auf die Füße fallen? Mit fliegenden Finger schloss sie den Raum auf, schlüpfte hinein und drehte den Schlüssel hinter sich um. Sie werden mich aus dem Laderaum zerren, der Kapitän hat bestimmt auch einen Schlüssel, war ihr nächster Gedanke, und sie zog ihr Schwert aus der Scheide. Schwer atmend sah sie auf das alte Holz der Tür und wartete, dass sie sich öffnete, während sie dem Tumult draußen lauschte. Als jemand in die Luft schoss, ließ sie das Schwert sinken und kauerte sich zwischen Kisten und Fässern zusammen. Sie haben Schusswaffen. Ich bin verloren.

  Wieder wurde in die Luft geschossen. „Geheiligte Aqua, was ist hier los?", bellte eine Stimme, die sie als die von Dalton, dem Bootsmann, erkannte.

  „Master Dalton, Sir, ich glaube, wir haben einen blinden Passagier an Bord, Sir." Das war Jamie Blakks gekünstelte Unterwürfigkeit.

  „Aha, einen blinden Passagier. Und wo soll er sein?"

  „Da vorne im Laderaum, Sir."

  Schritte polterten auf die Tür zu und Dalton rüttelte an der Klinke. „Wie, verdammt, ist er an den Schlüssel gekommen? Drei Männer haben den Schlüssel auf diesem Schiff, und zwar Rockey, Murdoch und Barrow, und dazu noch der Kapitän. Wie sollte ein blinder Passagier einen von ihnen bestohlen haben, ohne dass es jedem verfluchten Mann auf dem Schiff auffällt?"

  Jamie Blakks Schritte näherten sich. „Sir, es ist Ben Heart. Der Schiffsjunge, den Fairwell in Amostown gefunden hat. Er, nun ja, es scheint, als sei er eine Frau."

  Daltons Stimme triefte vor Spott. „Eine Frau. Master Blakk, nur weil du seit einer Woche kein Hurenhaus mehr von innen gesehen hast, musst du nicht alles, was dir über den Weg läuft, für eine Frau halten, nur, damit es für dich die Beine breit macht!"

  Die Männer lachten, und Jamies Stimme bekam einen wütenden Klang. „Dalton, ich hab ihm oder ihr versehentlich an die Titten gegrabscht..."

  „Versehentlich", echote Dalton. „Natürlich." Die Männer lachten wieder.

  „...jedenfalls hatte Ben Heart mehr, als bei einem so schmalem Kerl normal ist", fuhr Jamie fort.

  Stille kehrte ein, in der Dalton zu überlegen schien. „Dann glaube ich dir mal." Roxane hörte, wie er einen Schritt machte, anscheinend auf Jamie zu, der hörbar zurückstolperte. „Wenn du mich belügst, und wir nur deswegen den Captain stören, schwöre ich dir, dass ich dich persönlich zum Deckschrubben einteile. Für den Rest unserer Reise. Haben wir uns verstanden, Master Blakk?"

  „Ay, Master Dalton, Sir", sagte Jamie eingeschüchtert.

  „Dann geh und hol den Kapitän", befahl Dalton.

  Jamies Schritte entfernten sich, als er eilig aufs Deck rannte. „Und ihr", bellte Dalton die anderen Männer an, „zurück an die Arbeit, ihr faulen Maden! Gaffen könnt ihr noch, wenn ihr nichts zu tun habt, und das ist nicht der Fall!" Hastig zerstreute sich die Mannschaft.

  Roxane saß zitternd im Dunkeln. Sie fürchtete sich vor dem, was jetzt folgen wollte, und am meisten fürchtete sie sich vor dem unbekannten Kapitän. Er könnte alles mit mir anstellen, und ich kann mich kaum wehren. Marie hatte recht, ich war nie die beste Schwertkämpferin, ich kann gegen niemanden von ihnen bestehen. Schnell verbot sie sich weitere Gedanken in diese Richtung. Wenn ich so denke, habe ich schon verloren. Sie erhob sich aus ihrer Ecke, straffte die Schultern und schwang probeweise ihren Säbel.

  Draußen näherten sich Schritte. „Dalton, Blakk sagte uns, dass der neue Schiffsjunge eigentlich eine Frau ist. Stimmt das?", grollte Murdochs tiefe Bassstimme.

  „Ay, Sir. So hat er mir es auch gesagt. Selbst nachprüfen konnte ich es nicht", antwortete der Bootsmann.

  „Dann schließen wir die Tür auf und sehen uns das Weibsbild, das sich da drin verstecken muss, einmal genauer an", sagte eine befehlsgewohnte Stimme.

  Roxane zuckte zusammen. Die Stimme war eine Frauenstimme. Der Kapitän ist eine Frau? Wie kann das sein? Und warum kommt sie mir so bekannt vor? Fieberhaft überlegte sie, welchen Frauen sie zutrauen würde, Kapitänin eines Schiffes wie diesem zu werden, als ihr der Name einfiel. Morgaine Silver. Natürlich. Die, die als Dreizehnjährige abgehauen ist, nach Port Liberty, die ich seit ihrer Verschwinden aus der Dunkelwacht nicht wieder gesehen habe. Dann passt es auch wieder, dass immer die Rede von Captain Silver war. Schnell steckte sie den Säbel zurück in die Scheide und starrte aufgewühlt der Tür entgegen. Wie wird sie reagieren? Und was soll ich sagen?

  „Dibah, Pokey, Murdoch, Dalton! Gewehre laden und spannen. Zielt auf die Tür. Nicht schießen, bis ich es sage", befahl Morgaine. Der Schlüssel wurde in Schloss gesteckt und umgedreht bis zum Anschlag, dann riss sie die Tür auf.

  Roxane sprang zurück, als sie in die Mündungen von vier Gewehren sah. „Hallo, Morgaine", sagte sie.

  „Für dich immer noch Captain Silver. Kenne ich dich?", fragte Morgaine und kniff die Augen zusammen. „Außer als Ben Heart, der du offensichtlich nicht bist?"

  Roxane nahm ihr Kopftuch ab und schüttelte sich ihre schmutzigen, ungewaschenen Haare aus. „Ich bin Roxane. Blackheart. Aus der Dunkelwacht. Erinnerst du dich?"

  Morgaine nickte bedächtig. „Waffen sinken lassen", wies sie die Männer an. „Interessant, das Mädchen, das ich nie sein wollte, auf meinem Schiff. Die Welt ist klein. Was, beim Geist der Jagd tust du hier?"

  „Auf dem Schiff, das ihr verfolgt, ist ein Mann, mit dem ich etwas zu klären habe. Mein Geliebter." Ihr Herz setzte einen Schlag aus, als sie an Madrid dachte.

  Morgaine biss sich auf die Lippe und grinste spöttisch. „Dein Geliebter. Ich wusste gar nicht, dass Darnovey eine Geliebte hatte. Ich dachte, er wäre der Mann für Kurtisanen und das, was man auf Jagdfesten erbeutet."

  „Nein, es ist nicht Darnovey. Es ist..."

  „...Raybeau?" Morgaine lachte. „An dem Tag, an dem Raybeau eine Geliebte hat, die nicht sein Schiff ist, werden Huren wieder zu Jungfrauen."

  „Nein. Es ist ein Söldner, in Darnoveys Diensten. Madrid Yarrow. Kennst du ihn?"

  Morgaine sah sie überrascht an. „Der ist dein Geliebter?" Sie murmelte etwas, das Roxane nicht verstehen konnte, und lächelte dann spöttisch. „Sehr gute Gesellschaft, in die du da reingeraten bist. Deine kleine Freundin hast du nicht zufällig dabei, oder?"

  Roxane schüttelte den Kopf. „Nein. Marie hat mir geholfen, mich zu verkleiden, ist aber in Amostown geblieben."

  „Ich sehe in diesen Tagen mehr Jugendfreunde wieder, als ich zählen kann", schnaubte Morgaine, als eine weitere Stimme sich einmischte, die Roxane als die von Nicolas de Oro erkannte.

  „Morgaine! Was ist hier los? Einer deiner Männer erzählt etwas von einem Schiffsjungen, der zur Frau geworden ist..."

  Morgaine sah über ihre Schulter. „Jungs, verscheucht ihn." Die beiden Männer sicherten ihre Waffen und geleiteten de Oro unter lauten Protesten aufs Deck zurück. „Kennst du Nick de Oro?", fragte sie. „Höllische Nervensäge."

  Roxane nickte. „Er ist verliebt in mich."

  „Aber du nicht in ihn. Du hast ja deinen süßen Söldner, der dir dein Bett wärmt. Nun gut, Es war nett dich, nach all den Jahren wiederzusehen, aber beim nächsten Hafen, den wir anlaufen, schmeiß ich dich von meinem Schiff", sagte Morgaine.

  Roxane riss die Augen auf. „Nein! Warum willst du das tun?"

  Die Kapitänin verdrehte die Augen. „Du bist eine Frau und damit ein gefundenes Fressen für meine Männer. Du hast dich auf mein Schiff geschlichen, verkleidet, und du kannst nicht für die Überfahrt bezahlen. Wir haben keinen Platz für dich hier, also musst du gehen."

  Die harten Worte trafen Roxane wie ein Schlag ins Gesicht. „Was soll das? Ich dachte, wir seien Freunde!"

  „Sicherheit geht vor Freundschaft." Morgaine trat einen Schritt auf Roxane zu. „Hör zu, Mädchen, ich will nicht, dass ich dich eines Tages im Laderaum finde, heulend im Bilgewasser, die Kleidung zerfetzt und meine Männer gehen mit einem seligen Lächeln an mir vorbei."

  Roxane senkte die Stimme. „Was bist du für ein Kapitän, dass du deine Männer nicht unter Kontrolle halten kannst?", zischte sie, und im gleichen Moment bereute sie ihre Worte. Das war falsch von mir. Ich will erreichen, dass sie mich auf dem Schiff behält, und nicht, dass ich über Bord geworfen werde!

  Morgaine schlug ihr mit der flachen Hand ins Gesicht. „Pass auf, was du sagst. Ich kann dich ohne Probleme den Seedrachen vorwerfen, und nur die zwei Jahre, in denen ich auf deiner verfluchten Festung gelebt hast, bewahren dich davor. Noch. Hast du mich verstanden? Du tanzt verdammt nahe am Abgrund, Mädchen!"

  Roxane starrte sie an, rieb sich die Wange und sagte nichts.

  „Ich habe sie im Griff, aber selbst wenn ich ihnen mit dem Tod drohe, wenn sie dich nur ansehen, können sie dich immer noch in den Laderaum zerren und dir die Seele aus dem Leib vögeln, während das Meer lauter rauscht als du schreist. Ich kann nicht den ganzen Tag auf dich aufpassen", fauchte Morgaine.

  Roxane fing sich wieder. „Und für Ben Heart hast du Platz, aber für mich nicht?"

  „Willst du wirklich noch in einem Laderaum voller Mörder, ehemaliger Piraten und Schmuggler schlafen? Als Frau? Ohne jemanden, der deine Wache spielt? Willst du immer noch neben einem verurteilten Schänder in der Kombüse Kartoffeln schneiden? Bitte, gerne!"

  Roxane zuckte zurück. „Rockey hat... Wirklich?"

  „Er wurde deswegen unehrenhaft entlassen, in der Armee von irgendeinem Königreich. Er ist nicht stolz darauf. Aber das tut jetzt nichts zur Sache." Morgaine seufzte und schlug einen sanfteren Tonfall an. „Roxane, ich kann dich nicht beschützen. Und wenn du nicht willst, dass die beiden Joes dir näher kommen, als du willst, solltest du dieses Schiff so schnell wie möglich verlassen. Ich habe meine Augen nicht überall. Du bist eine lausige Fechterin, das weißt du selbst, also kannst du dich auch nur schlecht wehren."

  Roxane atmete tief durch. Ich hoffe, ich bereue meine Entscheidung später nicht. „Ich werde trotzdem bleiben. Ich habe ein Ziel, nämlich Madrid Yarrow zu verfolgen und zu stellen, und ich werde es tun. Ihr verfolgt Darnovey, nicht wahr?"

  Morgaine nickte.

  „Dann wollen wir alle das Schiff, das wir verfolgen, aufhalten. Wir haben alle das gleiche Ziel."

  Morgaine löste das Band, mit dem sie ihre Haare zusammengebunden hatte, und kämmte mit den Fingern durch die dunkelbraunen Strähnen. „Bei allen Dämonen, Roxane, du willst wirklich nicht gehen?"

  Roxane schüttelte entschieden den Kopf.

  „Gut. Ich werde bekanntgeben, dass die Männer dich in Ruhe lassen sollen. Aber pass immer auf dich auf. Halte dein Schwert bereit. Du musst nicht arbeiten, es sei denn, du willst es weiterhin tun und dich damit den Männern aussetzen. Ich denke allerdings nicht, dass Rockey jetzt noch so freundlich zu dir ist, er mag es nicht, getäuscht zu werden."

  „Können wir mich nicht wieder als Mann verkleiden und alles geht so weiter wie früher?"

  Morgaine lachte freudlos. „Jamie Blakk plappert wie ein Waschweib. Nichts, was er weiß, bleibt lange ein Geheimnis."

  Roxane wollte zu einer Antwort ansetzen, als ein Mann die Treppe hinuntersah. „Captain Silver, Sir, ein Drache kreist über dem Schiff. Befehl zum Angriff geben?"

  „Welche Art Drache?", fragte Morgaine, ohne den Blick von Roxane abzuwenden. Ihre Hände zupften an ihrem Haarband herum.

  „Königsdrache. Und er ist beritten."

  Morgaine fluchte. „Ich komme." Sie nahm Roxane am Arm und zog sie hinter sich her, die Treppe hinauf in die gleißende Sonne.

  An Deck rannten die Männer durcheinander, kaum einer nahm Notiz von Roxane, während sie für ihren Kapitän stets respektvoll den Weg räumten. Immer wieder huschte der Schatten eines Drachen über sie hinweg, und Dalton brüllte die Männer an, nicht zu schießen.

  Roxane warf einen Blick nach oben. Die Sonne blendete sie, doch sie erkannte die Farbe der Schuppen, ein stählernes Blaugrau. Madrids Drache hat angeblich die gleiche Farbe, das hat er mir einmal erzählt. Aber kann ich auch nur einem einzigen Wort von dem glauben, was er gesagt hat?

  Morgaine bahnte sich zielstrebig den Weg durch die Männer, als sie von Murdoch aufgehalten wurde. „Captain Silver, wir versuchen herauszufinden, wer der Reiter des Drachen ist. Er ist von der Leviathan gekommen. Kennt Ihr ihn?"

  Die Kapitänin drückte Murdoch Roxanes Arm in die Hand, löste ihr Fernrohr vom Gürtel und setzte es ans Auge. „Roxane, ich glaube, ich habe deinen Söldner gefunden", sagte sie abwesend und reichte das Fernrohr an Roxane weiter.

  Roxane wandte den Blick durch das Fernrohr in die Richtung, in der sie den Drachen vermutete. Zuerst sah sie nur blauen Himmel, dann erhaschte sie einen kleinen Blick auf den Reiter des Drachen. Doch das genügte. „Ja. Das ist Madrid Yarrow. Aber woher wusstest du, dass...", begann sie, doch Morgaine packte wieder ihren Arm und zog sie weiter auf die Tür zur Kajüte unter dem Achterdeck zu. Sie schloss sie auf und schubste Roxane hinein.

  „Hier bist du vorerst sicher. Mit dir befasse ich mich später, erst müssen wir deinen verdammten Geliebten loswerden", sagte Morgaine genervt und schloss die Tür wieder. Roxane hörte, wie der Schlüssel umgedreht wurde.

  Roxane sah sich in der Kajüte um. Die Einrichtung bestand aus einem Schreibtisch, diversen Kisten, Karten und anderem Kleinkram, ein paar vertrauensunwürdigen Stühlen und einem schmalen Bett, auf dem sie sich vorsichtig niederließ. Über sich hörte sie Morgaine mit Nicolas de Oro und Rusty Levasque streiten, sie hörte die Männer brüllen und ein paar Schüsse fielen.

  Die ganze Zeit über wurden ihre Gedanken von einer Frage beherrscht. Woher kennt Morgaine Madrid?

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