13. Die Jagd beginnt
Over the seas, we shall ride
Searching for treasure, into the night
Over the seas, our quest has begun
And we will not stop with the dawn of the sun
- Alestorm, Over the Seas
Mit voller Geschwindigkeit segelte die Leviathan über das Meer, perfekt am Wind mit leichter Schlagseite. Gischt sprühte aufs Deck und schenkte den arbeitenden Männern eine willkommene Abkühlung, selbst wenn das Salzwasser ihre Haut kleben ließ. Der Wind sang in der Takelage und brachte die Seile und Segel zum Summen.
Ravan stand auf dem Achterdeck und atmete zufrieden die Seeluft ein. Seit sie aufgebrochen waren, vor kaum einer Woche, hatten sie durchgehend göttliches Wetter gehabt, und hunderte Seemeilen zwischen sich und Crusadia gebracht. Belustigt beobachtete er die Seemänner, die nun furchtlos über die Beine des dösenden Königsdrachen sprangen, um an den Bug zu gelangen. Da hat sich in drei Wochen einiges geändert.
Die erste Woche auf See war, gelinde gesagt, eine Katastrophe gewesen. Bastards Drache war erst nach einer Menge guter Worte dazu bereit gewesen, sich auf dem Vorderdeck niederzulassen, wo sich zuerst keiner der Matrosen sich in die Nähe des Drachen gewagt hatte.
Bastard musste der Mannschaft schließlich in aller Länge erklären, wie der Drache gefesselt war, und dass er sich nicht rühren konnte. Das Geschirr des Drachen war ein kompliziertes Gewirr aus Leder und stählernen Schnallen und Ketten. Oberkiefer, Unterkiefer und Flügel waren mit metallenen Ringen durchbohrt worden, und wenn jemand an den daran befestigten Lederbändern zog, „stirbt sie beinahe vor Schmerz. Allein die Drohung reicht, und sie wird so brav, wie es ihr irgendwie möglich ist", so hatte Bastard es gesagt, und das Band am Unterkiefer gepackt. Der Drache folgte daraufhin jeder Bewegung, die seine Hand machte, mit dem riesigen Kopf, mit Hörnern so lang wie zwei Männer. Mithilfe des Geschirrs wurde dem Drachen das Maul zugekettet, der Kopf auf die Brust gezwungen und die Flügel mit den Beinen verbunden, sodass er bewegungsunfähig auf den Holzplanken lag. Nachdem sich ein paar mutige Männer vorgewagt hatten, waren die anderen gefolgt, und nun schien der Drache zur Ausstattung des Schiffes gehören.
Raybeau hatte noch am Tag der Abfahrt über den Drachen aufgeregt. Niemals laut, aber Ravan erkannte an seinen mürrischen Blicken und seinem gereizten Tonfall, den er anschlug, wenn es um das Tier ging, dass er es loswerden wollte. Später war hinzugekommen, dass er nicht willens war, auch nur einen einzigen Brocken seines eingelagerten Proviants an „eine gigantische Eidechse", so seine Worte, verschwenden wollte.
Nach einem aggressiven Streit zwischen dem Kapitän und Bastard hatte der Söldner seinen Drachen gesattelt und entfesselt und war losgeflogen. Mehrere Stunden später kehrte er zurück, durchnässt und blutverschmiert wie sein Drache, mit einem toten Seedrachen im Gepäck. „Haben wir das Problem jetzt gelöst?", hatte er Raybeau ins Gesicht gespuckt und ihm den Kadaver vor die Füße geworfen. Raybeau hatte den Söldner wütend angesehen und ein angewidertes „Vorerst" zwischen den zusammengebissenen Zähnen hervorgepresst. Seitdem waren sich Kapitän und Söldner so gut es ging aus dem Weg gegangen. Am Abend hatten sie den Seedrachen in der Suppe verspeist, und Ravan hatte erfahren, dass Drache ähnlich wie scharfes Rindfleisch schmeckte.
Raybeau hatte auch sein Wort gehalten, was Ravans und Bastards Schlafgelegenheiten anging. Er hatte seine Kajüte nicht geräumt, und die beiden Männer mussten, wie gewöhnliche Seemänner, unter Deck bei der Mannschaft schlafen. Dort hatten sie je eine fadenscheinige Hängematte, schnarchende Seeleute als „Bettnachbarn" und die eigenen Mäntel als Decke. Jeden Morgen wurden sie vor Sonnenaufgang von Cravo, dem Bootsmann, geweckt, und mit dem Gebrüll der Männer und dem Donnern ihrer Schritte auf den Planken, das darauf folgte, war es beinahe unmöglich, wieder einzuschlafen. Trotzdem beklagte Ravan sich nie, es war ihm egal, wie lange und wie gut er schlief, wenn sie dafür seinem Ziel etwas näher kamen.
Zu seiner Verwunderung reagierte Bastard extrem auf den Weckruf. Am Morgen des ersten Tages auf See war er aus seiner Hängematte gesprungen, hatte sich innerhalb weniger Sekunden kampfbereit angekleidet und hatte nach seinen Waffen gegriffen, bis Ravan ihn gefragt hatte, was das für einen Sinn haben sollte. „Als ich noch in einer Söldnerkompanie gedient habe, wurden wir jeden Morgen genauso geweckt, wenn wir bei jemandem unter Vertrag standen. Der Ruf bedeutet, dass wir so schnell wie nur irgendwie möglich kampfbereit sein sollten. Alte Gewohnheiten sind wohl schwer abzulegen", hatte er erklärt. Mittlerweile flog Bastard jeden Morgen nach dem Weckruf mit seinem Drachen auf die Jagd.
„Der Drache macht weniger Probleme als erwartet", sagte eine Stimme hinter Ravan.
Der Lykaner drehte sich um. Vor ihm stand der Steuermann, ein junger, unauffälliger Kerl mit dunkelblonden Haaren und durchschnittlichem Gesicht. Durchschnittlich ist das erstbeste Wort, das mir zu ihm einfällt, dachte Ravan belustigt. Er sieht so normal aus, dass er beinahe schon wieder auffällig ist. Der Mann hatte keinerlei hervorstechenden Merkmale.
„Ja, da hast du recht", sagte Ravan abwesend, während er versuchte, sich an den Namen des Mannes zu erinnern. Irgendetwas mit E. Ethan? Eric? Evan? Nein... Fieberhaft versuchte er, sich an den Namen zu erinnern, als es ihm wieder einfiel. Embry. Natürlich. Der Gewöhnliche mit dem ungewöhnlichen Namen.
Embry lehnte sich neben Ravan an die Reling und beobachtete die Seemänner beim Arbeiten. „ich habe selten ein Schiff gesehen, das so gut organisiert ist", bemerkte er.
Ravan bedachte ihn mit einem skeptischen Blick. „Seit wann bist du auf der Leviathan Steuermann?", erkundigte er sich vorsichtig. Nicht, dass er schon ewig hier arbeitet und ich ihn immer übersehen habe, dachte er amüsiert.
„Ein paar Tage, bevor wir Amostown verlassen haben, ist der Steuermann, der vor mir hier arbeitete, verschwunden und nicht wieder aufgetaucht." Embry senkte die Stimme. „Es heißt, die Crusaders habe ihn erwischt, wie er mit einer von Stanraers Mätressen sprach. Ich glaube, sie habe ihn umgebracht."
„Verdammte Crusaders." Ravan spuckte ins Meer.
Embry nickte beklommen. „Ich hatte gehört, dass Mr Raybeau einen Steuermann sucht, und habe mich bei ihm gemeldet. Seitdem arbeite ich hier."
Ravan nickte, nicht ohne Erleichterung. Ich habe ihn also wirklich noch nie gesehen, bevor wir aufgebrochen sind.
„Ja, Master Embry, du solltest arbeiten, anstatt mit Master Darnovey zu plaudern", knurrte Raybeaus Stimme hinter ihnen.
„Ay, Captain", sagte Embry unterwürfig und ging davon.
Raybeau nahm seinen Platz neben Ravan ein. „Dieser gottverdammte Drache", schnaubte er mit einem Blick auf das gefesselte Ungeheuer. „Mir ist letztens etwas eingefallen." Er sah Ravan in die Augen. „Am Abend, bevor wir aufgebrochen sind, habt Ihr gesagt, dass kein Pirat es wagen wird, uns anzugreifen, wenn ich das Vieh auf meinem Schiff liegen habe."
Ravan nickte und verkniff sich ein Grinsen. Ich habe schon auf den Moment gewartet, in dem er es begreift. „Ja, und?"
„Es wird uns in der Tat nicht ein einziger Pirat über den Weg segeln. Und wisst Ihr, warum?"
Ravan zog gespielt unwissend die Augenbrauen hoch. „Warum? Erleuchte mich, Kapitän."
Raybeau durchschaute sein Spiel. Er lächelte mit einer Mischung aus Verärgerung und einem Funken schlecht verhohlener Bewunderung. „Es gibt nicht einen einzigen beschissenen Piraten zwischen hier und dem Eisigen Norden."
Ravan kämpfte sein aufsteigendes Gelächter zurück. „Wie gut so ein Drache auf dem Deck funktioniert, nicht wahr? Wenn jeder so etwas hätte, wäre die Piraterie..."
Raybeau unterbrach ihn genervt. „Der Drache hat so viel Nutzen wie eine Hure als Anstandsdame. Die Minotauren haben vor zwei Jahren Tarras gesamte Bevölkerung vernichtet, womit der wichtigste Stützpunkt der Piraten wieder an die Vereinigten Königreiche fällt. Die Kriegerstaaten bezahlen die Herren von Eckoyr, damit sie alle Piraten, die in ihren Häfen anlegen, töten, und es gibt ganze Söldnerkompanien, die Piraten jagen. Die Piraterie ist ausgerottet, Master Darnovey, es gibt nichts, was dieses Biest noch auf meinem Schiff verloren hat."
Endlich hat er es begriffen. „Warum ist dir das nicht früher aufgefallen?", fragte Ravan süffisant.
„In den fünfzig Jahren, in denen ich zur See fahre, haben wir uns immer vor Piraten in acht nehmen müssen. Dreimal wurden wir bis zum letzten Penny ausgeraubt. Glaubt Ihr wirklich, dass ich das so einfach vergesse?" Raybeau knirschte wütend mit den Zähnen.
Oh, er ist ein schlechter Verlierer, dachte Ravan amüsiert, beschloss aber, den Kapitän, nicht weiter zu reizen. Sein Schiff, seine Regeln. Nicht, dass er mir mitten in der Nacht die Kehle durchschneidet und über Bord wirft. „Nein, denke ich nicht. Aber der Drache bleibt. Du wirst dich daran gewöhnen", sagte Ravan fröhlich und schlug Raybeau freundlich auf die Schulter. Der Kapitän murmelte eine Verwünschung in seine grauen Bartstoppeln und marschierte von dannen.
Ravan wandte sich wieder dem Treiben an Deck zu, als jemand brüllte: „Segel in Sicht!"
Ruckartig wirbelte er sich herum und stürmte zu Raybeau, der mit dem Fernrohr am Auge am Heck stand und konzentriert auf den Horizont starrte, wo tatsächlich ein Schiff zu sehen war.
„Wer ist es?", fragte er.
Der Kapitän zuckte abwesend mit den Schultern. „Kann ich nicht erkennen. Zu weit entfernt."
Ravan fluchte laut und begann, an Deck hin- und herzuwandern. Ich muss wissen, wer das ist, vielleicht sind es Verfolger, die die Bruderschaft auf mich angesetzt hat. Wenn sie es nicht ist, müssen wir uns nicht beeilen, und würden unnötig Energie verschwenden, nur um einem Handelsschiff zu entkommen. Aber wenn sie es doch sind, dürfen wir sie nicht aufholen lassen. Aber wie kann ich es in Erfahrung bringen, wer es ist? Dann kam ihm eine Idee. „Raybeau, wo ist Bastard?"
Der Kapitän schnaubte abfällig. „Der verdammte Söldner? Woher soll ich das wissen? Vielleicht ist er über Bord gefallen."
„Er ist im Krähennest", gab Embry hilfreich Auskunft.
Raybeau grollte etwas, das verdächtig nach „schade" klang, doch Ravan beachtete ihn nicht. „Holt ihn da runter. Ich habe einen Auftrag für ihn."
Einige Minuten später stand Bastard vor ihm, bekleidet nur mit seinen Hosen. „Was ist das Problem?"
„Bastard, von Süden nähert sich ein Schiff. Zu weit entfernt für das Fernrohr. Du musst hinfliegen und uns sagen, wer es ist, bevor wir unnötig in Eile geraten", erklärte Ravan hastig.
Bastard grinste. „Nichts leichter als das." Er wirbelte herum und rannte auf seinen Drachen zu. Mit geübten Handgriffen löste er die Ketten, die Flügel und Beine verbanden, schwang sich in den Sattel und löste die Zügel aus den Schnallen, die den Drachenkopf fest mit dem Geschirr verbanden. Rasselnd schlugen die Ketten aneinander, als der Drache den Kopf streckte, ein dunkles Knurren rollte über das Schiff wie Donner. Mit einem Kampfschrei grub er dem Drachen die Fersen in die Seiten, und mit einem kräftigen Sprung, der das Schiff gefährlich krängen ließ, schwangen sich Drache und Reiter sich in die Luft.
Ravan beobachtete, wie Bastard mit seinem Reittier immer kleiner wurde. Als er nur noch ein entfernter Punkt war, wandte er sich ab. „Raybeau, behalte das Tempo bei. Wir sollten mit dem anderen Schiff kein Risiko eingehen." Wenn ich erwischt werde, bin ich geliefert, und all die Monate minutiöse Planung war umsonst.
Raybeau nickte. „Wann kommt er zurück?"
Ravan zuckte mit den Schultern. „Mehrere Stunden. Du bist ihn also für die nächste Zeit los."
Der Kapitän hob für den Bruchteil einer Sekunde die Mundwinkel, doch es war so flüchtig, dass man es auch für ein Zucken hätte halten können. Kaum zu glauben, dass er Bastard so wenig leiden kann. Aber ich denke, er kann nichts und niemanden auf der Welt wirklich leiden, außer sein Schiff. Und seine Crew vielleicht ein bisschen, dachte Ravan belustigt.
Als der Abend anbrach, beobachtete der Lykaner, wie Bastard seinen Drachen auf den Landeanflug auf die Leviathan lenkte. Raybeau fluchte laut, und begann, Befehle zu erteilen.
„Wenn das Biest landet, gegenlenken, sonst kommen wir vom Kurs ab und verlieren Fahrt! Drei Männer zum Vorderdeck und dem Söldner helfen!" Hastig befolgten die Männer seine Befehle.
Die Landung war schwierig. Bastard musste genau auf dem Deck landen, der Drache durfte keinen weiteren Schritt machen, und vorher mussten sie so stark wie möglich abbremsen, um das Schiff nicht stärker als nötig zu beeinflussen. Hinzu kam, dass die Takelage nicht berührt werden durfte.
Ravan erinnerte sich an die ersten Landungen, die schlichtweg Katastrophen gewesen waren. Drache und Reiter waren gelandet, nur um mit zu viel Schwung wieder auf der anderen Seite des Schiffes ins Meer zu springen. Ein anderes Mal hatte der Drache das Vorderdeck verfehlt und war zu früh gelandet. Er war gegen die Bordwand gestoßen und hatte versucht, sich an der Reling festzukrallen, wobei er beinahe das Schiff zerstört hätte. Bastard war bei diesen Manövern beinahe in der Takelage erhängt, von Flügeln ertränkt und von Hörnern erschlagen worden.
Doch diese Landung funktionierte tadellos. Knirschend setzte der Drache die Krallen auf die Planken, Bastard rutschte von seinem Rücken und begann, ihm die Ketten anzulegen. Nachdem der Drache gefesselt war, ging er zu Raybeau und Ravan, die ihn vom Achterdeck aus zugesehen hatten.
„Ich kenne niemanden auf dem Schiff. Aber es gibt eine Besonderheit. Der Kapitän ist eine Frau. Relativ klein, dunkelhaarig, meistens in Gesellschaft eines Minotauren, der ihr Erster Offizier zu sein scheint. Kennt ihr die?"
„Habt Ihr den Namen des Schiffes erkannt?", wollte Raybeau wissen. Ravan erkannte an seinem Tonfall, wie sehr es ihm missfiel, das Wort an Bastard richten zu müssen.
Der Söldner nickte. „Es heißt Kroneneinhorn."
„Die Frau ist Morgaine Silver. Schmugglerin. Sie ist fähig, dafür, dass sie eine Frau und noch ziemlich jung ist", identifizierte Raybeau.
„Weißt du, welchem Rudel sie dient?", fragte Ravan beunruhigt.
„Ja. Normalerweise steht sie bei Falcony unter Vertrag, aber soweit ich weiß, dient sie jedem mit genug Geld. Als ich sie zuletzt gesehen habe, in Amostown, war sie dabei, ein Geschäft zu beenden, danach war sie ohne Auftraggeber", erklärte der Kapitän.
Ravan nickte. „Bastard, hast du noch jemanden auf dem Schiff gesehen, der irgendwie auffällig war?"
„Ja. Ich bin einige Zeit über dem Schiff gekreist, und einer der Männer hat sich oft mit dieser Silver unterhalten. So ein Blondchen." Das letzte Wort spuckte er mit genug Verachtung aus, um Metall zu verätzen. „Er hat aber nie irgendetwas an Bord getan, also denke ich, dass er keiner der Seeleute war. Ich habe es über das Meeresrauschen und die ganzen anderen Geräusche nicht ganz verstanden, aber sie haben in Mr de Oro genannt."
Verfluchte Geister. Wir haben jetzt wirklich Probleme. Ravan fluchte leise. „Dann haben wir Verfolger. De Oro ist mit Stanraer verbündet. Raybeau, volle Segel setzen. Beschleunigt so weit es irgendwie geht. Ab jetzt gibt es keine Nachtruhe mehr. Wir müssen so viele Meilen wie nur möglich zwischen uns und ihn bringen!", befahl er, Raybeau brüllte seine Anweisungen den Männern zu.
Ravan wandte sich der See zu und starrte auf das kleine Schiff am Horizont. Er lächelte kampfeslustig. Die Zeit der Jagd hat begonnen.
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