~9~

~9~

„Warum das?", fragte Grace besorgt.

„Weil Sie Zeugin sind", antwortete der Officer unschuldig.

„Ja, also schön", antwortete sie etwas genervt.

Sie standen auf und gingen in einen ungestörten Raum. Zwar war es ein Hospital, aber die Polizisten hatten sich schon vorher einen Raum gesichert, das sah Grace auf Anhieb.

„Also, Miss Hallington, was haben Sie dort gemacht?", fragte der leitende Officer sie. Er musterte sie genau.

„Ich machte einen Spaziergang und hatte die Blutspur entdeckt. Also bin ich ihr gefolgt und habe meine Schwägerin dort gefunden", antwortete sie wahrheitsgemäß. Da sie nichts zu verbergen hatte, wollte sie auch erst einmal die Wahrheit sagen.

„Und dann? Was haben Sie danach getan?"

„Ich habe meine Hände auf die Wunde gedrückt, um die Blutung zurückzuhalten."

„Clever. Woher wissen Sie denn, dass das helfen soll?"

„Ich bin Ermittlerin bei der Police in Chicago. Ich ermittle gegen Mord und musste da schon öfters Leuten meine Hände auf deren Schusswunde drücken." Sie schien die Ruhe selbst, doch innerlich war sie aufgebracht. Als würde sie ihre eigene Schwägerin anschießen!

„Nun ja, das macht Sinn." Er räusperte sich nur. „Also, fürs Erste sollte das erst einmal genügen. Vielen Dank, Miss Hallington", fügte er dann nach einer kurzen Pause hinzu.
„Natürlich." Sie lächelte.
Er stand auf und sein Kollege und Grace taten es ihm gleich.

Die Erwähnung ihres Jobs als Ermittlerin, hatte sie wohl ziemlich aus der Schussbahn gezogen, weshalb die beiden das Gespräch so schnell abbrachen. Das vermutete Grace zumindest.

Die beiden Officer bedeuteten ihr hinauszugehen und kamen hinterher. Beide zogen ihren Hut. „Wir hören wieder voneinander", verabschiedete sich der leitende Ermittler.

„Aber natürlich. Ich hätte von Ihnen auch nichts anderes erwartet", entgegnete sie höflich, aber bestimmt.
Denn sie war sich sicher, dass sie noch von den beiden hören würde.

*

„Du meinst, sie haben dir das unterstellt?" Robert war außer sich vor Zorn.
„Nun ja, indirekt." Grace hatte ihm alles erzählt auf dem Nachhauseweg vom Hospital in die Wohnung zurück. Es war mittlerweile später Abend und beide saßen auf dem Sofa.

„Aber dennoch. Wieso? Du hast Audrey geholfen und ihr das Leben gerettet." Er nahm einen Schluck seines Cherrys. Abends war dies sein Ritual, wobei er heute womöglich zwei benötigen würde.

Grace tippte nervös mit ihren Fingern auf der Sofalehne umher. „Ich fühle mich schrecklich schuldig...", murmelte sie leise. Dabei sah sie auf den Boden.

„Wieso denn das?"

„Ich weiß es nicht. Ich fühle mich einfach schrecklich und nicht, als hätte ich jemandem das Leben gerettet." Ihre Stimme klang spöttisch zu sich selbst. Jede Sekunde über fürchtete sie, es würde an der Tür klingeln und sie müsste mit auf das Revier kommen.

„Du solltest schlafen gehen", riet Robert ihr, nachdem er sie betrachtet hatte.
Ja, er hatte wohl auch recht in der Annahme, sie müsse nun schlafen gehen, aber sie war sich sicher, sie würde kein einziges Auge zukriegen.
„Du brauchst den Schlaf", fügte er noch hinzu, bevor er aufstand und sein Glas neben die Spüle stellte.

„Du hast womöglich recht, aber ich werde nicht schlafen können. Nicht, nachdem das jetzt passiert ist", sprach sie ihre Gedanken laut aus.

„Versuch es einfach. Geh nochmal heiß duschen und dann klappt das schon." Er lächelte sie warmherzig an.

Grace nickte. Sie liebte ihren Bruder einfach für seine positive Art. Er hatte immer für jeden ein gutes Wort parat.
Sie ging nun also ins Badezimmer. Sie hatte immer noch das Gefühl, von Audreys Blut an den Händen, was sie so schnell wie möglich los werden wollte.

*

Grace war wie gerädert am nächsten Morgen. Sie hatte vor fünf Uhr morgens kein Auge zugekriegt. Und das sah man ihr auch an.

Auch das Make-Up brachte heute nicht viel, aber das störte sie erst einmal kaum. Wenigstens sah man, dass sie eine beschäftige Frau war, richtig?
Heute würde sie Audrey besuchen gehen. Also lief sie so früh wie möglich los. Trotz des Stresses, hatte Robert nicht frei bekommen, was seine Schwester nicht verstehen konnte, da die Bankangestellten sowieso nicht viel taten.

Auf dem Weg dorthin traf sie jemanden, den sie nur zu gut kannte.
„Anthony!", rief sie strahlend. Eigentlich war sie überhaupt nicht in der Stimmung, aber das überspielte sie einfach.

„Oh, hallo Grace. Es ist schön, Sie wiederzusehen!", begrüßte er sie. Er gab ihr einen Kuss links und einen Kuss rechts auf die Wange. „Sie sehen bezaubernd aus."

„Ach, Sie sind doch ein schlechter Lügner!", rief Grace geschmeichelt. Dennoch berührten sie seine Worte nicht. Es war einfach ein gewöhnlicher Smalltalk zwischen zwei Personen, die sich kaum mehr kannten.

„Wo wollen Sie so eilig hin? Zu ihrer Schwägerin?"

Grace kniff die Augen zusammen. Wie konnte dieser Mann nur wissen, was mit Audrey los war? Sie verwarf den Gedanken schnell wieder und lächelte ihn an: „Ja, ganz genau. Woher wissen Sie das?", fragte sie unschuldig.

„Es hat sich rumgesprochen, dass eine gewisse Mrs. Hallington angeschossen wurde", meinte er leicht nervös. „Gut, dass Sie nicht gemeint sind."

„Nun ja, ich bin ja auch keine Mrs.", erklärte sie falsch lächelnd. Anthony hatte sich anscheinend kein Stück verändert, denn er versuchte immer noch Aussagen über ihr Liebesleben aus ihr heraus zu kitzeln.

„Wie konnte mir das nur entfallen?" Er lachte wieder nervös. Vielleicht hatte er sich das ja nur angewöhnt. „Nun denn, ich muss wieder los. Geschäftliche Dinge", meinte er unverzüglich danach.

„Verständlich. Ein solch hart arbeitender Mann hat viel zutun", bekräftigte sie ihn mit einer Spur von Ironie. "Einen guten Tag." Sie nickte ihm zu und lief dann gekonnt an ihm vorbei. Sie bemerkte noch lange seinen Blick, der an ihrem Rücken geradezu kleben blieb.

Grace lief zum Hospital. „Ich möchte bitte zu Audrey Hallington", sagte sie einer Krankenschwester.
„Folgen Sie mir."

Sie ging ihr hinterher. Das Hospital war schlicht gehalten und ziemlich altmodisch im Vergleich zum Rest von New York. Bald waren sie an Audreys Zimmer.
„Ah, Grace", begrüßte diese sie freundlich.
„Hallo. Wie geht es dir?", erkundigte sie sich.

„Wenn ich ehrlich sein soll, nicht sonderlich gut", antwortete die Kranke. Sie war kreidebleich und hatte Augenringe. Grace wollte sie nicht so sehen und konnte nicht verstehen, wer ihr das angetan haben könnte. Da fiel ihr jemand ein, der es gewesen sein könnte.

„Du hast noch keine Ahnung, wer es war...?", murmelte sie Audrey zu.
„Nein. Außer, dass es eine Frau war..."

Eine kurze Stille trat ein, ehe Grace meinte: „Ich muss dringend los, wenn das in Ordnung für dich ist. Robert kommt sicherlich nach der Arbeit her. Du weißt ja, in der Bank haben die eh nie viel zutun." Sie zwinkerte ihr zu und stand auf.

„Ja, ich werde versuchen, mich noch ein wenig auszuruhen." Audrey nickte verwundert und schloss müde die Augen.

„Ruh dich aus. Bis bald!" Sie ging aus dem Zimmer raus und eilte zu einem Taxi, welches in einer Seitenstraße stand. Der Fahrer rauchte soeben eine Zigarette.
„Wenn ich Ihre Pause unterbrechen dürfte, ich muss nur ein paar Straßen hinunter", meinte sie zu ihm und wartete auf ihn.

Genervt drückte dieser seine Zigarette aus. „Welche Straße, Madam?", fragte er leicht gelangweilt.
Sofort nannte Grace ihm die Adresse und stieg ein.

Auf der Fahrt kamen sie an einigen Clubs vorbei. Unter anderem auch am 'Downbeat'. Grace hatte dort letztes Jahr eine Sängerin gesehen, von der sie innig hoffte, sie würde es bald zu etwas bringen. Wage erinnerte sie sich an den Namen. Sarah Vaughan, hieß sie. Womöglich würde sie das selbst ihren Enkelkindern erzählen, wenn sie jemals welche haben sollte.

Bald war das Taxi zum Stehen gekommen und der Fahrer öffnete ihr die Tür. „Vielen Dank", meinte sie lächelnd. Sie gab ihm seinen Lohn und betrachtete dann das Haus vor ihr. Es hatte bestimmt sechs oder sieben Stockwerke. Zum Glück wohnte der Verdächtige im ersten Stock, so müsste sie nicht all zu viel laufen.

Elegant schritt sie die Stufen hoch und klingelte.
Eine Frau im Morgenmantel öffnete ihr die Tür. Fragend sah diese Grace an. „Wer sind Sie", fragte sie mit einem starken französischen Akzent, der überhaupt nicht zu ihrem harschen Ton passte. Sie war vermutlich schon etwas älter als Grace und auch etwas molliger.

„Ich möchte zu-"
Eine Männerstimme schnitt ihr das Wort ab. „Grace, da bist du ja!", rief diese freudig und der passende Mann kam auch dazu an die Tür.

Er war es, den sie gesucht hatte.
Anthony.

___

Meine Motivation war in letzter Zeit wirklich im Keller, weswegen ich kaum etwas geschrieben habe. Liest überhaupt noch irgendwer aktiv dieses Story? :/

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top