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Grace war am nächsten Morgen zufrieden, dass sie gestern Abend noch ihre Sachen gepackt hatte, denn sie war wirklich müde. Träge stand sie auf und kochte sich einen Kaffee. Dann schaltete sie den Radioapparat an.
„Und nun Degory Williams mit den Wettervorhersagen. Heute, voraussichtlich Schneefall und Sonne", sagte die Radiostimme.
Grace war etwas niedergeschlagen, dass hier so gutes Wetter herrschen würden und sie nach New York fahren musste. Dennoch freute sie sich, schließlich hatte sie Robert und Audrey seit Weihnachten nicht mehr gesehen und das war jetzt immerhin schon 11 - fast 12 - Monate her.
„Wir wünschen Ihnen einen wundervollen Tag." Damit war der Sprecher weg und es fing an, sanfte Jazzmusik zu laufen. Leise summte sie mit.
Nach ein paar Minuten endete das Lied und auch ihre Tasse Kaffee war leer. Diese wusch sie ab und zog sich dann etwas Vernünftiges an.
Um etwa Acht Uhr stellte sie alle Lichter ab und ging mit ihrer Reisetasche aus ihrer Wohnung. Dann fuhr sie mit ihrem Automobil zur Wache und steckte einen Zettel unter den Türschlitz von Officer Baskins Büro. Anschließend fuhr sie zum Bahnhof und kaufte sich ein Ticket für die 2. Klasse nach New York.
Bald war die Eisenbahn da und sie stieg in einen Wagon. Langsam suchte sie sich einen Sitzplatz. Tatsächlich fand sie einen guten am Fenster und machte sich es dort mit einem Buch bequem.
Die Fahrt verlief weiterhin ziemlich ruhig. Niemand sprach sie an und so entstanden auch keine unangenehmen Situationen.
Als die Eisenbahn hielt, packte Grace das Buch wieder ein und machte sich auf den Weg nach draußen.
„Grace? Was machen Sie denn hier?", hörte sie eine männliche Stimme hinter sich.
Sie drehte sich um und blickte in das Gesicht eines alten Freundes. Ohne Frage war es Anthony. Sie kannten sich noch aus Grace' Kindheit. Schwarze Haare säumten sein kantiges Gesicht und er war sehr stabil gebaut. Anscheinend lebte er immer noch in New York. Und auch sonst hatte er sich kein Stück verändert, bis auf ein paar kommende Geheimratsecken, die man schon erahnen konnte.
„Oh, Anthony! Ich besuche meinen Bruder hier in New York. Es ist mal wieder Zeit, sich aus Chicago raus zu bewegen", antwortete sie freudig.
„In Chicago wohnen Sie also? Interessant. Wieso denn nicht New York? Zu laut?" Sein Interesse klang echt.
„Sie kennen anscheinend immer noch meinen Minimalismus, was den Wohnort angeht", lachte sie leise. „Aber nein, es... es waren einfach zu viele Erinnerungen." Den letzten Teil sprach sie leicht traurig vor sich hin.
„Verstehe....", murmelte er verständnisvoll.
Eine kurze Pause trat ein, ehe er fragte: „Ich vermute mal, Sie fahren mit einem der Taxis?"
„Ja, das ist richtig."
Ein lautes Pfeifen ertönte und der Zug fuhr aus dem Bahnhof.
„Ich meine, ich könnte Sie auch mitnehmen!", schrie Anthony durch den Lärm hindurch. Dabei lächelte er freundlich.
Grace strich sich ein paar Haare aus dem Gesicht und lächelte zurück.
„Also schön, wenn Sie darauf bestehen..."
Er hob ihre Tasche an und beide liefen in Richtung Parkplatz.
„Also...", fing Grace an. „... was machen Sie hier?" Prüfend sah sie ihn an.
„Ich bin nur eine Station zur Arbeit gefahren", antwortete er. Kurz sah er sie an.
„Was arbeiten Sie denn?"
„Ich schreibe Songs und verkaufe diese, an diverse Sänger. Dadurch bin ich ziemlich flexibel und kann mir meine Arbeit selbst einteilen."
„Und davon können Sie leben?" Grace war verwundert, wie man von solch einer simplen Arbeit leben könnte.
„Ja, absolut. Man wird gut bezahlt, für seine Aufträge", lächelte er geheimnisvoll.
Bald waren sie an Anthonys Automobil angelangt. Es war ein nagelneuer Chevrolet Fleetmaster.
„Wow, beeindruckend. Ein Chevrolet!", meinte Grace und strich einmal mit dem Finger über die glänzende Motorhaube.
„Der hat mich ein kleines Vermögen gekostet...", murmelte er verträumt. „Sie kennen sich mit Autos aus?", fragte er dann begeistert.
„Nicht besonders", gestand sie. „Ich kann sagen, welcher Hersteller das ist, aber das war's dann auch schon." Sie lachte leicht.
„Das ist doch schonmal etwas", ermunterte Anthony sie. „Steigen Sie ein, dann lernen Sie ihn besser kennen."
Grace fand es leicht absurd, ein Auto zu personalisieren, dennoch stieg sie ein.
„Also, Sie sind ein Autofreak geworden?", hakte sie nach, als er eingestiegen war.
„Nun ja, jeder braucht ein Hobby, richtig?", erwiderte er und lächelte.
*
Eine ganze Weile waren die beiden durch die Stadt gefahren. New York war anders geworden, seit sie das letzte Mal da war. Alles war viel größer und moderner. Es fuhren immer mehr Autos.
Grace wunderte es nicht. Die Menschen wurden nun immer moderner und das sah man am meisten an New York.
"Woran denken Sie gerade, Grace?", unterbrach Anthony die Stille. Er musste wohl bemerkt haben, dass sie tief in Gedanken war.
"New York ist ganz anders. Ich erinnere mich nicht an so viele Autos, seit ich das letzte Mal hier war", erwiderte sie und sah zu ihm.
"Wissen Sie, der Wandel einer Stadt fällt einem nicht mehr auf, wenn man dort lebt. Jedenfalls nicht so richtig." Er blickte nicht zu ihr, da er sich auf die Straße konzentrierte.
Grace nickte. "Da stimme ich Ihnen zu." Stille.
"Oh, da ist es!", meinte sie dann nach einigen weiteren Minuten. Dabei zeigte sie auf ein größeres Wohnhaus mit mehreren Apartments. Sie konnte sich vorstellen, wie teuer die Miete hier wohl sein müsste, so im Herzen der Stadt. Aber die Leute hatten wahrscheinlich nicht mehr, als dieses riesige Apartment in New York, es sei denn, sie waren wirklich reich.
Anthony parkte das Auto am Bordstein. "Machen Sie es gut, Grace. Ich hoffe wir hören bald noch einmal voneinander", waren seine Worte, nachdem sie ihre Reisetasche nahm und ihm zum Abschied einen Wangenkuss gab.
"Auf Wiedersehen", sagte sie.
Er stieg in sein Auto und fuhr los.
Grace winkte ihm noch hinterher, ehe sie sich auf den Weg in das Gebäude machte.
*
„Hey, Grace!" Die Angesprochene wurde fast erdrückt von Audreys Umarmung. Dass sie Grace so sehr vermisst hatte, hätte sie niemals gedacht.
„Ich hab dich auch vermisst", murmelte sie leise. Im Türrahmen stand Robert. Er lächelte erfreut darüber, dass Grace wieder da war.
Als Audrey sie endlich losließ, ging sie langsam auf ihren Bruder zu. Überraschenderweise zog er sie in eine Umarmung, doch nur Millisekunden später wusste sie, warum.
___
Hey, wie fandet ihr das Kapitel? Und was haltet ihr von Anthony? Würde mich über ein paar Kommentare freuen!
Schönes Wochenende!
~KatnissBlondie
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