~13~
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Alles war fertig. Ihre Koffer waren gepackt und sie war fertig angezogen. Anthony saß auf dem Sofa und genoss die morgendliche Aussicht auf Chicago. Er rührte nachdenklich in seinem Kaffee rum.
Grace betrachtete ihn von weitem. Kaum vorstellbar, dass sie ihre gesamte Schulzeit mit ihm verbracht hatte und die entdeckt hatte, was er für ein Monster war. Sie wollte wissen, wie seine Frau wirklich gestorben war, denn sie war sich sicher, dass sie nicht einfach so ermordet wurde.
Als sie sich wieder gesammelt hatte, klopfte sie an den Türrahmen und ging zu ihm. Er sah zu ihr auf.
„Ich weiß nicht, ob ich dich einfach so gehen lassen kann...", murmelte Anthony leise. Er strich ihr über die Wange und lächelte, als wäre er mit seinen Gedanken Meilen weit weg.
„Wie meinst du das?", fragte Grace flüsternd und versuchte dabei verliebt zu klingen.
„Ich habe Angst um dich und will mir sicher sein, dass ich alles von dir gesehen" - er legte eine Kunstpause ein - „und gespürt habe..." Er sah ihr in die Augen und küsste sie verlangend.
Grace war geschockt und erwiderte, um nicht aufzufallen. Hatte er etwas mitbekommen, von ihrem Plan? Oder wollte er tatsächlich einfach nur das Eine?
Zum Nachdenken blieb ihr keine Zeit mehr, denn Anthony hob sie hoch und lief mit ihr in sein Schlafzimmer. Dort setzte er sie aufs Bett und setzte ihren leicht roséfarbenden Hut ab. Dann öffnete er ihren strengen Dutt und küsste ihren Hals.
Grace wusste nicht wie ihr geschah und doch ließ sie es zu. Doch der Gedanke daran, was Anthony gleich mit ihr machen wollte, ließ sie innerlich würgen. Sie musste handeln.
Gerade als er ihr Kleid hochstrich, umfasste sie seinen Arm mit ihrer zierlichen Hand.
Anthony hörte augenblicklich auf. „Was ist, meine Kleine?" Er versuchte lieblich und nett zu klingen, doch das einzige was in ihm schlummerte, war die Gier. Die Gier nach Macht über seine Verlobte. Die Gier nach Unterwürfigkeit ihrerseits. Und die Gier danach, einem jungen, weiblichen Wesen Schaden anzufügen.
„Sollten wir nicht lieber auf die Hochzeitsnacht warten?", fragte Grace ihn leise und unsicher.
Einige Sekunden sah es so aus, als würde er mit sich kämpfen, doch dann nahm er fest ihre Hand und riss sie zu ihrem Kopf. „Ich weiß, dass du es genauso willst, du kleine Hure!", schrie er sie an. Sein aggressiver Ton machte sich auch dabei bemerkbar, wie er nun ihr Kleid hochzog und es auszog.
„Bitte. Lass. Mich. In. Frieden!", schrie Grace ihn wütend an. Dabei versuchte sie, seine Hände wegzuschieben. Lange würden ihre das nicht mehr mitmachen, ohne ihn dabei zu verletzen.
„Es wird dir gefallen..."
Dann hatte sie genug. Sie schrie lauthals auf, sodass er geschockt ein wenig zurückwich. Diesen Abstand hatte Grace gebraucht um nun ihre Füße in seiner Magengrube versenken zu können.
Anthony wich weiter zurück, sodass Grace aufstehen konnte. Sie zog sich ihre Schuhe an und trat ihn dann noch ein paar weitere Male. Er versuchte sich zu wehren, aber Grace hatte die Schocksituation besser genutzt.
Schnell zog Grace sich Kleid und Schuhe wieder an. Dabei hielt sie mit ihrem eigentlich Verlobten Blickkontakt, sodass sie schnell reagieren konnte, falls etwas passieren sollte. Doch das tat es nicht. Er blieb weiterhin ohnmächtig dort liegen.
Als sie aus dem Zimmer treten wollte, gab sie ihm nochmals einen Tritt auf seine Krumme Nase. Blut floss heraus, doch das war ihr mehr als recht. Sie genoss den Anblick und blieb einen Moment so stehen.
Dann nahm sie ihm den Wohnungsschlüssel weg. Anschließend holte sie ihre Koffer und alles was sie noch so brauchte und schloss Anthony dann von außen ein.
***
Grace war überaus froh geflohen zu sein. Sie saß mit einem guten Buch in einem der Abteile auf dem Weg zurück nach Chicago. Sie war vorhin schnell zu einem Taxi gehechtet, hatte dem Fahrer schnell ein paar Dollar mehr in die Hand gedrückt und hatte dann geradeso noch den richtigen Zug erwischt.
Von Robert hatte sie sich nicht mehr verabschieden können, aber sie wollte ihn später anrufen.
Eines der Abteile ging auf und eine schlanke Frau Mitte Dreizig kam herein. Eine blonde Dauerwelle zierte ihren runden Kopf. Dazu war sie ziemlich modisch gekleidet.
Anscheinend suchte sie nach einem leeren Platz. Sie hatte die Wahl zwischen einem Fensterplatz in einem Abteil voller zigarrerauchender Männer, oder einem Platz gegenüber von Grace.
Behutsam klopfte sie an die dünne Scheibe und schob vorsichtig die Tür beiseite.
„Entschuldigen Sie, mein Name ist Claire Brawley. Ich suche nach einem guten Platz. Dürfte ich mich zu Ihnen gesellen?", fragte sie höflich lächelnd. Ihre Stimme hatte einen melodischen Klang.
Grace blickte auf und musterte sie genauer. Ihr roter Lippenstift war etwas verschmiert, aber im Gesamten sah sie gepflegt aus.
„Natürlich. Setzen Sie sich doch", antwortete die junge Ermittlerin. Dabei legte sie unwillkürlich ihr Buch beiseite um Miss Brawley dabei zuzusehen, wie sie sich auf den gegenüberliegenden Platz setzte, ihre Reisetasche neben sich stellte und dann ihre Hände ordentlich zusammenfaltete.
Claire Brawley sah zu der ihr noch Unbekannten hinüber. „Wie heißen Sie überhaupt?", fragte sie dann unsicher. Ob sie das wirklich fragen sollte?
„Grace Hallington", erwiderte diese knapp. Sie traute dieser Fremden nicht ganz über den Weg, auch wenn sie ihr nett erschien.
„Wohin wollen Sie denn überhaupt?"
„Ach, hier und da hin."
Stille.
Grace nahm behutsam ihr Buch wieder in die Hand.
„Was lesen Sie da?", fragte Miss Brawley Grace neugierig. Sie beugte sich leicht vor, um den Buchtitel lesen zu können.
Grace hatte ihre Finger der rechten Hand zwischen die Seiten geklemmt und sah dann auf das rote Cover auf welchem in goldener Schrift She loves that stand.
„Eigentlich ist es ein wirklich kitschiger Frauenroman", gab sie zu. „Aber dafür ist er nicht schlecht geschrieben." Sie sah lächelnd zu Miss Brawley auf.
„Mal kann man so etwas lesen, aber nach einer Zeit merkt man, dass es immer dieselbe Handlung ist", erwiderte sie dann leicht lachend.
„Und ich dachte, ich wäre schon die einzige, die das so empfindet!" Grace schaute amüsiert zu Miss Brawley.
Die beiden unterhielten sich noch eine ganze Weile über schlechte Bücher, rauchende Männer und teure Ohrringe. Wie auch immer sie auf den letzten Punkt kamen.
Irgendwann war Miss Brawley eingeschlafen und es war still im Abteil.
Grace beobachtete die vorbeiziehende Landschaft. Sie kamen an kleinen Häusern, kahlen Bäumen und Unmengen an weiten Feldern vorbei. Der Himmel war wolkenverhangen, doch hier und da schien ein einziger Sonnenstrahl auf ein Häuschen oder einen Baum.
Als Grace den Bahnsteig von weitem sehen konnte, packte sie all ihre Sachen zusammen und warf sich ihren Mantel über. Sie rüttelte sanft an Miss Brawley.
Diese wachte auf und sah sich ziemlich verwirrt um. Dann erkannte sie anscheinend wo sie war.
„Das letzte Mal habe ich vor... zwei Tagen richtig geschlafen", murmelte sie mehr zu sich selbst, als zu Grace.
„Müssen Sie hier raus?", fragte Grace dann.
„Ja", erwiderte die Reisende vor ihr.
„Dann suchen Sie sich ein Hotel und schlafen Sie sich aus. Das ist wichtig." Grace lächelte leicht und reichte Miss Brawley den Koffer.
Diese stand auf und nahm ihn dankend entgegen.
Als der Zug hielt gingen beide hinaus und verabschiedeten sich voneinander. „Rufen Sie mich an, Grace!", hatte Grace Miss Brawley noch zugerufen, doch diese war schon in der Menschenmasse verschwunden.
Grace lief in Richtung der Taxis und atmete zufrieden ihre Heimatluft ein. Eine Mischung aus Abgasen, Süßwaren und etwas unbeschreiblich schönem. Dann stieg sie in ein Taxi und ließ sich nach Hause fahren. Dort fiel sie müde in ihr Bett - froh endlich wieder sicher Zuhause in Chicago zu sein.
Dachte Sie.
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