7 - Drogenkartelle
„Sorry", entschuldigte er sich und ließ sich neben mich auf die Decke nieder.
Ich saß schon länger als mir lieb war hier allein im Park, während sich Wespen auf mich stürzten, als wäre ich ein Zuckersirup. Ich war direkt von Arbeit hergekommen und dementsprechend geschafft.
„Ich habe ja nichts dagegen, wenn du fünf Minuten zu spät kommst, aber 40 Minuten? Das darf sich nicht mal der Papst erlauben!"
Marlo lächelte.
„Wusstest du, dass der Papst auch Argentinier ist? Ich wette mit dir, dass der sogar noch später kommen würde. Ich hab mir das da drüben einfach abgeguckt."
Ich zog eine Schnute und verschränkte die Arme.
„Man lässt kein Mädchen warten!", hielt ich weiter an meinem Standpunkt fest.
Ich hasste Unpünktlichkeit. Man verlor deswegen kostbare Lebenszeit und das konnte ich nicht ausstehen. Ich wollte nicht wegen anderen Menschen meine Zeit mit herumsitzen verschwenden.
„Sorry", sagte er wieder. „Aber ich hab dir ein Snickers mitgebacht."
Er reichte mir den Schokoriegel, den ich jedoch nicht annahm.
„Du kannst mich nicht immer mit einem Schokoriegel vertrösten."
„Ist das so?", fragte er herausfordernd und wedelte mit der Süßigkeit vor meiner Nase herum. Er wusste ganz genau um meine Schokoladenabhängigkeit.
Ich schnappte mir den Snickers schneller, als ein Chamäleon einen Grashüpfer mit der Zunge erhaschte.
„Nächste Mal lass ich das aber nicht durchgehen", ließ ich ihn wissen. "Auch nicht mit einem Snickers."
„Kommt nicht wieder vor."
Er ließ sich auf meine Decke nieder. Die Sonne hatte den Kampf gegen die Wolken heute gewonnen. Es war die Ruhe nach dem gestrigen Sturm und wohl die letzten warmen Sonnenstrahlen, die wir in diesem Jahr noch haben würden. Nicht wenig Frauen nutzten diese Gelegenheit um sich in die prahle Sonne zu knallen, um sich einen fetten Sonnenbrand zu holen und sich zwei Tage später dann darüber zu freuen, dass ihre Haut eine Nuance dunkler war als vorher. Um meine Bräune brauchte ich mir nicht den Kopf zu zerbrechen, weshalb ich im Schatten einer alten Eiche saß. Meine Haut hatte immer die Farbe einer Tafel Vollmilchschokolade. Ob Sommer oder Winter war egal. Es war immer Vollmlichschokoladenbraun. Vielleicht kam daher auch meine tiefe Verbundenheit zu diesem Lebensmittel.
„Hast du dein Spanischbuch dabei?"
„Jep."
Ich kramte in meiner Tasche und zog das Teufelsbuch heraus. Allein dieses Rot des Umschlages machte mich schon aggressiv.
„Zeig mal her. Welches Kapitel seid ihr?"
Er nahm mir das Buch ab und blätterte ein wenig darin herum.
„Kapitel 2. Es geht um Drogen in Südamerika", sagte ich wenig motiviert.
„Ernsthaft?", fragte er schmunzelnd.
„Ja, ernsthaft."
„Na, dann sag mal, was Droge auf Spanisch heißt!"
„Droga", antworte ich und war stolz das Wort zu wissen.
„Sehr gut. Dafür würde ich dir schon mal eine eins geben."
„Schleimer."
Und dann sagte er etwas auf Spanisch, von dem ich nicht ein Wort verstand. Aber es hörte sich wundervoll an ihn dieser Sprachen sprechen zu hören.
„Hast du etwas verstanden, von dem was ich gesagt habe?", erkundigte er sich.
Ich schüttelte den Kopf.
Er wiederholte es noch einmal langsamer.
„Und jetzt?"
„Können wir nicht deutsch sprechen und du fragst mich einfach nur die Vokabeln ab?", bettelte ich.
„Nein, so lernst du das nicht effizient. Komm schon. Noch ein Versuch." Er sprach nun, sehr langsam und deutlich. Man könnte meinen, dass er mit einem Baby redete: "Hay muchos carteles de la droga en América de Sur."
„Es gibt viele Drogenkartelle in Südamerika", übersetze ich, war mir jedoch nicht sicher, ob es richtig war.
„Siehst. Geht doch. Und jetzt versuchen wir nur noch auf Spanischen zu sprechen und wenn du etwas nicht verstehst, dann fragst du und ich versuche es dir auf Spanisch zu umschreiben, okay?"
Na, das konnte ja was werden. Er war ja noch strenger als meine Lehrerin.
Die nächste Stunde war eine Quälerei. Wir unterhielten uns nur über Drogen in Südamerika und das auf Spanisch. Ich verstand nicht einmal die Hälfte von dem, was er sagte. Doch ich musste auch zugeben, dass sich mein Wortschatz am Ende um ein paar Worte erweitert hatte.
Aber irgendwann streikte mein Gehirn.
„Ich kann nicht mehr", jammerte ich.
Er klappte das Buch zu.
„Ist auch genug für heute. Du hast doch gut geschlagen. Bis zum Test kriegen wir das hin."
„Du bist Optimist, oder?"
Er grinste breit.
„Ohja! Für negative Gedanken ist mir meine Lebenszeit zu kostbar."
„Aber umso enttäuschter bist du doch, wenn es mal nicht klappt."
Er schüttelte den Kopf.
„Dann versuche ich es halt noch einmal."
Ich wünschte, ich hätte diese Lebenseinstellung.
Plötzlich spürte ich einen stechenden Schmerz in meiner Armbeuge.
„Autsch", sagte ich laut und schaute auf meinen Arm.
Die Wespe steckte noch drin. Na super!
„Bist du allergisch?", fragte Marlo sofort besorgt.
Ich zuckte mit den Schultern.
„Nicht das ich wüsste, aber mich hat auch noch nie eine Wespe gestochen."
Marlo beugte sich zu der Wespe und zog sie vorsichtig heraus.
Es tat echt weh.
„Es schwillt ganz schön an", stellte er mit kritischem Blick fest. „Hast du Herzrasen oder Atemnot?"
Wollte er jetzt einen Auf Dr. Marc Meier oder auf Derek Shepard machen? Das war ein Wespenstich und keine Schusswunde.
Es tat zwar weh, aber ich fühlte mich normal.
„Nein, es geht mir gut."
„Am besten bringe ich dich nach Hause und du kühlst das."
Er half mir beim Aufstehen. Ich brauchte seine Hilfe zwar nicht, aber das musste er ja nicht wissen. Ich ließ mir gern von ihm helfen un genoss auch ein wenig seine Aufmerksamkeit.
Zum Glück war es nicht weit bis nach Hause. Ich hakte mich bei ihm unter. Eigentlich fühlte ich mich, abgesehen von dem Schmerz, körperlich gut, aber ich nutzte die Situation aus, um ein bisschen Körperkontakt zu ihm herzustellen.
Trotz der Umstände, nahmen wir die Treppen. Dem Fahrtsuhl vertrauten wir nicht mehr.
„Es soll auch helfen, eine halbe Zwiebel drauf zu legen", gab er mir noch einen Tipp.
„Danke schön. Auch, dass du mir mit Spanisch hilfst."
„Kein Problem. Mach ich gern." Wir waren nun bei unseren Wohnungstüren angekommen. "Dann wünsch ich dir gute Besserung."
Er umarme mich erstaunlich fest zum Abschied.
„Grüß dein Vater von mir", sagte ich noch und verschwand dann in meiner Wohnung.
Sofort peilte ich die Küche an, um aus dem Tiefkühler Eiswürfel zu holen, doch Mum kam mir in die Quere. Ihr Blick war wie so oft wirr.
„Hast du Spülmittel gekauft?"
„Ähm, nein. Ich wusste nicht, dass ich welches holen sollte", gab ich kleinlaut von mir.
Ihr Bick wurde Finster.
„Ich habe dir einen Zettel hingelegt."
„Ich hab ihn nicht gesehen."
„Bist du blind oder was?", brüllte sie aus heiterem Himmel. „Ich habe ihn dir direkt vor die Zimmertür gelegt." Sie packte mich an den Handgelenken. „Kannst du nicht al ein bisschen Dankbarkeit zeigen, dass ich dich großgezogen habe?" Ihr Griff wurde fester. "Du musst den Zettel gesehen haben! Also lüg ich nicht an! Er lag direkt vor deiner Tür!"
„Es tut mir wirklich leid."
„Das sagst du jedes Mal", giftete sie. „Ich habe die Schnauze langsam echt voll von dir. Ist es denn so schwer Spülmittel zu kaufen?"
Mir war bewusst, dass ich jetzt nicht mehr argumentieren brauchte. Sie war sauer und daran würde sich auch nichts mehr ändern.
„IST DAS SO SCHWER?", schrie sie und drückte mich gegen die Wand.
„Nein", murmelte ich.
Dann scheuerte sie mir eine. Sie hatte das schon tausende Male mit mir gemacht, doch der seelische Schmerz wurde nicht weniger, wenn sie es tat.
„Werd endlich erwachsen Kind!", wütete sie. „Oder du kannst deine Sachen packen!"
Dann schubste sie mich noch einmal gegen die Wand und ging weg.
Nicht weinen, Violett! Nicht weinen! Lass dir von ihr nicht das Leben vermiesen!
Ich weinte. Bitterlich. Ich tat es jedes Mal, wenn sie mich ohrfeigte. Man gewöhnte sich daran einfach nicht.
Ich flüchtete in mein Zimmer und schloss mich dort ein. Ich wollte hier raus. Ich wünschte, ich könnte so optimistisch durchs Leben gehen wir Marlo. Bei ihm wirkte alles so einfach und unbeschwert, doch mein Leben war das genaue Gegenteil.
Ich hörte Musik aus seinem Zimmer kommen. Ich wünschte, er wäre jetzt hier. Ich wünschte, er würde mich in den Arm nehmen und trösten. Ich brauchte eine starke Schulter zu anlehnen, denn ich hatte keine Eltern, die mir das bieten konnte.
Nur diese eine Wand trennte Marlo und mich. Er war so nahe und doch so unerreichbar. Diese Wand versteckte das unglückliche Kind, das ich vor ihm verbarg. Ich fühlte mich in meinem Leben gefangen. Ich wollte hier raus, doch ich wusste nicht wie.
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