21 - Wir haben es getan

Es war passiert. Und ich wollte am liebsten mehr.

Doch es war Montagmorgen und wir mussten beide zur Schule. Ich rannte in meine Wohnung. Ich sah weder Sam noch Mum. Ich hüpfte schnell unter die Dusche, zog mir etwas über, was mir als nächstes in die Hände fiel und rannte dann um den Bus.

Ich kam auf die Minute genau im Klassenraum an. Vom Lehrer war jedoch weit und breit noch nichts zu sehen.

Mel saß auf ihrem Stammplatz. Als ich näher kam, sah ich das schlechte Gewissen in ihren Augen. Dazu gab es auch allen Grund.

„Es tut mir so leid, Violett. Ich war betrunken."

So ganz verziehen hatte ich ihr ihre Aktion noch nicht, auch wenn sie mir damit eine sehr leidenschaftliche Nacht beschert hatte.

„Das sagt meine Mutter auch immer. Sie schiebt auch immer den Alkohol als Ausrede vor."

Es war fies diese Karte des misshandelten Mädchens auszuspielen, aber ausnahmsweise fand ich, dass Mel das verdient hatte.

Sie sah wirklich gequält aus, als ich das sagte.

„Ich war eine Idiotin. Ich verspreche dir, dass ich mich nie wieder so maßlos betrinke. Du bist meine beste Freundin. Ich weiß, dass es nicht hätte passieren dürfen."

Ich setzte mich auf den Platz neben ihr und packte wortlos meine Sachen aus.

„Komm schon Violett! Jetzt sag doch wenigstens etwas."

Mein Blick wanderte zu ihr. Ich beugte mich nach vorne, sodass meine Lippen ganz nahe an ihrem Ohr waren.

„Wir haben es getan", flüsterte ich.

Ihr Unterkiefer verabschiedete sich in Richtung Boden. Mit dieser Aussage unterzeichnete ich gleichzeitig auch ihr Friedensangebot.

„Wirklich?"

Ich nickte zufrieden. Ich fühlte mich seit letzter Nacht richtig befreit. Mel strahlte.

„Ich hoffe, er hat dich gut behandelt!"

Ich nickte.

„Das hat er wirklich. Er hätte es nicht besser anstellen können. Am Anfang hatte ich wirklich Angst, aber er hat mir alle Furcht genommen und war echt vorsichtig und so. "

Sie schien sich wirklich für mich zu freuen.

„Ich habe ehrlich gesagt auch nichts anderes von ihm erwartet. Marlo ist wirklich einer von den Guten. Ich hoffe nur, dass du das nicht gemacht hast, weil ich dich unter Druck gesetzt habe."

„Naja, also ehrlich gesagt, warst du schon der Auslöser, aber ist okay. Ich bereue nichts. Es war wirklich gut, dass wir den Schritt gegangen sind."

Sie umarmte mich.

„Tut mir wirklich leid wegen gestern."

„Schon vergessen."

Unser Mathelehrer kam in den Raum. Das Gespräch war damit vorbei und die Laune im Keller.

Am Nachmittag begann der Schnee sich in dreckigen Matsch zu verwandeln. Ich war müde. Viel geschlafen hatte ich nicht. Und dann kam ich nach Hause und fand eine Mutter vor, die kaum noch zu halten war vor Wut.

Ich war schließlich nicht nach Hause gekommen. Zwar hatte ich ihr eine Nachricht geschrieben, dass ich bei einer Freundin schlafe, doch offenbar reichte ihr das nicht.

Mein Körper spannte sich an. Ich wusste, dass ich gleich Schmerzen haben würde. Ich erwartete, dass sie zuschlagen würde, doch das tat sich. Stattdessen unternahm sie etwas, was mich vollkommen unerwartet traf. Sie griff nach einer Vase und schmiss sie in meine Richtung. Ich war überrumpelt davon, dass ich nicht rechtzeitig reagieren konnte.

Sie traf mich direkt am Kopf und knockte mich aus. Meine Knie gaben nach und ich fiel zu Boden. Ich spürte, wie sich warme Flüssigkeit über mein Gesicht verteilt.

„Geschieht dir Recht, du Miststück!", brüllte Mum völlig von Sinnen. „Du bist ein kleines Stück Dreck. Von mir aus verrecke doch!"

Dann trat sie mir in die Magengrube. Ich jaulte auf und kämpfte gegen einen Würgereiz. Ich war zu schwach, um mich zu wehren oder schützend die Hände über Gesicht zu halten. Ich war ihr hilflos ausgeliefert. Und sie schien sich gar nicht mehr unter Kontrolle zu haben. Tränen liefen lautlos über mein Gesicht. Ich fühlte mich sogar zu schwach zum Weinen.

„Hör auf!", hörte ich eine tiefe Stimme rufen.

Es war Sam.

„Mum, willst du sie umbringen?", ertönte es panisch. Diesen Tonfall hatte ich bei ihm noch nie zuvor gehört.

Es kamen keine neuen Schmerzen mehr. Sam hatte sie von mir weggezogen. Ich hörte Mum wirres Zeug kreischen, was keinen Sinn ergab. Sie war auf einem Trip. Das war nicht mehr nur Alkohol. Vielleicht nahm sie wieder Antidepressiva, wie damals als Grandma gestorben war. Dieser Mix machte sie zu einem Monster

Ich hörte er Rumpeln und Krachen. Kämpften die beiden gerade wirklich miteinander? Dann wurde eine Tür zugeschlossen. Irgendjemand trat wie bekloppt dagegen und versuchte sie offenbar einzutreten.

Dann umfassten mich zwei Hände und richteten mich soweit auf, sodass ich sitzend gegen die Wand lehnte. Sams Gesicht schob sich in mein Gesichtsfeld.

„Alles okay bei dir?"

Es war das erste Mal seit Jahren, dass er mich beschützt hatte. Es war aber auch das erste Mal, dass Mum so außer Rand und Band gewesen war. Ich hatte wirklich Angst gehabt, dass sie erst aufhören würde, wenn ich tot war.

„Sehe ich so aus, als wäre alles okay?", brabbelte ich.

Ich sah eine kleine Blutpfütze auf dem Boden, wo eben noch mein Kopf gelegen hatte.

„Warte hier, ich guck mal, ob ich Verbandszeug oder so finde."

Als ob ich die Kraft hatte wegzurennen.

Ich fasste mit der Hand an mir Stirn und merkte sofort, dass es feucht war. Blut lief meinen Hals herunter. Es war erschreckend viel Blut.

Mum schlug noch immer gegen die Tür und kreischte, als wäre sie in der Gesellschaft eines Exorzisten. Ich hatte Angst, dass die Tür bald nachgeben könnte.

Dann kam Sam wieder. Er hatte irgendwo eine Kompresse auftreiben können und drückte sie mir vorsichtig auf die Stirn.

„Autsch!", beschwerte ich mich.

„Hab dich nicht so!", maßregelte er mich.

Warum auch trösten, wenn ich gerade von einer Vase außer Gefecht gesetzt worden war?

„Sieht es schlimm aus?"

Er nahm kurz die Kompresse weg. Sofort spürte ich wie wieder das Blut floss. Er musterte meine Stirn.

„Naja, lecker sieht es nicht gerade aus." Er hatte auch die Sensibilität eines Steins. „Du solltest da mit vielleicht wirklich zum Arzt gehen."

Ich hasste Ärzte.

„Kommst du mit?"

„Komm schon, du bist bald 18. Das wirst du ja wohl allein hinbekommen. Ich bin mit Lizzy verabredet." Scheißkerl! „Wenn ich du wäre, würde ich aber auch die Wohnung verlassen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie in ihrem Wahn vielleicht die Tür eingetreten bekommt."

Mit diesen Worten schnappt er sich seine Schlüssel und ging. Er ließ mich hier einfach alleine zurück. Ich wollte jetzt nicht heulen. Ich hatte satt, ständig wegen meinem Leben zu heulen, doch die Schmerzen waren zu groß. Es war nicht nur meine Wunde an der Stirn. Sie hatte mir etliche Mal in den Bauch- und Brustraum getreten. Das waren mindestens heftige Prellungen. Es fiel mir schwer zu atmen. Jeder Atemzug war eine Qual. Ich brauchte Hilfe und vor allem musste ich hier raus. Die Scharniere der Tür bebten bereits bedrohlich.

Ich versuchte aufzustehen, was meine Schmerzen ins Unerträgliche steigen ließ. Ich stöhnte auf. Mit einer Hand an der Wand humpelte ich zur Wohnungstür. Mit blutigen Fingern drückte ich die Klinke nach unten.

Ich wollte nicht, dass Marlo mich so sah, aber im Augenblick hatte ich keine Wahl. Ich brauchte ihn jetzt und es war nicht der Zeitpunkt für falschen Stolz.

Ich drückte die Klinge. Mein blutiger Fingerabdruck blieb darauf zurück.

Ich hörte wie Schritte näher kamen. Mein Herz schlug immer schneller. Ich zitterte. Vor Schmerz und vor Angst. Ich konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. Ich war heute Morgen so glücklich gewesen und nun befand ich mich wieder in der Hölle.

Und jetzt musste ich ihm auch noch mein dunkelstes Geheimnis verraten.

Die Tür wurde geöffnet.


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Tags: #herzschmerz