Broken Ice - Atme, solange du noch kannst

Sie sank tiefer und tiefer, Minute für Minute, Stunde um Stunde. Doch halfen sie ihr nicht, sondern beeilten sich das Loch schnellst möglich zuzumachen. Seelenruhig starrten sie auf ihre Messgeräte, während sie es sich in ihren nostalgischen Büros bequem machten.

Doch wer konnte ahnen, dass es so kommt?
Wer konnte ahnen, dass es kaputt gehen würde?
Wer konnte ahnen, dass dieser See so verdammt tief und so eiskalt war?

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1:54Uhr
Der Puls erhöhte sich und Blut rauschte durch ihre gefrorenen Adern.
Sie riss die Augen auf, doch war unfähig sich zu bewegen. Unfähig etwas dagegen zu tun, dass sie immer tiefer und tiefer sank, dem kalten dunklen Abgrund entgegen. Das Wasser brannte in ihren Augen. Noch immer zu keiner Bewegung im Stande, wurde das herabsinken abrupt gestoppt. Sie sah ein schmales Seil aus einem Loch weit, weit oben runterhängen.
Wieso zum Teufel war sie hier unten?

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Die Zahlen sahen gut aus. Doch zu lange durften sie nicht abwarten, der Sauerstofftank war begrenzt. Nach einer knappen Stunde machten sie sich auf den Weg zurück, um das Seil wieder hochzuholen. Von den Werten war es ganz so, als wäre sie aufgewacht. Das würde sie auf der ganzen Welt berühmt machen. Ein paar Eishauer waren auf dem See beschäftigt, auf dem sie ihr Experiment vollführten. Sie schlenderten über den See zu der markierten Stelle, doch dort war nur spiegelblankes Eis. Kein Loch, kein Seil, kein Nichts. Nur ihre Fußspuren, die vom Wind verweht wurden.

Seufzend so knapp am Ruhm vorbeigeschrappt zu sein, bezahlten Sie die Eishauer, ihnen den Weg freizuhauen, um die Leiche zu bergen.

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Krampfhaft versuchte sie, sich zu bewegen, doch sie schaffte es nur kurz etwas zum Zucken zu bringen. Wieso war sie hier unten? Wann holte man sie wieder hoch? Sie schielte zur Oberfläche, um sich zu vergewissern, dass das Seil noch da war, doch das war es nicht. Über ihr war eine glatte Eisfläche. Dick und unbarmherzig, sie jemals durchzulassen. Panik stieg in ihr auf.
In der Ferne hörte sie ein lautes Geräusch und etwas bohrte sich in die Eisschicht. Doch sie konnte nicht sehen was, denn ihre Augen schlossen sich langsam, als der Sauerstoff zur Neige ging. Ihr Brustkorb wurde enger und der Druck in ihrem Gehirn höher.
Willenlos trieb sie auf den Abgrund zu und prallte hart dagegen.

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Ein Windhauch fegte über den See und ein ferner Donner, verfluchte die leichtsinnigen Ärzte für ein weiteres Opfer. Sie verließen den See und warteten darauf, dass jemand die Leiche abholte. Doch dann nahm einer der Ärzte ein Geräusch wahr. Der Leichensack hatte sich geöffnet und Opfer Nummer 12 starrte ihn mit Augen wie aus gefrorenem Eis an. Die Haare hingen nass in ihrem Gesicht und sie sah völlig desorientiert aus. Er ging zu ihr, setzte sich neben sie und hatte plötzlich wieder Hoffnung, den verloren geglaubten Ruhm doch noch zu erlangen.

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Vor ihren gläsernen Augäpfeln blitzten die Bilder von den Körpern der Frauen und Männer, die nach Luft rangen und schließlich die Augen für immer schlossen, auf. Sie hörte ihre Rufe, fühlte ihren Schmerz. Hatte er jemals solche Angst verspürt? Angst nie mehr richtig atmen zu können? Lächelnd sah sie den Arzt an, als sie einen Eissplitter aufhob, womit sie ihm die Kehle aufschlitzte. Das Blut lief seinen Hals hinunter in seinen Hemdkragen, auf ihre Hand und den Eissplitter. Die getane Vergeltung der anderen, gab ihr die Kraft aufzustehen. Und jeden abzuschlachten, der sich ihr in den Weg stellte. Jeder hatte irgendwann Angst vor dem Tod. Manche früher manche später. Manche hatten Angst in die Hölle zu kommen und dort auf ewig gequält zu werden, andere fürchteten sich vor den dadurch ausgelösten Familien Zusammentreffen. Doch jeder fürchtete sich vor ihr, dem Mädchen mit den Augen aus Eis und dem Eissplitter in der Hand.
Nach der Verübung der Taten brach sie von den Schreien übermannt zusammen.
Das letzte was sie sah, war ein blutverschmierter Pantoffel am Fuß des letzten Arztes, bevor auch ihre Augen sich für immer schlossen und die dunklen Nebelschwaden über dem Todessee sich langsam zu Gestalten formten, die nichts anderes als Rache wollten.

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In dieser Nacht starb nicht nur Amelie Carter sondern auch all die, die jenen See je betreten hatten. Sie gesellten sich zu denen, deren Knochen verstreut am Grund lagen. In dieser Nacht wachte jeder einzelne Komapatient nach einem 15 Minütigen Atemstillstand mit eisigen Augen auf, in denen die Menschen aufblitzten, die es nicht geschafft hatten das Eis zu brechen.
In dieser Nacht blieben Anwesende nicht verschont.
Und während der Mond den See silbrig zum glänzen brachte, taten Dutzende ihren letzten Atemzug.
Sie konnten sie sehen, sie konnten sie hören, dennoch konnten sie ihnen nicht helfen. Weil sie gefangen waren, unter einer tiefen Eisschicht, die nicht brach und unter der sie kaum atmen konnten.

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