Healed Hearts
Brooke
Langsam lasse ich mich in der Wiese vor dem Stein nieder, tausche den alten Strauß gegen den frischen, den ich mitgebracht habe. Extra in seinen Lieblingsfarben Orange und Gelb, in allen Variationen. Nachdem die Blumen richtig stehen, streiche ich mit meinen Fingern über den kühlen, glatten Stein, fahre den Schriftzug darauf nach.
„Es tut mir leid... ich weiß, ich war in letzter Zeit nicht oft hier..." Das ist eine Untertreibung. Genaugenommen war ich seit einem halben Jahr nicht mehr hier, habe die letzten Wochen nur in Momentaufnahmen an ihn gedacht. „Matt... Es tut mir wirklich leid. Aber ab jetzt... Ich werde dir deine Blumen wieder selbst bringen, versprochen. Aber die letzten Monate... Es war eine seltsame, sehr emotionale Zeit für mich."
Sanft streiche ich über seinen Namen, dann über das Datum. „Zwölf Jahre. Kannst du dir das vorstellen? Vor zwölf Jahren ist das alles passiert und manchmal gibt es Momente, Augenblicke, in denen es mir vorkommt, als hättest du noch gerade meine Hand gehalten. Und ganz ehrlich? Ich war mehr als einmal kurz davor zu dir zu kommen."
Meine Brust schnürt sich zu bei dem Gedanken, wie oft ich das Bedürfnis hatte, einfach alles zu beenden und zu Matt und unserem kleinen Schmetterling zu flüchten. Doch es gibt jemanden, der mich jedes Mal aus meinem tief gezogen hat, mich daran gehindert hat, in der Dunkelheit zu versinken.
Liam.
Mein Anker. Mein Fels. Der Mann, der mein Herz wieder zum Leben erweckt hat.
„Wäre Liam nicht gewesen... Ich hätte es getan. Doch er hat mir gezeigt, dass es sich zu leben lohnt. Und er hatte es am Anfang wirklich nicht leicht mit mir.", lache ich und lege meinen Kopf kurz in den Nacken, genieße das warme Gefühl der Sonnenstrahlen auf meiner Haut. „Wie lange habe ich mich dagegen gesträubt... mich wieder verkrochen, nur um in der Nacht doch zu ihm zu flüchten... Wie oft habe ich ihn angeschrien, er solle verschwinden, mich in Ruhe lassen... mich einfach sterben lassen?!"
Meine eigenen Worte lassen mich an den Tag zurückdenken. Den einen Tag, an dem es schon vorbei war. Der Tag, an dem Liam mich endgültig gerettet hat und an dem ich ihn um ein Haar zerstört hätte.
„Ich bin schwanger!", verkündet meine Schwester Bianca freudestrahlend, lässt sich von unserer Mutter umarmen und zeigt ihr ein Bild, vermutlich ein Ultraschallfoto. Doch ich kann nur wie erstarrt auf der Couch sitzen, werde von ihren Worten in die Vergangenheit zurückbefördert. Ich kann den Schmerz von damals spüren, möchte weinen und schreien. Aber ich sitze einfach da, tue nichts, sage nichts.
„Brooke? Ist alles ok bei dir?" Ich höre die Stimme meiner Mutter, nehme sie aber trotzdem nicht wirklich wahr. Wie auf Autopilot nicke ich, stehe dann aber einfach auf und verlasse das Haus. „Brooke! Bitte, warte!", höre ich Bianca hinter mir rufen, spüre ihre Hand an meiner Schulter. Aber alles was ich wirklich wahrnehme, ist der unsagbare Schmerz in meinem Innern.
„Es tut mir leid. Ich hätte es dir in Ruhe sagen sollen aber ich dachte... Brooke ich dachte nach beinahe acht Jahren..." Ich nicke wieder nur, murmle ein „Schon gut, ich bin bloß müde.", ehe ich in mein Auto steige und nach Hause fahre.
Denn auch ich dachte, nach acht Jahren würde ich eine solche Nachricht verkraften. Und irgendwo tief in meinem herzen gibt es einen Teil, der sich wahnsinnig für Bianca freut. Aber der andere, viel größere Teil von mir fühlt nur Scherzen und die Sehnsucht, einfach die Augen zu schließen und allem zu entkommen. Das letzte Mal ist schon zwei Jahre her und damals war es Liam, der mich aufgehalten hat, bevor ich etwas Dummes tun konnte. Doch nicht diesmal.
Ich parke vor meinem Haus, mache mir nicht mal die Mühe meinen Wagen abzuschließen oder die Haustüre hinter mir zu zuziehen. Stattdessen gehe ich nach oben ins Schlafzimmer, entledige mich aller Klamotten und schlüpfe in meinen Pyjama, bevor ich in die Schublade meines Nachttisches greife und Dose mit den Tabletten herausnehme.
Sie werden mir ein letztes Mal beim Einschlafen helfen...
Eine nach der anderen findet den Weg meinen Hals hinunter, bis die Dose leer ist. Mit trägen Bewegungen kuschle ich mich in mein Bett, vergrabe mein Gesicht in meinem Kissen, sauge den herb männlichen Geruch ein.
Liam.
Es riecht nach Liam. Gestern Abend war er bei mir, wir haben einen film geschaut und anschließend wieder einen Nacht zusammen verbracht. Lange habe ich mich geweigert, ihn so in mein Leben zu lassen, doch nachdem er bei der Arbeit verletzt worden ist, musste ich einsehen, dass ich ihn in meinem Leben brauche. Dass ich ihn bei mir haben möchte.
„Es tut mir leid, Liam...", flüstere ich noch und dann fallen mir die Augen zu.
Allerdings nicht für immer.
Mit einem schalen Geschmack im Mund werde ich wach, weil es neben mir nervtötend piept. Schwer öffne ich meine Augen, muss erst ein paar Mal blinzeln, ehe ich erkenne, dass ich in einem Krankenhausbett liege. Als ich meinen Kopf leicht nach links drehe, sehe ich Liam, der seinen Kopf neben unsere ineinander verschränkten Hände gelegt hat und nun schläft. Am liebsten würde ich ihm durch seine wirren locken streichen, doch ich kann mich kaum rühren.
Ich versuche zu schlucken, doch mein Hals gleicht einer Wüste, weshalb ich leicht Husten muss und damit Liam wecke. Er schreckt hoch, schaut mich aus Blutunterlaufenen Augen an. Sein trauriger Blick versetzt mir einen Schlag, bringt mit einem Mal alles zurück. Bianca, das Baby, die Tabletten. Sofort kommen mir die Tränen. Als ich ein weiteres mal husten muss, reicht Liam mir einen Becher Waser und hilft mir ein paar Schlucke zu nehmen. Erst dann setzt er sich wieder neben mich auf den Stuhl, nimmt meine Hand fest in seine.
„Warum? Warum hast du das getan?", krächzt er heiser, seine Stimme klingt, als hätte er tagelang geweint. Ich bekomme keinen Ton heraus, nicht einmal laut schluchzen kann ich. „Warum Brooke?! Warum wolltest du gehen? Ich dachte es wäre alles gut..." murmelt er und auch seine Augen glitzern gefährlich feucht. „Es... leid...", versuche ich mich zu entschuldigen, doch mein Hals brennt wie Feuer, weshalb Liam mir erneut beim Trinken hilft.
„Sie mussten dir den Magen auspumpen, deshalb das Brennen im Hals.", erklärt er mir und nimmt dann wieder meine Hand, schaut mich mit einem solch flehenden Blick an, dass mir noch mehr Tränen kommen. „Warum Brooke? Bitte, sag es mir! Habe ich etwas falsch gemacht? Habe..." Seine Stimme bricht und ich versuche den Kopf zu schütteln. Es scheint zu funktionieren, denn Liam räuspert sich und fragt: „Was war es dann? Bitte, sag es mir! Warum wolltest du gehen... und... und mich hier allein lassen..."
Es dauert einen Moment, bis seine Worte mein Gehirn erreicht haben. Ich hätte ihn verlassen. Ich hätte Liam allein zurückgelassen und wieder konnte er nur danebenstehen und nichts tun. „Nein... es tut mir leid... Liam bitte... ich wollte... wollte dich nicht verlassen...", flüstere ich, versuche seine Hand zu drücken. Liam schaut mich an, die Tränen fließen ihm ungehindert über die Wangen. „Ich kann dich nicht verlieren Brooke... Als ich nach Hause gekommen bin, da stand deine Haustüre offen... und als ich dich dann da hab liegen sehen... du hast kaum noch geatmet... Ich kann nicht nochmal die Frau verlieren, die ich liebe..."
Seine letzten Worte sind nur noch ein hauch und doch habe ich jedes Wort verstanden. „Du...du liebst mich?", frage ich, spüre, wie der Knoten in meiner Brust sich langsam zu lösen beginnt. Liam sieht mich an, dann setzt er sich neben mich auf das Bett und nimmt mein Gesicht in seine Hände. Er kommt mir so nah, dass ich seinen Atem auf meinen Lippen spüren kann.
„Ja Brooke, ich liebe dich. Ich habe nicht geglaubt, dass ich es nochmal könnte... aber es ist so. Ich liebe dich und möchte mit dir zusammen sein. Seit sechs Jahren bist du schon an meiner Seite und ich möchte, dass sich das nie mehr ändert. Also bitte, bitte tu so etwas nie wieder... das würde ich nicht überleben." Nun schluchzte ich doch heiser, schaffe es einen Hand an seine Wange zu legen und leicht zu nicken.
Denn Liam hat recht. Seit sechs Jahren ist er der einzige Mensch, den ich an mich heranlassen kann, ohne zu zögern, zurück zu zucken oder auszuweichen. Und bei den drei so bedeutungsvollen Worten schlägt mein Herz höher, zeigt mir damit, dass Liam nicht der einzige ist, der der Liebe einen zweite Chance geben kann.
„Ich... Ich liebe dich auch Liam."
Ich kann selbst kaum glauben, dass wir nun schon vier Jahre zusammen sind. Manchmal kommt es mir eben doch wie gestern vor, dass Matt und ich händchenhaltend ins Kino gegangen sind.
Waren Liam und ich uns vorher schon nah, so war es, als hätte das Aussprechen der drei angeblich so magischen Worte etwas freigesetzt. Uns befreit, von einer Last, die uns so möglicherweise gar nicht bewusst gewesen ist. Denn obwohl mich manchmal schon noch das schlechte Gewissen gegenüber Matt zu plagen begann, war ich in den letzten Jahren so unfassbar glücklich, dass ich nicht einmal jetzt ein Lächeln unterdrücken kann.
Selbst als ich daran denke, wie schwer die letzten Monate waren, verschwindet mein Lächeln nicht. Dabei waren es wirklich schwere, zum Teil sehr seltsame sechs Monate. „Erinnerst du dich... als wir es erfahren haben? Tagelang war mir schwindelig und ich hatte Kopfschmerzen. Ich dachte es geht weg aber dann... Damals wäre ich niemals auf die Idee gekommen, dass die Ursache etwas so Kleines sein könnte. Erinnerst du dich, wie sehr wir uns gefreut haben? Diesmal.... Diesmal war es anders."
„Bitte Brooke, lass mich dich zum Arzt fahren. Seit Tagen kannst du kaum aufstehen und ich mache mir Sorgen um dich!" Liam hockt vor mir, hält meine kalten Hände in seinen und sieht mich flehend an. Er hat recht, seit tagen ist mir schwindelig sodass ich kaum aufstehen kann und die Kopfschmerzen lassen kaum irgendetwas zu. Aber ich möchte nicht zu einem Arzt. Ich kann einfach nicht.
Doch als ich Liams Blick auffange, liegt so viel Sorge und auch Angst in seinen grünen Augen, dass ich letztlich doch nicke und mich von ihm ins Krankenhaus bringen lasse. Dabei weiß ich eigentlich genau, was der Arzt sagen wird, wenn alle Untersuchungen gelaufen sind.
Doch das kann nicht sein. Das darf einfach nicht sein.
„Hey, die finden schon raus was dir fehlt und dann geht es dir bald besser.", versucht Liam mich und wahrscheinlich noch mehr sich selbst zu beruhigen. Ich schaffe es nur zu nicken, nicht mal ein Lächeln bekomme ich zu Stande. Mein gewissen erdrückt mich, denn gerade komme ich mir wie eine Betrügerin vor. Eine Fremdgängerin.
Es wird nicht besser, als der Doktor zurückkommt, ein Lächeln auf den Lippen. „Eigentlich fehlt Ihnen nichts Ms. Kaiser. Ganz im Gegenteil. Ich gratuliere Ihnen ganz herzlich. Sie sind schwanger!"
„Matt... Ich hatte in diesem Moment ein solch schlechtes Gewissen! Wir wollten doch heiraten. Wir...wir waren dabei eine Familie zu gründen. Unser kleiner Schmetterling..." Sachte streiche ich über die beiden in den Stein gravierten Schmetterlinge, einer etwas kleiner als der andere. So konnte ich mit Matt auch irgendwie unser Kind beerdigen und einen Platz schaffen, an dem ich um beide trauern kann.
„Liam war zuerst auch geschockt. Ich kann dir nicht mal sagen, ob er sich richtig gefreut hat. Auch für ihn war es komisch. Doch ich weiß, dass er früher realisiert und vor allem akzeptiert hat, was vorgeht. Er hat dafür gesorgt, dass ich esse, genug trinke, meine Vitamine nehme und genug schlafe. Ich... ich habe die ersten Wochen einfach alles verdrängt.
Ich habe zwar jeden Morgen die Vitamintabletten geschluckt, die Liam mir hingelegt hat und ich bin auch zu den Arztterminen gegangen. Doch... Wir haben es niemandem erzählt. Und das nur, weil ich es nicht wollte. Als mein Bauch langsam sichtbar wurde, habe ich nur noch weite Klamotten getragen, letztlich einfach nur Liams Shirts oder Hemden. So ging das wirklich wochenlang."
Verdrängung. Das war meine Taktik. Bis zu dem Tag, an dem durch eine kleines Bewegung meine ganze Welt erneut auf den Kopf gestellt wurde.
Als die Waschmaschine piept nehme ich die Wäsche heraus und gehe mit dem vollen Korb nach draußen in den garten zu der Wäscheleine, die schon meine Grandma dort benutzt hat. Es ist Anfang Mai und das Wetter ist seit einigen tagen so beständig, dass ich die Wäsche ohne weiteres hier im Garen aufhängen kann.
Gerade als ich das letzte Shirt aufhänge, spüre ich ein seltsames Ziehen in meinem Bauch. Zuerst bin ich gewillt es zu ignorieren, so wie bisher alles, was meinen Bauch angeht. Doch dann spüre ich es erneut und bekomme es mit der Angst zu tun. Das erste Mal seitdem wir im Krankenhaus waren, lege ich meine Hände auf meinen gerundeten Bauch, der sich heute unter einem meiner Tanktops und einem rotkarierten Hemd aus Liams Schrank versteckt.
„Bitte...Bitte nicht..."
Während ich langsam ins Haus gehe, kommen mir die Tränen. Angst und Panik machen sich in mir breit, auch als ich mich auf der Couch niederlasse und nach meinem Telefon greife. Obwohl das Gefühl in meinem Bauch wieder nachgelassen hat, suche ich die Nummer von Dr. Alden und wähle sie sogleich. Unter Tränen schaffe ich es irgendwie, der Schwester zu erklären was los ist und sie stellt mich tatsächlich zu meinem Arzt durch.
„Brooke, wie kann ich Ihnen helfen?", fragt er mit seinem typischen fürsorglichen Ton und gibt mir gleich das Gefühl, dass alles wieder gut wird. „Ich... da... in meinem Bauch... es hat... sich seltsam angefühlt... irgendwas stimmt da doch nicht...", schniefe ich voller Angst, vernehme im nächsten Moment tatsächlich ein leises Lachen durch die Leitung. „Brooke... waren es wirklich Schmerzen? Oder hat es sich mehr wie ein kitzeln oder ein Streicheln angefühlt?"
Ich halte inne, streiche mit meiner freien Hand unter das Hemd und streiche zart über die kleine Kugel. Als ich die Augen schließe, spüre ich es erneut und schnappe ach Luft. „Da war es schon wieder..." Wieder lacht Dr. Alden auf. „Brooke? Sie sind jetzt in der 24. Schwangerschaftswoche und ich glaube nicht, dass es Schmerzen sind, oder?" Ich schüttle den Kopf und antworte erst, als mir klar wird, dass er mich gar nicht sehen kann.
„Brooke, keine Angst. Das sind Bewegungen. Ihr Baby bewegt sich!" Seine Worte sickern nur langsam in meinen Verstand, doch als ich es begreife, fließen erneut Tränen, diesmal allerdings Freudentränen. Mein Baby bewegt sich! Mein Baby... Zum ersten Mal nehme ich es wirklich bewusst war, traue mich, die Worte zu denken und auch auszusprechen.
Ich bin schwanger. Ich bekomme ein Baby. Mein kleines Wunder. Unser kleines Wunder.
Ich vereinbare mit Dr. Alden trotzdem noch einen Termin für den späten Nachmittag, lege dann sofort auf und wähle die Nummer, die ich als einzige in und auswendig kenne. Ich möchte es ihm sagen, es mit ihm teilen. Es klingelt auch bloß einmal, da hebt er schon ab.
„Hey Brooke, alles ok bei dir?" Ich nicke, wische mir noch ein paar Tränen von den Wangen. „Brooke?", fragt er besorgt, ich brauche aber noch einen Moment, bis ich meine Stimme wiederfinde. „Ich... Liam... Wir bekommen ein Baby...", hauche ich, streiche immer weiter über meinen Bauch, kann gar nicht mehr aufhören.
„ja meine Schöne, wir bekommen ein Baby.", antwortet er mir und ich kann das Lächeln in seiner Stimme hören. „Liam... Es hat sich bewegt... ich... ich kann es spüren...Unser Baby", schluchzte ich, lasse meinen Gefühlen nach Wochen zum ersten mal wieder freien Lauf. „Oh Brooke, das ist toll! Bewegt es sich immer noch?" Liam freut sich, dass kann ich deutlich hören und es freut mich umso mehr, dass wir diese Freude jetzt endlich teilen können.
„Nein, jetzt gerade nicht, aber es kann ja wieder anfangen.", antworte ich, lege mich dann auf die Couch und entblöße meinen Bauch. Zärtlich streichle ich darüber, kitzle ein wenig mit meinen Fingerspitzen darüber, um vielleicht erneut eine Bewegung zu bekommen. „Ich liebe dich Liam. Dich und unser Baby. Und es tut mir so leid, wie ich die letzten Wochen war...", flüstere ich, meine Stimme klingt furchtbar heiser. „Ich liebe euch beide so sehr meine Schöne. Und du musst dich für gar nichts entschuldigen. Niemals."
Kaum habe ich Matt alles erzählt, spüre ich es. Ich muss mich nicht einmal herumdrehen, um zu wissen, dass Liam keine zehn Schritte hinter mir steht. Leicht drehe ich mich zu ihm, lächle ihm zu und genieße den Hüpfer, den mein herz bei dem Anblick macht, der sich mir bietet.
Liam kommt ebenfalls lächelnd zu mir herüber und legt mir unser kleines Wunder in die ausgestreckten Arme. „Und das ist der Grund, warum ich so lange nicht hier war. Auch wenn ich an diesem tag endlich mein gewissen beruhigen und meine Schwangerschaft genießen konnte, bleib die Angst, dass noch etwas passiert. Aber was soll ich sagen?"
Sachte streiche ich über das kleine Köpfchen, die winzigen Händchen. „Matt, das ist Ethan. Er wurde vor zehn tagen ganz pünktlich, kerngesund und ohne Komplikationen geboren. Mein kleines Wunder. Unser Sohn." Wie immer, wenn ich meinen Kleinen anschaue, kann ich nicht mehr aufhören zu lächeln. Liam legt mir eine Hand auf die Schulter, kniet sich zu mir und legt ebenfalls eine Hand auf Ethans Bauch.
„Du wirst immer meine erste große Lieben bleiben. Der Mann, der mir gezeigt hat, was lieben überhaupt bedeutet. Du, Matt, wirst immer einen Platz in meinem herzen haben. Doch nun..." Ich schaue von meinem Kleinen zu meinem großen Mann, der mir ein unfassbar liebevolles Lächeln schenkt und seine Lippen an meine Schläfe drückt. „Jetzt gibt es zwei Männer, die einen großen teil meines Herzens besitzen. Ich liebe Liam, wie ich es mir niemals hätte vorstellen können. Und Ethan... er ist mein größter Schatz.
Ich hoffe, es ist nicht zu viel verlangt und du bist mir nicht böse, aber... könntest du ein Auge auf ihn haben? Du und unser Schmetterling... Es würde mir besser gehen, wenn ich wüsste, dass mein Baby mehr als nur einen Schutzengel da oben hat." Sanft wiege ich Ethan in meinen Armen, lehne meinen Kopf an Liams Schulter und als ich meine Augen schließe, habe ich das Gefühl als wären wir nicht allein. Und eben dieses Gefühl lässt mein gewissen endgültig verstummen und in diesem Augenblick weiß ich, dass ich glücklich sein kann und werde.
„Ich werde wieder regelmäßiger herkommen, versprochen. Bis bald Matt."
Nachdem ich mich verabschiedet habe, hilft Liam mir beim Aufstehen, legt einen Arm um meine Hüften und gemeinsam mit unserem Sohn laufen wir den Weg zwischen den hellen Steinen entlang zum Ausgang des Friedhofes. „Oh nein, ich habe die alten Blumen liegenlassen!", fällt mir ein und ich möchte schon zurück gehen, als Liam mich aufhält. „Geh du schon mal mit Ethan zum Wagen. Ich hole die Blumen und räume sie weg.", erwidert er und drückt mir einen Kuss auf die Lippen, dann noch Ethan einen kleinen auf sein kleines Köpfchen.
Ich schaue ihm noch kurz hinterher, genieße den Ausblick, der sich mir bietet. Niemals hätte ich nach Matts Tod gedacht, dass ich noch einmal so glücklich sein könnte. Doch ich bin es. Ich bin glücklich. Und auch wenn Matt mir für immer fehlen wird, bin ich dankbar für meine zweite Chance. Für Liam. Für unsere Liebe. Für Ethan.
Liam
An seinem Grab hebe ich den alten Strauß Blumen auf, schaue mich dann schnell um, um sicher zu gehen, dass Brooke auch wirklich weg ist. Erst dann wende ich mich in seine Richtung. „Hey Mann. Ich weiß, dass du sie sehr geliebt hast. Und sie hat dich geliebt. Auf eine gewisse Art und Weise wird sie es bis an ihr Lebensende tun. Genauso wie ich Viola immer irgendwie lieben werde.
Es hat lange gedauert aber... Ich bin glücklich. Und auch Brooke ist es. Sie lächeln zu sehen... vor allem wenn sie Ethan anschaut... Ich verliebe mich jeden Tag, jede Sekunde mehr in sie und ich verspreche dir, ich werde sie beschützen, mit allem was ich habe. Und deshalb..."
Ich halte inne, greife mit zittrigen Fingern in meine Hosentasche und hole die schwarze Schatulle hervor, die ich bereits seit einigen Wochen mit mir herumtrage. „Ich möchte sie bitten meine Frau zu werden. Ich möchte sie nicht wieder gehen lassen, sie ganz offiziell und vor allen Augen zu der meinen machen. Schon jetzt sind wir eine Familie und dann wären wir es in jeder Hinsicht."
Nervös schaue ich auf die Schatulle, klappe sie kurz auf und betrachte den feinen silbernen Ring, der darin liegt. „Glaubst du, er gefällt ihr? Ich hoffe es sehr... Ich möchte sie heute Abend bitten, mich zu heiraten. Heute vor genau zehn Jahren stand sie nachts plötzlich neben mir in meiner Einfahrt, so verloren und doch so wunderschön... Ich werde gut für sie sorgen, versprochen."
Ich stecke die Schatulle wieder ein, streiche dann einmal über die Oberseite des Grabsteines ehe ich mich abwende, den Blumenstrauß noch auf den Kompost und beeile mich dann, zurück zum Wagen zu kommen. Zu meiner Frau, meiner Liebe und meinem Sohn. Meiner kleinen Familie. Meinem Glück, von dem ich dachte, ich hätte es bereits für immer verloren.
Doch scheinbar hat das Schicksal eingesehen, dass es einen grausamen Fehler gemacht hat und so versucht seinen Fehler wieder gut zu machen. Brooke und ich, wir sind nicht länger zwei Seelen, zerbrochen an der Grausamkeit des Lebens. Unsere Herzen schlagen nicht mehr träge und erfüllt von Schmerz.
Nun sind wir Brooke und Liam, zwei Menschen, vom Schicksal zusammengeführt, um einander den nötigen halt, die nötige Kraft zu geben, endlich aus der Dunkelheit zu entkommen und endlich wieder zu leben. Und genau das heben wir getan. Wir haben einander gerettet, einander ins Leben zurückgeführt. Wir haben uns gegenseitig gezeigt, dass man auch nach einem solch tragischen Verlust noch einmal Lieben kann.
Was gestern war ist vergangen. Was morgen kommt, ist unbekannt. Das heute zählt. Und mein heute sind Brooke und Ethan. Und heute Abend werde ich dafür sorgen, dass diese beiden auch meine Zukunft sind.
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