Kapitel 10
„Freunde?"
Ich schlug ein. „Freunde!"
Mit einem Lächeln auf dem Gesicht saßen wir eine Weile nebeneinander und starrten auf die aufgehende Sonne. Nach einiger Zeit begann ich zu sprechen, da mir der Gedanke nicht mehr aus dem Kopf ging: „Hey, Gally, so unter Freunden: Was hast du vorhin gemeint, als du gesagt hast, dass du nur noch eine Lunge hast?" In der Situation hatte ich es kaum wahrgenommen, da meine Gedanken nur um Newt gekreist waren, aber nun wunderte es mich sehr.
„Ich habe nicht nur eine Lunge, das hast du falsch verstanden.", antwortete Gally, doch er sah nicht zu mir. „Ich habe nur eine gut funktionierende Lunge." Verwirrt legte ich den Kopf schief, da ich noch immer nicht verstand, wie er das meinte. „Es ist so wie mit Newts Bein. Er kann beide benutzen, aber nur eines davon ist gut benutzbar." Ich fragte mich, ob er von Newts 'Unfall' im Labyrinth wusste. Doch vermutlich hatte es sich einfach auf der Lichtung herumgesprochen, dass Newt sein Bein verletzt hatte und jeder konnte schließlich die Folgen sehen. Also wusste er vermutlich nicht von dem, was im Labyrinth passiert war.
„Wieso ist es denn so?" In dem Moment, in dem ich die Frage ausgesprochen hatte, fiel mir auch die Antwort ein. „Oh...", murmelte ich deshalb nur und sah unsicher auf meine Hände.
„Es hätte schlimmer enden können. Ich bin immerhin froh, dass ich noch atmen kann." Gally schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln, das mir symbolisieren sollte, dass es nicht so schlimm war, wie es wirkte. „Ich muss sogar sagen, dass sie mich erstaunlich gut wieder zusammenflickt haben. Dafür, dass mich ein Speer durchbohrt hat, bin ich gut weggekommen." Er sagte es so beiläufig, als würde ihn der Gedanke daran nicht stören, doch ich wusste, dass es tief in seinem Inneren doch eine größere Wunde verursacht hatte.
„Darf ich es sehen?" Verwirrt sah Gally auf. „Die Wunde."
Er musterte mich für einen Moment nachdenklich und stand dann zögerlich auf. Er griff an den Saum seines Pullovers und zog ihn sich in einer Bewegung über den Kopf. „Du wirst nur keine Wunde mehr sehen, denn es ist bereits alles verheilt.", meinte er, als er aus den Ärmeln schlüpfte. Nun stand er mit freiem Oberkörper vor mir. Ich stand ebenfalls auf und trat neugierig auf ihn zu. Sein Körper sah ziemlich muskulös aus, aber es war ja kein Wunder, als ehemaliger Baumeister. Doch mein Blick schweifte nur kurz über seine Muskeln und blieb an seiner linken Brust hängen. Dort befand sich eine Narbe, die so groß war wie ein Tischtennisball. Das war die Stelle, wo ihn der Speer durchbohrt hatte. Trauer überkam mich, als ich mir die Narbe ansah. Er hatte eine Wunde bekommen, für etwas, das er selbst nicht tun wollte. Am Rand der Narbe konnte man sogar die Stiche erkennen.
„Es hat eine Weile gebraucht, bis sie es komplett hinbekommen haben... Minho hatte eine ziemliche Wucht beim Werfen..." Ein kleines, beinahe schon ungläubiges, Lachen kam von ihm, als er sich umdrehte. An seinem Rücken war auch eine kleine Narbe, die jedoch nur Fingergroß war. Der Speer hatte ihn also wirklich komplett durchbohrt. Staunend streckte ich meinen Finger aus und berührte die Narbe. Sofort zuckte Gally zurück. Schmerz und Wut flammten in seinen Augen auf, als er schnell den Blick abwandte.
„Es tut mir leid, dass du das alles durchmachen musstest...", murmelte ich betreten, doch sofort wurde sein Blick wieder sanfter. „Es ist gar nicht so schlimm... Ich kann schließlich normal atmen..." Unsicher sah er mich an und schenkte mir ein kleines Lächeln. „Clarise, so unter Freunden: Was war eigentlich vorher mit dir los?", fragte er schnell, um das Thema zu wechseln. „Als wir bei der Mauer waren und du durch das Fernrohr gesehen hast. Was hast du da gesehen? Oder Wen hast du da gesehen?" Das war nicht der Themawechsel, den ich mir gewünscht hätte... Ich sah auf meine Hände und überlegte, ob ich es ihm erzählen sollte.
„Janson." Mit dem Namen schien Gally nichts anfangen zu können, denn er sah mich verwirrt an. „Er ist von WICKED." In Gallys Blick regte sich etwas, als er mich aufmerksam ansah. „Was hat er dir getan?" Erstaunt darüber, dass er sofort wusste, was los war, riss ich meine Augen auf. Ich ballte meine Fäuste und musste schlucken. „Zu viel."
Er schwieg für einen Moment, als müsste er erst nachdenken. „Er hat mich geschlagen. Und in Simulationen gesteckt und ich musste zusehen, wie sie Minho das auch antun.", platzte es schließlich aus mir heraus. Sofort trat in seine Augen ein besorgter Blick. „Und du hast noch immer Angst?"
„Es ist weniger Angst. Es sind mehr die Erinnerungen daran." Kurz zögerte ich, doch dann griff ich an den Saum meines Oberteils und zog es ein wenig nach oben, damit er die Blutergüsse sehen konnte. „Es fällt mir schwer alles zu vergessen, wenn ich es noch immer sehen und fühlen kann." Bestürzt blickte er meinen Bauch an, ich jedoch vermied es. Gally trat vorsichtig zu mir.
„Wie lange warst du bei WICKED?"
„Sechs Monate." Seine Augen weiteten sich, als er sich bewusst wurde, wie lange ich damit auch bei Janson war. „Darf ich... darf ich es mir ansehen?", fragte er unsicher und zeigte auf meinen Bauch. Ich zuckte nur mit den Schultern, was er als ja nahm, denn er beugte sich etwas nach unten, um sich alles besser ansehen zu können. Der kühle Wind streifte über die freie Haut und verursachte mir eine Gänsehaut. Es war mir ein Wunder, wie Gally nicht kalt zu sein schien, denn er hatte schließlich gar kein Oberteil an.
„Wenn du willst, können wir das versorgen.", bot er an, ohne jedoch den Blick abzuwenden. Er sah sich alles ein wenig genauer an. „Das können die ganz gut hier. Wenn sie mit meiner Wunde zurechtgekommen sind, wird das hier sicherlich kein Problem darstellen..."
„Nein, ich glaube nicht, dass das nötig ist. Es tut eigentlich nicht so stark weh, wie sonst... Ich lasse es einfach abheilen..."
„Bist du dir sicher?" Mit einer hochgezogenen Augenbraue sah er mich an, als ich nickte. Dann sah er wieder zu den Flecken und runzelte die Stirn. Behutsam drückte er kurz auf eine Stelle, an der sich keine Flecken befanden, dennoch zischte ich vor Schmerzen auf.
„Tut mir leid...", murmelte Gally, doch seine Entschuldigung ging in dem Lärm unter, den die Tür verursachte, als sie aufgestoßen wurde.
„Lass gefälligst die Finger von ihr!", ertönte Newts wütende Stimme und schon im nächsten Moment wurde Gally zu Boden gerissen. Ich war so überrascht, dass ich erst nicht reagierte, als Newt sich auf Gally stürzte und ihm einen Schlag verpasste.
„Wie kannst du es wagen!", brüllte er dabei.
„Newt, lass ihn!" Doch als Newt nicht hörte, rannte ich zu beiden und griff Newts Faust, mit der er erneut ausholen wollte. Verzweifelt zerrte ich an ihm, in der Hoffnung ihn von Gally zu bekommen. „Hör auf damit, Newt!" Ich wandte alle kraft auf, die ich hatte und zog Newt runter. „Lass ihn!" Als Newt zu mir sah, verschwand die Wut in seinem Blick und er leistete keinen Widerstand mehr. „Was soll denn der Klonk!?"
Nun stand Newt auf. „Ich dachte er hätte dir etwas getan!", entschuldigte er sich, doch ich antwortete ihm nicht. Stattdessen ging ich zu Gally, der sich schweratmend aufrappelte. Seine Nase blutete etwas. „Alles in Ordnung?", fragte ich, als ich ihm meine Hand entgegenstreckte. Er nickte nur und ließ sich aufhelfen. Ohne weiter auf Newt zu achten griff er seinen Pullover vom Boden und zog ihn sich über.
„Ich habe nur gesehen, dass er kein Oberteil anhatte und dich berührt hat!" Ein verzweifelter Ausdruck erschien auf Newts Gesicht. „Und deswegen greifst du ihn an?!" Er senkte schuldbewusst seinen Blick.
„Immerhin blutet nur meine Nase...", meinte Gally, der zu uns trat. Er sah Newt nicht wütend an und langsam wunderte ich mich wirklich, wie er es allen einfach verzieh, dass sie ihn immer verprügelten.
„Und wenn du sie nochmal anfasst, dann bleibt es nicht nur bei der Nase!", fauchte Newt, was mich sofort erschreckte. Es war fast so, als hätte jemand anderes von ihm besitzergriffen.
„Newt! Was ist nur in dich gefahren?!" Sobald er mich ansah, war der wütenden Ausdruck erneut verschwunden.
„Ich gehe besser... Ich muss sowieso noch etwas für später vorbereiten...", meinte Gally.
„Hey, Gally," Ängstlich, dass Newt ihm nochmal drohen würde, wollte ich schon dazwischengehen. „Es tut mir leid... Wegen der Nase..." Es kostete ihn viel Überwindung das zu sagen, doch Gally nickte nur und ging davon ohne noch etwas zu erwidern. Ich blieb mit Newt zurück.
Ich starrte zum Horizont, da ich nicht wusste, wie ich reagieren sollte. Sollte ich wütend auf Newt sein oder nicht? Er wollte mich immerhin nur beschützen. Zum Glück nahm Newt die Sache in die Hand und trat neben mich. „Clary, es tut mir leid. Ich wollte nicht so ausrasten." Er griff nach meiner Hand. „Ich habe ihn nur da bei dir gesehen und das hat mich so wütend gemacht. Ich... ich wollte dich um jeden Preis beschützen und da-"
„Ist schon gut. Ich kann es dir kaum verübeln, denn immerhin sah alles wirklich sehr verdächtig aus." Ich schenkte ihm ein kleines Lächeln, das er erleichtert erwiderte. „Aber versprich mir, dass es das nächste Mal nicht so eskaliert."
„Es wird also ein nächstes Mal geben, an dem Gally ohne Oberteil vor dir steht und deinen freien Bauch betastet?"
„Nein, so meinte ich es nicht! Geh einfach nicht mehr auf Gally los." Er seufzte ehe er widerwillig nickte. „Ich versuche es."
„Danke." Erleichtert drückte ich seine Hand und gab ihm einen kurzen Kuss.
Nach einiger Zeit verließen wir das Dach wieder und gingen zurück in den Raum, in dem wir geschlafen hatten. Die Anderen waren bereits wach und zeigten uns einen Raum, in dem wir uns waschen konnten. Der Raum war nicht unbedingt groß, aber es passten zwei Waschbecken hinein und einige Kabinen mit Toiletten.
Als ich den Hahn aufdrehte dauerte es einen Moment, bis braunes Wasser kam. Unsicher sah ich es an. Es würde seinen Zweck bestimmt erfüllen... Ich hielt meine Hände darunter und wusch mir mein Gesicht. Das Wasser war eiskalt. Doch das hatte auch den Vorteil, dass ich damit ein Handtuch nass machte und es mir an meine Blutergüsse hielt. Newt wusch sich auch und trat nun, nachdem er sich abgetrocknet hatte, an das Waschbecken neben mir. Sein Hemd, das er trug, war aufgeknöpft und gab die Sicht auf seine nackten Oberkörper frei. Er war in der Zeit, in der ich bei WICKED war, wohl auch etwas muskulöser geworden.
„Gefällt dir, was du siehst?" Mit einem Grinsen ließ ich meinen Blick nach oben gleiten. Er musterte mich aufmerksam.
„Ich denke schon.", antwortete ich noch schnell und drehte mich dann wieder dem Wasserhahn zu, um das Handtuch erneut zu tränken.
„Hey, Clary, Wieso genau hatte Gally eigentlich kein Oberteil an?"
„Weil er es ausgezogen hat." Ich gebe es ja zu, die Antwort hätte ich mir sparen können...
„Darauf bin ich auch schon gekommen. Aber wieso hat er es denn ausgezogen?", fragte Newt, während er sich seitlich ans Waschbecken lehnte und mich dabei wachsam musterte.
„Kann es sein, dass du dir langsam sorgen machst, ob ich dir treu bin?" Feixend blickte ich ihn an, doch seine Mundwinkel zuckten nur leicht. Wir starrten uns eine Weile an, doch da er nichts sagte, drehte ich mich wieder dem Waschbecken zu und wrang das Handtuch aus. Wir hatten schon genug Zeit beim Waschen verbracht. Vermutlich würden wir bald den Plan besprechen.
Ich sah aus dem Augenwinkel, wie Newt sich von dem Waschbecken abstieß und mit langsamen Schritten zu mir trat, bis er hinter mir stehenblieb. Ich blickte auf und unsere Blicke trafen sich, als ich in den verdreckten Spiegel vor mir sah. Newt grinste mich verschwörerisch an und trat noch einen Schritt auf mich zu, sodass er unmittelbar hinter mir stand. So dicht, dass ich sogar seinen Atem auf der Haut spürte.
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass du mir treu bleibst.", murmelte er, beugte sich langsam runter und küsste meinen Hals. Sofort bekam ich eine Gänsehaut. „Und wenn es andere nicht sehen, dann muss ich ihnen wohl verständlich machen, dass du mir gehörst." Er verteilte weiterhin Küsse auf meinem Nacken, was mich dazu veranlasste meine Augen zu schließen und meinen Kopf an ihn zu lehnen. Ich konnte spüren, wie er seine Lippen zu einem Grinsen verzog, als mir das nasse Handtuch aus der Hand rutschte und zu Boden fiel. Kichernd öffnete ich meine Augen und kniete mich hin, um es aufzuheben.
„Ich werfe sogar das Handtuch für dich." Scherzend drehte ich mich wieder zu ihm um und legte das Handtuch ab. Newts Mundwinkel zuckten leicht. Ein Funkeln lag in seinen Augen, dass mich einfach nur faszinierte. Wir standen uns gerade so nah, dass ich seinen Atem an meiner Wange spürte. Sein Blick wanderte an mir herunter und blieb an meinen Lippen hängen. Er sah mir wieder in die Augen. „Ich liebe dich." Und im nächsten Moment drückte er seine Lippen auf meine. Ich erwiderte den noch harmlosen Kuss, doch schon im nächsten Moment wurde er leidenschaftlicher.
Ich ließ es zu, dass Newt mich an die Wand drängte. Er strich mir mit den Händen die Haare zur Seite und unterbrach unseren innigen Kuss, um seine Lippen meinen Hals entlangwandern zu lassen.
„Newt?" Erstaunt über sein Verhalten versteifte ich mich. „Was genau machst du da? Wir müssen doch zu den Anderen und den Plan besprechen..." Er lehnte sich ein wenig von mir weg, ein Grinsen auf den Lippen. „Hast du nicht gesagt, dass du das Handtuch für mich schmeißt?" Ich musste ebenfalls Grinsen. Ich drückte meine Hände gegen seinen Bauch, um ihn wegzuschieben. „Das galt vorhin, jetzt sollten wir besser zurück und-" Newt hatte begonnen an einer Stelle zu saugen, weshalb ich mitten im Satz nach Luft schnappte.
„Hast du was gesagt?", ertönte seine stichelnde Stimme nah an meinem Ohr. Sein warmer Atem kitzelte und mir lief ein Schauer über den Rücken. Als Newt fortfuhr an meinem Nacken zu saugen und sanfte Küsse zu verteilen, fiel jeder Widerstand von mir ab und ich schloss genüsslich meine Augen. Alles um uns herum war vergessen. Ich verkrampfte meine Hände, die noch immer auf seinem Oberkörper lagen, weshalb von ihm ein kurzes Keuchen kam. Doch das hinderte ihn nicht daran weiter Küsse auf meinem Nacken und Hals zu verteilen und dabei unaufhörlich vor sich hinzumurmeln. „Meins!" Ich selbst musste bei seinen Worten Grinsen, doch als er erneut begann zu saugen, entwich mir ein Seufzen.
Meine Hände wanderten fast schon automatisch über seinen Oberkörper zu seinem Nacken. Als ich nach seinen Haaren griff und ihn damit wegzog, kam von ihm ein überraschter Laut, den ich sofort mit meinen Lippen dämpfte. Mein Atem ging immer schneller, als Newt mir mit einem leidenschaftlichen Kuss die Luft nahm. Davon angestiftet löste ich meine verschränkten Hände hinter seinem Nacken und ließ sie zu seinen Schultern wandern. Er hatte sein Hemd noch immer an. Ich begann es mit meinen zittrigen Händen runterzuziehen, wobei ich auch seinen nun freien Rücken entlangfuhr. Ich war wie in einem Rausch, doch ein lautes Räuspern, ließ uns auseinanderfahren.
Erschrocken sahen wir beide zur Tür, an der Thomas stand.
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