5. Kapitel

Ich wusste nicht, wie lange ich schon auf dieser minimalen Erhöhung, gebaut aus Beton stand, dass einzige was mich kurz in die Realität holte, war die Türe, die sich öffnete, die Schritte, die bis zu mir kamen und dann anhielten. "Hier bist du Sugawara. Ich dachte, schon es wäre sonst etwas passiert", meinte eine bekannte Stimme. War es Erleichterung, die ich da heraushören konnte? Langsam trat ich wieder zurück in die physische Welt, waren meine Gedanken und alles was mich hier lebendig machte, irgendwo fern von diesem Ort gewesen.
Langsam drehte ich mich ihm zu. Wie ich schon erahnt hatte, war es Takeda. "Entschuldigung", brachte ich nur relativ stumpf heraus, während ich einfach in seine braunen Augen sah.
Schließlich begleitete er mich nach drinnen und zu meiner Therapiestunde bei dem blondhaarigen Psychologen, der nach Zigarettenrauch roch.

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Nach einer guten Stunde kam ich wieder aus dem Raum, wischte mir mit meinem Ärmel die Tränen aus den Augenwinkeln. "Darf ich dich auf unser Zimmer begleiten?" Schon als er nur Luft zum Sprechen geholt hatte, wusste ich, dass es Sawamura war. "Ja.. natürlich", erwiderte ich mit leiser Stimme. Schweigend liefen wir nebeneinander her und keiner schien sich zu trauen etwas zu sagen. So verstrich die Zeit, bis ich aus dem Augenwinkel vernahm, wie er kurz davor war etwas zu sagen. "Sag mal Sugawara-kun, habt ihr bei dir schon feststellen könne, woraus sich deine psychischen Erkrankungen entwickelt haben?" Sein Blick war auf einmal ganz weich. Er schien zu wissen, dass es ein nahes, persönliches Thema war. Unruhig schluckte ich, spielte mit meinen Fingern, die an den Nagelbetten schon ganz zerfressen und kaputt waren. "Naja..", kurz schwieg ich, überdachte nochmal wie ich meinen Satz formulieren wollte, "Wohl hängt es mit meiner Kindheit zusammen. Eine Erwartungshaltung, die jeder an einen stellt und die ich bis heute mit mir trage und immer noch versuche zu erfüllen. Wenn jeder glaubt, dass du immer glücklich und hilfsbereit bist, wird darauf schnell eine Leistung, die du erfüllen musst. Da.. fängt mein Problem wohl an." Kurz erschauderte ich etwas, ehe ich ihm wieder in die dunkelbraunen Augen sah. Wie automatisch zuckten meine Mundwinkel nach oben. In diesem Moment konnte nicht mal ich sagen, ob es echt oder unecht war. So vieles an mir war die letzten Jahre unecht gewesen und so vieles was echt war, erkannte ich erst jetzt.

Daichi schloss die Türe auf und wir beide traten ein. "Weißt du es schon?", hakte ich unsicher nach, während ich langsam auf mein Bett sank. Es würde mich schon interessieren. Bedenkend, dass ich mich ihm gerade etwas geöffnet hatte.. wäre es schön die gleiche Information auch über ihn zu haben. "Ich- eh-" Nun wurde es ganz still im Raum. Hatte ich ihn aus der Bahn geworfen? Zugegeben hatte ich nicht erwartet, dass es bei ihm so ein sensibles Thema war, immerhin wirkte er auf den ersten Blick so entspannt und offen. Doch wahrscheinlich konnte ich ähnlich wirken... Das nächste Mal würde ich vorsichtiger sein. "Es ist wegen eines Traumas", meinte er kurz angebunden. Eine Gänsehaut legte sich auf meine blasse Haut. Langsam zog ich meine Beine an meinen Körper, sah ihn kurz scheu an, ehe ich auf den Boden sah und nachdachte.
Ja meine Sozialphobie, meine Depressionen, diese Sachen kamen aus meiner Kindheit und genau genommen war meine Mutter sogar mitschuldig. Doch bei der Psyche ging es nicht um schuldig und unschuldig, es ging darum diesen Knoten zu lösen und vielleicht auch einfach die Vergangenheit wie eine normale Geschichte erzählen zu können, sich mit dem inneren Teil, dem emotionalen Teil eines selbst zu beschäftigen. Aber wie sollte ich mich mit etwas beschäftigen, an das ich selbst nicht rankam? Der heutige Frust während des Therapiegesprächs hatte mich bis zu den Tränen getrieben. Es machte mich innerlich kaputt, dass ich nicht darauf zugreifen konnte, wie es scheinbar bei "normalen" und gesunden Menschen der Fall war. War ich wirklich so kaputt? Als ich noch sehr klein war, hatte mir meine Mutter eingebläut, dass es wichtig wäre, immer zu lächeln, dass Wut eine schlechte Emotion und Trauer nichts für meine Mitmenschen sei. Doch wie sich langsam herausstellte, stimmte keine ihrer Aussagen. Ein stetiges Lächeln führte dazu, dass ich anfing unnatürlich und gefälscht zu wirken. Die "böse" Wut brachte mich dazu, sie aus meinem Emotionsrepertoire zu verbannen. Und die Trauer, naja Trauer gab es nur für mich allein und das möglichst selten, immerhin durfte am nächsten Morgen keiner wissen, dass ich mich in den Schlaf geweint hatte. All diese Sachen zusammengefasst, brachten mich letztendlich dazu, mich mehr und mehr von der Welt zu verschließen, bis es nur noch die nette, fröhliche und stetig optimistische Version von mir gab.
Die, die eigentlich nicht gesund war.

Erst als sich die Matratze neben mir etwas senkte, tauchte ich aus dem Meer der Gedanken und sah zu ihm. "Ich erzähl es dir." Es kam so abrupt so verwirrend, dass ich erstmal meine Gedanken daraufhin ordnen musste. "Es hängt mit meiner Familie zusammen. Als ich 6 Jahre alt war, hatten wir ein großes Familienfest", kurz wanderte mein Blick zu dem Gesicht des anderen. Dort erkannte ich, dass er gar nicht mehr in dieser Realität war, auch wenn diese Worte aus seinem Mund kamen, die mir einen so verletzlichen Teil von ihm zeigten, schien es, als hätte seine Seele seinen sterblichen Körper verlassen. "Mein Vater brachte mit einer Schusswaffe, meine Mutter, meine Großmutter und einen Großteil meiner Familie um. Es dauerte nicht lange bis die Polizei auftauchte und ihn sicherte. Er hatte mich als Geisel genommen und mir, seinem 6-Jährigen Sohn, die Waffe in den Mund gesteckt, damit er ihm im Notfall das Gehirn wegpusten konnte... So bin ich an mein Trauma gekommen." Seine Stimme verstummte und ich spürte die eisige Kälte, die ihn zu ergreifen schien. Meine Nackenhaare sträubten sich, doch ich blieb an Ort und Stelle. Jetzt mein Mitleid auszusprechen, würde sich nicht nur falsch anfühlen, sondern es würde auch nur eine komische Atmosphäre schaffen. Anstatt also die Macht der Wörter zu nutzen oder meine Stimme auch nur so zu erheben, nahm ich seine Hand einfach wortlos in meine und starrte auf den Boden vor uns. Doch trotz alledem, war es irgendwie eine sehr angenehme, beruhigende Stille, die uns in genau diesem Moment der Zweisamkeit einhüllte. Ein Seufzen verließ seine Kehle. Wir teilten den Moment und das war der einzige Punkt der mich daran freute. Es war das erste Mal, dass ich jemandem angstfrei so nah war, jemanden den ich fast nicht kannte. Schwer schluckte ich, doch lehnte mich vorsichtig an seine Seite. "Danke.. Danke das du es mir erzählt hast", meinte ich schließlich leise und streichelte seinen Handrücken, während mir die Augen zufielen. Die Entspannung beherrschte meinen Körper. Für einen kurzen Moment, fühlte ich mich so vollständig wie noch nie zuvor, für einen Moment, schien dieser Ort, diese verdammte Welt, einfach in Ordnung zu sein.

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