Broken
Es war Sommer und ich liebte den Sommer!
Ich liebte die lang andauernden Tage, die Ausgelassenheit der Menschen und die Geselligkeit in der Familie. Der Sommer bedeutete Leben für mich, er bedeutete Sorgenfreiheit und auch Liebe.
Die dunklen Monate waren nun endgültig zu Ende und mit der Wärme kam auch mein Bewegungsdrang wieder. Ich legte die Lethargie und Nachdenklichkeit, die mich in dieser Jahreszeit immer wieder einholten, ab und genoss jeden Tag aufs Neue. Genoss meine Unabhängigkeit, meine Freundschaften und nicht zuletzt auch die Festivalsaison. Mein Terminkalender für das nächste Jahr war bereits fast voll. Am Ende des Jahres begann meine neue Tour und mit einem aufgefrischten Programm würde ich im Anschluss einige der Festivals besuchen. Aus diesem Grund hatte ich mir vorgenommen, dass ich diesen Sommer als Besucher voll und ganz genießen würde. Doch dies hatte ich mir nicht nur in musikalischer Hinsicht zugestanden. Nach der sehr langen und wirklich harten Zeit, die ich die letzten Monate im Studio verbracht hatte, hatte ich mir nun ein paar sorgenfreie Monate zur Erholung verdient. Ich nahm mir vor, all jene Bekannte zu besuchen, die sonst immer zu kurz kamen und mehr Zeit mit meiner Familie zu verbringen. Mit jedem Jahr, das ich älter wurde, schätzte ich diese rare Zeit mehr. Die jugendliche Unbeschwertheit war schon lange von mir abgefallen und wehmütig dachte ich an jene in meiner Familie, mit denen ich mittlerweile keine Zeit mehr verbringen konnte. Wenn ich sie nur schon viel früher so sehr geschätzt hätte wie heute. Die Zeit war unser wertvollster und dabei verkanntester Besitz, das wusste ich mittlerweile und deshalb nutzte ich sie.
„Joanne!", keifte Jennyfer hinter mir.
Etwas perplex sah ich zu meiner besten Freundin auf, die auf einer Leiter am Baum stand und mich auffordernd anblickte.
„Die nächste, bitte!", sagte sie harsch und schüttelte mit gespielter Verärgerung den Kopf.
„'tschuldigung", nuschelte ich und hob eine weitere Lichterkette mit weißen Lampenschirmen vom Boden auf, um sie meiner Freundin zu reichen.
„Wo bist du denn schon wieder?", fragte sie mich augenrollend und begann die Leuchten über die Äste des jungen Ahornbaumes zu drapieren.
„Hab' nur'n bisschen nachgedacht", gab ich zu, „über meine Familie und wie schnell die Zeit vergeht."
„Viel zu schnell!", bestätigte mir Jen sofort und rückte die Lampions zurecht.
Meine Gedanken drifteten unwillkürlich wieder ab. Es war unglaublich, wie schnell die letzten Monate vergangen waren. Nun war es bereits wieder Sommer und im Nu war auch dieser wieder vorbei. Schon bereits das zweite Jahr seit ...
„Zur Seite, Jo!", meinte Jen grob, als sie von der Leiter herunter kletterte. „Bist du zufrieden?"
Ich sah mich auf dem Grundstück um, das wir gemeinsam für meine Grillparty mit Lichterketten und Fackeln geschmückt hatten. Der Grillplatz war vorbereitet zum gemütlichen Sitzen. Die Stühle und Bänke auf der Terrasse, waren mit karmesinroten Kissen ausgestattet, die nahezu perfekt zu dem Tischtuch mit rot-weißem Schachbrettmuster passten. Auch den seitlich stehenden Biertisch, der als Buffet fungieren sollte, hatte ich in den dazu passend Farben mit Serviettenblumen und Glaslaternen dekoriert. In der hinteren Ecke des Gartens plätscherte das Wasserspiel im Teich und ich freute mich schon auf das abendliche Gequake der Frösche.
„Es ist perfekt", sagte ich und drückte Jennyfer erleichtert. „Danke für deine Hilfe!"
Ihr glückliches Lächeln erwärmte mein Herz.
„Nix zu danken", sagte sie liebevoll und erwiderte meine Umarmung. „Ich würde sagen, wir bringen die Leiter zurück und machen dann drinnen weiter mit den Dips?"
„Aye, Sir", sagte ich, machte eine Geste, von der ich vermutete, dass es Salutieren war und griff nach einem Ende der Leiter.
Jen schnappte sich die andere Seite und ging voran.
„Wer kommt nun eigentlich alles?", fragte sie und schlug den Weg zur Garage ein.
Ich überlegte einen Moment und antwortete dann: „Die üblichen Verdächtigen. Meine Eltern, meine Schwester mit Sack und Pack. Mike und seine Neue, vielleicht mein Bruder – wenn er sich erbarmt – und meine Tante mit ihrem Mann ... Warte, dann sind wir zwo, sechs, sieben ... neun ... Irgendjemand hab' ich noch vergessen, wir waren doch ..."
Und dann fiel es mir brühheiß ein und in meinem Bauch kribbelte es unheilvoll, doch im gleichen Moment erinnerte ich mich daran, dass ich es Jen eigentlich noch nicht hatte sagen wollen, um mir ihre Standpauke zu ersparen.
„... und 'lex", nuschelte ich so leise, dass es meine Freundin kaum hatte hören können und im nächsten Moment stolperte ich über die Leiter, weil Jen ihr Ende einfach hatte fallen lassen.
Es schepperte schallend, als die Alufüße auf die Gehwegplatten aufschlugen.
„Alex?", wiederholte sie laut und deutlich, als sie herumgewirbelt war. „Welcher Alex?"
Mir war klar, dass es eine rhetorische Frage war. Es gab nur einen Alex in unserem Bekanntenkreis, doch Jennyfer hatte gar keine Antwort erwartet. Mit aufgeblähten Nasenflügeln sah sie mich an und stemmte genervt die Hände in die Hüften, als sie vorwurfsvoll sagte: „Warum hast du ihn eingeladen?!"
Ich öffnete meinen Mund, um ihr energisch zu widersprechen, doch ich war nicht so extrovertiert wie meine Freundin, die mich noch immer mit einem strengen Blick bedachte, und so schloss ich meinen Mund zunächst wieder, um mir eine gute Antwort zu überlegen.
Unsere Trennung lag nun bereits über zwei Jahre zurück, doch Alex und ich hatten uns nicht im Bösen getrennt. Wir verstanden uns prima, die gegenseitige Zuneigung war noch immer da, doch nach kurzer Zeit schon hatten wir leider feststellen müssen, dass wir beide völlig unterschiedliche Wünsche für unsere Zukunft hatten. Fünf Jahre später dann hatten wir uns schließlich eingestanden, dass sich diese Wünsche miteinander nie erfüllen würden. Nach einer schwierigen Entscheidung ging nun jeder von uns wieder seinen eigenen Weg.
„Wir sind Freunde", begann ich Jen zu erklären, „und sie haben morgen einen Gig auf dem Festival. Sein Hotel ist nur zwei Orte weiter, natürlich hab' ich ihn eingeladen!"
„Du bist so eine Masochistin!", fluchte Jennyfer, sah mich abfällig an und griff wieder nach der Leiter.
„Warum?", fragte ich erbost.
„Weil!" Jen blieb erneut stehen, drehte sich jedoch nur zu mir zurück. „Du erneut wochenlang mies drauf sein wirst, wenn er wieder weg ist. Dabei hast du jetzt gerade endlich damit angefangen wieder - lebendig zu sein!"
„Ach Quatsch", leugnete ich wenig überzeugend und drückte gegen die Leiter, damit wir endlich weitergingen, „ich hatte nur viel Stress mit dem Album, dem Merch', mit der Planung der Bühnenshow und all dem Drumherum."
„Du hast dich nur in die Arbeit geflüchtet!", erwiderte Jennyfer ernst, ging weiter und öffnete schließlich das Garagentor.
Dem konnte ich nichts entgegenbringen. In den dreißig Jahren, in denen wir schon befreundet waren, kannte Jen mich beinahe besser als ich mich selbst. Die Blondine stellte die Leiter ab, scheuchte mich aus meiner eigenen Garage und schloss das Tor wieder, bevor sie mich mit zusammengezogenen Brauen und ungewöhnlich verkrampften Lippen ansah.
„Immerhin ist 'was Geniales bei herum gekommen", sagte ich aufheiternd und zuckte mit den Achseln.
Jennyfer lachte schnaubend und nickte, weil sie das monströse und kreative Ausmaß meines aktuellen Musikprojektes, als eine der Wenigen, bis ins Detail kannte. „Das ist wohl wahr."
„Außerdem kommt er ja nur für'n Bier vorbei", beschwor ich sie aufmunternd.
„Ja, klar", gab Jen mit einem ungläubigen Blick zurück, „aber du bist ja alt genug, Joanne! Wenn du meinst, dass es gut ist in alten Wunden zu pulen, dann ist das wohl deine Sache. Sag' mir nur hinterher nicht, ich hätte dich nicht gewa –"
„Wer bist du und was hast du mit Jennyfer gemacht?!", fragte ich mit theatralischer Stimme, weil meine Freundin für gewöhnlich nicht so schnell nachgab.
Jen ließ sich davon allerdings kein bisschen beeindrucken. Mit hochgezogenen Brauen sah sie herablassend auf mich hinab und sagte dann: „Du wirst schon sehen, was du davon hast", hakte sich bei mir unter und schleifte mich wieder ins Haus, um die letzten Vorbereitungen die die Grillparty fortzuführen.
Es war alles wie geplant.
Gemütliches Beisammensein mit meinen Liebsten, ungezwungen, lustig und albern. Während mein Vater am Grill stand und mit den Männern die richtige Zubereitung des Grillguts diskutierte, mixte ich uns Cocktails und mit jedem weiteren wurde der Abend lustiger.
Die Kinder meiner Schwester tollten im Garten herum und wir sahen ihnen amüsiert dabei zu. Ich wünschte mich einen Augenblick zurück in meine eigene, unbeschwerte Kindheit – damals, als die größte Sorge die Zubettgehzeit war.
Schon bald konnte das Essen serviert werden. Jen half mir dabei, die Dips und Salate hinaus zu tragen und als wir endlich alle am Tisch saßen und die Speisen genossen, wurde es für eine kurze Zeit wieder ruhiger. Etwas wehleidig blieb mein Blick kurz an dem freien Stuhl hängen, der für Alexander vorgesehen war und ich fragte mich, ob er überhaupt noch vorbeischauen würde.
Als es zu dämmern begann, erleuchteten die Lampionketten in den Bäumen den Garten und ich zündete die Fackeln rund um die Terrasse an. Die warme Sommerluft war erfüllt vom Zirpen der Grillen und ab und an trug der Wind das Quaken eines Frosches herüber. Ich lehnte mich in meinem Stuhl zurück und nippte an meinem Cocktail, während ich den Blick über meine Familie schweifen ließ. Kurz blieb er an meinem Bruder hängen, ich war froh, dass er gekommen war, denn meistens waren ihm Familienfeste viel zu langweilig. Nun schien er sich allerdings doch zu amüsieren, denn der Ausdruck auf seinem Gesicht, als er meiner Tante ein Video auf seinem Smartphone zeigte, sprach Bände. Es brachte mich unweigerlich zum Lächeln.
Mein Neffe und seine Schwester hatten sich schon lange ins Wohnzimmer verzogen, um irgendeine Serie anzuschauen, während meine eigene Schwester albern kichernd von ihrem verrückten Job erzählte. Als alle nach dem Essen wieder ein bisschen munterer wurden, ging ich den Nachtisch holen und machte Kaffee. Dabei nutzte ich einen unbeobachteten Moment, um den Kopf aus der Haustür zu strecken, doch von Alex war weiterhin keine Spur zu sehen. Ich seufzte leise, als ich die Straße hinab sah und einen Moment darauf wartete, dass die Scheinwerfer eines Autos erschienen und fragte mich im gleichen Moment, ob Alexander überhaupt noch kommen würde. Wir hatten gezwungenermaßen keine Zeit vereinbart, weil sie heute erst anreisten und ich wusste, wie stressig der Touralltag war und erst Recht, wie chaotisch es bei seiner Band ablief. Doch diese innerliche Unruhe würde mich noch so lange begleiten, bis er entweder da war, oder ich zumindestens eine Nachricht von ihm erhalten würde. Enttäuscht schloss ich die Tür und gesellte mich wieder zu meiner Familie in den Garten.
Nach dem Dessert verabschiedeten sich meine Tante und ihr Mann bereits und nachdem ich sie verabschiedet hatte, räumte ich mit Jen's Hilfe das Geschirr weg. Drinnen fiel mein Blick auf die Küchenuhr, die bereits zehn schlug und ich ging kurz zu meinem Handy herüber, um zu schauen, ob irgendeine Nachricht gekommen war.
Doch niemand hatte geschrieben und ich ärgerte mich über mich selbst. Es war so typisch für Alex! Wie konnte ich nach all den Jahren noch enttäuscht darüber sein?
Als ich Jen's eindringlichen Blick auf mir spürte, überspielte ich meine Traurigkeit und sagte stattdessen zu ihr: „Sollen wir uns noch ans Feuer setzen?"
Sie betrachtete mich ernst, nickte aber nur.
Gerade, als wir wieder hinausgehen wollten, drangen Stimmen zu uns herein und ich hielt gebannt die Luft an. Mein Herz machte einen verräterischen Hüpfer, als ich Alex' dunkle Stimme erkannte, der scheinbar meine Gäste begrüßte. Offensichtlich war er direkt an der Hausfront vorbei in den Garten gekommen, anstatt an der Haustür zu klingeln. Bedacht darauf, nicht allzu eilig zu wirken, durchquerte ich die Küche und trat hinaus auf die Terrasse – und da war er: Alexander.
Er wandte sich, nachdem er gerade meine Mutter geherzt hatte, zu mir um und strahlte mich an. Mein Puls erhöhte sich unweigerlich und ich fühlte das Lächeln auf meinen Lippen.
„Tut mir leid wegen der Verspätung!", sagte er, kam zu mir herüber und umarmte mich ungefragt. „Ich bin erst jetzt von den Jungs losgekommen."
Ich hielt ihn einen Moment länger fest, als es vielleicht notwendig gewesen wäre. Sog seinen angenehm männlich Duft ein und genoss seine Körperwärme, bevor ich mich von ihm löste.
„Du hast das Essen verpasst", sagte ich nur und lächelte ihn an, „sollen wir dir noch etwas auflegen?"
Doch Alexander schüttelte den Kopf, steuerte die missbilligend dreinblickende Jen an, um sie ebenfalls zu begrüßen und sagte nur: „Ich hab' schon mit den Jungs im Hotel gegessen, danke!"
Jennyfers trockenes „Hallo" hatte nicht halb so vorwurfsvoll geklungen, wie sie es vermutlich beabsichtigte und ich verkniff mir ein Grinsen. Jen hatte Alexander von Anfang an gemocht. Jeder, der ihn kannte mochte ihn, es war einfach unmöglich, seine offene und herzliche Art nicht zu mögen.
„Was willst du trinken?", hakte ich nach.
„Ein Bier?", fragte Alex.
„Hab' ich natürlich", antwortete ich, noch immer lächelnd und wollte losgehen, als Jennyfer mich aufhielt.
„Ich gehe schon", sagte sie augenrollend in meine Richtung und erkundigte sich nach weiteren Wünschen, bevor sie verschwand.
So blieb mir ein Moment, als Alexander mit meinem Bruder alberte, ihn genauer zu betrachten. Er hatte sich kaum verändert. Hochgewachsen und muskulös trug er eine Jeans und ein dunkles Bandshirt. Ein Basecap bedeckte seinen kahlen Schädel. Die Brille, die er trug, war mir fremd und sein gepflegter Bart war vielleicht etwas grauer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Doch er hatte nichts von seinem charismatischen Charme, mit dem er mich eingenommen hatte, eingebüßt.
Mein Herz klopfte so heftig, dass es fast körperlich schmerzte und ich verfluchte die Ungerechtigkeit des Universums. Er war so ein fabelhafter Mann.
„Wollten wir uns nicht ans Feuer setzen?", fragte Jen, die wieder auf der Terrasse erschienen war und mich zurück in die Gegenwart riss.
„Dann hab ich die ja richtig mitgebracht", meinte Alex grinsend und nahm eine große Tasche vom Rücken.
Erst jetzt erkannte ich, dass es sich um eine Gitarrentasche handelte und es verschlug mir vor Freude glatt die Sprache.
„Das war die beste Idee des Tages!", sagte ich überschwänglich und scheuchte meinen Besuch vom Tisch auf, damit wir hinüber zur Feuerstelle gehen konnten, wo sie sich ihre Plätze auf den steinernen Bänken suchten.
Mein Vater legte etwas Holz nach und entfachte die Glut zu einem frischen, warmen Feuer. Es erhellte die Gesichter all der Menschen, die mir so wichtig waren und die Wärme schien geradewegs in mein Herz zu strahlen. Alexander musste sich allerlei Fragerei stellen, nachdem er sich nun schon zwei Jahre nicht mehr blicken gelassen hat. Leise seufzend warf ich ihm einen Blick zu, während er sich mit meinem Schwager unterhielt. Meine Familie hatte Alexander von Anfang an herzlich aufgenommen und sie waren mindestens genauso betroffen über die Nachricht gewesen, dass wir kein Paar mehr waren, wie ich selbst.
Doch ich hatte diese Entscheidung aus Vernunft getroffen. Es trennten uns zu viele Träume und nicht zuletzt auch unser Altersunterschied. Alexander wollte leben. Er wollte seinen musikalischen Erfolg genießen, feiern und einfach im Hier und Jetzt sein. Und Letzteres war, was mir immerzu große Ängste bereitete. Ich war schon immer ein sicherheitsliebender Mensch gewesen. Ich plante jeden Vorgang bis ins kleinste Detail mit sämtlichen Alternativen. Nicht zu wissen, was als nächstes kam, machte mich unruhig und nervös.
Was unserer Beziehung jedoch den entscheidenden Dolchstoß versetzt hatte war, dass ich mir eine eigene Familie wünschte. Ein Haus im Grünen besaß ich bereits, doch ich wollte es füllen mit Kinderlachen und mit vielen persönlichen Erinnerungen. Ich wollte der Welt etwas mehr Achtsamkeit, Respekt und Liebe schenken und eine spießige und fürsorgliche Mutter werden.
Das alles passte nicht in Alex' Welt und es hatte noch nie zu seinem Lebensstil gepasst.
Ich hatte es von Anfang an gewusst und mich doch von der stimmigen Chemie zwischen uns verführen lassen. Hatte mich von seiner Abenteuerlust, der Unberechenbarkeit und der Leidenschaft schließlich einnehmen lassen und dabei meine eigenen Bedürfnisse kleingeredet, weil ich so Hals über Kopf in ihn verliebt war. Doch das ging nur eine Weile gut und mit jedem Tag, den wir mehr miteinander verbrachten, wuchs mir Alexander mehr ans Herz und desto weniger wollte ich der Wahrheit ins Gesicht sehen.
Darum hatte ich den Abschied viel zu lange herausgezögert und darunter litt ich noch immer. Ich musste zwischen dem Menschen den ich so sehr liebte und der Möglichkeit wählen, meine Träume zu verwirklichen und nun hatte ich weder das Eine, noch das Andere erreicht.
Es war einfach alles so verflucht kompliziert! So kompliziert, dass ich mir schon manches Mal gewünscht hätte, dass es anders gelaufen wäre. Vielleicht sogar so, wie es üblicherweise in anderen Beziehungen passierte.
Wenn wir uns gestritten oder auseinandergelebt hätten, wäre alles so viel einfacher gewesen. Es wäre besser für mich zu akzeptieren. Womöglich hätte mein Herz dann schmerzlicher geblutet, doch es wäre ein sauberer Schnitt gewesen, der irgendwann geheilt wäre. Doch so wie es war, lechzte mein Herz noch immer nach ihm.
„Jo!" Jenny reichte mir einen Cocktail und nahm links von mir Platz.
„Danke", sagte ich leise und ignorierte ihren tadelnden Blick.
Alexander griff nach seiner Tasche, öffnete den Reißverschluss und nahm die dunkelbraune Akustikgitarre daraus hervor. Das polierte Holz spiegelte den Schein des Feuers wider. Ich betrachtete das Instrument wehmütig und driftete abermals mit den Gedanken ab. Erinnerte mich an all die schönen Momente, die wir auf unserer gemeinsamen Tour erlebt hatten. Auf der Bühne und Backstage. Es war eine tolle Zeit gewesen, in der ich mit Alex und seiner Band viel gelacht und auch gefiebert hatte. Gemeinsam hatten wir Schweiß und Herzblut für unser Projekt vergossen, die Nerven strapaziert und nicht zuletzt gefeiert bis zum Morgengrauen.
Als Solokünstlerin hatte ich so viel von ihnen lernen können und schließlich war ein jeder von ihnen mir wie ein Familienmitglied ans Herz gewachsen. Ich hatte sie als Band wachsen und entwickeln sehen und nicht zuletzt hatte ich ihnen auch den Weg geebnet zu ihrem eigenen Vertrag bei meinem Majorlabel. Für nichts in der Welt, hätte ich diese Erfahrungen missen wollen.
Dann durchbrach Alexander meine Gedanken.
„Irgendwelche besonderen Wünsche?", fragte er in die Runde, während er die Wirbel der Gitarre drehte, um die Seiten nachzustimmen.
Meine Mutter nutzte die Gelegenheit gleich, um sich ‚House of the Rising Sun' zu wünschen und Alexander erfüllte ihr den Wunsch sofort kompromisslos. Ich bekam mein Grinsen schon nach dem ersten Saitenstrich nicht mehr aus meinem Gesicht heraus. Mir war es gleich, was Alex spielte, so lange ich nur dem angenehmen Klang seiner tiefen Stimme lauschen und seine Anwesenheit genießen konnte. Die Zeit am Feuer verflog im Nu, während wir diverse Klassiker gemeinsam sangen oder Alex bei einem spontanen Medley zuhörten und als der Kirchturm im Ort zwölf schlug, sammelte meine Schwester und ihr Mann ihre Kinder von der Couch und auch Mike und seine Freundin Vivienne verabschiedeten sich. Ich begleitete sie noch zu ihren Autos vor die Tür und brachte auf dem Rückweg Getränke für meinen übrig gebliebenen Besuch mit. Als ich wieder in den Garten trat, sang Jennyfer aus vollster Kehle und mit aller Leidenschaft ‚Nothing Else Matters'. Einen Moment blieb ich im Rahmen der Terrassentür stehen, um die Szene zu genießen und mich über Jennyfers verrauchten Groll zu amüsieren. Als jedoch mein kleiner Bruder mich erblickte, erhob auch er sich von seinem Platz und kam zu mir herüber.
„Ich fahre jetzt ebenfalls", sagte er und zog sein Handy aus der Tasche.
„Warum?", wollte ich wissen.
„Treff' mich noch mit ein paar Kollegen im Club", sagte er schlicht und ich seufzte theatralisch. „Danke für's Essen."
„Nix zu danken", antwortete ich und streckte die beladenen Hände von mir, damit er mich zum Abschied umarmen konnte, „fahr' vorsichtig!"
„Klar", moserte er zurück und rief den anderen noch eine Verabschiedung zu.
Jennyfer bekam davon gar nichts mit. Der Alkohol zeigte auch bei ihr schon seine Wirkung und letztendlich diskutierte sie mit Alex über den nächsten Song, den sie hören wollte.
„Ach komm schon, Alex!", flehte sie und sah zu mir auf, als ich die Getränke herumreichte.
„Was will sie hören?", fragte ich dazwischen.
Alexander klimperte geistesabwesend auf den Saiten herum und sah provozierend zu Jen herüber.
„‚Tränen lügen nicht'!", flehte Jennyfer.
„Das kann ich leider nicht", flötete Alexander und sein Grinsen strafte ihn Lügen.
„Ich weiß genau, dass du es kannst!", quengelte Jen.
Da musste ich meiner Freundin insgeheim Recht geben. Ich hatte Alex diesen Song schon oft spielen hören, der zudem ihr Outro für den Bühnenabbau war.
„Ich hab's, denk ich, verlernt, Jen", meinte Alex mit gespieltem Ernst und ließ die Saiten der Gitarre erzittern.
Lachend ließ ich mich zwischen den Streithähnen nieder und fühlte mich inzwischen, als sei Alexander nie weg gewesen.
„Komm schon, Alex", unterstützte ich schließlich meine Freundin, „du weißt doch, dass sie vorher eh keine Ruhe geben wird."
Er grinste wissend und schließlich tat er uns den Gefallen. Jennyfer quietschte schrill und einen Moment lang klingelte mein linkes Ohr. Meine angetrunkene Freundin hakte sich bei mir unter, begann zu schunkeln und mitzusingen. Doch dieses Mal stimmte ich mit ein und zwischendurch konnte ich auch die leise Stimme meiner Mutter vernehmen, die zusammen mit meinem Vater auf der anderen Seite des Feuers saß.
Ich wünschte, dieser Augenblick würde ewig währen. Lange war ich nicht mehr so ausgelassen und zufrieden gewesen. Es war alles perfekt so wie es war und ich verdrängte jeden weiteren Gedanken, der sich in meinen Geist schleichen wollte. Es war alles perfekt.
Doch auch dieser Song endete, auch wenn Alexander Jennyfer zuliebe ein paar extra Runden Refrain anhängte und ich irgendwann vor lauter Lachen nicht mehr singen konnte.
„Es ist soooooo toll", hauchte Jen, als das Lied geendet hatte. „Das könntest du mal covern, Jo!"
Ich prustete amüsiert in meinen Cocktail.
„Nicht ganz mein Geschmack, Jen, danke für den Tip."
„Wie schade", seufzte meine Freundin und sah wieder in die Flammen.
„Und nü'?", fragte Alex und sah erwartungsvoll in die Runde.
Ich zuckte nur mit den Schultern und meinte: „Überrasch' uns!"
Es dauerte einige Sekunden, in der seine Finger gedankenverloren die Seiten zupften. Doch dann wandelte sich der Klang in eine Melodie und ich erkannte den Song schon mit den ersten Noten und eine schmerzliche Erinnerung durchzuckte mich wie ein elektrischer Impuls. Ich lauschte der anhaltenden Melodie, die die vibrierenden Saiten der Akustikgitarre von sich gaben, während Alex das Intro in die Länge zog, als sei er sich nicht sicher, ob er den Song tatsächlich spielen wollte.
Jen, die zu meiner Linken saß, fiepte leise, als auch sie das Lied erkannte und wippte im Takt mit. Ein Scheit im Feuer knackte leise und zog für einen kurzen Moment meine Aufmerksamkeit wieder auf die Flammen. Das Feuer, das so warm und behaglich loderte. Auch Alex' Blick war in die Flammen gerichtet, während seine Finger scheinbar wie von selbst über die metallenen Saiten seiner Gitarre glitten. Doch dann riss er seinen Blick los, sah zu mir herüber und begann leise zu singen:
I wanted you to know
That I love the way you laugh
Ich erwiderte seinen Blick und es prickelte mir unwillkürlich im Nacken, denn mir war sofort klar, dass er diesen Song nicht zufällig ausgewählt hatte. Alex hatte ihn gewählt, weil jedes Wort darin wahr war. Und ich fühlte jede Silbe mit ihm, die er für mich sang, während ich den traurigen Blick seiner braunen Augen erwiderte.
I wanna hold you high and steal your pain away
Jeder Herzschlag von mir war voller Sehnsucht und ich hätte mir nichts sehnlicher gewünscht, als dass dieser ungestillte Schmerz tatsächlich von mir zu nehmen wäre. Alexanders Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln, als er weiter sang:
I keep your photograph and I know it serves me well
I wanna hold you high and steal your pain
Und ich stimmte leise mit in den Refrain ein und alles um mich herum war vergessen:
'Cause I'm broken when I'm lonesome
And I don't feel right when you're gone away
You've gone away
You don't feel me here anymore
Alexanders Stimme verklang leise und ich eignete mir die zweite Strophe an, weil mir diese tröstenden Worte einfach auf dem Herzen lagen:
The worst is over now and we can breathe again
I wanna hold you high, you steal my pain away
Jetzt war auch Jennyfer verstummt und ich sang leise, aber mit überzeugter Leidenschaft weiter:
There's so much left to learn, and no one left to fight
I wanna hold you high and steal your pain
Weil ich es wirklich wollte:
I wanna hold you high and steal your pain
Und Alexander stimmte wieder mit in den Refrain ein, den wir gemeinsam sangen:
'Cause I'm broken when I'm open
And I don't feel like I am strong enough
'Cause I'm broken when I'm lonesome
And I don't feel right when you're gone away
'Cause I'm broken when I'm open
And I don't feel like I am strong enough
'Cause I'm broken when I'm lonesome
And I don't feel right when you're gone away
You've gone away
You don't feel me here anymore
Traurig sah ich zu Alexander herüber. Ich hatte es immer verdrängt mich zu fragen, wie es ihn mit der Situation ergangen war. Ich hatte immer gedacht, dass er durch seinen ausschweifenden Lebensstil die Vergangenheit schneller hinter sich lassen würde als ich. Ich hatte mir eingeredet, dass ich uns beiden einen Gefallen tat, wenn ich die Entscheidung nicht noch weiter hinauszögerte. Doch offensichtlich war dem nicht so.
Als der letzte Laut der Saiten verklungen war, wurde es still um uns herum. Nur das gelegentliche Knacken des Feuers machte Geräusche. Aber es war keine angenehme Stille, die mich eingenommen hatte. Es war reine Melancholie, in der ich versank, während sich das helle Leuchten der Flammen in meine Netzhaut einbrannte.
Schließlich seufzte meine Mutter müde und sie stieß meinen Vater an.
„Sollen wir auch fahren?", fragte sie ihn.
Er nickte nur stumm zur Antwort. Ihre Stimme riss mich aus meiner Trance und es war, als erinnerte ich mich erst jetzt wieder an ihrer aller Anwesenheit.
„Nehmt ihr mich mit?", fragte Jen, erhob sich ebenfalls und streckte sich ausgiebig.
Überrascht sah ich zu ihr auf.
„Wolltest du nicht hier schlafen?", hakte ich nach.
Perplex sah meine Freundin mich an. Dann sprach sie zu mir, wie zu einer Alzheimererkrankten: „Ich hab doch meine Schlafsachen vergessen!"
Ich wusste genau, dass es eine Lüge war und erwiderte den Blick ihrer grün-braunen Augen. Jennyfers Tasche stand schon seit ihrer Ankunft in meinem Gästezimmer.
„Natürlich nehmen wir dich mit!", sagte meine Mutter, zog sich die Strickjacke enger um den Körper und sagte zu mir: „Du brauchst nicht mit nach vorne zu kommen, Schatz."
Ich umarmte meine Eltern und Jen zum Abschied und sah meiner Freundin dabei zu, wie sie die beiden ins Haus führte und nach draußen geleitete. Nach ein paar Sekunden wurde das Auto vor dem Haus gestartet und schließlich verklang der Motor irgendwann in der Ferne. Ich sah zu Alex herüber, der seine Gitarre noch immer auf dem Schoß hatte, und fragte leise: „Möchtest du noch etwas trinken?"
Doch er stellte das Instrument nur zur Seite und antwortete: „Nein, ich bin wunschlos glücklich."
‚Wenigstens einer', dachte ich verdrossen, nahm wieder neben ihm Platz und starrte ins Feuer.
„Wirst du morgen da sein?", wollte Alexander wissen.
Zunächst nickte ich nur, doch dann meinte ich: „Jen und ich haben die Tickets schon seit dem letzten Jahr."
„Das heißt, du bist nicht wegen mir dort?", fragte er schelmisch und stieß mich an.
„Doch, natürlich", erwiderte ich sofort und sah mit einem Lächeln wieder zu ihm herüber, „nur wegen dir!"
„Das will ich aber meinen!"
Für ein paar Sekunden verlor ich mich in seinen neckisch funkelnden Augen und mit jeder Minute, in der er hier war, wurde mein Herz schwerer. Meine Traurigkeit wuchs stetig und mit ihr der Wunsch, diese unglaubliche Ungerechtigkeit, die ich verspürte, in die Welt hinaus zu brüllen. Doch plötzlich erinnerte ich mich an Jennyfers Worte von heute Vormittag und wusste nun genau, was sie gemeint hatte.
Mit einem tiefen Seufzen streckte ich meine zitternden Hände in Richtung des Feuers, um sie zu wärmen.
„Ist dir kalt?", fragte Alex. „Sollen wir hineingehen?"
Doch ich schüttelte nur traurig den Kopf und starrte in die Flammen. Versunken in das knisternde Feuer, für einen Moment, bis Alexander nach meinen Händen griff und sie zu sich heran zog.
„Das sind ja Eisklumpen!", sagte er flachsend und rieb sie vorsichtig warm.
Ich konnte ihm nur mit schmerzlich verzerrten Gesicht dabei zusehen, als er meinem Blick begegnete und ernst sagte: „Lächle doch mal, Joanne!"
Ich zwang mich zu einem Lächeln.
„Sehr gut", meinte Alex grinsend, „und jetzt versuch es ein bisschen weniger künstlich aussehen zu lassen!"
Und damit entlockte er mir tatsächlich ein ehrliches Lachen.
„Genau", flüsterte Alexander leise und führte meine Hände zu seinen Lippen.
Mein ganzer Körper kribbelte, als ich diesen Hauch eines Kusses auf meinem Handrücken spürte, wo doch mein ganzes Sein nach seiner Anwesenheit lechzte, während mein Verstand mich immer wieder ermahnte vernünftig zu bleiben. Es funktionierte einfach nicht. Das wussten wir beide. Und trotzdem konnte ich mich nicht von Alexander lösen. Ich liebte ihn, abgöttisch. Auch nach all den Jahren.
„Es war nett von dir, mich einzuladen", sagte er irgendwann und ließ meine Hände wieder sinken. „Ich hab mich sehr darüber gefreut."
Ich erwiderte seinen Blick mit raschem Blinzeln, während ich versuchte die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken.
„Du fehlst mir", sagte ich heiser, weil ein dicker Kloß in meinem Hals mir das Sprechen erschwerte.
Alexander beugte sich ein wenig vor. Ich schloss die Augen, ließ die Träne einfach rollen und ließ es geschehen. Seine rauen Lippen berührten sachte die meinen. Der Kuss war nicht erfüllt von der ungezügelten Leidenschaft und dem wilden Verlangen, mit dem er mich immer eingenommen hatte. Er war vielmehr bedächtig, tröstend und so unglaublich liebevoll.
Das Gewicht auf meinem Brustkorb, welches mir jeden Atemzug so schwer machte, löste sich befreiend auf. Die zweite Träne, die über meine Wange rollte, hatte ich aus Freude geweint und so gestand ich mir wenigstens einen kleinen Moment zu. Einen kurzen Moment, in dem ich seine Nähe und seine Liebkosungen genießen würde. In dem ich seine Wärme und Geborgenheit erfahren durfte.
Doch dann meldete sich wieder die Stimme der Vernunft in meinem Hinterkopf. Eine Stimme, die Jennyfers verblüffend ähnlich war und so löste ich mich widerwillig von Alexanders Zärtlichkeit.
„Das sollten wir nicht tun!", sagte ich leise und entzog mich ihm.
„Warum nicht?", fragte er nüchtern.
„Weil du morgen schon –" Alexander legte mir einen Finger auf die Lippen und ich verstummte.
„Lass einmal den Morgen Morgen sein, Joanne", sagte er leise. „Wir sind jetzt hier – nicht morgen!"
Verletzlich warf ich mich in seine Arme und vergrub mein Gesicht an seinem Hals. Seine tröstende Umarmung war heilender als alles andere, was ich in den letzten Monaten versucht hatte. Vielleicht hatte Alexander Recht. Bis zum Morgen blieben uns noch einige Stunden und vielleicht sollte ich nur einmal hier sein und nicht nach vorne blicken.
Ich war schon lange wach. Doch ich wollte nicht aufstehen. Ich wollte den neuen Tagen nicht beginnen sondern einfach für immer hier unter der wohligen Wärme meiner Plumeaus und in seinen Armen verweilen. Ich vermied jeden Blick auf den Wecker und atmete so leise wie möglich, um Alex nicht zu wecken. Doch auch dieser Moment sollte enden, so wie all diese Momente endeten.
Als Alexander erwachte, versuchte ich mir sein verschlafenes und zufriedenes Lächeln für immer einzuprägen, denn ich war mir sicher, dass ich es nie wieder sehen würde. Ich küsste ihn liebevoll und er erwiderte die Zärtlichkeit. Doch nach dem Aufstehen lag eine bleierne Schwere auf meinem Gemüt, die ich vor Alexander zu verbergen suchte. Mit der Gewissheit, dass in wenigen Stunden wieder alles beim Alten sein würde, schätzte ich die verbleibende Zeit und genoss jede einzelne Liebkosung, auch wenn sie noch so klein war.
Schon kurz nach dem Frühstück läutete es an der Haustür und es war wie ein lauter, endgültiger Hammerschlag, der meine heile Welt zertrümmerte.
Alexander erhob sich vom Küchentisch, um seine Gitarrentasche zu holen, während ich mit schwerfälligen Schritten zur Haustür ging und sie öffnete. Auf der Schwelle stand Jennyfer. Sie sah mit einem vielsagenden Blick von dem schwarzen Multivan in meiner Einfahrt zu mir auf. In ihrem Gesicht lag eine Mischung aus Sorge, Tadel und Neugierde, doch sie verkniff sich jeglichen Kommentar.
Dann kam auch Alexander mit eiligen Schritten aus der Küche geeilt, drückte mich kurz freundschaftlich und sprach locker: „Danke, Joanne, dass ich auf deiner Couch schlafen konnte. Und für das Frühstück natürlich!"
Er spazierte mit einem knappen Gruß an Jennyfer hinaus und diese sah mich mit ungläubig hochgezogenen Brauen an. Dann trat sie herein und schlug den Weg zur Küche ein. Ich hörte nur noch wie sie mufflig wiederholte: „Couch! Für wie blöd haltet ihr mich eigentlich?!"
Ich warf ihr einen schuldbewussten Blick nach und lehnte die Haustür hinter mir an, während Alexander gerade seine Gitarre auf der Rückbank verstaute. Danach öffnete er die Fahrertür, doch er stieg nicht sofort ein, sondern hielt einen Moment lang inne. Sein Blick fiel zur Haustür und blieb kurz an mir hängen. Dann überwand er die letzten Meter, die uns trennten und zog mich an sich heran.
„Noch einmal", flüsterte er gequält und küsste mich zärtlich.
All die Freude, all die Aufregung, die ich vor wenigen Stunden noch verspürt hatte, waren wie weggeblasen. Zurück blieb nur noch eine tiefe Traurigkeit und Verletzlichkeit. Als Alex sich von mir löste, hielt er mich noch immer in einer festen und liebevollen Umarmung. Ich genoss sie ein letztes Mal, bis ich spürte, wie sich seine Muskeln lockerten. Seine Lippen näherten sich meinem Ohr und ich fühlte seinen warmen Atem auf meiner Haut, als er flüsterte: „Ich liebe dich!"
Der Schmerz zerriss mich innerlich.
Dann ließ er mich los.
Beharrlich presste ich meine Augenlider fest aufeinander. Ich wollte es nicht sehen! Ich wollte nicht sehen, wie er wieder verschwand.
Die Autotür knallte zu. Der Motor startete. Ich konnte Alexanders Blick förmlich auf mir spüren, doch ich würde nicht hinsehen.
Zur Ablenkung biss ich mir auf die Zunge, bis es schmerzte. Der Multivan rollte leise an, dann kam er zögerlich in die Gänge und das Motorgeräusch entfernte sich mit jedem Meter. Und mit jedem Meter wurde auch der stechende Schmerz in meiner Brust größer.
Es war einfach so ungerecht!
Die Tränen drückten sich zwischen meinen Wimpern hindurch und ich wischte sie fort. Dann blinzelte ich heftig, um Jennyfer keine Anzeichen meiner Schwäche zu offenbaren. Ich atmete einmal tief durch und ging dann wieder hinein, wo ihre tröstenden Arme bereits auf mich warteten.
'Cause I'm broken when I'm open
And I don't feel like I am strong enough 'Cause I'm broken when I'm lonesome
And I don't feel right when you're gone away
You've gone away
You don't feel me here anymore
Lyrics aus dem Song „Broken" von der Band „Seether" aus dem Album „The Punisher" von 2004
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