Zweiundzwanzig


Schreck lag in Taylors Gesicht an. Nur mit einem Schritt war er ebenfalls am Fenster.
„Was ist, hast du etwas gesehen?"
„Jacob!" Wieso fiel ihr das erst jetzt auf? Verfluchter Mist!
„Jake?"
„Was, wenn er der unterdrückte Anrufer war? Vielleicht... hat er ja angerufen und wir haben einfach nur nicht daran gedacht, dass er es sein könnte?" Sie starrte ihn an.
„Du meinst, Jake hat unterdrückt auf deinem Handy angerufen, um Lou zu erreichen?", fasste er zusammen, während sich Denkfalten auf seiner Stirn bildeten. Ja, Junge! 

„Denk doch mal nach: Er hat versprochen sich zu melden, am gleichen Abend werde ich unterdrückt angerufen, nur kurz darauf trifft Lou außerhalb des Clubs ausgerechnet auf Jacob. Wenn es tatsächlich ihr Ex Freund war, der sie erreichen wollte, wieso hat er es nie wieder versucht? Wieso hat er auf ihren Rückruf nicht reagiert?" Es passte alles zusammen. Taylor nickte entschlossen.

„Und dass die Nummer unterdrückt war, passt auch wieder. Jake will irgendwas geheim halten. Deshalb das neue Handy. Deshalb die unterdrückte Nummer." Er notierte hektisch etwas auf dem Block. Alea fuhr sich durchs Haar. Es bestand kein Zweifel: es passte zusammen.
„Und meinst du, dass er ... gezielt angerufen hat, um Lou aus dem Club zu locken?", fragte Taylor und sah von den Notizen auf. Um Himmels Willen. Sie spürte einen Schauer, der sich anfühlte, als ob ein Eiswürfel in Zeitlupe ihren Rücken herunterrutschte.

„Wieso sollte er? Meinst du nicht, dass ihm das Schicksal dann sehr in die Karten gespielt hätte? Selbst wenn, woher soll er wissen, dass im Club kein Empfang ist und sie tatsächlich zum Telefonieren rausgeht?" Alea zog die Stirn in Falten und kratzte sich nachdenklich am Kinn.

„Also dass da unten kein Empfang herrscht, weiß er. Wir waren Stammkunden dort. Aber vielleicht hast du Recht. Du hättest genauso gut rausgehen können, es ist schließlich dein Handy. Und woher sollte er überhaupt wissen, dass ihr in diesem Club seid. Klingt also doch nach Zufall, dass die beiden sich oben getroffen haben. Seltsam. Aber wahrscheinlich Zufall." Während er sprach hängte er einen Zettel mit dem Namen des Nachtclubs an die Wand.
„Vielleicht war er noch mal bei seiner Mum. Das ist doch dort in der Nähe. Weiß du, wo genau sie wohnt?" Sie sah ihn vorsichtig an. Taylor drehte sich zu ihr und schüttelte den Kopf.
„Nein. Er hat nie jemanden mitgenommen. Er schämt sich sehr, nicht für sie, aber ... für alles, was war. Ich habe absolut keine Idee, wo genau sie lebt. Ich bin mir also auch ziemlich sicher, dass die beiden sich nicht dort aufhalten." Wer konnte nur wissen, wo sie waren. Alea seufzte besorgt.

„Lass uns weitermachen, wir sind dran. Was ist nach dem Gespräch draußen geschehen, weißt du etwas?" Er sah wieder zu ihr. Angestrengt versuchte Alea, alle Geschehnisse des Abends in die richtige Reihenfolge zu bringen. Wieso hatte sie nur so viel trinken müssen! Aber es konnte ja niemand wissen, dass sie nur wenige Tage später selbst einen Fall zu lösen hätte.

„Ich...glaube, sie hat mir von dem Treffen erzählt. Er wollte sie einladen, am nächsten Tag. Zum Mittagessen. Aber wo... und wann... Gott, ich war sternhagelvoll!" Sie blieb stehen und ließ die Arme fallen. Taylors Mundwinkel zuckten kurz, als wäre er amüsiert. Offenbar traute er ihr keinen Alkohol zu. Keinen Spaß. Er sah nicht von seinem Block auf.
„Hör auf, so angestrengt deine Belustigung zu verbergen. Traust du mir nicht zu, auch mal Spaß zu haben?" Sie sah ihn böse an. Ihre Stimme hatte beleidigter geklungen als beabsichtigt, aber jetzt, wo es so war, konnte sie ihn auch böse ansehen. Er hingegen wirkte leicht amüsiert.
„Naja, ich..." Verlegen kratzte er sich am Kopf. Arschloch! Sie schnappte sich einen von Louisas Pullis, die immer noch auf dem Bett lagen, und warf ihn nach ihm. Überrascht fing Taylor ihn mit der freien Hand ab.

„Nicht schlecht, das Fangen habt ihr ja schon mal gelernt, auf eurer Polizeischule. Aber das mit der Menschenkenntnis, das üben wir noch mal. Hab mal irgendwo gehört, das soll recht wichtig sein in dem Job." Sie grinste ihn an.

„Hin und wieder von Vorteil, ja." Er sah sie einen Augenblick zu lange an und dann wieder auf den Block.
„Dieses Mittagessen muss er genutzt haben, um ihr das Angebot mit dem Shooting zu machen. Ich kenne keine genauen Details, als Lou zurückkam, hat sie nur kurz davon erzählt. Sie war skeptisch und wollte sein Angebot zunächst ablehnen, aber scheinbar hatten sie sich zu dem Zeitpunkt schon für den Abend verabredet." Mit einem flauen Gefühl erinnerte Alea sich zurück an den Streit zwischen den Mädchen. Sie hatte so...betroffen ausgesehen.
„Ich... hab ihr mein Misstrauen geäußert und klar gemacht, dass ich nichts von Jacob halte", fuhr sie dann fort. Eindeutig spürte sie jetzt Taylors Blick.
„Was hat dich dazu gebracht, so negativ über ihn zu denken?" Alles.

„Naja, er... war immer wieder einfach weg, dann plötzlich da und genauso schnell wieder weg. Ich dachte, dass er den Handyersatz nicht ernst nimmt, weil er sich nie meldet. Die Idee mit dem Shooting fand ich... too much. Generell sein Auftreten: Sein Jackett, sein Auto, die dunkle Sonnenbrille, sein Charme aber zeitgleich auch diese Arroganz", zählte sie auf und bemerkte, dass Taylor erneut zu grinsen begonnen hatte. Was war denn jetzt schon wieder?
„Stehen Mädchen da nicht drauf?", fragte er und drehte grinsend den Stift in seinen Händen.
„Mädchen vielleicht. Frauen nicht." Sie nicht. Jetzt hielt sie seinem Blick stand. Er schien beeindruckt.
„Außerdem..." Alea hielt einen Moment inne. Sie sah auf den Zimmerstuhl, auf dem Louisa gesessen hatte, als sie das letzte Mal miteinander gesprochen hatten. Als sie gestritten hatten. Deutlich konnte sie sich an Louisas getroffenen Blick erinnern und an ihre eigene Wut über Jacob.

„Ich glaube, dass Jacob Lou und mich ein Stück voneinander trennen wollte. Er hat gemerkt, dass ich ihm nicht traue. Es gab...diesen Streit zwischen uns, zwischen ihm und mir", sagte sie und starrte weiter auf den Stuhl. Trotzdem entging ihr nicht, dass Taylor sie beobachtete. Seinen Augen entging nicht eine Kleinigkeit.

„Es war, als er sie nachts zurückgebracht hatte. In irgendeinen schicken Club hatte er sie mitgenommen, erst in den Morgenstunden waren sie wieder hier. Lou war total erledigt, ich weiß nicht, ob das nur die Müdigkeit war oder ob sie viel zu viel getrunken hat. Er hat sie getragen, sie war kaum bei sich. Du kannst dir nicht vorstellen, wie wütend ich war, die ganze Nacht habe ich kein Auge zugetan. Vor dem Zimmer wollte ich ihn zur Rede stellen, er... wollte mir ausweichen. Ich hab gesehen, dass er geblutet haben muss, seine Nase muss geblutet haben." Sie hielt inne und bemerkte, wie Taylor augenblicklich hellhörig von seinen Notizen aufsah.
„Geblutet?", fragte er beinahe erschrocken und sie nickte.

„Ich war wütend und hab mich ihm in den Weg gestellt. Er hat mir gedroht, dass ich mich besser aus allem raushalten solle. Er... war außer sich." Sie spürte einen Schauer auf ihrem Rücken, als sie sich an die Situation erinnerte. Jetzt hatte auch Taylor innegehalten. Angespannt sah sie ihn an.

„Das Bild, das du geschildert hast, passt nicht zu dem Jacob, den ich kennengelernt habe, verstehst du das jetzt?", sagte sie dann langsam und schluckte. Er starrte nun ebenfalls aus dem Fenster ins Dunkle.
„Scheiße", sagte er dann nur. Alea fuhr sich durchs Haar, Unruhe machte sich in ihr breit. Es war mittlerweile fast Nacht und sie hatte nicht den blassesten Schimmer, wo Louisa sich aufhalten konnte. Abwesend sah sie auf ihr Handy, aber bis auf ein paar belanglose Nachrichten hatte sich nichts getan.
„Meinst du, dass er ihr wehtut?", fragte sie dann, wobei ihre Stimme wegbrach. Jetzt erkannte sie, dass Taylor ebenfalls schlucken musste. Großer Gott. Zweifelte er mittlerweile etwa selbst?
„Nicht körperlich", sagte er dann und starrte weiterhin aus dem Fenster. Nicht körperlich. Angestrengt kämpfte Alea mit den Tränen, bevor sie aufstand.
„Wir müssen irgendwas unternehmen. Ich glaube nicht, dass sie...zurückkommt. Sie vertraut ihm." Erst jetzt sah Taylor wieder zu ihr.

„Wenn Jake ihr hätte schaden wollen, hätte er das längst tun können. Als sie sich alleine vor dem Club getroffen haben. Beim Mittagessen oder auch nachts im Club. Kein einziges Mal hättest du es verhindern können. Die beiden waren unter sich. Warum sollte er also ausgerechnet jetzt Unfug anstellen?" Sie musste erneut schlucken. Unfug anstellen? Was verstand er wohl unter Unfug? Ob sie in die gleiche Richtung dachten? Sie wagte es nicht, den Gedanken auszusprechen. Sie wagte es nicht einmal, ihn zu Ende zu denken.

„Ich hätte sie warnen müssen. Heute Morgen, ich hätte warten müssen und ihr von diesem komischen Gespräch erzählen müssen. Ich hätte sie warnen müssen vor dem gefährlichen und bösen Jacob. Vor dem wütenden", sagte sie und lief wieder im Zimmer auf und ab. Redete sie überhaupt noch mit Taylor oder bereits mit sich selbst?
„Nein, du darfst so nicht denken. Es ist nicht deine Schuld, dass Louisa sich wieder mit ihm getroffen hat. Und es ist nicht meine Schuld, dass Jake abgehauen ist. Alles, was wir als Freunde jetzt tun können, ist zu ihnen zu halten. Egal, welche Schwierigkeiten auf uns zukommen. Oder auf die beiden. Vielleicht ist ja alles doch ganz harmlos." Er folgte ihr immer noch mit dem Blick. Schließlich blieb sie stehen.
„Ach ja? Wieso ruft er mich denn nicht einfach an? Er hat meine Nummer, wieso ruft er mich nicht an und sagt mir, wo sie ist?" Wieso? Verzweifelt sah sie ihn an.
„Ich weiß es nicht. Denkst du denn, dass... sie sich auf ihn einlässt?", fragte er vorsichtig. Ja. Nein. Keine Ahnung.

„Verflucht, ich hab keine Ahnung. Sie... hat gerade eine Trennung hinter sich, aber sie ist stark. Eigentlich. Ich weiß nicht, was Jacob ihr erzählt oder...ob sie ihn wirklich mag." Lüge. Sie wusste genau, dass Louisa Jacob mochte. Genau aus diesem Grund hatte sie die Konfrontation von Beginn an gefürchtet. Sie hörte Taylor seufzen und dann, wie er den Block auf dem Tisch ablegte. Was? Wollte er jetzt aufhören und schlafen gehen? Entsetzt sah sie ihn an.
„Ich hole uns nur etwas zu essen. Wir brauchen irgendwas, um klar denken zu können. Das wird eine verdammt lange Nacht."

„Was ist mit deinem Dad?", fragte sie und sah ihn an. Sein Vater war der Captain der Polizei und offensichtlich Jacobs Ziehvater. Konnte er nicht etwas ausrichten?

„Ich habe auch schon überlegt, ihn einzuschalten. Aber er ist seit 38 Stunden wach wegen der Ava Geschichte. Wenn wir bis morgen früh nicht weiter sind und immer noch nichts gehört haben, schalte ich ihn ein." Sie nickte besorgt.
„Okay", hörte sie ihre eigene leise Stimme. Er lief auf sie zu und ging vor ihr in die Hocke. Überrascht sah sie ihn an.

„Wir finden sie, ich verspreche es", sagte er dann und lächelte sie aufrichtig an.

„Du versprichst es?" Sie musste ebenfalls lächeln.
„Ich verspreche es." Er sah ihr aufrichtig in die Augen und stand dann wieder auf. Sie folgte ihm mit dem Blick und hörte dann ebenfalls ihren Magen knurren. Wann hatte sie das letzte Mal etwas gegessen?
„Bin schon unterwegs", sagte er, wobei ein leichtes Schmunzeln auf seinen Lippen lag.

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