Neun
„Hast du eigentlich den Verstand verloren?" Holla, die Waldfee. Alea war enorm aufgebracht. Es war unverkennbar. Beängstigend. Louisa saß auf einem Stuhl im Zimmer des Hostels und beobachtete ihre Freundin, die vor ihr auf- und ablief. Sie fühlte sich wie damals in der Middle-School, als sie während eines Mathetests beim Spicken erwischt worden war. Ertappt.
„Ich hab nicht vor, das Shooting zu machen. Es war nur ein Angebot von ihm", versuchte sie sich zu rechtfertigen.
„Findest du das nicht alles etwas hochgegriffen? Er lädt dich zum Essen ein, er will dich abends ausführen, er will Fotos von dir machen lassen und das alles ohne Gegenleistung?" Hallo? Er hätte sie beinahe auf dem Gewissen gehabt!
„Er sagt, er sieht es als Entschädigung." Louisa wurde kleinlaut.
„Ach Lou! Das Ersetzen des Handys ist vielleicht eine Entschädigung. Aber falls du dich erinnerst: Erst einmal ist er abgehauen!" Alea war stehengeblieben und sah sie an. Verdammt, sie hatte Recht. Dass sie ihn am darauffolgenden Tag in Tenderloin getroffen hatten, war purer Zufall gewesen. Warum musste sie ausgerechnet jetzt Recht haben?
„Also... warum auf einmal jetzt sein ganzes Interesse?" Ihre Frage war berechtigt, auch, wenn sie irgendwo in Louisas Magengegend für ein Stechen sorgte. Wieso sollte er sich interessieren? Für sie? Sie wich dem Blick ihrer Freundin aus und sah stattdessen auf den Batzen an Unterlagen auf dem Tisch. Wow. Alea musste heute ganz schön was geleistet haben.
„Ich weiß es nicht", antwortete sie nur und sah aus den Augenwinkeln, wie Alea sich durchs Haar fuhr. Von ihrer verkaterten Verfassung war offenbar nicht mehr viel übrig.
„Und was zur Hölle findest du überhaupt so toll an ihm?", fragte sie dann und stützte sich auf den Tisch, der zwischen ihnen stand, ohne sie aus den Augen zu lassen. Etliche Polizeikommissare aus etlichen TV Serien, die Louisa kannte, stützten sich bei aufwühlenden Verhören in der gleichen Art und Weise auf dem Tisch ab, wenn sie sich sicher waren, gleich ein Geständnis aus ihrem Gegenüber heraus zu kitzeln.
„Ich finde doch gar nichts toll an ihm." Lüge.
„Offensichtlich ja schon, wenn du dich so von ihm einlullen lässt." Einlullen?
„Ich werde mich auf nichts einlassen. Er ist doch nicht einmal mein Typ." Zweite Lüge. Alea verdrehte die Augen.
„Lou, Dominic ist noch nicht einmal aus eurer Wohnung ausgezogen. Meinst du wirklich, du solltest schon wieder ausgehen? Was weißt du überhaupt über diesen Jacob, ich denke, er erzählt nichts von sich?"
„Doch, er hat heute Mittag eine Menge erzählt." Dritte Lüge. Stopp. Das reichte. Sie befand sich tatsächlich in einem Verhör. Aber Geständnis würde es keines geben. Dass sie in Erwägung gezogen hatte, mit Jacob auszugehen, war ohne Hintergedanken geschehen. Sie wusste, dass Alea sich Sorgen um sie machte, aber sie war erwachsen. Und ein unbeschwerter Abend war völlig unbedenklich. Sie würde Alea bei der Menge an Unterlagen wahrscheinlich den gesamten Abend nur stören. Musste sie sich wirklich so rechtfertigen? Alea seufzte schließlich und ließ sich auf den Stuhl ihr gegenüber fallen.
„Hör zu: Ich will es dir ja nicht schlecht machen. Aber ich weiß nicht, was ich von alldem halten soll. Er... verhält sich ambivalent." Tat er das? Jaha?
„Du musst dir keine Sorgen machen. Momentan tut es mir einfach gut, abgelenkt zu werden. Jacob hat selbst gesagt, dass es nach einer Trennung wichtig ist, wieder ein gutes Gefühl zu bekommen, du weißt schon, Optimismus, neuen Mut und Selbstvertrauen. Und wirklich helfen kann ich dir mit den ganzen Unterlagen doch auch nicht. Es ist nicht so, dass ich nicht helfen will, aber du hast ein klares Ziel und befindest dich bereits auf dem Weg dorthin. Wenn du meine Hilfe brauchst, unterstütze ich dich selbstverständlich, wo ich kann, aber... was...ist?" Während sie gesprochen hatte, hatte sich Aleas Blick verändert. Stirnrunzelnd sah sie Louisa über den Tisch hinweg an.
„Wieso hast du ihm von der Trennung erzählt?"
„Naja, ich hab nur..." Louisa hielt inne. Hatte sie von Dominic erzählt? Sie konnte sich nicht erinnern, über ihn gesprochen zu haben. Alea bemerkte ihre Verwunderung.
„Woher weiß er von deiner Trennung, Lou?", fragte sie erneut, immer noch ruhig. Keine Ahnung!? Aber es war ihr egal. Sie wollte nicht permanent über Dominic nachdenken. Er war ein Arschloch, das sie aus ihrem Leben streichen wollte. Und rechtfertigen wollte sie sich allmählich auch nicht mehr. Wieso konnte sie nicht einfach tun und lassen, was sie wollte? Wieso hatte sie das Gefühl, dauerhaft Rücksicht nehmen zu müssen? Wieso dachten sie alle immer, auf sie aufpassen zu müssen? Sie stand von ihrem Stuhl auf.
„Lou?", fragte Alea verwundert und sah ihr nach. Sie reagierte nicht, während sie auf ihr Bett zusteuerte. Wütend.
„Louisa?" Diesmal fuhr sie herum.
„Ich werde hingehen. Ich werde auf mich aufpassen, aber ich gehe hin. Ich...freue mich sogar darauf", sagte sie dann bestimmt. Naja. Das Gefühl, das sie verspürte, glich eher ungemeiner Anspannung als wirklicher Freude.
„Ich will mir und allen anderen auch beweisen, dass ich in der Lage bin, auf mich selbst aufzupassen." Sie kramte in ihrem Koffer. Woher kam auf einmal die Entschlossenheit? Die Wut?
„Du musst doch nichts beweisen, jeder weiß doch-"
„Ach ja?" Louisa drehte sich erneut zu ihr.
„Was weiß denn jeder? Wie schlecht es mir geht, wie sehr ich unter der Situation leide und wie gebrochen ich bin? Wie gemein Dominic war? Wie abhängig ich davon bin, dass er aus der Wohnung weg ist, wenn ich zurückkomme? So ist es nicht mehr. Ich bin es leid, über ihn nachzudenken, über ihn zu sprechen oder von ihm angerufen zu werden! Ich finde, ich bin mehr als ein Mädchen, das betrogen wurde. Vielleicht ist es das, was Jacob von euch allen unterscheidet: Er sieht kein gebrochenes Mädchen in mir." Nein. Sie war nicht gebrochen. Wuttränen stiegen in ihre Augen, während sie weiterhin unentschlossen in ihrem Koffer wühlte. Sie war es leid, das Mitleid, die Sorge. Sie war kein Opfer. Ava war ein Opfer, ihr war vermutlich etwas Schreckliches zugestoßen. Aber Louisa war längst wieder aufgestanden. Mit 21 hat man noch alles vor sich. Das erste Mal seit langer Zeit spürte sie Entschlossenheit anstelle des Schams.
Der Streit mit Alea hing ihr nach, als sie vor dem Hostel auf Jacob wartete. Im Eiltempo hatte sie sich für den Abend fertig gemacht. Das schwarze Kleid, das sie trug, endete oberhalb ihrer Knie und die Nachtluft sorgte für eine Gänsehaut an den nackten Beinen. Es war spürbar abgekühlt. Alea war bereits in ihre Recherchen vertieft gewesen, als Louisa gegangen war. Zwischen beiden hatte eine unangenehme Spannung in der Luft gelegen, die Louisas schlechtes Gewissen verschlimmerte. Sie hatte nie die Absicht gehabt, Alea zu kränken. Es waren einfach die Gefühle mit ihr durchgegangen.
Erneut sah sie die Straße auf und ab, aber von Jacob fehlte nach wie vor jede Spur. Um 21.30 bin ich am Hostel. Das war alles, was sie wusste. Sie zog schließlich die Visitenkarte aus ihrer Tasche, die er ihr während des Essens zugeschoben hatte. „One.In.A.Million.Models" stand darauf, darunter war eine Adresse in San Francisco vermerkt. Die Karte war schlicht gehalten, nur seinen Vornamen hatte Jacob als Referenz mit einem Kuli darunter geschrieben. Sie war definitiv kein one in a million Model. Und sie wollte es auch gar nicht sein. Nur glücklich wollte sie sein. Mehr nicht.
„Guten Abend, schöne Frau." Sie fuhr zusammen und drehte sich dann um. Wo zur Hölle kam er her? Er grinste über ihren erschrockenen Gesichtsausdruck. Ja. Zum Totlachen!
„Entschuldige, ich wollte dich nicht erschrecken. Aber ich musste ein Stück weiter unten parken." Er nickte die Straße hinunter. Diesmal sah er sportlicher aus, zu seinen Jeans trug er ein dunkles Hemd, von einem Jackett und einer Sonnenbrille waren keine Spur. Er sah gut aus. Viel eher wie ein verdammtes one in a million Model. Ein Blick auf die Uhr an seinem Handgelenk verriet ihr, dass es Punkt 21.30 Uhr war. Sie räusperte sich verlegen. Scheiß Nervosität.
„Wartest du schon lange?", fragte er, während sie auf sein Auto zuliefen. Joa?
„Quatsch, kaum", log sie und strich sich über die Gänsehaut an den Armen. Er hielt ihr die Tür auf, als sie angekommen waren.
„Ich hab extra den Wagen vorgeheizt. Ich weiß ja, dass du schnell frierst." Er lächelte und lief dann um sein Auto. Sie zog die Stirn in Falten. Ach ja? Woher? Tatsächlich war es angenehm warm im Inneren. Allmählich spürte sie, wie ihre Muskeln sich wieder entspannten. Kurz darauf saß er bereits neben ihr im Wagen und fuhr los.
„Ist alles okay? Du bist so still?" Er sah sie von der Seite an, während er die Musik leiser drehte. Gar nichts ist okay.
„Ich glaube, ich war unfair zu Al. Sie... wollte nicht, dass ich..."
„...Dass du mit mir ausgehst?", fragte er direkt. Überrascht sah sie auf seine Seite. Bingo. Sie findet dich scheiße. Er verzog keine Miene. Offensichtlich hatte er sich seine Frage bereits selbst beantwortet.
„Naja, ich glaube, dass sie vielleicht einfach meine Hilfe bei der Recherche braucht." Die Ausrede war fast so schlecht wie drei Wochen abgelaufenes Hackfleisch. Erneut drehte er den Kopf zu ihr und lächelte, diesmal beinahe liebevoll. Überrascht oder gar gekränkt schien er keinesfalls.
„Lou, du hast die letzten Tage sicher viel geholfen. Alleine, dass du mit hier in der Stadt bist, hilft ihr sicher. Du bist eine gute Freundin." Lou? Auch, wenn er nette Dinge sagte, der Wahrheit entsprachen sie leider nicht. Aber er beruhigte sie. Ohne, dass sie überhaupt wusste, warum sie ihm davon erzählt hatte, fühlte sie sich etwas besser. Er war gut für ihre Psychohygiene.
„Ich freue mich jedenfalls sehr auf den Abend", bemerkte er dann. Vorsichtig schob er seinen Ipod wieder auf ihren Schoß, wobei er auch diesmal flüchtig ihre Beine berührte. Scheinbar wurde es zum Ritual zwischen ihnen, dass sie über seine Musik bestimmen durfte. Ein schönes Ritual. Sie entschied sich für einen Song von Guns N' Roses. November Rain.
Offenbar überraschte ihn ihre Songwahl.
„Ich bin im November geboren", beantwortete sie seinen fragenden Blick. Er lächelte flüchtig und sah wieder auf die Straße. Er selbst sah nachdenklich aus. Offenbar hatte er eine andere Verbindung zu dem Song. Einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, nachzufragen, entschied sich dann aber dagegen. Das Gefühl, ihm heute näher zu sein, wollte sie nicht gleich wieder zerstören. Stattdessen schweiften ihre Gedanken zu ihren Eltern. Wie es ihnen wohl ging? Sie vermisste den engen Kontakt zu ihrer Mutter. Ihre Familie war für einige freie Tage nach Los Angeles gefahren, um Urlaub zu machen. Seit ihr Handy kaputt gegangen war, hatte Louisa kaum etwas von ihnen gehört. Sie schloss für einen Moment die Augen und lauschte der Musik. Es war der Song ihrer Eltern. Es war ihr Song. Sie fühlte sich wohl im warmen Auto, umgeben von Jacobs Duft und den Nachtlichtern San Franciscos. Es war Geborgenheit, die sie empfand, nach so langer Zeit. Wie konnte es sein, dass Jacob ihr so vertraut vorkam, obwohl sie ihn nicht kannte? Wie konnte er nach so kurzer Zeit bereits eine so beruhigende Wirkung auf sie haben? Sie vertraute ihm. Irgendetwas gab ihr das Gefühl, ihm in mancher Hinsicht ähnlich zu sein.
Abrupt unterbrach die Musik, als Jacob den Wagen nur kurz darauf am Straßenrand hielt. Augenblicklich öffnete sie die Augen wieder. Hallo, liebes Hier und Jetzt. Au Revoir, Gedanken. Sie sah, wie er erwartungsvoll den Kopf zu ihr drehte. Was, waren sie schon da? Wie schade. Es war so angenehm warm im Auto.
„Willkommen im Ruby Skye." Er lächelte sie vielversprechend an.
Sie drehte den Blick aus dem Fenster und sah in Rottönen leuchtend den Namen des Nachtclubs in verschnörkelter Schrift auf einem Vorsprung prangen. Oha. Not bad, Jacob.
„Hör zu, Louisa, ich möchte, dass du bitte den gesamten Abend bei mir bleibst." Nun drehte sie den Kopf wieder zu ihm. Mit einem Mal hatte er ihre gesamte Aufmerksamkeit zurück auf sich gelenkt. Nanu? Es klang nicht wirklich wie eine Bitte, mehr wie eine Aufforderung. Seine warmen Augen ruhten eindringlich auf ihr. Einen Moment bewunderte sie unbewusst seine reine Haut. Gute Arbeit, Kotzmetiker.
„Warum?", fragte sie dann neugierig. Hatte er Angst, dass sie mit dem Barkeeper durchbrannte? Der Gedanke amüsierte sie. War er eifersüchtig? Seine Miene blieb jedoch unverändert ernst. Oh.
„Ich bitte dich, Louisa. Es ist wirklich voll drin und... ich bitte dich einfach darum." Er hatte nicht nur äußerst reine Haut sondern auch sehr gepflegte Lippen. Und seine braunen Haare entsprachen exakt seiner Augenfarbe. Er war höchst attraktiv.
"Louisa?"
Sie räusperte sich kurz, als sie feststellte, wie sie auf seine rosigen Lippen starrte und hob dann den Blick in seine braunen Augen, die sie immer noch ansahen. Er schien es ernst zu meinen. Und er hatte sie beim Anstarren beobachtet. Wegschauen. Aussteigen!
„Geht klar." Sie wandte den Blick ab und öffnete bereits die Autotür. Der Anblick des Nachtclubs löste mittlerweile eine Welle der Vorfreude in ihr aus.
„Lou, hey-", rief er noch aus dem Wagen, doch sie schlug bereits ihre Tür zu. Komm schon. Was besorgte ihn so? Kurz darauf war er ebenfalls ausgestiegen und lief hastig zu ihr. Mit einer Hand umfasste er ihr Handgelenk. Überrascht hielt sie inne und sah in sein Gesicht. Seine Hand war warm und er übte einen leichten Druck auf ihr Gelenk aus, beinahe als wollte er sie tadeln.
„Was denn, ist Chucky die Mörderpuppe etwa da drin?" Sie versuchte, ihre Verlegenheit, die seine Berührung auslöste, weg zu albern.
„Bitte!" Er sah sie eindringlich an. Himmelherrgott, ist ja gut.
„Ich verspreche hiermit, dass ich mich benehme, okay?" Sie hob brav eine Hand zum Schwur.
„Danke. Und jetzt lass uns gehen." Er lächelte wieder und lief dann an der Menschenschlange vorbei auf den Eingangsbereich zu.
„Darf ich dir die Jacke abnehmen?", fragte er charmant, sobald sie das Innere des Clubs betreten hatten, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. Da war er wieder, der Gentleman. Bevor sie überhaupt die Möglichkeit hatte, zu antworten, spürte sie schon, wie seine Hände ihr vorsichtig die Jacke von den Schultern zogen. Erneut überfiel sie eine Gänsehaut.
„Danke", brachte sie kaum verständlich hervor.
Im Gegensatz zu dem tristen und schmucklosen Vorraum war der Hauptraum, bis auf den dunklen Boden, komplett in edlem Weiß gehalten. Er erinnerte ein wenig an ein Opernhaus, inklusive aufwändigen Stuckverzierungen in Weiß und Gold. Leck die Ziege! Das hier konnte kein normaler Club sein. Das hier war die erste Liga aller Clubs. Louisa war stehengeblieben und sah sich um.
„Nett hier", murmelte sie und versuchte, nicht allzu beeindruckt zu klingen. Nett. Pah.
„Fühlst du dich wohl?", hörte sie ihn unmittelbar hinter sich. Er schien viel Wert auf ihr Wohlbefinden zu legen. Sie schluckte, während sie noch immer durch den Raum sah.
„Schon." Himmelherrgott, Mädchen! Schon!? Ein Blinder mit Krückstock konnte die Überwältigung von ihrem Gesicht ablesen. Aber Hauptsache cool wirken. Darin war sie ohnehin noch nie gut gewesen.
„Du siehst übrigens bezaubernd aus. Ich werde heute gut auf dich aufpassen müssen." Er lächelte sie schief an, als sie ihn ansah. Holla. Schnell wandte sie den Blick wieder von ihm ab und sah über die Menschen auf der Tanzfläche oder an der Bar. Es war bereits einiges los. Und... er hatte tatsächlich gerade bezaubernd zu ihr gesagt.
„Ich nehme deine rosa Wangen einfach mal als Danke." Oh fuck. Er lächelte immer noch, während sie verlegen an ihren Fingern spielte. Themenwechsel. Sofort.
„Das ist lieb von dir. Wo sind sie denn, deine Kollegen?"
„Oben vermutlich. Ich bring dich hin." Er schob sie eine schmale Treppe hinauf, direkt auf einen breiten Türsteher zu, der Jacob nur zunickte, bevor er die Tür für beide öffnete. Was war das denn hier? Der Eingang ins Wunderland?
Hinter der Tür war weitaus weniger los als im restlichen Club, das Dröhnen der Musik hatte nachgelassen und man konnte leises Gebrabbel der Menschen hören. Ganz offensichtlich befand sich hier die Creme de la Creme der Stadt. Man war unter sich. Schick, reich, eingebildet. Nervös schluckte sie einen Kloß in ihrem Hals herunter.
Sie ließ ihren Blick über die eigene Bar schweifen und blieb an einigen knapp aber elegant gekleideten Kellnerinnen hängen. Eine Treppe unweit von ihnen führte zum Sitzbereich auf die Empore.
„Ein bisschen anders als im Cellar, nicht wahr?" Er winkte eine Kellnerin zu sich heran. Ist ja gut. Sie hatte verstanden, dass er in einer anderen Liga spielte. Aber sie hatte sich in der Kreisliga bislang nie unwohl gefühlt.
„Wir hätten gerne zwei Gläser Champagner", hörte sie ihn, sobald sich eine der Kellnerinnen genähert hatte. Wie bitte? Er hatte den Verstand verloren.
„Ich...bin auch mit einer Apfelschorle zufrieden", platzte sie heraus und bemerkte sofort den abschätzigen Blick der Kellnerin vor sich. Guck nicht so, Alte. Du servierst den Champagner schließlich nur.
„Ich denke, wir bleiben erst einmal beim Champagner. Falls du später noch willst, bekommst du deine Apfelschorle aber natürlich auch." Jacobs Lächeln war aufrichtig.
„Kommt sofort, Sir."
Die Kellnerin, Louisa schätze sie kaum älter als sich selbst, eilte hüftwackelnd davon. Stopp!
„Hör mal, ich brauche echt keinen Champagner, ehrlich gesagt möchte ich das gar nicht annehmen." Louisa sah ihn erschrocken an, doch er winkte augenblicklich ab.
"Entspann dich einfach, Lou. Bitte." Er hatte Recht. Sie war in der Tat vollkommen verkrampft.
Sobald die Kellnerin mit dem Champagner zurückkam, nahm Jacob die beiden Gläser vom Tablett und reichte Louisa eines davon. Skeptisch betrachtete sie ihres. Wahrscheinlich kostete alleine das Glas so viel wie eine Monatsmiete ihres Apartments.
„Na schön. Vielen Dank und... Cheers." Verlegen nippte sie an dem Bonzengesöff in ihrer Hand und sah sich dann weiter um.
„Siehst du die Gruppe dahinten? Das sind die Leute, mit denen ich arbeite. Warte einen Moment."Jacob strich ihr flüchtig über die nackte Schulter und lief dann auf eine Sitzgruppe zu, die um einen Tisch in einer Ecke versammelt war. Sie folgte ihm mit dem Blick und traf dann sogleich auf die Augen eines südländisch aussehenden Mannes am Rande der Gruppe. Großer Gott, hatte er sie die ganze Zeit beobachtet? Sie erkannte, wie Jacob unmittelbar auf ihn zusteuerte und sich dann in seine Richtung beugte, um ihm offenbar etwas mitzuteilen. Sein Gegenüber verzog jedoch keine Miene, während er weiterhin in Louisas Richtung sah. Offenbar ging es um Geschäftliches. Flüchtig sah sie zu den anderen am Tisch. Einige erwiderten ihren Blick kurz, manche beachteten sie nicht weiter. Die Arroganz und Eitelkeit in ihren Blicken waren deutlich erkennbar. Quatsch. Sie waren spürbar. Waren das etwa Jacobs Freunde? Unsicher sah sie auf das Glas in ihren Händen und nahm dann einen weiteren großen Schluck. Unangenehmer konnte es womöglich nicht mehr werden.
Als sie das Glas wieder absetzte, bemerkte sie, dass Jacob und der Mann auf sie zukamen. Grandios. Viel zu schnell schluckte sie die Unmenge an Champagner in ihrem Mund herunter.
„Louisa, das hier ist Victor, von dem ich dir erzählt habe." Ach, der Fotograf?
„Victor, das ist Louisa." Jacob sah sie an und legte wieder die Hand auf ihren Rücken. Schon viel besser.
Der Fotograf sah immer noch so grimmig aus wie zuvor. Lange zog er an der Zigarette, die er in der Hand hielt. Er betrachtete Louisa eingehend, wobei seine dunklen Augen über ihren gesamten Körper wanderten. Was sollte das denn? Seine schwarzen Haare hatte er sich nach hinten gekämmt, sie klebten an seinem Kopf und glänzten vom vielen Gel. Igitt. Louisa drückte flüchtig das Glas in ihrer Hand und bemühte sich dann um ein Lächeln.
„Freut mich." Tat es nicht. Kurz sah sie zu Jacob. Er schien seltsam angespannt. Sein Blick galt ebenfalls Victor, während er dabei das Glas, das immer noch fast vollständig mit Champagner gefüllt war, in seinen Händen drehte.
„Sie ist perfekt", sagte Victor dann, wobei sich an seinem Ausdruck nichts änderte. Der Rauch strömte aus seinem Mund. Was zur- Irritiert sah Louisa zu Jacob, der zu grinsen begonnen hatte.
„Hab ich's nicht gesagt? Ich hab es gesagt. Ich wusste, dass sie passt." Beinahe klang er siegessicher. Seine Anspannung war mit einem Mal einer grenzenlosen Erleichterung gewichen.
„Freust du dich? Sicher findet Victor schon morgen einen Termin für dich", sagte er euphorisch an Louisa gewandt und strich ihr eine Strähne hinter das Ohr. Seine Augen glühten vor Begeisterung. Er sah so...jung aus, wenn er sich freute. Sie wich seinem Blick aus und sah zu Boden. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, dass Victor sie immer noch beobachtete. Konnte er das vielleicht lassen? Allmählich fühlte sie sich wie eine Attraktion aus dem Zoo.
„Kann ich kurz mit dir reden?" Sie sah zu Jacob auf, dessen Lächeln langsam verschwand.
„Klar?" Sie stellte ihr Glas auf den erstbesten Tisch in ihrer Nähe und zog ihn etwas abseits der Gruppe.
„Was sollte das?", fragte sie dann und sah ihn entschlossen an. Ui. Ein Hoch auf den Champagner. Das war flüssiges Selbstbewusstsein. Offenbar wusste er sofort, wovon sie sprach. Beruhigend lächelte er sie an.
„Victor ist gewöhnungsbedürftig. Aber er ist ein Profi in dem, was er macht." Jacob schob die Hände in die Hosentaschen.
„Schön für ihn, aber... Ich dachte, wir haben... einfach einen lockeren Abend, ohne gruselige und schmierige Männer, mit geleckten Haaren und Haargel, das so teuer ist wie drei Monate Miete meines Apartments. Und außerdem: Ich hab dir nie zugesagt, dass ich irgendwelche dämlichen Fotos von mir schießen lasse." Sie verschränkte die Arme, während ihre eigenen Worte wie ein Echo in ihrem Kopf wiederhallten, erstaunt, über ihren eigenen Mut. Halleluja, zum Glück hatte sie sich doch keine Apfelschorle bestellt. Jacob sah flüchtig zurück zu Victor, der immer noch in der Nähe der beiden stand. Sie nickten sich kurz zu und Victor wandte sich wieder der allgemeinen Gruppe zu. Na endlich.
„Ich hab mich einfach gefreut und dachte, du hättest dich dafür entschieden. Er ist sonst vollkommen ausgebucht und würde nur für dich eine Ausnahme machen." Eine aberwitzige Ausrede. Sie schnaubte und drehte den Kopf zur Seite. In einem der protzigen Spiegel blickte eine beleidigte Louisa zurück. Ouh. Nicht schön.
„Was, wenn ich das alles gar nicht will?" Sie wandte schnell den Blick von ihrem Spiegelbild ab und sah wieder in sein Gesicht.
„Vertrau mir, Lou. Ich möchte dir einfach gerne eine Freude machen, mehr nicht. Und ich weiß, dass du dich darüber freuen wirst. Und nichts anderes freut mich." Er hatte ihre Hände genommen, die sie immer noch in den Armen vor ihrer Brust verschränkt hatte. Offenbar freute er sich wirklich über das Shooting, weitaus mehr als sie. Als er ihr flüchtig über beide Handrücken strich, spürte sie, wie sie langsam entkrampfte. Seine Berührungen waren warm und vertraut. Er beruhigte sie. Schon wieder. Sie spürte, wie seine Augen auf ihr ruhten. Na schön. Vielleicht hatte sie hysterisch reagiert.
„Tut mir leid, ich war nur... nervös. Die Leute hier sehen alle so...-"
„...unsympathisch aus? Ich weiß. Und mit dem Haargel hast du wahrscheinlich auch recht. Aber sie sind ...okay. Und glaub mir, wahrscheinlich ist es das erste und letzte Mal, dass du sie hier siehst." Er lächelte aufrichtig.
„Genieß einfach den Abend, Lou. Solange du hier in meiner Nähe bleibst, lassen die dich auch alle in Ruhe."
„Klingt, als sei ich in einem Raubtierkäfig", murmelte sie und sah erneut flüchtig zu den Leuten im Raum. Immer noch spürte sie Victors Blicke auf sich ruhen. Einen kleinen Moment lang, so bildete sie es sich ein, blitzte Zufriedenheit darin auf.
„Kann man so sagen, ja. Aber die wissen alle ganz genau, dass sie die Finger von dir zu lassen haben." Jacob ging einen kleinen Schritt auf sie zu und unterbrach somit ihren Blick auf Victor. Trink einen Schluck. Sie trank einen Schluck.
„Wieso?"
„Du bist meine Begleitung. Basta." Er stand direkt vor ihr, sodass sie unmittelbar auf seinen Oberkörper starrte. Durch sein Hemd erkannte sie die definierten Muskeln, die sich darunter abzeichneten. Uha. Stopp. Genug des flüssigen Selbstbewusstseins. Sie würde sich jetzt einer Apfelschorle widmen und Spaß haben. Basta.
„Gehen wir tanzen?" Unmerklich war sie einen kleinen Schritt zurückgetreten, bevor er sie noch mehr in Wallung bringen konnte. Stur richtete sie ihren Blick in sein Gesicht.
„Ich tanze nicht. Aber ich werde dich dabei nicht aus den Augen lassen." Er sah sie lange an. Natürlich tanzte er nicht. Noch einen Schluck. In einem Zug leerte sie ihr Glas und bemerkte dann ein Mädchen, das direkt auf sie zulief. Etwas zu direkt.
„Hey, du musst Louisa sein", begrüßte es sie überschwänglich und umarmte sie stürmisch. Völlig perplex drückte Louisa Jacob ihr leeres Glas in die Hand, während sie planlos den Rücken des Mädchens tätschelte. Was war denn jetzt los? Möglicherweise war sie vorhin nicht durch die Tür zum Wunderland sondern in die Irrenanstalt geschritten. Das Mädchen löste sich wieder von ihr und sah sie strahlend an. Holla, die verdammte Waldfee. Sie sah aus, als sei sie geradewegs vom Cover der verflixten Vogue gestiegen.
„Tut mir Leid, ich bin eben erst gekommen", rechtfertigte sie sich mit singender Stimme und sah kurz zu Jacob, während sie ihr lockiges blondes Haar über ihren Schultern zurechtlegte. Sie füllte beinahe den gesamten Raum mit ihrer Anwesenheit. Hilfesuchend sah Louisa auf ihr leeres Glas in Jacobs Händen. Gläschen, füll dich. Sei so gut. Das Lächeln auf Jacobs Gesicht hingegen war beinahe vollständig verschwunden. Stattdessen nickten sich beide nur reserviert zu.
„Jake."
„Sarah."
Hallo Du♥
Du bist noch hier? Ich danke dir♥
Wie ich mich freue, über deine Treue,
das glaubst du nicht- Du Herzgesicht♥
Drum dicht ich dir diese Worte hier,
möcht nicht verzagen, nur DANKE!!! sagen.
Danke. Noch mal.
Deine Mila♥
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