Dreizehn



„Dann schieß mal los, Alea. Woher kennst du Jake?" Taylor stellte einen Pappbecher mit Kaffee vor ihr ab und setzte sich dann ihr gegenüber. Das Bistro der Polizeistation war überfüllt von Menschen. Wie in einem Ameisenhaufen wuselten sie durcheinander, die Schlange an der Kasse führte beinahe bis zur Tür. Nicht alle im Raum trugen eine Uniform, Alea konnte nicht einmal feststellen, ob sie überhaupt alle hier arbeiteten. Dennoch herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Und trotz der Menschenmasse war sie sich beinahe sicher, dass man ausgerechnet hier im Trubel die privatesten Gespräche führen konnte. Man war nur irgendwer in einer Masse. Während Taylor den Kaffee holen gegangen war, hatte sie das Gesicht auf die Hand gestützt und planlos auf ihrem Notizblock gekritzelt.

Ein wenig sah es so aus, als hätte sie ihn mit ihrem Kuli vergewaltigt. Der bloße Gedanke an die Szene vor dem Archiv ließ sie immer noch erröten. Ihr war erneut ein Fauxpas unterlaufen. Sie hatte sich erneut getäuscht. Was war nur los mit ihr? Er war nicht Taylors Bruder. Und dennoch mussten sie sich verdammt nahe stehen. Er täuschte sie immer und immer wieder. Er stellte sie vor ein Rätsel. Er war ein Idiot. Langsam setzte sie sich wieder auf und zog den lauwarmen Kaffeebecher zu sich. Sie spürte Taylors ruhigen Blick auf sich. Woher kennst du Jake? Kannte sie ihn?

„Er hat eine Freundin von mir angefahren", sagte sie dann. Lou. Hoffentlich hatte sie die Nachricht auf der Mailbox bereits abgehört. Hoffentlich schaltete sie ihren verdammten Verstand ein, bevor er von ihrem Herz Schachmatt gesetzt würde. Taylors Augen wurden enger.

„Wann war das? Und wo?"
„In der Post Street vor wenigen Tagen. Wir sind nur kurz hier in der Stadt, wegen meiner Abschlussarbeit. Ich habe vorhin auch kurz mit deinem Dad-"
„Ich weiß", unterbrach er sie. Überrascht sah sie ihn an. Hatte er sie in Brookstones Büro also doch registriert? Und wieso hatte er es so eilig? Wusste er tatsächlich nichts von dem Unfall? Das würde zu Jacob passen. Er hielt sich allem Anschein nach für unfehlbar.
„Und geht es ihr gut? Deiner...Freundin?" Taylor nahm einen Schluck Pappbecherkaffee und verzog angeekelt das Gesicht.

„Ja, sie ist wohlauf. Hat Jacob dir denn gar nichts erzählt?" Sie beobachtete ihn stirnrunzelnd. Taylor seufzte. Es passte so unglaublich zu ihrem Bild von Jacob. Arroganter Fatzke. Eingebildeter Snob. Selbstüberzeugter-

„Ich wusste nicht einmal, dass er in der Stadt ist", unterbrach Taylor ihre Gedanken, während er eine erstaunliche Menge Zucker in den Kaffee schüttete. Kurz sah er dabei auf. Sein Blick hatte sich geändert. Sie erkannte Verwunderung darin, beinahe Sorge. Moment mal. Wer wusste denn überhaupt, ob sie vom gleichen Jacob sprachen? Alea verengte ein wenig die Augen, während sie ihn weiter beobachtete. Wenn sie sich recht entsann, erfreute der Name sich zunehmender Beliebtheit im Land.

„Und du bist dir sicher, dass wir... von der gleichen Person sprechen? Du weißt schon... dunkle Haare, schickes Auto, teure Klamotten, etwas arrogant?" Ein Arschloch, das denkt, es wär's. Nun war es Taylor, der die Stirn in Falten zog. Hatte sie sich mit dem Foto in Brookstones Büro möglicherweise vertan und all das war ein einziger Zufall? Unmöglich.

„Warte mal..." Er zog sein Smartphone hervor und tippte darauf herum. Kurz darauf schob er es Alea über den Tisch zu. Das Foto zeigte zweifellos den Jacob, den sie auch kannte. Der auf dem Familienfoto war. Auf dem Bild war er sportlich gekleidet und hielt ein großes Bierglas in der Hand, mit dem er der Kamera zuzuprosten schien. Er sah ausgelassen aus und keineswegs so ernst wie die letzten Tage. Sympathischer. Eine Zeit lang sah sie auf das Bild und dann wieder zu Taylor.
„Ja, das ist er. Wann war das?", fragte sie dann, während er das Handy wieder zu sich zog.
„Ende letzten Sommers. Das ist eines der letzten Bilder, nur kurz danach hat er einfach den Kontakt abgebrochen. Ich dachte... er wäre gar nicht mehr in der Stadt." Taylor zuckte die Achseln. Ernsthaft? Oh, er war sowas von in der Stadt.


„Hast du denn nie versucht, ihn mal anzurufen?", fragte sie überrascht. Er zog eine Augenbraue hoch.
„Hältst du mich für blöd? Klar hab ich das...Anfangs sogar fast täglich. Aber scheinbar hat er kein Handy mehr." Alea sah ihn entsetzt an. Das wurde ja immer verrückter.
„Doch. Doch, auf jeden Fall hat er ein Handy, er hat... ich hab es gesehen." Sie sah ihn direkt an. Zweifellos hatte er in Tenderloin ein Handy bei sich getragen. Sie hatte höchstpersönlich ihre verdammte Handynummer darin eingetippt.
„Dann muss er es gewechselt haben. Hier, ich zeige es dir." Erneut tippte er auf seinem Smartphone herum und hielt es ihr dann entgegen. Es zeigte Jacobs letzten Onlinestatus in einem Nachrichtenchat. 26. Juli 2015.
„Das ist... mehr als sechs Monate her!" Erschrocken sah sie ihn an woraufhin er erneut die Achseln zuckte.

„Jetzt weißt du, warum ich dir nach unten gefolgt bin. Zunächst ist mir gar nicht klar gewesen, dass du Jake meinst, als du am Telefon von irgendwelchen Neuigkeiten gesprochen hast. Aber dann ist mir das schiefe Foto in Dads Büro aufgefallen." Er schmunzelte. Scheiße. Wie hatte sie nur so fahrlässig sein können? Sie befand sich immerhin unter Polizisten. Vorsichtig sah sie auf, aber er grinste nur.

„Schon gut, ich bin damit groß geworden, auf Kleinigkeiten zu achten", sagte er versöhnlich und trank dann von seinem Kaffee. Sie sah auf den Becher zwischen ihren Händen und drehte ihn hin und her. Seltsamerweise war ihr etwas übel, obwohl sie ihn bisher nicht angerührt hatte.
„Aber sag mal, Alea... Du hast Jake vorhin ziemlich negativ beschrieben...", fing er an. Sie sah wieder auf. Jaha. In der Tat.
„Ich bin vor wenigen Stunden noch ziemlich mit ihm aneinandergeraten. Eigentlich kenne ich ihn kaum. Seit dem Unfall hat er aber ziemlich viel Zeit mit Lou verbracht."
„Lou ist deine Freundin, nehme ich an?" Bei dem Gedanken an Louisa fuhr sie sich angespannt durchs Haar. Ob sie überhaupt noch lebte? Heilige Scheiße, weg mit solchen Gedanken. Sie musste durchdrehen. Louisa war verkatert gewesen, nicht vergewaltigt. Zumindest hoffte sie das.


„Ja, genau. Anfangs schien er überhaupt kein Interesse an ihr zu haben. Nach dem Unfall ist er sogar einfach abgehauen. Erst als wir ihn zufällig in Tenderloin wiedergetroffen haben, war er überhaupt kooperativ, hat uns angeboten, Lous Handy zu erstatten, das bei dem Unfall kaputt ging. Und dann wollte er sie auf einmal zum Essen einladen, in Clubs ausführen, sogar irgendwelche Fotos von ihr schießen lassen. All das als Entschädigung für die Unannehmlichkeiten." Taylor sah sie überrascht an und kippte erneut einen Löffel Zucker in seinen Kaffee. Himmelherrgott, mittlerweile hatte er ein Dessert vor sich stehen statt normalem Kaffee.


„In Tenderloin?", fragte er erneut und sie nickte.
„Ich war wegen meiner Arbeit da und Lou hat mich begleitet. Sein teures Auto ist uns dort aufgefallen, es stand am Straßenrand und hat nicht wirklich zum restlichen Bild gepasst." Sie beobachtete, wie Taylor sich durchs Haar fuhr. Unauffällig sah er über die Schulter, als könne jemand sie belauschen. Er wirkte angespannt. Es gefiel ihr nicht.
„Was denn für ein teures Auto?", fragte er deutlich leiser und sah sie ernst an. Alea hielt inne. Allmählich wurde die Situation suspekt. Und sie redeten sicher von der gleichen Person?
„Er fährt den neusten X6er BMW. In schwarz. Hochglanz." Taylor beugte sich erschrocken in ihre Richtung. Was zur Hölle war das für ein Ausdruck auf seinem Gesicht? Verdammt, irgendwas stank hier bis zum Himmel und es war definitiv nicht der Kaffee.

„Ist nicht wahr?" Und wie wahr das ist. Nun sah sie sich ebenfalls flüchtig um. Mittlerweile fühlte sie sich, als müsse sie sich gleich übergeben. Statt der Röte war ihr mittlerweile alle Farbe aus dem Gesicht gewichen. Warum war Taylor so überrascht? So erschrocken? Intuitiv schob sie den Kaffeebecher von sich weg. Taylor hatte sich auf seinem Stuhl zurückgelehnt und fuhr sich über sein Gesicht. Er sah nahezu fassungslos aus. Verdammt. Möglicherweise hatte sich ihr Gefühl die ganze Zeit über doch nicht geirrt. Möglicherweise hatte sie allen Grund gehabt, Jacob gegenüber skeptisch zu sein. Möglicherweise war hier etwas faul.


„Warum überrascht dich das alles so?", fragte sie leise, wusste aber, dass er sie dennoch verstand. Er sah nachdenklich aus und sah aus dem Fenster hinter ihr.
„Das ist eine ziemlich lange Geschichte. Aber so viel schon einmal vorweg: Jake ist absolut pleite." Er wandte den Blick von der Straße zu ihr. Pleite!? Pleite wäre sicherlich eines der letzten Adjektive gewesen, mit dem Alea Jacob beschrieben hätte. Pleite und... nett. Offenbar hatte Taylor nicht den Hauch einer Ahnung, wer Jacob wirklich war. Oder zumindest, wer er versuchte zu sein.
„Was ist mit seinen Eltern, ist es vielleicht das Auto von seinem Dad?" Sie spürte, wie ihr Gehirn zu schnell arbeitete als dass sie sofort nachkam. Es musste eine einfache und plausible Erklärung geben. Taylors Miene war unverändert geblieben.


„Nein, das ist ausgeschlossen. Das weiß ich definitiv." Shit.
„Vielleicht ist es ein Firmenwagen... oder meinst du etwa, es ist gar nicht sein Auto und er hat es-" Sie stoppte abrupt, ohne den Satz fertig auszusprechen. Das war absurd. Womöglich hatten sich Jacob und Taylor einfach nur auseinandergelebt und angefangen, verschiedene Wege zu gehen. Sie schluckte ihr mulmiges Gefühl herunter und sah wieder zu Taylor, der nach wie vor hinter ihr aus dem Fenster sah. Sie wusste, dass sein Gehirn auf Hochtouren arbeitete. Es passte nicht zusammen. Der Kontaktabbruch, der plötzliche Wohlstand, Jacobs Heimlichtuerei. Oder vielleicht passte es gerade deswegen doch zusammen. Halt dich da raus, Alea. Sie hörte seine Worte noch immer glasklar in ihrem Kopf. Es stimmte etwas ganz und gar nicht.

„Was hast du heute noch vor?", fragte Taylor dann und sah sie wieder direkt an. Sie wusste sofort, worauf er hinauswollte. Schluss mit Rätselraten. Sie müssten der Sache einfach nur nachgehen. Ein Missverständnis aufklären, ein paar Hieroglyphen und anschließend Leviten lesen und alles hinter sich lassen.

„Bin dabei", antwortete sie nur. Er lächelte zufrieden, als hätte er mit keiner anderen Antwort gerechnet.

Hallo Du♥

Danke für deine Unterstützung, deine Votes und deine Treue. Ohne dich hätte ich niemals so weit geschrieben. Und weil wir so rasend auf die 200 Follower zusteuern, gibt es am Mittwoch ein kleines Extrakapitel. Vielleicht freust du dich ja. Ich freue mich jedenfalls. Über dich! :)

Deine MiLa♥

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