Acht
„Bisu irre? Ich hab dich überall gesucht!", rief Alea gegen die Musik und hielt sich am Bartresen fest, sobald sie Louisa erblickte. Das Stehen klappte nicht mehr so gut ohne Hilfe.
„Tut mir Leid. Ich hätte anrufen sollen", antwortete Louisa und sah dann auf Aleas Handy in ihrer eigenen Hand. Ultra witzig.
„Wo warsu? Und wasis mit Dominic?" Alea sah sie immer noch an und setzte sich dann etwas wackelig auf den dazugehörigen Barhocker. Das Sitzen klappte schon viel besser.
„Ich hab ihn nicht erreicht. Aber ich war nicht alleine draußen. Ich hab Jacob getroffen."
„Was? Dein Freund, der Barkeeper? Ich dachte, die dürfn ihren Arbeisplatz nich verlassn. Was is mit all den dursigen Gästen?" Okay. Was zur Hölle redest du da?
„Vergiss den Barkeeper. Oliver", sagte sie, deutlich zu Alea gebeugt, als handle es sich um ein Geheimnis. Diese lehnte sich mit weit aufgerissenen Augen zurück und sah Louisa an.
„Is nich wahr!"
„Doch, wir haben ein wenig gesprochen. Schau mich nicht so an, es war nichts Besonderes. Wir gehen morgen essen, wegen... des Handys." Sie kratzte sich verlegen am Kopf. Hoffentlich war Alea so betrunken wie sie wirkte.
„Ihr geht essn. Wegen Handy", wiederholte diese und zog unbeeindruckt die Augenbrauen hoch. Verdammt. Wie konnte ein Teil von ihr immer noch nüchtern sein.
„Lou, das solltes du nich machn. Wirklich. Du... solltes es nich machn."
„Wir sind schon verabredet. Ich regele das und dann... hey, wo ist eigentlich dein Mr. California?" Vom kalifornischen Casanova war weit und breit nichts zu sehen. Alea seufzte genervt.
„Er musste gehn. War pleite, glaub ich." Kein Wunder, bei ihrem Alkoholpegel. Immerhin war die Ablenkungsmission geglückt.
„Hast du seine Nummer?"
„Wie denn, du bis ja mit meim Telefon abgehaun!" Ein kleiner Vorwurf lag in Aleas Blick. Oops. Hoffentlich hatte es sich nun nicht ausgecasanovat.
„Shit. Wir finden ihn sicher auf facebook. Lass uns gehen." Louisa zog Alea vom Barhocker.
„Ich sterbe. Ich schwörs!" Alea zog sich die Bettdecke über den Kopf. Es war bereits später Vormittag, aber sie war nach wie vor überaus lichtempfindlich. Schmunzelnd beobachtete Louisa sie, während sie sich vor dem Spiegel fertig machte. Alea sah, freundlich formuliert, echt scheiße aus.
„Das ist deine Schuld, Lou! Du wolltest in diese Bar gehen. Ich war ja für einen... Spieleabend hier", ertönte es unter der Decke. Louisa lachte und lehnte sich etwas vom Spiegel zurück, als sie ihre Haare zusammengebunden hatte.
„Dann kennst du dich ja aus im ‚Mensch, ärgere dich nicht'!" Sie sah zu ihrer Freundin, die sich immer noch vergraben hatte.
„Wann kommt denn du-weißt-schon-wer um dich abzuholen?", fragte sie und steckte den Kopf nun ein wenig unter der Decke hervor. Oh nein. Das Thema. Louisa warf ihr einen bösen Blick zu. Jacob. Er hieß Jacob. Wie der Werwolf.
„Was denn, Lou? Ich kann ihn auch spooky Oli nennen!" Nein. Einfach Jacob.
„Naja, sofern kein weiteres Mädchen umgefahren wurde, müsste er gleich hier sein. Was hast du heute vor, also wenn du das Bett verlässt?" Themenwechsel. Schnell und schmerzlos. Ein Seufzen war zu hören.
„Ich sollte eigentlich schon längst unterwegs sein, ich wollte heute zum San Francisco Chronicle ins Archiv." Unter der Decke gähnte Alea herzhaft.
„Klingt doch ...spannend." Um so beschäftigt wie möglich zu wirken, suchte sie krampfhaft nach Gegenständen, die sie noch in ihre Tasche packen könnte. Immer schön das Thema wechseln.
„Lou, ich traue ihm nicht. Du solltest nicht mit ihm weggehen" Verdammter Mist. Louisa hielt inne und drehte sich seufzend zu Alea, die erneut unter der Bettdecke auftauchte.
„Was, wenn er die Kontrolle über seinen Wagen verliert? Wenn er... du weißt schon... zu schnell fährt? Außerdem könntest du aus dem Wagen fallen, so hoch, wie er ist." Alea sah sie ernst an. War das ihr Ernst?
„Al, ich möchte nur mein Handy zurück."
„Und dafür setzt du dein Leben auf's Spiel?" Okay, übertreib's.
Seufzend schnappte Louisa sich eine Wasserflasche vom Tisch und stellte sie schließlich neben Aleas Bett.
„Ich hab ja dein Handy dabei. Sollte ich aus dem Wagen fallen, melde ich mich. Und für dich gilt: viel trinken, damit meine ich nichtalkoholische Flüssigkeit und sonst... standhaft bleiben, Soldatin!"
Noch während sie das Hostel verließ, warf Louisa einen Blick auf das Handy. Sie war einige Minuten zu früh. Als sie an der belebten Hauptstraße hochsah, erkannte sie seinen Wagen bereits an der Seite stehen. Natürlich war er trotzdem schon da. Augenblicklich öffnete sich seine Fahrertür.
„Guten Morgen!", rief er, als er aus dem Auto stieg und lächelte sie an. Wieso war er immer so schick? Wieder ein Jackett, wieder ein Hemd. Hatte er sonst noch etwas vor? Omas 100. Geburtstag? Eine Hochzeitseinladung? Vorstellung bei den Schwiegereltern? Die Sonnenbrille mit den dunklen Gläsern vollendete seine Erscheinung. Immerhin trug er sie diesmal zu Recht, es war ein sonniger Tag. Sie spürte eine leichte Nervosität, je näher sie ihm kam. Er hatte sich auf die noch immer offene Fahrertür gestützt, während er ihr entgegensah und sah scheiße gut damit aus.
„Hey. Wartest du schon lange?", fragte sie und blieb mit etwas Abstand vor ihm stehen. Sicherheitsabstand. Jacob in Kombination mit seinem Wagen lösten noch immer ein leichtes Unbehagen in ihr aus.
„Kaum. Du siehst hübsch aus", bemerkte er beiläufig, während er um den Wagen herumlief und ihr schließlich die Tür aufhielt. Schleimer.
„Danke", murmelte sie verlegen, was sich sowohl auf das Kompliment als auf das Aufhalten der Tür bezog und schlüpfte unter seinem Arm hindurch auf den Autositz, bevor er ihre rötlichen Wangen bemerken konnte. Es war angenehm warm im Auto und roch nach seinem Duft. Sie strich flüchtig über den weichen, beigen Ledersitz unter sich und spürte, dass er noch kurz zuvor die Sitzheizung aktiviert haben musste. Ganz schön bequem. Kein Wunder, dass er sich beim Fahren nicht auf die Straße konzentriert hatte. Als sie sich anschnallen wollte, warf sie unauffällig einen Blick auf die leere Rückbank. War sie neulich nicht noch voller Dokumente gewesen?
Im gleichen Moment stieg er ebenfalls ins Auto und sah sie zufrieden an.
„Dann wollen wir mal los." Er startete den Wagen und fuhr zurück auf die Hauptstraße, ohne sich überhaupt anzuschnallen. Mutig.
Louisa rieb sich flüchtig über die Hände und sah dann aus dem Fenster. Sie musste sich eingestehen, dass sie immer noch nervös war. Sicherlich lag das nur an dem Misstrauen gegenüber seinem Fahrstil.
„Hast du eine Idee, wo wir hingehen?", unterbrach er die Stille und sah sie von der Seite an. Schau nach vorne! Sie hatte nie darüber nachgedacht, wohin er sie wohl bringen würde.
„Schieß los." Nur bitte nicht wörtlich!
„Ich habe das beste Sushi Restaurant der Stadt ausgesucht." Diesmal drehte sie überrascht den Kopf zu ihm. Sushi. Sie liebte Sushi.
„Ehrlich? Das ist großartig, ich liebe Sushi." Sie fing an zu strahlen. Er lächelte ebenfalls, sah jedoch nicht wirklich überrascht aus.
„Dachte ich mir doch. Dann hoffe ich, dass das eine angemessene Entschädigung ist. Musik?" Er sah sie erneut kurz von der Seite an und schob dann seinen Ipod auf ihren Schoß. Nur flüchtig berührten seine Finger dabei ihre Oberschenkel. Verlegen starrte sie auf seinen Ipod auf ihrem Schoß als hätte sie noch nie zuvor einen gesehen.
„Linkin Park", bemerkte Louisa, nachdem sie einfach auf ‚Play' gedrückt hatte. Allmählich hatte sie das Gefühl, dass ihre Nervosität verschwand. Zum Glück. Er drehte die Musik ein wenig leiser und sah sie über den Rand seiner Sonnenbrille hinweg an.
„Was hast du denn erwartet, die Spice Girls?" Sie musste lachen. Keine schlechte Vorstellung. If you wanna be my lover, you gotta get...Okay, stopp.
„Ehrlich gesagt bist du eher der Typ Boygroup", gab sie zurück. Er musste ebenfalls lachen, bevor er wieder zur Straße sah. Sie malte sich aus, wie er wohl in einem Backstreetboys Video im Hintergrund im Regen vor Herzschmerz zerfließend aussehen würde. Heilige Scheiße. Wahrscheinlich ziemlich gut.
„Ich muss zugeben, du fährst sicherer, als ich dachte", sagte sie dann und beobachtete schmunzelnd seine Reaktion. Es war ein Versuch, ihre Nervosität zu überspielen. Diesmal hielt er den Blick auf der Straße, sah allerdings amüsiert aus.
„Und das aus Ihrem Mund, Miss Breston. Mir fehlen glatt die Worte."
Das Restaurant, das Jacob ausgesucht hatte, lag in der Bay Area unweit des Hafens. Äußerlich eher unscheinbar, bestand der Hauptraum aus vielen kleinen Tischen sowie einer langen Bar, hinter der offenbar gegrillt wurde. Aufgrund der Fensterfront, die das gesamte Restaurant durchzog, wirkte der Raum angenehm hell. Es roch ausgezeichnet nach asiatischem Essen.
„Wow!" Louisa blieb einen Moment stehen, nachdem Jacob ihr die Tür zum Restaurant aufgehalten hatte, um den Essensduft einzuatmen. Der Geruch nach frischem Gemüse und Fleisch, Soja und frischem Fisch ließen sie erst bemerken, wie hungrig sie war. Die elegante Innenausstattung des Restaurants sah hochwertig aus. Im Speiseraum war nicht sonderlich viel Betrieb, nur zwei Herren mittleren Alters im Anzug sowie ein älterer Herr aßen zu Mittag.
Sofort wurden Louisa und Jacob von einer hübschen asiatischen Servicekraft bemerkt und zu einem der leeren Tische an der Fensterfront geführt. Im Hintergrund war leise Dudelmusik zu hören.
„Gefällt's dir?", fragte Jacob, sobald er sich ihr gegenübergesetzt hatte. Sie schnappte sich eine Speisekarte.
„Sehr sogar. Roka Akor. Hat das eine Bedeutung?" Sie sah vom Restaurantnamen auf der Karte in Jacobs Gesicht. Dieser zuckte die Achseln. Bevor er antworten konnte, stand die asiatische Servicekraft bereits an ihrem Tisch.
„Guten Tag, Sir. So wie immer?", fragte sie mit hörbarem Akzent und sah Jacob an. Louisa tat es ihr gleich, jedoch wesentlich verblüffter. Wie immer? Krass. Er musste also häufiger hier sein. Trotzdem schien auch er überrascht.
„Ich...denke schon", antwortete er dann knapp und kratzte sich flüchtig am Kopf. Kurz darauf waren sie wieder alleine am Tisch.
„Du bist öfter hier?", fragte Louisa und legte die Karte wieder zurück. Er schien verlegen und räusperte sich kurz. Den Blick hielt er stur auf der Essenskarte.
„Ich glaube, dass sie mich verwechselt hat. Das Restaurant scheint beliebt zu sein für Geschäftsleute in der Umgebung hier." Er deutete flüchtig auf die Anzugmänner hinter sich und lächelte sie dann überzeugend an. Insgesamt waren fünf Besucher zum Essen hier, sie eingeschlossen. Obwohl es Mittagszeit war, beliebt stellte sie sich anders vor. Wahrscheinlich konnten sich San Franciscos Normalverdiener keinen High-End Snack leisten. Mit einem Male fühlte sie sich fehl am Platz.
„Erzähl mal, wart ihr noch lange unterwegs, heute Nacht?" Jacob sah sie nun direkt an. Obwohl im Auto zuvor kein Tisch zwischen ihnen gestanden hatte und sie ihm viel näher gewesen sein musste, hatte sie sich sicherer gefühlt als jetzt. Vermutlich, weil sie ihn nun anschauen musste. Sie wich seinem Blick und seinen großen braunen Augen schließlich aus.
„Nein, wir waren erschöpft. Aber ich glaube, dass Al wirklich Spaß hatte." Al. Ob sie noch lebte? Hoffentlich hatte sie nicht ins Archiv gekotzt. Auf irgendeinen 80 Jahre alten, unersetzbaren Artikel.
„Kann ich mir vorstellen. Die haben da manchmal echt gute Events, vor allem jetzt, wenn der Sommer sich langsam ankündigt." Louisa sah auf.
„Bist du auch manchmal dort?" Er in einem Clubkeller? Mit Jackett und Hemd? Und...Sonnenbrille?
„Ich war, ja. Früher recht häufig sogar. Ein Kumpel von mir hat früher dort aufgelegt. Da waren wir praktisch dauernd dort." Er hielt inne und lächelte die asiatische Servicekraft charmant an, die im gleichen Moment vor beiden ein großes Glas Cola abstellte. Wann hatten sie denn bitte bestellt? Ach stimmt ja. Wie immer.
„Seit einiger Zeit ist es mir aber zu voll dort", fuhr er fort, sobald sie wieder alleine waren. Er nahm das Glas und sah sie an. Zu voll? Zum Rumstehen an der Seite, trinken und gut aussehen war sicherlich noch Platz. Dass er tanzte, konnte sie sich beim besten Willen nicht vorstellen. Zu voll war höchstens Alea gewesen. Louisa schmunzelte kurz.
„Wieso lächelst du so?" Da er sie offenbar akribisch beobachtete, entging ihm keine Regung in ihrem Gesicht.
„Nichts, ich... Das bedeutet dann ja wohl, dass die Wahrscheinlichkeit recht gering ist, dass wir uns zufällig im Cellar über den Weg laufen. Den Rest San Franciscos haben wir mittlerweile ja beinahe durch", scherzte sie und beobachtete seine Reaktion. Sie versuchte, ihre Unsicherheit zu überspielen. Er schmunzelte nun ebenfalls.
„Wie lange seid ihr denn noch in der Stadt?" Wieder fixierten seine Augen sie. Louisa rutschte prompt auf ihrem Stuhl zurück.
„Nur noch ein paar Tage. Ich kann es nicht genau sagen, das hängt von ein paar...Dingen ab." Von Dominic genauer gesagt. Und wann er seinen Arsch aus der Wohnung befördert hatte. Jacob hatte fragend die Augenbrauen gehoben.
„So? Die da wären? Ob du die letzten Stunden in einer Großstadt überlebst, so ganz alleine?" Er hatte sich etwas in ihre Richtung gebeugt. Auch seine Stimme war leiser geworden. Erschrocken sah sie auf, bemerkte aber, dass er grinste. Vermutlich ein Witz über ihren Leichtsinn. Daneben. Bevor sie antworten konnte, sprach er bereits weiter.
„Das wird schon. In Sacramento wirst du doch sicherlich schon vermisst." Er stellte sein Glas auf dem Tisch ab. Naja. Sie seufzte.
„Ehrlich gesagt wohne ich alleine. Meine Eltern kommen aus Roseville, das ist noch ein Stückchen von Sacramento entfernt. Sie arbeiten beide an einer Schule und sind jetzt während der Ferien mit meinem Bruder im Urlaub. In letzter Zeit ist es ungewöhnlich still zwischen uns, aber sicherlich liegt das nur an meinem kaputten Handy. Und Al wollen sie wahrscheinlich nicht belästigen." Sie spürte seinen Blick. Er hatte ihn keinen Moment von ihr genommen.
„Freust du dich denn gar nicht wieder aufs College?" Er rieb sich mit zwei Fingern über das Kinn. Freute sie sich?
„Nicht auf die Abschlussarbeit."
„Verstehe. Und du studierst...?"
„Communication Studies." Schluss jetzt mit der Fragerei! Die nächste konnte sie nämlich vermutlich nicht mehr beantworten. Was sie nach dem Studium vorhatte, wusste sie nicht einmal im Ansatz.
„Und du? Jetzt bist du dran!" Sie nahm ihr Glas und fixierte ihn. Angriff war die beste Verteidigung. Und wie er jetzt dran war. Er wirkte überrascht.
„Ich? Über mich...", fing er an und unterbrach erneut, als vor ihnen eine große Platte mit sämtlichen Spezialitäten abgestellt wurde. Wow! Wer sollte das alles essen? Auf der Platte befanden sich neben Sushi auch eine Schale mit Reis und Gemüse, ein Nudelgericht und Frühlingsrollen, frischer Fisch und sogar Nachtisch. Jackpot.
„Bedien dich, ich kann mir nicht vorstellen, dass das Essen im Hostel da mithalten kann", meinte Jacob und reichte ihr ein Paar Essstäbchen. Da war sie wieder, seine Arroganz. Das Essen im Hostel war eben für die Normalsterblichen.
Louisa nahm die Stäbchen entgegen und betrachtete sie misstrauisch.
„Stimmt was nicht?", fragte er verwundert.
„Gibt's hier auch... Gabeln?"
Auf seinem Gesicht breitete sich ein Grinsen aus, schließlich winkte er die Kellnerin heran.
„Entschuldigen Sie, wir bräuchten eine Gabel für Miss Breston." Sein Tonfall und sein Lächeln waren Höflichkeit in Perfektion.
„Ja Sir, Verzeihung, sofort." Sie sah von Jacob schuldbewusst zu Louisa. Großer Gott. Es war nur eine fehlende Gabel. Das war doch kein Problem. Dachte sie etwa, dass Christian Grey höchstpersönlich vor ihr sitzt und sie gleich auspeitschen würde? Obwohl...gewisse Parallelen würden sich durchaus ziehen lassen. Seine Garderobe, ein teures Auto, seine versuchte Heimlichtuerei. Louisa sah ihr nach, während sie davon eilte.
„Danke, Mr. Grey", murmelte sie, bevor sie darüber nachdenken konnte und sah dann erschrocken auf. Der Ausdruck auf seinem Gesicht war irritiert. Verdammt! Das war daneben. Dass sie leicht rötlich anlief, überspielte sie mit dem kläglichen Versuch eines charmanten Lächelns.
„Jacob, mein... ich." Sie räusperte sich. Heilige Scheiße. Schmunzelnd beugte er sich ein wenig zu ihr, als wolle er vermeiden, dass ihr Gespräch mitgehört wird.
„Ich weiß noch nicht, ob meine Antwort dich enttäuscht oder beruhigt, aber ich stehe nicht so auf Sexkerker und Peitschen." Er konnte es sich nicht verkneifen, zu grinsen, während sie sich erneut räuspern musste und einen Schluck Cola trank um Zeit zu schinden. Am besten einfach die Klappe halten.
„Nein, also... das enttäuscht mich gar nicht", hörte sie sich selbst und nahm schnell den Blick von ihm. Sie sah nicht nur ein blinkendes ‚Stopp' Schild vor ihren Augen, sie hatte auch seine Farbe angenommen. Abgesehen davon, dass sie gerade mit 280 km/h darüber gerast war. KLAPPE HALTEN!
Er wirkte amüsiert und sah zu dem Mädchen mit der Gabel, das nun erlösend das Gespräch unterbrechen würde. Sie reichte sie Jacob. Natürlich reichte sie ihm die Gabel, obwohl er explizit betont hatte, wer von beiden sie brauchte. Boss. Aber das stand ja bereits auf seiner Gürtelschnalle. Wahrscheinlich hatte sie es dort abgelesen. Sogleich gab er sie an Louisa weiter, deren Kopf sich allmählich wieder eine gesündere Farbe annahm
„Herzlichen Dank, Miss Breston", murmelte sie, als das Mädchen wieder weg war und nahm die Gabel entgegen. Er sah sie grinsend an und hob überrascht die Augenbrauen.
„Ich hätte nicht gedacht, dass meine weibliche Seite so beeindruckend ist." Sie lächelte und stocherte immer noch deutlich verlegen auf der großen Platte herum.
„Besser?", fragte Jacob dann und sah auf die Gabel in ihrer Hand.
„Viel besser", erwiderte sie lächelnd und spießte ein Stück Sushi auf. Wow. Es schmeckte noch besser als es aussah.
„Du wolltest gerade etwas über dich erzählen." , erinnerte sie ihn schließlich und sah ihn erwartungsvoll an.
„Na schön. Aber ehrlich gesagt gibt es nicht sonderlich viel Interessantes von mir zu erzählen." Er blickte kurz von seinem Teller auf. Denkst du.
"Wieso lässt du mich das nicht entscheiden?" Sie ließ Jacob nicht aus den Augen. Dieser wich ihrem Blick aus und widmete seine Aufmerksamkeit voll und ganz der Sushiplatte.
„Was willst du wissen?", fragte er schließlich und blickte dabei erneut kurz auf.
Sie zuckte die Achseln. Alles?
„Ich will mich nicht aufdrängen. Ich dachte einfach, ich erfahre ein wenig was über die Person, die mich beinahe umgefahren hätte. Möglicherweise hat dich ja etwas abgelenkt? Ein paar Spielereien im Auto, dein Handy oder ein hübsches Mädchen auf irgendeinem Werbeplakat?" Diesmal war sie diejenige, die charmant lächelte. Vielleicht würde er darauf ja anspringen. Er stimmte mit ein. Ha! Ging doch.
„Was muss ich tun, damit du mir das nicht mehr weiter vorhältst?" Och, da gibt es sicher Einiges.
„Wann darf ich dich damit ärgern, dass du offensichtlich nie Verkehrsregeln gelernt hast? Wo warst du, als sie das im Kindergarten erklärt haben? Rechts, links, rechts? Und so?", fuhr er fort und beugte sich etwas vor.
„Oder ist das deine übliche Masche, um jemanden kennenzulernen?" Seine Augen funkelten schelmisch, während er sie beobachtete. Oha. Jetzt ging es los. Das konnte sie so nicht stehen lassen. Sie tat es ihm gleich und beugte sich ebenfalls etwas vor. Sein Duft schlug ihr entgegen.
„Ich will zuerst deine schmutzigsten Geheimnisse. Dann lass ich dich damit vielleicht in Frieden. Und übrigens: Ich brauche keine Masche, um jemanden kennenzulernen. Aber vielleicht gehört es ja zu deiner. No risk, no fun." Erwartungsvoll lehnte sie sich wieder etwas zurück. Er schmunzelte und sie wusste, dass seinem Blick nichts entging. Sie flirteten. Tschaka. Louisa 1. Jacob 0.
„Schön. Ich bin hier in San Francisco geboren und aufgewachsen, bin hier normal zur Schule gegangen, wie jedes andere Kind auch." Während er sprach, balancierte er ein Stück Sushi auf seinen Stäbchen. Uh, Jacob. Ganz schön schmutziges Geheimnis. Da war selbst ihr Küchengeschirr schmutziger.
„Außerdem bin ich wirklich sportbegeistert. Bis nach meiner Schulzeit habe ich Football und Hockey gespielt."
„Wie alt bist du?" Sie fixierte ihn.
„24." So jung!?
„Wieso schaust du mich so an?" Er klang belustigt.
„Ich... Nichts. Was machst du beruflich?" Sie konzentrierte sich darauf, ihn weiter anzusehen. Mach's nicht so spannend, Junge.
„Momentan habe ich mehrere Jobs gleichzeitig. Es reicht, um über die Runden zu kommen. Ich bin recht viel unterwegs, das ist ein positiver Nebeneffekt dabei." Er war spürbar entspannter als zuvor. Er nannte seinen Lebensstil also über die Runden kommen. Wie würde Louisa ihren dann beschreiben? Auf der Strecke bleiben?
„Was sind das für Jobs?"
„Das ist zu kompliziert."
„Ich bin sicher, ich kann folgen." Ihr Blick verengte sich. Er lächelte schief.
„Das bezweifele ich." Mist! Was sollte das? Zu kompliziert? War er Schlussmacher? Glückskeksautor? Gossip Girl? Vielleicht war er Fahrlehrer und es war ihm zu peinlich.
„Wohnst du alleine?", fragte sie kauend und hielt sich dabei die Hand vor den Mund.
„Ja." Klar wohnte er alleine. Er hatte ja noch das sexy Dienstmädchen mit dem kurzen Kleid. Vor Louisas Augen wedelte es erotisch mit dem Staubwischer. Geh doch das Bad putzen, Alte. Sie verzog kurz das Gesicht.
„Möchtest du sonst noch etwas über mich wissen?" Er legte seine Stäbchen beiseite und sah sie an. Nachdenklich stocherte sie mit ihrer Gabel im weichen Sushireis herum. Es glich einer Vergewaltigung.
„Warum habe ich den Eindruck, dass du nicht gerne über dich redest?", fragte sie dann unverfroren und sah wieder in sein Gesicht. Da. Seine Augen hatten für einen Moment gezuckt. Sie hatte ins Schwarze getroffen. Langsam lehnte er sich zurück, sicherlich bedacht darauf, jedes Wort mit großer Sorgfalt zu wählen.
„Naja, so bin ich erzogen worden. Ich bin ein Gentleman, aber ich halte mich bedeckt. Es soll Menschen geben, die gerne mehr über sich preisgeben. Und das ganz freiwillig." Wieder sein charmantes Lächeln. Meinte er damit sie? Eine Weile erwiderte sie seinen Blick, diesmal hielten ihm beide stand. Aus irgendeinem Grund versuchte er, sich nicht in die Karten schauen zu lassen. Womöglich war das gemeinsame Mittagessen nicht mehr und nicht weniger als eine Entschädigung für einen Unfall. Warum sollte er sie also über sein Leben in Kenntnis setzen? Schon in einigen Tagen würden sie wieder getrennte Wege gehen und das für immer. Dass sie einander begegnet waren, hatte ohnehin weniger mit Schicksal als mit falschem Timing zu tun.
„Allerdings..." Nun lehnte er sich wieder in ihre Richtung. Lange hatte er sie beobachtet, fast ein wenig zu lange.
„Vielleicht ist da doch noch etwas." Na jetzt hau's raus.
„Ich bin ganz Ohr." Louisa widmete sich wieder der Platte vor sich. Noch nie war ihr die Auswahl eines Stücks Sushi aufgrund der Menge so schwer gefallen.
„Einer meiner Jobs beinhaltet das Entdecken junger Nachwuchsmodels", sagte er in unverändert ruhigem Ton. Beinahe hätte sie ihm das Stück Sushi entgegen gespuckt. Wie bitte? Er war Modelagent? Ach du Scheiße. Das erklärte selbstverständlich sein Auftreten. Und das Handy. Und das Auto. Und das Jackett. Und natürlich die Sonnenbrille.
„Ach...ja?", stieß sie hervor, versuchte dabei nicht überrascht zu klingen und scheiterte. Er konnte die Belustigung in seinem Blick nicht verbergen. Grins nicht so. Sicherlich dachte er, sie sei ultra begeistert von dieser Tatsache. Das Gegenteil war der Fall.
„Ja. Was hältst du von einer kleinen Erweiterung meiner Entschädigung für den Unfall?" Er rieb sich die Hände. Offenbar hatte er Feuer gefangen. Geht's noch?
„Was meinst du? Etwa mich? Als Model?", fragte sie und klang dabei beinahe so belustigt, wie sie sich fühlte. Sicher war das eine ganz spezielle Sorte von Humor. Oder es lief eine Kamera mit. Bloß nicht drauf reinfallen. Das war absurd.
„Wieso nicht? Ich meine, wir können ja abweichen vom klassischen Modeln und einfach... ein paar Fotos schießen? Mir geht es hier nicht um meine Provision als Modelscout, aber ich kann dir einen Termin in der Agentur organisieren, für die ich arbeite." Unauffällig suchte sie den Raum nach Kameras ab. Das Ergebnis war ernüchternd. Er schien es wohl ernst zu meinen.
Louisa atmete tief durch, bevor sie versuchte, die richtigen Worte zu finden. Nur ungern wollte sie die unbeschwerte Stimmung zerstören. Obwohl... eigentlich hatte er sie gerade selbst zerstört.
„Weißt du, mit dem Sushi hast du mir schon eine Riesenfreude gemacht. Und auch, dass du mir so problemlos mein Handy ersetzt ist nett von dir. Ich finde, dein Soll an Entschädigungen ist durchaus erfüllt." Sie lächelte ihn aufrichtig an. Sein Blick verwandelte sich von selbstsicher in überrascht. Was... hatte er ernsthaft damit gerechnet, sie stiege auf seinen Vorschlag ein? Einen Moment lang versuchte sie, nicht beleidigt zu sein.
„Träumst du denn nicht vom Modeln, wie jedes andere Mädchen in deinem Alter? Du weißt schon... die große Bühne, Geld, Ruhm?", fragte er. Sie versuchte einzuschätzen, ob er verblüfft oder gekränkt war. Dass Mädchen ihm solch einen Vorschlag ausschlugen, kam sicherlich nicht häufig vor. Wahrscheinlich war sie sogar die Erste.
„Damit habe ich abgeschlossen, als ich fünf war. Ich bin ungefähr einen Meter zu klein zum Modeln. Und ganz nebenbei kann ich manche Designer nicht einmal von Desserts unterscheiden. Wenn ich Armani höre, bekomme ich zum Beispiel immer Heißhunger auf diese kleinen... wie heißen sie gleich?" Sie sah ihn amüsiert an. "Amaretti", beendete er nüchtern den Satz. Zu nüchtern. Oh scheiße. Verlegen biss sie sich auf die Unterlippe. Zum Lachen hatte sie ihn damit nicht gebracht.
Oh man. War er jetzt ernsthaft sauer? Er nickte nur kurz und kramte dann in seiner Jackettasche.
„Vielleicht würdest du mit den Fotos auch einfach mir einen Gefallen tun, Louisa. Ich weiß, ich rede nicht gerne und nicht viel über mich und vielleicht kommt dir das alles hier seltsam vor. Aber ich würde mich freuen, wenn du neben unserem kleinen Unfall noch ein paar wirklich tolle Erinnerungen aus dieser Stadt mitnimmst. Und wenn... wir uns noch einmal sehen würden. Ich habe Kontakt zu Victor, er ist der beste Fotograf hier in der Gegend. Und hast du nicht gerade eine Trennung hinter dir? Du bist ein tolles Mädchen, Victors Fotos könnten dir genau dieses Gefühl wieder zurückgeben. Vielleicht kann er dich schon morgen dazwischenschieben, wenn ich ihn frage." Morgen? Tolles Mädchen? Morgen? Moment! Jacob hatte sich zu ihr gebeugt und beobachtete ihre Reaktion. Instinktiv wich Louisa etwas zurück. Erneut konnte sie seinen leichten Duft riechen. Dass er ihr körperlich nun wieder so nah wie im Auto war, störte sie nicht. Es war eine andere Nähe, die sie irritierte. Tolles Mädchen?
„Ist es okay, wenn ich einfach eine Nacht drüber schlafe?", fragte sie leise und sah ihn vorsichtig an. Zu ihrer Überraschung war sein Lächeln äußerst charmant. Puh. Sauer schien er schon einmal nicht zu sein. Seine hübschen Hände schoben ihr nun seine Visitenkarte über den Tisch zu. Er trug keinen Ring am Finger. Sie presste einen Moment die Augen zusammen, um sich wieder zu konzentrieren. Er war ja auch erst 24.
„Ich hab eine bessere Idee", sagte er dann und sah von der Visitenkarte in ihr Gesicht. Oh nein. Vielleicht gleich das Cover der Vogue? Sie schluckte angespannt. Es war nicht fair, sie so zu überfahren. Die Doppeldeutigkeit ließ sie erneut schmunzeln, allerdings versuchte sie, sich zu beherrschen.
„Ganz hier in der Nähe ist ein ganz guter Nachtclub. Viele Freunde und Kollegen aus der Agentur sind heute Abend dort. Hast du nicht Lust, meine Begleitung zu sein?" Bitte was? Mittlerweile drohte ihr gesamter Mageninhalt zu rebellieren. Reflexartig griff Louisa nach ihrem kalten Colaglas und trank hastig einige Schlücke. Cool down. Möglicherweise war das Mittagessen nur eine Entschädigung gewesen. Was er jetzt vorschlug, ging ganz klar über ihre Definition einer Entschädigung hinaus. Offenbar hatte er Interesse an ihr. Pustekuchen. Das war absurd. Warum wollte er ausgerechnet sie überzeugen?
„Ich... weiß nicht so recht."
„Ich aber. Komm mit mir mit. Ich verspreche dir, dass du sicher wieder zuhause ankommst." Er lächelte sie an und ließ sie dabei nicht aus den Augen. Sie hatte keine Ahnung, was er im Schilde führte. Sie schien ihn zu interessieren, das spürte sie an seinen Blicken und seiner Sprache. Und er machte sich interessant. Elender Musterschwiegersohn. Sie musste an Alea denken und bekam ein schlechtes Gewissen. Sie war mit ihrer Arbeit zunehmend mehr auf sich alleine gestellt, während Louisa sich in der Stadt vergnügte. Aber Jacob faszinierte sie, er war charmant und aufmerksam und offenbar interessiert an ihr. Er war so anders als Dominic. Nein. Es ging nicht. Sie konnte Alea nicht weiter hängen lassen. Sag's ab, Mädchen. Komm schon. Sag's einfach ab.
„Ich denke, ich... bin dabei." Na bravo.
Hallo Du♥
Du hast bis hier gelesen? Du musst irre sein. Ich weiß, das ist ziemlich viel auf einmal, aber ich hab es nicht über's Herz gebracht, diese Szene zu unterbrechen.
Begleitest du mich auch weiterhin? :) Sag ja♥ Und ich sage jetzt erst einmal Danke. Für alles.
Deine Mila♥
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