Kapitel 8
Noch ehe er die Augen aufschlug, grummelte er leise. Oder versuchte es zumindest. Etwas steckte in seinem Hals, das ihn würgen und Husten ließ. War das sein Blut, an dem er zu ersticken drohte? Oder war es gar einer der Trümmer, das einen Weg in seinen Hals gefunden hatte? Sofort stieg Panik in ihm auf. Seine Hände wollten nach dem Ding greifen, doch irgendetwas hielt ihn davon ab.
Als er es endlich schaffte, seine Augen zu öffnen, sorgte die Helligkeit dafür, dass er seine Lider gleich wieder zusammenkniff. Ein stechender Schmerz zuckte durch seine Stirn, die dem Licht geschuldet war und ihn stöhnen ließ. Nur langsam und vorsichtig versuchte er es erneut, seine Augen zu öffnen und war froh, dass jemand soweit mitgedacht hatte, und das Licht gedimmt worden war, nachdem sie bemerkt hatten, dass er aufgewacht war.
Um ihn herum bewegten sich schemenhafte Umrisse, die er nur schwer erkennen konnte. Erst als ein violetter Haarschopf direkt in seinen Blickfeld über ihm auftauchte, wusste er, dass er keine Angst haben musste. Hitoshis erleichterte Miene schenkte ihm eine Form von innerer Ruhe, die seine Panik etwas milderte und ihn ruhiger werden ließ.
Auch Shinsou war mehr als nur erleichtert. Sobald er das leise Grummeln vernommen hatte, war er ans Bett geeilt. Als Aizawa zum ersten Mal die Augen aufschlug, atmete er erleichtert aus. Dabei hatte er gar nicht bewusst das er seinen Atem angehalten hatte. „Sie hat es geschafft!", murmelte er leise und deutete Denki sofort, dass er das Licht dimmen sollte, als er bemerkte, dass die Helligkeit dem Aufgewachten nicht gut tat. Er war unglaublich froh darüber, dass der Plan und vor allem Eris Macke funktioniert hatte.
Auch Izuku war näher herangetreten um zu sehen, ob es dem Mädchen gut ging, das erschöpft zusammengebrochen war. Ein Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er bemerkte, dass sein Lehrer aufgewacht war und die Schürfwunden im Gesicht verschwunden waren. Es tat gut wieder ein bisschen Farbe auf den Wangen des Mannes zu sehen, der bis vor kurzem noch kurz vor dem Tod gestanden hatte. Es war jedoch kaum zu übersehen, dass der Dunkelhaarige kurz mit einem Anflug von Panik kämpfte, als er versuchte tief Luft zu holen und es nicht klappte. „Holt einen Arzt! Jemand muss diesen Schlauch aus seinem Mund entfernen!"
Denki nickte sofort und lief auf den Gang, wo er prompt mit jemanden in einem weißen Kittel zusammenstieß. „Wir brauchen Hilfe, bitte!", bat er rasch und deutete auf den Raum, „er ist aufgewacht und bekommt kaum Luft!" Dramatisch fuchtelte der Blondschopf mit seinen Armen. Tatsächlich begann das Gerät, das die Herzfrequenz anzeigte, wie wild zu piepen, nachdem Shota erneut versuchte nach Luft zu schnappen und es nicht klappte. Sofort lief der Arzt in den Raum, dicht gefolgt von anderem Personal, das herbei geeilt war, nachdem sie die Geräusche gehört hatten.
Ehe sich die Jugendlichen versahen, wurden sie aus dem Raum gedrängt und mussten vor verschlossener Tür warten. Zum Glück hatte Hitoshi daran gedacht, Eri aus dem Bett zu holen, bevor das Krankenhauspersonal sie darin entdecken konnte. Noch immer schlief das Kind friedlich in seinen Armen und lächelte im Schlaf, als wüsste sie ganz genau, dass sie ein großes Wunder bewirkt hatte. Schließlich war es ihr zu verdanken, dass Aizawa geheilt und aufgewacht war.
Angelockt von dem Lärm, stieß auch Kayama gemeinsam mit Katsuki wieder zu ihnen. Bereits als sie näherkam und die drei Jugendlichen auf dem Gang stehen sah, wurde sie nervös. „Was ist passiert? Bitte sagt nicht, dass ..." Ihre Stimme brach ab, unfähig den Satz zu beenden, der ihr auf den Lippen lag. Jegliche Farbe wich aus ihrem Gesicht, während sie an das Schlimmste dachte.
Um sie zu trösten, trat Hitoshi näher heran und wollte eine Hand auf die Schultern der Frau legen, die in den letzten Wochen wie eine Tante für ihn geworden war. Vielleicht wäre es besser gewesen, sie in ihren Plan einzuweihen, anstatt ihr nun so einen Schrecken einzujagen. „Es ist ..." Der Versuch, ihr zu erklären, dass alles in Ordnung war, wurde prompt unterbrochen, als die Tür zu Aizawas Zimmer wieder aufgerissen wurde und die Schwestern und Ärzte sich langsam entfernten und Dinge davon trugen, die nicht mehr gebraucht wurden. Gerade noch rechtzeitig konnte Bakugo einen Arm um den Oberkörper der Frau schlingen, die bedrohlich zu schwanken begann. In ihrem Kopf spielten sich bereits die schlimmsten Szenarien ab.
Einer der Ärzte trat auf die Wartenden zu. „Es ist, als wäre ihm nie etwas zugestoßen. Alle Verletzungen sind verschwunden und er ist wach", erklärte der Mann im weißen Kittel, während er auf einem Klemmbrett die Papiere durchblätterte, ehe er aufsah und die Jugendlichen musterte, „früher hätte man von einem Wunder gesprochen, aber heute ..."
„Warten Sie, soll das heißen Shota ist am Leben und es geht ihm gut?" Ohne darauf zu achten, wie unhöflich sie war, unterbrach Nemuri den Medizinier und eilte an ihm vorbei zurück in das Zimmer ihres Freundes, der vor wenigen Augenblicken noch im Sterben gelegen hatte. Als sie den Dunkelhaarigen aufrecht auf seinem Bett sitzen sah, stürzte sie auf ihn zu, um ihre Arme um den Oberkörper des Mannes zu schlingen.
Vollkommen überrumpelt davon, versteifte Shota sich und wollte sie von sich wegstoßen. Noch immer waren sie ihm eine Erklärung schuldig. Er wollte wissen, wieso er hier war und einen Schlauch in seinem Mund und verschiedene Kabel in seinem Körper stecken hatte. Doch als er das leise Schluchzen hörte, ließ er davon ab. Stattdessen schloss er seine Arme um Kayama und drückte sie sanft an sich. Schon häufiger hatte er sich in brenzlige Situationen gebracht, doch noch nie hatte die Dunkelhaarige geweint. Zumindest nicht, dass er davon wüsste „Alles ist gut", versicherte er ihr instinktiv in dem Versuch sie zu trösten.
„Ich dachte, wir würden dich verlieren", schluchzte Nemuri in Shotas Halsbeuge, ehe sie ihn fester an sich drückte und ihr Gesicht in der Krankenhausrobe vergrub. Es war ungewohnt denDunkelhaarigen nicht in seinen dunklen Klamotten zu sehen und dass er sie nichtvon sich weg stieß. Kayama war glücklich darüber, dass der Jüngere überlebthatte und sie ihn bald damit aufziehen konnte, welch große Sorgen er ihrbereitet hatte, und dass ihm helle Kleidung absolut nicht stand. „Es war so furchtbar, dich so zu sehen", murmelte sie leise und schniefte. Nun, da alles wieder in Ordnung war, konnte sie zugeben, dass sie ebenso kurz davor gewesen, daran zu zerbrechen. Es war ihr furchtbar schwer gefallen, stark zu bleiben, während sie dabei zusehen musste, wie ihre besten Freunde dahinschwanden.
„Tut mir leid", entschuldigte sich Aizawa leise und wartete geduldig, bis Nemuri sich soweit beruhigt hatte und bereit war, ihn wieder loszulassen, „es war nicht meine Absicht." Alles war einfach viel zu schnell passiert. Keine Sekunde, nachdem er Hizashi aus der Gefahrenzone bugsiert hatte, hatte etwas Hartes seinen Kopf getroffen und seine Welt war in Dunkelheit gehüllt worden.
„Tsk", erklang ein Geräusch, „nicht ihre Absicht ja? Was dachten Sie denn, was passieren würde, wenn Sie so ne Nummer abziehen?" Bakugos verärgerte Stimme ließ Shota zur Tür sehen. Die jungen Helden hatten es geschafft den Arzt abzuwimmeln und ebenso das Zimmer ihres Lehrers zu betreten.
Musternd huschten seine dunklen Augen von einem Schüler zum nächsten, nur um sicher zu gehen, dass sie alle unverletzt geblieben waren. Während Izuku dem prüfenden Blick seines Lehrers ein wenig auswich, schien Katsukis Blick den Dunkelhaarigen regelrecht zu durchbohren. Nur zu gerne hätte Shota offen zugeben, dass er in jenem Moment so gut wie gar nicht nachgedacht hatte, sondern nur seinen Ehemann und seine Schüler beschützen wollte, doch was wäre er für ein Vorbild, wenn er ihnen so einen Freifahrtschein erteilen würde, sich kopflos in Gefahr zu begeben?
Noch ehe sein schmerzender Kopf eine angemessene Antwort auf diese Frage austüfteln konnte, seufzte Hitoshi laut und trat an das Bett seines Mentors heran. „Dafür, dass es deine Idee gewesen ist, aktiv etwas zu unternehmen um ihn zu retten, bist du nun ziemlich ungehobelt. Dabei hast du vor wenigen Augenblicken noch ziemlich besorgt ausgesehen, aber du gibst Schwäche wohl ungern zu, was?", kommentierte der Violetthaarige und zog somit die schlechte Laune des Aschblonden auf sich, der einen Schritt nach vorne machte und auf seinen Mitschüler zugehen wollte.
Abrupt richtete Kayama sich auf, ließ Aizawa los und war mit einem Satz zwischen Bakugo und Shinsou. Ihre Miene war so wutentbrannt, dass sogar der furchtlose Meister der Explosionen kaum merklich zusammenzuckte. „Ihr hattet also einen Plan, um Shota zu retten?", wiederholte sie fragend, ehe sie fortfuhr, ohne auf eine Antwort zu warten, „WIESO habt ihr mich nicht eingeweiht?" Nemuri musste sich zusammenreißen, um nicht los zu brüllen. Natürlich sollte man als Lehrer auf gar keinen Fall seine Schützlinge anschreien, und die Nerven verlieren. Doch ihr Nervenkostüm war in den letzten Tagen so dünn geworden, dass sie sich nicht beherrschen konnte. „Und wieso hattet ihr diesen Einfall nicht früher? Die Ärzte wollten heute die Maschinen abschalten!"
Die Jugendlichen wurden bei diesen Worten blass. Izuku schnappte hörbar nach Luft. „Fuck ...", entfuhr es Denki leise, „sorry ... das ..." Es war wirklich verdammt knapp gewesen. Sprachlos starrten sie die Frau an, die vor Wut zu beben schien.
„Nemuri ..." Aizawas Stimme klang ungewohnt sanft. Langsam rutschte er vom Bett, erhob sich, um auf die Dunkelhaarige heranzutreten und beruhigend eine Hand auf ihre Schulter zu legen. Es war bizarr für ihn zu hören, dass heute der Tag gewesen wäre, an dem er gestorben wäre. Wie oft hatte er sich diesen Umstand herbeigewünscht, wenn es im Kampf brenzlig wurde? Nun damit konfrontiert zu werden, ließ ihn jedoch frösteln. Vielleicht lag es auch an den Reaktionen seiner Mitmenschen, denen scheinbar sehr viel an ihm zu liegen schien. Zu viel, für seinen Geschmack. „Du weißt doch genauso gut wie ich, dass der Heldenjob gefährlich ist, deswegen solltest du ..."
Die Dunkelhaarige gab ihm keine Chance den Satz zu beenden, ehe sie herumfuhr und ihn wutentbrannt, aber auch unglaublich entsetzt anstarrte. „Natürlich weiß ich das ... aber darum geht es nicht, Shota", fuhr sie ihn an, „während du dein Leben für wertlos hältst, gibt es so viele Menschen, die in den letzten Tagen sehr darunter gelitten haben, dass du ihm sterben liegst. Deinen Schülern ging es schlecht, Eri hat nachts geweint, ich wäre fast daran zerbrochen und Hizashi ..."
Ihr trauriger Blick ließ Shota schlucken. Sofort glitt sein Blick durch den Raum. Von dem Blondschopf fehlte jegliche Spur. Für gewöhnlich wich er dem Undergroundhero niemals von der Seite, wenn er es geschafft hatte, im Krankenhaus zu landen. Seit dem Vorfall im USJ war es besonders schlimm gewesen. Es war also unlogisch, dass Yamada nicht anwesend war. Seine Abwesenheit verhieß also nichts Gutes. „Wo ist er?"
Aufmerksam glitten Aizawas Augen von einem zum anderen. Nur Bakugo schien seinem Blick stand zu halten. „Der Ka...", wollte der Aschblonde dazu ansetzen, seinen Spitznamen für den Englischlehrer zu benutzen, doch er besann sich schnell eines Besseren, „Mic liegt ein paar Zimmer weiter und schläft endlich. Er ist seit ihrer Einlieferung nicht von ihrer Seite gewichen und hat weder geschlafen noch gegessen. Midnight hat ihn vorhin mit ihrer Macke ins Land der Träume geschickt , damit er sich endlich ausruhen kann."
„Yamada steht unter Schock seit wir dich unter den Trümmern geborgen haben", fügte Shinsou hinzu, „um ehrlich zu sein, hat es uns alle traumatisiert. Du kannst uns gern dafür bestrafen, dass wir dir helfen wollten, aber wir werden es bestimmt nicht bereuen. Nur weil du denkst, dass dein Leben nichts wert ist, heißt es nicht, dass wir auch so denken müssen ..."
Perplex starrte Shota die Jugendlichen und Nemuri an, die ihn nun alle abwartend anstarrten. Vermutlich rechneten sie mit Widerworten, doch alle Worte, die der Dunkelhaarige hätte aussprechen können, blieben ihm im Halse stecken. Natürlich war es nicht neu für ihn, dass es Menschen wie Yamada gab, die sich darum zu kümmern schienen, wie es ihm ging. Schließlich liebten sie einander und da war es nur logisch, wenn man sich um den anderen sorgte. Dass es allerdings so viele Menschen gab, denen er etwas bedeutete, war seltsam. Er war es einfach nicht wert, sich Sorgen um ihn zu machen, und dennoch standen eine Handvoll Schüler vor ihm, die das Gesetz wissentlich gebrochen hatten, um ihn vor dem Tod zu bewahren. Dabei war ihm sein eigenes Leben immer so wertlos erschienen und er hatte sich noch nie groß Gedanken darüber gemacht, ob ihn jemand mögen könnte oder nicht. Seit Jahren ging er ziemlich rücksichtslos durchs Leben und hatte es dennoch unbewusst geschafft, dass diese Menschen ihn in ihr Herz geschlossen hatten.
Unwissend, wie er damit umgehen sollte, kratzte er sich nervös am rechten Oberarm und versuchte ihren Blicken auszuweichen. „Es ... es tut mir leid ... ich dachte nicht, dass ... ich ..." Mit einem resignierten Seufzer gab er auf, die richtigen Worte zu finden. Es gab einen Grund, wieso er solche Situationen nur zu gerne vermied. Er konnte mit solchen Emotionen einfach nicht umgehen. In solchen Momenten verließ er sich stets auf Hizashi, der ihm zu Hilfe eilte und das Sprechen für ihn übernahm, damit er sich zurück ziehen konnte. Nun allerdings war er auf sich allein gestellt, weil sein Ehemann schwer unter seinem rücksichtslosen Verhalten gelitten hatte. Erneut seufzend schloss Shota die Augen. „Ich hätte nachdenken und besser aufpassen müssen. Es war nicht meine Absicht, euch alle zu traumatisieren ...", versuchte er es mit der Wahrheit. Da ihm diese Situation so unangenehm war und er auch nicht herausfinden wollte, wie sie darauf reagierten, zwängte er sich zwischen ihnen hindurch und verließ den Raum.
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