My Dear Sebastian

Die Briefe, die Sebastian schrieb, waren an eine Adresse in Irland adressiert.

Zu dieser Adresse gehörte ein altes verfallenes Bahnhofsgebäude. Hätte sich Sebastian damals die Stadt oder die Adresse gemerkt, wäre ihm aufgefallen, dass es genau der Bahnhof war an dem er Jim abgeholt hatte als sie die Sommerferien gemeinsam verbringen wollten.

Es war auch der Bahnhof, unter dessen Vordach sie bei Regen das eine oder andere Mal Schutz gesucht hatten.

Es war der Bahnhof in dem Dorf, in dem Jim geboren wurde. Etwa 10 Jahre bevor er in Sebastians Stadt zog.

Es war der Bahnhof, in dem Jims Bruder ermordet wurde.

Es war der Bahnhof, den Jim gekauft und Innen renoviert hatte ohne dass es von außen ersichtlich wurde und der ihm nun als Sicheres-Haus zur Verfügung stand.

Der Umschlag war nass vom Schnee und blutig. Mit zittrigen Fingern entnahm Jim ihm den Brief. Nur mit Mühe konnte er die Schrift lesen. Sie war ihm über das Jahr so bekannt geworden, doch heute war etwas anders. Jim wusste bereits was. Die Nachricht über Sebastians Selbstmord war schneller zu ihm gekommen als der Brief.

In den Nachrichten wurde vom rätselhaften Selbstmord, des gefährlichsten Mannes Großbritanniens gesprochen. Am selben Tag, am selben Ort wie sein mutmaßlicher Auftraggeber und dessen Erzfeind ein Jahr zuvor. Es war von Ehre und Treue die Rede. Von Verlust, Liebe und Schmerz sprach niemand. Niemand kannte sie. "Es wurde kein Abschiedsbrief gefunden." Hallte es in Jims Kopf nach und er hatte nur gedacht, "Nein, denn der landet in ein paar Tagen in meinem Briefkasten."

Und da war er nun. Ein paar Tage zu spät und kaum lesbar. Das Warten war für Jim eine Qual gewesen. Er wollte wissen was Sebastian ihm noch zu erzählen hatte. Das letzte große Geheimnis. Den letzten Funken Sebastian bevor er von ihm ging. Es war wie eine Nachricht aus einer anderen Welt. Jims Augen waren gerötet als er den Brief sinken ließ. Blut tropfte auf den Küchenboden und Qualm stieg aus der Spüle auf. Langsam verbrannte der letzte Rest von Sebastian. Die Tinte war bald schon nicht mehr lesbar, als das Papier sich schwarz färbte. Jims Augen flogen wieder und wieder über die verschmierten Zeilen. Er wollte sich Sebastians letzte Worte einprägen während das Blut durch seine aufgeritzten Arme seinen Körper verließ und die Gardine, die er in die Spüle gehangen hatte Feuer fing. Er hatte ein ganzes Königreich und Sebastians Herz erobert und mit seinem Tod brannte er beides nieder. Sein Blickfeld begann sich zu trüben und weiße Punkte tanzten durch seinen Kopf. Die Tapete löste sich langsam und zischend von dem alten Gebäude und wurde zu Asche.

„Soll ich glauben, der unwesentliche Tod sei in dich verliebt worden, und das dürre scheußliche Ungeheuer unterhalte dich hier im Dunkeln, um seine Liebste zu sein? Aus Furcht es möchte so sein, will ich immer bei dir bleiben, und von diesem Augenblick diesen Palast der düstern Nacht nimmermehr verlassen; hier, hier will ich bleiben, bei den Würmern, die deine Kammer-Mädchen sind; hier will ich eine immerwährende Ruhe finden, wenn ich das tyrannische Joch erboster Sterne von diesem Lebens-überdrüssigen Fleisch abgeschüttelt habe" zitierte Jim Romeo und Julia. Denn so war Sebastian gestorben, in dem Glauben, er sei tot und so würde Jim sterben, mit der Gewissheit, er war tot. Er hustete, den Brief noch immer fest umklammert. Die Hitze von den Wänden schien ihn zu erdrücken und Qual machte sich in seiner Brust breit. „So soll es nun enden oh du liebe meines Lebens. Nicht jeder hat ein Happyend verdient." Durch den Blutverlust und den Rauch in seinen Lungenflügeln verlor er langsam das Bewusst sein.

James Moriarty war der Bösewicht in vielen Märchen und auch wenn man sagt „Der Bösewicht ist nur der Held seiner eigenen Geschichte", so traf das auf ihn nicht zu. Dies war eine Geschichte, die nie erzählt werden würde, denn keiner kannte sie. Die Ermittler würden die Briefe nicht finden. Niemand die Wahrheit wissen. Niemand die Liebe erkennen. Manche Liebenden verdienen kein Happyend, denn ihr Leben war eine einzige Tragödie und manche Legenden bleiben falsch bestehen, wenn alles zu Asche zerfällt.


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