Prolog

Der junge Mann blickte mit leerem Blick sein leblos wirkendes Spiegelbild an. Das Lächeln, welches sonst immer auf seinem Gesicht zu sehen war, war verschwunden. Stattdessen hatte er seine Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, die Zähne fest aufeinandergebissen.
Seine Augen, die sonst geglänzt und gestrahlt hatten, waren nun trüb und ohne jegliche Lebensfreude. Sein Kopf war leer, er dachte an nichts, sah sich einfach nur stumm im Spiegel an.
Auf einmal trat eine dunkelhaarige, ältere Frau in sein Blickfeld, kam auf ihn zu und legte mit einem traurigen Lächeln ihre Hände auf die Schultern ihres Sohnes. Dieser beobachtete die Bewegung im Spiegel, erkannte die Trauer in den Augen seiner Mutter und spürte, wie sie ganz sanft seine Schultern drückte.

„Hey...", murmelte die Ältere leise und durchbrach so die Stille, die im Raum herrschte. Als sich der Jüngere zu ihr umdrehte, versprühten ihre Augen Mitleid und Traurigkeit. Sie konnte nur ahnen, wie sich ihr Sohn gerade fühlen musste und so strich sie ihm ein weiteres Mal über die Schultern.

„Hey Mum...", die Wörter waren ein gebrochenes Hauchen, zu mehr war seine Stimme nicht imstande. Er starrte seine Mutter an und versuchte sich ein Lächeln aufzuzwingen. Seine Mundwinkel zuckten, jedoch scheiterte er und seine Mundwinkel sanken wieder nach unten.
Stattdessen verschwamm sein Blick und seine Lippen begannen unkontrolliert zu zittern.
Augenblicklich wurde er von seiner Mutter in die Arme gezogen und an ihren schützenden Körper gedrückt. Sie schlang die Arme um ihren Sohn und dieser legte seinen Kopf auf der Schulter der älteren Frau ab, während stumme Tränen über seine Wangen liefen und das schwarze Kleid durchnässten.

„Shh...ich bin da...", versucht sie ihren Jungen zu beruhigen, doch dieser schluchzte weiterhin leise auf. Immer mehr Tränen liefen ihm über die Wangen und schienen kein Ende nehmen zu wollen.

„Ich vermisse ihn, Mum...ich vermisse ihn so sehr", hauchte der junge Mann mit gebrochener Stimme und sein ganzer Körper erzitterte.
Die dunkelhaarige Frau, die ihren Sohn immer noch an sich gedrückt hielt, bekam glasige Augen als sie die zitternde, schmerzerfüllte Stimme hörte. Keine Mutter wollte ihr Kind jemals so traurig sehen, doch dieses Mal konnte sie es nicht verhindern.
Die beiden standen noch eine Weile in dem Raum und hielten sich gegenseitig fest, stützten sich, ehe sich der junge Mann von seiner Mutter löste.
Er wischte sich einmal grob über die leicht geröteten Augen, bevor er die Tränen von seinen Wangen strich und seine Haare sowie seinen schwarzen Anzug richtete, sodass alles wieder an seinem Platz saß.

„Wir warten unten auf dich. Lass dir Zeit", sagte seine Mutter leise, fuhr einmal vorsichtig über die Wange ihres Sohnes und schenkte ihm ein kleines, zögerliches Lächeln. Nachdem sie die Tür hinter sich zugezogen hatte, herrschte erneut eine erdrücken Stille im Raum.
Ein letztes Mal sah der junge Mann in den Spiegel vor sich. Er straffte seine Schultern, stellte sich gerade hin und strich eine lose Strähne zurück. Langsam schloss er seine Augen und nahm einen tiefen Atemzug, hielt diesen für einen Moment, bevor er wieder ausatmete. Kurz ließ er seine Augen noch geschlossen, wartete für ein paar Sekunden und nahm die Geräusche um sich herum wahr. Die vorbeifahrenden Autos auf der Straße, das letzte Vogelgezwitscher und die Stimmen, welche durch die Tür in sein Zimmer drangen. Dann öffnete er seine Augen, blickte sein Spiegelbild an, welches nun deutlich entschlossener wirkte und ging dann ebenfalls aus seinem Zimmer.
Langsam, sich Zeit nehmend, schritt er die wie immer etwas knarzende Treppe herunter und zum ersten Mal fiel ihm auf, dass sie bei einer bestimmten Personen kein Geräusch gemacht hatte.
Die Person, die ihm so wichtig gewesen war.
Die Person, die nun nicht mehr existierte.

Im Wohnzimmer angekommen erblickte er seine Familie, die ihn mit traurigen Blicken musterte. Sie alle trugen die Farbe Schwarz und ihre Augen waren voller Trauer und Verständnis.
Schnell wandte der junge Mann seinen nun nicht mehr so entschlossenen Blick gen Boden, denn er konnte diesen Ausdruck der Traurigkeit nicht ertragen. Er konnte niemanden ansehen, ohne das Gefühl zu haben, ein weiteres Mal in Tränen auszubrechen zu müssen.
Ein Kloß bildete sich in seinem Hals und egal wie oft er schluckte, versuchte diesen loszuwerden, er wollte einfach nicht verschwinden.

„Wir können los", krächzte er deshalb leise, woraufhin die Familie langsam das Haus verließ.

Der ältere Pfarrer beendete die Zeremonie und gab den anwesenden Personen einen Moment der Trauer. Man konnte das leise Schluchzen derjenigen hören, die um den Verstorbenen trauerten. Familie, Freunde und Bekannte. Sie alle waren da, um dem jungen Mann, der viel zu früh gestorben war, ihre letzte Ehre zu erweisen, Abschied zu nehmen und sich gegenseitig Trost zu spenden.
Zu trauern, um den Mann, der nun in einem dunklen, kalten Sarg unter der Erde lag.

Auch der junge Mann weinte, jedoch stumm und als er seine Augen schloss, fielen weitere Tränen auf seine bereits nassen Wangen.
Er hatte das Gefühl, zu ersticken, nicht genügend Luft in seine Lungen zu bekommen. Er presste sich eine Hand auf die Brust, drückte dagegen und kniff seine Augen zusammen.
Schluchzend, halb lachend erinnerte er sich an die Worte des Verstorbenen. An die Worte, die er ihm mitgegeben hatte, die er ihm aufgetragen hatte und langsam holte er Luft, atmete die kühle, frische Luft des Friedhofs ein.
Ein Lächeln formte sich auf seinem Gesicht, während weitere Tränen aus seinen Augen traten.
Vor sich sah er den  verstorbene, jungen Mann wie er lächelte und lachte.
Er sah den jungen Mann, den er so sehr geliebt hatte und mit einem letzten, tiefen Atemzug nahm er Abschied.

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