Kapitel 7

Sie waren die Einzigen, die an einem der Tische in dem Laden saßen. Draußen war es dunkel und vermutlich schon etwas kälter, doch hier drinnen wo sie saßen, war es angenehm warm.

Vor beiden stand ein Becher mit Tee, sowie ein Sandwich. Auf die Pappbecher war in einem dunklen Rot das Logo der Ladenkette gedruckt. Die Plastikdeckel lagen neben den Bechern, aus welchen der heiße Dampf des Tees aufstieg.

Harry blickte raus auf die Straße, vor ihm lag noch die Hälfte seines Essens, während Louis nur noch von seinen Tee trank. Darjeeling mit etwas Zitrone. Yorkshire Tee hatte es nicht mehr gegeben, weshalb er diesen nehmen musste.

Harry hatte einen einfachen Pfefferminztee mit etwas Zucker, jedoch hatte er erst wenig davon getrunken. Er war in Gedanken versunken und betrachtete weiterhin das Treiben außerhalb des Ladens.

Louis beobachtete ihn, was Harry allerdings bisher noch nicht bemerkt hatte, da er viel zu abgelenkt war.

Harry?"

Mhm?", summte der junge Mann und drehte seinen Kopf langsam zu Louis. Dieser hielt seinen Becher in der Hand und blickte Harry interessiert an.

Willst du das überhaupt noch essen?", fragte er und deutete auf das Sandwich, das einsam auf dem Teller lag. Harry sah nach unten und zuckte dann mit den Schultern. Eigentlich hatte er keinen Hunger mehr und wollte viel lieber nach Hause. In sein Zimmer. In sein Bett.

Er wollte unter die Decke, die Augen schließen und am liebsten nie wieder rauskommen. Der Abend mit Louis hatte ihn definitiv überfordert. Es war zu viel von allem. Zu viele Menschen, zu viel Aufmerksamkeit, zu viel Lärm und vor allem zu viel Leben. Er wollte das nicht. Unbewusst stiegen ihm Tränen in die Augen und hastig stand er auf.

Sein Gegenüber betrachtete ihn aufmerksam, doch Harry hatte den Blick gesenkt. Es war ihm peinlich, dass er schon wieder kurz davor war zu weinen. Was würde Louis wohl von ihm denken?

Ich geh aufs Klo, du kannst es haben", nuschelte er deshalb schnell, deutete mit einer wegwerfenden Handbewegung auf das Sandwich und flüchtete dann zu den Toiletten.

Den brennenden Blick des Älteren spürte er deutlich im Rücken und war heilfroh, als die Holztüre sie voneinander trennte.

Die Toilette war klein, geradeso ausreichend für eine Person, doch das war genau das, was Harry jetzt brauchte. Ein Raum, wo er allein und für sich war.

Er seufzte leise auf, schritt zum Waschbecken und wärmte seine Hände unter dem heißen Wasserstrahl. Sein Blick wanderte hoch zu dem Spiegel, wo er in zwei müde und erschöpfte, grüne Augen blickte. Dunkle Schatten waren darunter zu erkennen, seine Haare lagen unordentlich auf seinem Kopf und seine Mundwinkel hingen so tief, dass es fast so wirkte, als hätte sie jemand dort unten festgeklebt.

Mit einem schmerzerfüllten Zischen zog Harry auf einmal seine Hände unter dem mittlerweile unangenehm heißen Wasser hervor. Er war so vertieft in sein Spiegelbild gewesen, dass er nichts Anderes mehr wahrgenommen hatte.

Schnell trocknete er sein geröteten Hände ab, richtete seine Haare ein wenig und öffnete dann die Tür, die zurück in den Laden führte.

Louis saß noch immer an dem Tisch, den Becher Tee in beiden Händen und die Augen geschlossen. Er wirkte konzentriert, hatte seine Augenbrauen zusammengezogen und die Lippen aufeinandergepresst. Sein Gesicht wirkte ein wenig schmerzverzerrt und angestrengt. Seine Hände lagen verkrampft um den noch immer dampfenden Becher. Kurz nippte er an dem Tee, atmete tief durch und öffnete dann die Augen. Sein Blick glitt zu seinen Handflächen und sogar aus der Entfernung konnte Harry erkennen, dass diese eine ungesund rote Farbe angenommen hatten. Vor wenigen Sekunden hatten seine Hände genauso ausgesehen, allerdings schien Louis keine Schmerzen zu verspüren. Er starrte lediglich die gerötete Haut an, bevor er langsam den Blick hob und seine Hände in seinen Schoß legte.

Harry war stehengeblieben und hatte Louis gemustert, doch nun, als sich ihre Blicke trafen, schüttelte er sich und ging langsam auf den Tisch zu. Der junge Mann behielt seine blauen Augen auf Harry und beobachtete ihn, bis er direkt vor ihm stand.

Können wir gehen?", fragte Harry, versteckte seine Hände in den Ärmeln seiner Jacke und biss sich unsicher auf die Lippe.

Louis blaue Augen musterten den Jüngeren einen Moment, was Harry augenblicklich nervös werden ließ. Unbewusst zog er seine Schultern ein wenig nach oben und merkte wie das unwohle Gefühl seinen Körper ergriff. Er wollte sich am liebsten verstecken, sodass er vor jeglichen Blicken geschützt war. Louis beobachtete ihn so durchdringend, als könnte er in ihn hineinsehen und das beunruhigte Harry.

Es schien so, als würde Louis ihn stundenlang anstarren, ehe er aufstand und nach seiner Jacke griff.

Klar. Ich denke für heute war es genug", murmelte er, während er sich seine Jeansjacke überzog. Danach drückte er den Plastikdeckel auf den Becher, welcher noch bis zur Hälfte mit Tee gefüllt war.

Sie gingen nebeneinanderher zum Ausgang, Harry hatte seine Hände nun in den Taschen vergraben und stieß die Tür mit der Schulter auf.

Augenblicklich umgab ihn die kalte Luft, sowie der Lärm der Londoner Innenstadt. Er spannte sich an, blickte nervös herum und zog unbewusst seinen Kopf etwas ein.

Louis schien dies zu bemerken und legte vorsichtig eine Hand auf Harrys Rücken. Dieser drehte erschrocken seinen Kopf zu dem Älteren und blickte einem sanft und verständnisvoll lächelnden Louis entgegen.

Hey, es ist alles okay. Komm, wir gehen hier lang", schlug dieser vor und schob Harry in eine nicht so volle Seitenstraße.

Schlagartig war es ruhiger, denn die umstehenden Häuser schirmten den Lärm des Platzes etwas ab. So gelangten sie schnell zu Louis Auto und Harry war, zumindest ein wenig, entspannter.

Danke", flüsterte er, als sie im Inneren des Wagens saßen. Seine Hände hatte er wieder in den Ärmeln seiner Jacke versteckt, einerseits weil ihm mittlerweile etwas kalt geworden war, andererseits weil es über die Zeit zur Gewohnheit geworden war. Er war unsicherer, schüchterner und zurückgezogener als früher und da war das Verstecken der Hände, egal ob in Pullover- oder Jackenärmeln, immer häufiger geworden. Eine Sache, die unscheinbar begonnen hatte, war mittlerweile zu einer Hürde und Blockade geworden. Die Isolation, das ständige Alleinsein, hatte die Angst vor den Menschen ausgelöst. Dadurch, dass er lieber zu Hause blieb, wurde es auch nicht besser und das war Harry klar. Jedoch wollte er trotzdem in seinem Zimmer bleiben. Geschützt von der Außenwelt.

Kein Problem. Wir machen das einfach in kleinen Schritten", meinte Louis mit verständnisvoller, warmer Stimme.

Harry blickte aus dem Fenster und er musste schwer schlucken, als er die Worte von Louis vernahm.

Er wollte das Ganze nicht, auch nicht in kleinen Schritten. Was würde ihm das schon bringen? Wenn diese zwei Wochen vorbei waren, wäre sowieso alles umsonst gewesen. Louis ganze Mühe wäre umsonst gewesen. Noch immer schwirrte in seinem Kopf die Idee herum, alles einfach früher durchzuziehen. Er war hin- und hergerissen, denn aus einem ihm unerklärlichen Grund hatte er das Gefühl, dass er sein Versprechen gegenüber Louis nicht brechen konnte. Auch wenn Louis ihm egal war und ihn in den Wahnsinn trieb, wollte Harry ihn auch nicht enttäuschen und in gewisser Weise hintergehen. Aus diesem Grund wusste er auch nicht, was er nun tun sollte und die Idee, seinen Plan früher in die Tat umzusetzen, rückte langsam, aber sicher in den Hintergrund.

Ein leises Seufzen verließ Harrys Lippen und er lehnte seinen Kopf gegen die Fensterscheibe. Seine müden Augen schlossen sich wie von selbst und er musste ein Gähnen unterdrücken.

Der ganze Stress machte ihn unglaublich müde und er bemerkte, wie er begann ein wenig zu dösen. Der heutige Tag war anstrengender als einer im Krankenhaus gewesen und diese hatten schon an seinen Kräften gezogen, obwohl er dort nur im Bett gelegen und seinen Gedanken nachhangen hatte. Es war einfach zu viel auf einmal gewesen. Er brauchte ganz dringend Ruhe.

Hier rechts, oder?"

Louis Stimme ließ Harry die Augen öffnen und er sah sich für einen Moment desorientiert um. Sie waren fast bei ihm zu Hause und so stimmte er dem Älteren schnell zu. Dass Louis fast den gesamten Weg von allein gefunden hatte, bemerkte er gar nicht.

Nur zwei Minuten später hielt der kleine Opel vor dem bekannten Haus und Harry schnallte sich schnellstmöglich ab. Er öffnete die Autotür und stieg aus, ohne Louis noch einmal anzusehen oder etwas zu sagen.

Bye! Ich schreibe dir wegen morgen und so", rief dieser ihm laut hinterher. Das Fenster war runtergelassen und er lächelte Harry warm entgegen.

Der Lockenkopf drehte sich um, blickte ihn stumm an und lief dann weiter in Richtung Haus. Er hatte nicht das Bedürfnis noch etwas zu sagen und ging stattdessen eilig weiter, während er den Schlüssel aus seiner Jackentasche herauskramte.

Erst als er die Tür öffnete, vernahm er das Geräusch des wegfahrenden Autos, doch er versuchte zu ignorieren, dass Louis ihn so lange beobachtet hatte.

Bin da!", machte er sich bemerkbar, nachdem er die Tür lautlos hinter sich geschlossen hatte. Augenblicklich hörte er Schritte auf der Treppe und nur einen Moment später stand Anne vor ihm, ein liebevolles Lächeln auf den Lippen.

Und? Wie war es?", fragte sie sofort mit strahlenden Augen, in der Hoffnung eine positive Antwort zu erhalten. Es war nicht zu übersehen, wie froh sie war, dass ihr Sohn mal wieder etwas unternommen hatte und draußen in London gewesen war. Die letzten Wochen hatte er sich ständig nur in seinem Zimmer aufgehalten und war außerhalb der Schulzeit nicht draußen gewesen. Für sie war dies definitiv ein Fortschritt. Auch wenn sie sich dauerhaft Sorgen machte, wollte sie Harry nicht zu sehr bedrängen und kontrollieren.

Sie musterte ihren kleinen Jungen, während dieser einen Augenblick zögerte. Er überlegte, ob er vielleicht ehrlich zu seiner Mutter sein und erzählen sollte, was passiert war. Von der Panik, welche er verspürt und die ihn gelähmt hatte. Von der Angst, die aufkam, als er sich unter zu vielen Menschen befunden hatte. Vielleicht sollte er aber doch lieber lügen, einfach um seine Mutter nicht zu beunruhigen.

Gut", antwortete er schließlich, setzte ein Lächeln auf und streifte seine Jacke ab.

Während er diese an einen Haken hing, versuchte er seine Schuhe mit dem jeweils anderen Fuß abzustreifen.

Schön...das freut mich", entgegnete Anne zögernd, nicht ganz sicher, ob sie der Antwort Glauben schenken sollte. Sie musterte ihren Sohn, um herauszufinden ob dieser die Wahrheit sagte, doch er hatte sich von ihr abgewandt. Absichtlich langsam legte er seinen Schlüssel auf die kleine Kommode neben der Tür, auf welcher ebenfalls die Auto- und Hausschlüssel der anderen Familienmitglieder lagen.

Willst du dich noch zu uns setzten? Ich kann Tee machen und wir können uns ins Wohnzimmer setzten", schlug Anne zögerlich, jedoch hoffnungsvoll vor.

Erst nach diesen Worten drehte sich Harry um, schüttelte jedoch gleich darauf den Kopf.

Nein, ich gehe ins Bett, glaube ich. Morgen ist Schule und ich will nicht wie der letzte Penner aussehen"

Heißt das, du schläfst gleich?"

Ja, vermutlich. Ich frage Niall und El noch, was wir bis morgen machen mussten"

Anne nickte langsam und seufzte dann kurz. Für einen Moment wirkte es so, als wollte sie noch etwas sagen, dann trat sie jedoch lediglich einen Schritt zur Seite, um Harry Platz zu machen.

Na dann Gute Nacht", wünschte sie ihm, strich liebevoll über seinen Oberarm und schenkte ihrem Sohn ein letztes Lächeln.

Bạn đang đọc truyện trên: AzTruyen.Top