Kapitel 4
Harry wollte nicht glauben, wer in der Tür stand. Es war jedoch keinesfalls eine freudige Überraschung, ganz im Gegenteil. Es war Louis, der breit strahlend die Türe hinter sich schloss. Er bemerkte natürlich, dass Harry keineswegs erfreut war, ihn zu sehen, doch das ignorierte der junge Mann gekonnt.
Was willst du?", fragte Harry und schaltete sein Handy aus, bevor er es zur Seite legte. Louis kam zu dem Bett und hob den kleinen Kasten in seiner Hand, welcher dem Lockenkopf noch gar nicht aufgefallen war.
Ich soll deine Verbände wechseln", erklärte er daraufhin und setzte sich an den Rand des Bettes.
Sofort rutschte Harry etwas zur Seite, jedoch nicht aus Höflichkeit, nein daran dachte er nicht einmal, sondern weil er nicht wollte, dass dieser junge Mann die Verbände abnahm.
Er würde die Wunden sehen, die zwar wieder einigermaßen verheilt, aber dennoch sichtbar waren und er würde Harry verurteilen. Das würde jeder tun, der nicht dasselbe durchmachte, dessen war er sich bewusst. Jeder würde ihm mit Vorurteilen begegnen, ihm sagen, dass er nur Aufmerksamkeit wollte und es ihm ja viel besser ging als vielen anderen Menschen.
Hey, ich beiße nicht", sagte Louis und lachte leise, während er den kleinen, roten Koffer aufklappte.
Darin befanden sich Desinfektionsmittel, Scheren, Tape, Pflaster und Verbände sowie allerlei andere Dinge von denen Harry jedoch nicht genau erkennen konnte, zu was sie gut waren.
Louis nahm die Schere heraus und blickte Harry ruhig an.
Darf ich?", fragte er mit einem sanften Ton in der Stimme und deutete zu seinem Handgelenk. Der Brünette zögerte einen Moment, ehe er dem Krankenpfleger, wenn auch nur ungern, seinen Arm reichte.
Louis schnitt den Verband vorsichtig auf und wickelte die restlichen Lagen und die Wundauflage ab, bevor er diese wegpackte.
Harry musterte die nun freigelegte Haut ihres Handgelenkes und musste schlucken, als seine Verletzungen zum Vorschein kamen.
Die Schnitte waren zugenäht worden, sodass diese besser verheilen konnte, doch trotzdem sah es nicht schön aus, auch nicht nach fast zwei Wochen.
Dem brünetten jungen Mann lief ein unangenehmer Schauer über den Rücken und er bekam eine Gänsehaut, denn unter Louis intensiven Blick wurde er nervös. Dieser starrte die Schnitte an, bis er schließlich aus seiner Trance zu erwachen schien und nach einem frischen Verband griff.
Ich frage mal nicht nach, warum du das getan hast...", murmelte er leise, während er die Wundauflage wechselte und dann den weißen Verband drumwickelte. Mehr konnte man auch nicht tun, denn die Schnitte würden von selbst heilen und die Naht würde sich mit der Zeit einfach auflösen.
Harry sagte nichts, sondern blickte nur zur anderen Seite und versuchte Louis neben sich zu ignorieren. Dieser betrachtete ab und an seinen Patienten oder musterte ihn verstohlen aus dem Augenwinkel, während er vorsichtig sein Handgelenk verband.
Harry bemerkte, wie sich der Pfleger auf die Lippe biss und vermutlich die Fragen, die ihm auf der Zunge lagen, unterdrückte. Er wusste immerhin nicht wie Harry reagieren würde. Aus diesem Grund blieb er stumm und nahm, als er fertig war, das andere Handgelenk zu sich, schnitt dort ebenfalls den Verband auf und wiederholte die Prozedur.
So, das wars", verkündete Louis schließlich nach ein paar Minuten und packte die restlichen Utensilien wieder ein.
Danke", grummelte Harry leise und drehte sich endgültig weg, griff nach seinem Handy in der Hoffnung, dass Louis den Wink mit dem Zaunpfahl verstehen und das Zimmer verlassen würde. Er starrte auf den Bildschirm, scrollte durch seine Nachrichten und wartete auf das erlösende Geräusch der zuschlagenden Tür. Es dauerte ein paar Sekunden, doch schließlich vernahm er leise Schritte, die einen Moment stockten, bevor die Tür geöffnet wurde und Louis das Zimmer verließ.
Erleichtert schloss Harry die Augen, fuhr sich über das Gesicht, griff sich einmal in die Haare und ließ sich dann zurück ins Kissen sinken. Pure Erleichterung durchflutete seinen angespannten Körper und seine zum Zerbersten gespannten Muskeln lockerten sich.
Die folgenden Stunden waren trostlos und mit Langeweile gefüllt, wie so oft in diesem Krankenhaus, Louis bekam er jedoch glücklicherweise nicht mehr zu Gesicht. Das Tablett mit dem Abendessen stand zwar auf dem kleinen Tisch, doch der Krankenpfleger hatte es vorbeigebracht, als Harry gerade auf der Toilette war. Es war eine Suppe mit etwas Brot, demnach war keine Aufsicht nötig.
Harry war froh darüber, dass er Louis nicht hatte begegnen müssen, auch wenn er innerlich, ganz tief in sich drin, gerade doch etwas Gesellschaft gebraucht hätte.
Es besuchte ihn niemand mehr und so lag Harry stumm im Bett, schaltete den Fernseher ein oder las in einer der Zeitschriften. Gegen halb elf wurde er dann jedoch müde und so legte er das Buch, in welchem er gelesen hatte, beiseite und schaltete die kleine Lampe neben dem Bett aus. Danach schüttelte er das Kissen noch einmal auf und legte sich hin, mit Blick zu dem Fenster, durch welches der helle Mond hereinschien. Unter der Decke war es mittlerweile angenehm warm und so streifte er die dicken Socken, die bis dahin seine Füße gewärmt hatten, davon ab.
Ein paar Minuten lang blickte er noch nach draußen, ehe er sich auf die andere Seite drehte und seine Augen schloss.
Langsam döste er weg und wahrscheinlich wäre er auch eingeschlafen, hätte sich nicht in eben diesem Moment die Türe zu seinem Zimmer geöffnet. Ein kleiner Lichtstrahl fiel von dem Gang in das Zimmer, direkt auf Harrys Gesicht.
Er öffnete seine müden Augen ein wenig, kniff sie jedoch sofort wieder zu.
Harry? Bist du wach?", ertönte Louis Stimme und Harry unterdrückte mit Mühe ein Seufzen. Etwas was er in Louis Gegenwart oft tun musste, wie ihm auffiel.
Nein", grummelte er und zog die Decke höher, sodass sie bis zu seiner Nase ging.
Louis betrat das Zimmer, ließ die Türe jedoch etwas offen, damit Licht hineinkam und den Raum wenigstens ein bisschen erhellte. Er trat näher an das Bett und stellte den Korb, den er die ganze Zeit fest umklammert hatte, auf dem Boden ab. Sein wacher, funkelnder Blick huschte über den kleinen Hügel, der verdeutlichte, wo sich der junge Mann befand, bis hin zu den verwuschelten braunen Locken.
Komm mit", flüsterte er leise und beobachtete Harry weiter, der sein Gesicht noch immer unter der Decke versteckte.
Verpiss dich", nuschelte dieser, seine gereizte Stimme gedämpft durch den Stoff der Decke. Er hatte definitiv keine Lust darauf, irgendwas mit Louis zu unternehmen. Viel lieber blieb er in diesem warmen Bett und wartete auf den nächsten Tag.
Nein, komm. Du willst hier raus, das weiß ich. Ein bisschen frische Luft tut dir gut", setzte Louis nach und bekam ein verächtliches Schnauben als Antwort.
Damit sie mich dann draußen finden, obwohl ich eigentlich schlafen sollte. Nein, danke. Ich verzichte", fauchte Harry und zog nun doch die Decke von seinem Gesicht, enthüllte seine blitzenden grünen Augen.
Vielleicht ist deine Mutter überzeugt, dass es dir wieder gut geht und vielleicht lassen dich die Ärzte gehen, da sie glauben, dass es eine Chance gibt, Harry, aber ich bin nicht dumm. Ich weiß, dass du es wieder versuchen wirst", entgegnete Louis, jedoch mit einer ruhigen Stimme, die Harry einen Schauer überjagte. Seine tiefen, blauen, in dem Licht fast schwarzen, Augen durchbohrten ihn und ließen kein Entkommen zu.
Was interessiert es dich? Du kennst mich nicht mal richtig"
Aber ich weiß, wie schön das Leben sein kann und dass du das nicht einfach so wegwerfen solltest. Weißt du, was ich glaube, Harry?", fragte der brünette junge Mann, blickte Harry noch immer mit völliger Ruhe an. Seinen Kopf legte er ein wenig schief, so als würde eine tadelnde Mutter mit ihrem Kind sprechen.
Nein, weiß ich nicht", murmelte Harry noch immer gereizt und rollte mit den Augen.
Ich glaube, dass du das gar nicht willst. Ich glaube, dass du gerettet werden willst, dass jemand dich davon abhält. Du fühlst dich allein und versuchst herauszufinden, ob dich irgendjemand braucht, ob es jemanden gibt, der dich retten würde. Deshalb hat es beim ersten Mal auch nicht funktioniert"
Schweigen. Nachdem Louis das gesagt hatte, herrschte Stille in dem Raum und beide hörten, wie Harry schluckte, um den Knoten in seinem Hals zu lösen und begann schwerer zu atmen. Er erwiderte den Blick des jungen Mannes vor dem Bett, starrte ihn ausdruckslos an und versuchte die Wut zu verstecken, die in ihm aufgekommen war. Louis wusste gar nichts. So redete er es sich zumindest ein.
Du liegst falsch. Ich brauche niemanden, der mich rettet", giftete er schließlich, aber dennoch hörte sich seine Stimme etwas kratzig und ein wenig zittrig an, als würde es ihm schwerfallen zu sprechen. Als würden diese Worte nur mit großer Mühe aus ihm herauskommen.
Seine grünen Augen funkelten Louis finster an und dieser atmete einmal schwerfällig auf, ehe er nach dem Korb, welcher noch immer neben ihm stand, griff.
Kommst du jetzt? Das, was ich hier habe, ist besser als das Essen, was du sonst bekommst. Außerdem kommt so schnell keiner hier her", bat er und ein plötzlicher Stimmungswechsel war deutlich in seinem Gesicht zu erkennen. Er blickte sein Gegenüber hoffnungsvoll, wenn nicht sogar etwas ungeduldig an, den Korb mit beiden Händen vor seinem Körper haltend.
Einen Moment blieb Harry noch stur sitzen, ehe er sich geschlagen gab und aus dem Bett stieg. Eilig griff er nach den zuvor ausgezogenen Socken, sowie seinen Schuhen, welche er widerwillig anzog. Das sanfte, aber triumphierende Lächeln, welches sich auf Louis Lippen bildete, bemerkte er nicht.
Nur wenige Minuten später betraten die beiden jungen Männer den kleinen Park, welcher um diese Uhrzeit vollkommen leer vor ihnen lag.
Dennoch waren die Lampen an und tauchten den Park in ein warmes Licht, sodass sie genug sehen konnten. In der Mitte, auf der kleinen Wiese, blieben sie stehen und Louis holte eine Decke aus dem Korb, welche ordentlich und klein zusammengefaltet war.
Hier. Hilf mir mal, die auszubreiten", bat er Harry, der noch immer etwas genervt neben ihm stand, sich nervös umsah und immer wieder sicherheitshalber zu der Tür blickte. Man durfte ihn hier draußen nicht vorfinden, denn ab neun Uhr musste man im Zimmer bleiben, das war die Vorschrift.
Doch der Lockenkopf nickte stumm als Antwort auf die Aufforderung, griff an den zwei Enden der Decke und legte sie mit Louis auf den Boden, ehe sie sich daraufsetzten.
Louis holte zwei Pappteller sowie Becher aus dem Korb und stellte sie auf die Decke, bevor er mehrere Boxen danebenstellte. Es war erstaunlich, wie viel doch in solch einen kleinen Korb hereinpasste.
Harry besah sich die Sachen nicht wirklich, denn sein Blick huschte immer wieder zu der Tür, in der Angst, jemand könnte sie beide entdecken.
Mensch, Harry entspann dich mal. Es kommt keiner", stellte Louis mit einem belustigten Unterton in der Stimme klar. Harry sah zu dem jungen Mann ihm gegenüber, biss sich kurz auf die Unterlippe, ehe er wieder einen gleichgültigen Blick aufsetzte und nickte. Er hoffte nur, dass sie nicht allzu lange hier draußen bleiben würden.
Also ich habe Blätterteigtaschen, Tomate-Mozzarella-Sticks und Kuchen, der ist aber gekauft. Ich kann nicht so gut backen", zählte Louis auf und grinste am Schluss leicht, während er etwas Wasser in einen der Becher schüttete und dann nach dem Zweiten griff.
Schön für dich", grummelte Harry nur desinteressiert, zog seine Beine an den Körper und legte den Kopf auf seinen Knien ab. Ihm war kalt. Er hatte überhaupt keine Lust hier zu sein und wollte viel lieber in dem warmen Bett liegen, denn hier draußen sank die Temperatur mit jeder Minute. Zudem hatte er nur das dünne Krankenhausoberteil an, da Louis ihm keine Zeit mehr gelassen hatte, sich noch etwas Wärmeres anzuziehen.
Der Ältere seufzte theatralisch auf und warf seine Hände in die Luft. Harrys dauerhafte schlechte Laune regte ihn langsam, aber sicher auf.
Kannst du ein einziges Mal so tun, als würdest du mich nicht hassen? Das wäre wirklich hilfreich", fuhr er den Lockenkopf an und kniff seine blauen Augen zusammen.
Nein, kann ich nicht. Denn es ist nun mal so, dass ich dich nicht mag", entgegnete Harry mit einem provokanten, gefälschten Lächeln.
Louis erwiderte seinen Blick nur kalt und schnaubte leise, ehe er dem Brünetten wütend das Wasser über das Oberteil kippte.
Spinnst du? Weißt du, wie kalt das ist?!", schrie Harry fast und griff hektisch nach einer der grünen Servietten, um das Wasser weg zu rubbeln. Seine Hand umklammerte fest die Serviette und drückte sie auf den blauen Stoff. Das Wasser, in Kombination mit dem kühlen Wind, ließ ihn noch mehr frösteln als ohnehin schon. Die Hand, welche die Serviette hielt, fing an zu zittern und auch seine Lippe bebte leicht.
Ja, weiß ich. Bitte Harry...du machst dir alles viel schwerer. Ich will doch nur, dass du wenigstens einmal nett bist", murmelte Louis, reichte ihm eine zweite Serviette, welche der junge Mann mit einem Augenrollen annahm. Er antwortete nicht, versuchte nur weiter den Stoff so gut wie möglich zu trocknen. Louis beobachtete ihn mitleidig, das Blau in seinen Augen war trüb und er wirkte zum ersten Mal traurig und deprimiert.
Ach Mist...", flüsterte Harry, rieb weiter über das Hemd und ihm stiegen Tränen in die Augen, bereit, jeden Moment seine Wangen herunter zu laufen. Es lag nicht daran, dass er Wasser auf dem Hemd hatte, das war wirklich nicht allzu schlimm, es machte ihn alles einfach nur so fertig. Louis wollte nur nett sein, wollte ihn kennenlernen und eigentlich sollte Harry dankbar dafür sein, dass er sich für ihn interessierte, doch egal was der brünette Pfleger tat, es verärgerte Harry und er wusste nicht mal genau wieso. In diesem einen Moment prasselte alles auf einmal auf Harry ein, drückte ihn noch weiter runter, als er eh schon war und ließ ihn klein fühlen.
Mit einem Mal spürte er ein warmes Stück Stoff, welches sich um seine schmalen Schultern legte. Als er aufsah, konnte er beobachten, wie Louis gerade seine Hände zurücknahm und ihn sanft anlächelte. Er hatte Harry seine Jacke umgelegt und dieser schluckte das Bedürfnis zu weinen herunter, ehe ein kleines Lächeln auf seinen Lippen erschien.
Tut mir leid. Ich hätte das nicht machen sollen. Ich sollte dich nicht so drängen, schließlich kann ich dich nicht dazu zwingen mich zu mögen", entschuldigte Louis sich mit einem warmen Lächeln und Harry nickte, fühlte wie eine Last von seinen Schultern gehoben wurde. Louis grinste daraufhin ein wenig breiter und seine Augen leuchteten auf. Harry drückte weiterhin die Serviette auf den nassen Stoff und schniefte einmal unauffällig. Schnell blinzelte er, versuchte die jämmerlichen Tränen aus seinen nun wieder klaren, grünen Augen zu bekommen. Er wollte nicht weinen, schon gar nicht vor Louis, wollte nicht schwach wirken. Dieser beobachtete Harry und seine Augen funkelten, Hoffnung und Lebensfreude in ihnen.
Kuchen?", fragte er, ein warmes Lachen in seiner Stimme und hielt Harry grinsend ein Stück hin.
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