XLVIII
„Was willst du wissen?", fragte die Flammende und schenkte ihrem Bruder einen liebenswürdigen Blick. Irgendetwas verheimlichte er vor ihr, aber sie wusste nicht was. Er war gefährlich, ohne Frage. Und doch war stellte er eine richtige Bedrohung für sie nicht dar.
„Ich verstehe dein Vorgehen nicht, Schwester", begann der Goldene und sah von oben auf sie hinab, ehe er sich dazu entschloss, sich ebenfalls niederzulassen.
Die Flammende schwieg und wartete auf eine Erklärung des Jünglings.
„Warum wartest du jetzt? Warum greifen wir die Kentauren nicht gleich an?", fragte die goldgeschuppte Himmelsschlange.
„Wir geben den Kentauren die Chance, sich zu unterwerfen. Wir wollen nicht alle von ihnen grausam niedermetzeln", erwiderte die Rote. Das war gelogen. Doch der Miene des Goldenen nach zu schließen schien er es nicht zu bemerken. Oder er tat so als würde er es nicht bemerken. Jedenfalls war sein Gesicht ausdruckslos.
„Verstehe", antwortete er. Nach einem kurzen Moment der Stille fuhr er fort: „aWeißt du bereits etwas über den Purpurnen? Wie entkam er und was ist dein Plan nun mit ihm?"
Die Flammende konnte nicht anders und brach in Gelächter aus. „Tu nicht so als würdest du nicht wissen, dass es die Blaue war, die unseren gutmütigen Bruder frei ließ", brachte sie hervor, achtete innerlich aber auf jede Bewegung des Goldenen. Oh ja, er tat so, als wisse er weniger als er in Wirklichkeit tat.
„Willst du sie dafür bestrafen?", wollte der Jüngling wissen. „Ich weiß es noch nicht", entgegnete die Drachenkaiserin. Wieder eine Lüge. Sie wusste bereits jetzt schon, was sie mit der Blauen vorhatte.
Ihr den Schlüssel zu dem Käfig des Purpurnen zu geben war ein Schachzug gewesen. Eine Taktik, um ihr ein Verbrechen anzuheften und sie demnach zu bestrafen. Aber anders als sie es vielleicht erwarten würde oder wie es der Grünen oder dem Silbernen ergangen war.
Nein, mit der Blauen hatte die Flammende ganz andere Pläne.
Wieder trat Schweigen ein.
„Du solltest mit dem Silbernen rechnen", stellte schließlich der Jüngling fest. Die Flammende hob ihren Kopf.
„Jetzt, wo wir unser erstes Zeichen gesetzt haben, ist es naheliegend, dass er anrückt. Er weiß jetzt wo wir sind und das macht ihn noch gefährlicher als er schon eigentlich ist."
Die Flammende brummte. „Er hat den Großteil seiner Macht verloren. Bruder, du an meiner Seite und die Erdkriecher sind Schutz genug. Ich fühle mich von dir geschmeichelt, aber du brauchst dir keine Sorgen zu machen", gab sie zurück.
Oh doch, der Silberne war ein großes Problem. Ein großes Problem von vielen großen Problemen. Aber er war noch lange nicht das größte.
„Entschuldige mich nun, ich habe etwas zu erledigen", sagte die Drachenkaiserin schnell mit einem panischen Blick zum Himmel. Verdammt, warum verging die Zeit so schnell? Warum schien sie das einzige zu sein, das man nicht kontrollieren und nach seinem Willen formen konnte?
Der Goldene erhob sich. „Ich danke dir für deine Zeit und Antworten", verabschiedete er sich, hob ab und war schon bald nur noch ein kleiner Fleck in dem Abendhimmel.
Die Rote wandte sich ab. Fünf Tage, besser waren sechs.
Zwei Tage Zeit hatte sie, ihren Auftrag abzuschließen und neunundneunzig verstorbene Körper zu ihr zu bringen, zwei weitere Tage, um mit ihr über den nächsten Preis zu verhandeln. Sollte etwas nicht nach Plan laufen, hätte sie noch eine Chance, ohne den Angriff auf die Kentauren anführen zu müssen.
Das Massaker in Yascaena war nicht ohne Grund gewesen. Natürlich wollte sie die Elfen unterwerfen, aber mit bloßen Angriffen würde es niemals so weit kommen, dass sie ganz alleine über Nyrathur herrschte.
Die Flammende breitete ihre Schwingen aus und brach zurück nach Yascaena auf. Sie zweifelte nicht daran, dass sie neunundneunzig Elfenkörper finden würde. Nur hoffte sie, dass ihre Magie noch stark genug sein würde. Und dass sie ihren Preis nicht wieder spontan änderte.
Denn wenn die Flammende dem Vertrag nicht nachkam, würde selbst sie sich vor ihrem Zorn fürchten müssen.
-
Der Silberne schritt durch seine Assassinenschule. Es war Mitternacht und die Lehrmeister gaben Acht darauf, dass niemand die Schule betrat oder verließ.
Die Lehrer waren allesamt alte Elfen, die den Silbernen bereits kannten. Sie wussten, dass er am liebsten nicht angesprochen wurde, dass er für sich alleine war.
Die Himmelsschlange ging als Elf langsam durch die weiten Gänge seiner gegründeten Schule. Das Licht von Fackeln erhellte die Flure und die Türen, hinter denen die auszubildenden Assassinen ruhten, reihten sich vertraut aneinander. Das dunkle Holz war mit Schnitzereien versehen, die sämtliche Fabelwesen darstellten. Mit jeder Tür brachte der Silberne den Namen eines Assassinen in Verbindung, der einst in dem Raum dahinter gewohnt hatte.
Innerlich nahm er Abschied von diesem Ort. Er wartete bereits mit der Grünen und den Eisdrachen auf ein Zeichen eines Angriffs der Flammenden auf Nyrathur und wenn es so weit war, würde er wahrscheinlich sofort aufbrechen müssen und diesen Ort hier nie mehr wiedersehen.
Mit einer Hand strich er über den kalten, glatten Stein der Wände. Hier gab es keine Dekorationen, keine Waffen, keine Bilder. Das hier war eine Schule, in der die Elfen nur auf sich angewiesen waren. Hier lernten sie alles, was man mit dem Körper vollbringen konnte. Hier liefen sie morgens so weite Runden, dass die meisten von ihnen zusammenbrachen. Hier bekamen sie so wenig Essen, dass sie lernten, mit Hunger umzugehen.
Das hier war eine der härtesten Schulen, die er besaß. Wer diese hier überlebte, der war für das Leben eines Assassinen so gut wie gewappnet.
Viel zu schnell erreichte der Silberne das große Tor, das ihn auf den Hinterhof hinausführte. So weit wie das Auge reichte war hier ein großer Platz aus Stein, es gab kein Gras, keine Bäume, nichts, was irgendwie Abwechslung an diesen Ort brachte.
Hier war der Ort, wo sich die Assassinen in Sachen Kampf trainierten.
Die Himmelsschlange verwandelte sich in ihre eigene Gestalt und schon bald kam die hohe Mauer in Sicht, die das Schulgelände umrahmte.
Sie ragte viele Schritt in den Himmel und war die Abschlussprüfung.
Sobald ein Lehrling einen Lehrmeister im Kampf besiegt hatte, wurden traditionell drei Hunde losgelassen, die den Elfen an diese Mauer trieben. Schaffte er es, sie zu überwinden und auf der anderen Seite sicher auf den Boden zu kommen, hatte er es geschafft. Danach durfte er sich eine Waffe aussuchen und je nach ihrer Art die letzten zwei Jahre eine Schule besuchen.
Der Silberne ließ diese nun hinter sich. Er hatte noch zwei weitere Schulen zu besuchen, dann könnte er sich guten Gewissens der Flammenden in den Weg stellen und ihr gemeinsam mit der Grünen die Stirn bieten.
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