Hyunjin POV

Der Unterricht flog erneut an uns vorbei, sodass wir ihn gar nicht mitbekamen. Chan und Felix waren beide ziemlich schlecht gelaunt und ließen sich wegen der kleinsten Sache sehr schnell aus der Ruhe bringen. Harry unterhielt sich mit Courtney und mir über die neuen Ereignisse, während wir uns für die Street Dance-Stunde aufwärmten. „Wie kommt es, dass man wegen Homosexualität so einen Aufriss macht?", beschwerte sich Harry, nachdem ich ihnen alle wichtigen Details berichtet hatte. Ich zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es auch nicht. Vielleicht liegt es ja in der Familie. Oder sie sind zu religiös und können es deswegen nicht akzeptieren." Courtney legte fragend den Kopf schief. „Willst du mir damit sagen, dass du die beiden seit drei Jahren kennst und du nicht weißt, warum sie euch so schikaniert haben? Findest du das nicht etwas seltsam?" Ich schmunzelte nur. Courtney fuhr mit ihrer Beschwerde fort: „Also. Wenn ich du gewesen wäre, wäre dies das Erste, was ich versuchen würde herauszufinden." Harry gab ihr einen Stupser mit dem Ellenbogen. „Aber du bist nicht sie. Und das ist jetzt auch nicht mehr wichtig. Hab ich recht, Hyunjin?" „Du könntest schon recht haben", murmelte ich. „Aber jetzt, wo wir es erwähnen, bin ich schon etwas neugierig geworden." Courtney warf Harry einen triumphierenden Blick zu. „Wir könnten euch dabei helfen, es herauszufinden. Blair und ich sind schon seit einem Jahr daran, Daniel zu entlarven, hatten aber bislang keinen Erfolg dabei. Wir glauben, dass er richtig Dreck am Stecken hat." „Erzählten Harry und Eithan bereits." Die Mädchen sahen mich ungeduldig an. Ich seufzte tief. „Gut. Ich mache mit und Felix ist sicher auch dabei. Stimmt's?" Mein Freund nickte zustimmend mit dem Kopf. Auch Chan schien dabei zu sein. Somit waren wir zu sechst und Daniel hatte nur Changbin und Jisung auf seiner Seite. Doch ich wusste genau, wie gerissen die beiden sein konnten. Wenn sie es wollten, wäre es sogar möglich, dass sie Daniel manipulieren und gegen uns aufbringen könnten. Wir durften nicht zulassen, dass es so weit kam.
Mr. Portland betrat mit einem quietschgelben Klemmbrett und einem Stift hinter dem linken Ohr den Saal. Sein strenger Blick wurde von seiner schwarzen Brille und den dunklen Haaren um ein Vielfaches verstärkt. So habe ich einen Lehrer noch nie erlebt. War der schon immer so? „Ist Mr. Portland immer streng oder kommt mir das gerade nur so vor?", wisperte ich Harry zu. Er hatte seinen Blick ebenfalls auf den Lehrer geheftet. „Mr. Portland ist nicht streng. Doch heute scheint er wohl jemanden sehr stark im Auge zu haben." Ich versuchte seinem Blick zu folgen und stellte fest, dass er auf Changbin und Jisung fixiert war. Machte er das, weil er die Neulinge genaustens beurteilen wollte?
Mr. Portland klatschte in die Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. „So, liebe Studenten. Ms. Dawnstring hat mich beauftragt, ich soll einen kleinen Wettbewerb zwischen den beiden Jahrgangsklassen veranstalten. Da wir zwei Neulinge haben, wäre dies eine gute Einführung in den Unterricht. Also. Aufstellung, bitte." Ich folgte meiner Klasse in den Saal und stellte mich neben Blair. „Nervös?", fragte sie mich leise. Ich zuckte mit den Schultern. „Etwas. Aber nicht wegen Mr. Portland." Mein Blick fokussierte Changbin und Jisung. Es sah so aus, als würden sie sich bei Daniel einschleimen. Mir war klar, dass ich sie im Auge behalten musste, aber wie stellte ich das an, ohne selbst erwischt zu werden? Allein werde ich das wohl kaum schaffen. Felix und ich bräuchten wohl etwas Hilfe. Auf einmal ging die Tür auf und die Direktorin kam herein. „Hallo. Ich hoffe, ich störe nicht Ihren Unterricht, Mr. Portland." Wir waren alle recht verblüfft, Ms. Dawnstring hier zu sehen. Mr. Portland stand auf. „Nein. Keineswegs, Ms. Dawnstring. Was führt Sie hier her?" „Ach, ich wollte mir mal Ihre Stunde ansehen. Gerade mache ich meinen Rundgang und wollte einfach mal wissen, wie sich meinen Schüler so machen. Haben Sie etwas dagegen, wenn ich diese Stunde mal zuschaue?" „Aber keineswegs." „Gut." Ms. Dawnstring bat Daniel und seine Klasse als erste aufzutreten. Ich verfolgte Changbin und Jisung mit wütendem Blick. Felix zuckte angespannt mit dem Zeigefinger und kniff die Augen zu winzigen Schlitzen zusammen. Wir schienen beide zu spüren, dass sich bald ein Sturm zusammenbraute. Wahrscheinlich heckten Jisung und Changbin schon einen Plan aus, wie sie Chan, Felix und mich fertig machen konnten. Doch so leicht werde ich es ihnen nicht machen.
Daniels Gruppe tanzte zu Dancefloor von 3rd Prototype. Ich war beeindruckt, wie weich Jihyo sich bewegen konnte. Es sah fast so aus, als würde sie durch den Saal fliegen. Daniel hat nicht zu viel versprochen. Sie war unglaublich begabt. Auch Belle, Tiffany und Dove waren mehr als fantastisch. Zusammen kamen die drei bestimmt auf dreißig Jahre Tanzunterricht. „Haben manchen Schüler auch schon vor dieser Universität Tanzunterricht gehabt?", fragte ich Harry leise. Dieser nickte. „Haben sie. Zum Beispiel hat Belle im Alter von fünf Jahren angefangen zu tanzen und nie wieder damit aufgehört." Ich zog fragend eine Augenbraue hoch. „Sie redet mit dir?" „Hat sie mal. Aber sie war mir einfach zu oberflächlich und sie kam nicht so ganz damit klar, dass ich an Mädchen kein Interesse habe. Daraufhin sind wir Freunde geblieben, doch als Konkurrenten sind wir irgendwann zu weit auseinander gegangen und haben dann nie wieder miteinander gesprochen." „Ihr wart mal befreundet?", fragte ich verwirrt. Harry kniff die Augen zusammen. „Ja. Waren wir. Aber nur mit Jihyo. Als sie dann Daniel näherkam, haben sich unsere Wege immer weiter getrennt. Es war fast so, als wollte Daniel mit Absicht Streit zwischen uns sähen." Ich konnte eine Spur Trauer in den Gesichtern von Courtney und Blair sehen. Vorsichtig fragte ich: „Was ist passiert?" „Ein andern Mal, Hyunjin", sagte Courtney leise und sah nach unten auf ihre Füße. Ein Schatten legte sich über ihren Blick. Ich wurde neugierig, doch wollte sie mit dem Haufen Fragen in meinem Kopf nicht überrumpeln.
Schließlich war die Performance von Daniel und seiner Gruppe vorbei. Er gesellte sich zu Changbin und Jisung, welche ihm gratulierten. Was ist denn in die gefahren? Versuchten sie sich etwa bei Daniel einzuschleimen? Ich ignorierte sie wieder und stellte mich neben Harry in die Reihe. Ms. Dawnstring trat vor. „Jetzt seid ihr an der Reihe. Aber heute möchte ich eine neue Aufstellung ausprobieren, da wir drei Neulinge haben. Harry und Eithan. Ihr bleibt mit den Mädchen in der hinteren Reihe. Aber versetzt, bitte. Chan, Hyunjin, Felix. Ihr stellt euch hier vorne auf." Sie deutete mit ihrem blutroten Kugelschreiber auf einen unbestimmten Punkt. Ohne Widerspruch stellten wir drei uns auf. „Gut. Ich möchte ausprobieren, ob ihr beide als Lead-Dancer geeignet seid." Ich blinzelte verblüfft. „Verzeihung, Ms. Dawnstring, wenn ich Sie unterbreche. Aber meinten Sie gerade Lead-Dancer?" Sie sah mich an, als hätte ich überdimensionale Watteklumpen in den Ohren, die den Weg ihrer Worte zu meinem Gehirn blockierten. Dann sagte sie selbstsicher: „Ja. Richtig. Ich habe gesehen, wie gut ihr seid und wie sehr ihr euch ins Zeug legt. Da möchte ich sehen, wie ihr euch als Lead-Dancer schlagt. Vielleicht werde ich auch die Aufstellung ganz ändern." Ein Lächeln zierte ihr Gesicht. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals herunter und nickte. „Gut. Ich werde es versuchen." „Das ist schön."
Ms. Dawnstring tippte auf ihrem Smartphone herum und Papi von Jennifer Lopez ertönte. Schnell stellte ich mich mit meiner Klasse in Formation. Felix und Harry standen neben mir. Eithan mit Chan und den Mädchen etwas weiter hinten. Dennoch stellte ich sicher, dass jeder von ihnen gut zu sehen war. Die Schritte waren sehr spontan und doch legten sich alle ins Zeug und sie waren großartig. Durch den großen Spiegel hatte ich meine Klassenkameraden gut im Auge. Doch die Choreografie lief einwandfrei. Sie legten sich alle ins Zeug. Vielleicht werde ich ihnen diese Choreo beibringen, dann können wir von einander lernen.
Nach dem Song stand Ms. Dawnstring auf und klatschte begeistert in die Hände. „Das war super. Du könntest gute Chancen darin haben, einer unserer Co-Trainer zu werden, Hyunjin. Du hast wirklich Talent. Felix könnte dich dabei gut unterstützen. Er hat genauso viel drauf wie du. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass ihr beide sehr gute Chancen habt, den Wettbewerb am Ende des Schuljahres zu gewinnen. Wenn ihr mit dem Training am Ball bleibt und euch ordentlich ins Zeug legt." Harry und Eithan schlugen mir freundschaftlich auf die Schulter. Auch alle anderen waren begeistert. Alle, bis auf einen.
Daniel kam verärgert aus seiner Reihe heraus und stemmte verärgert die Hände in die Hüfte. „Ms. Dawnstring. Ich war die letzten Jahre immer Co-Trainer an der Rhythm Coast Academy. Warum wollen Sie das so plötzlich ändern? Wegen einem Neuling?", beschwerte er sich. Was hat den jetzt geritten? Daniel fuhr komplett aus der Haut. Doch davon ließ sich die Direktorin nicht umstimmen. „Daniel. Du solltest langsam lernen, dass man im Leben auch mal eine Niederlage einstecken muss. Ich weiß, dass du einer meiner besten Schüler bist und ich bewundere deinen Ehrgeiz. Doch du musst damit klarkommen, dass du nicht immer die Nummer eins sein kannst. Außerdem hat Hyunjin eine Menge Potenzial, dass er auch gut für andere nutzen kann. Wenn du immer noch meine Entscheidung in Frage stellen willst, wieso kämpfst du nicht darum? Du und Hyunjin. Ein Dance-Battle. Der erste, der aufgibt, verliert. Das klingt doch fair und du müsstest dein Talent nicht mit bösen Worten verschwenden." Ich war absolut schockiert. Daniel wurde gerade von der Direktorin in den Erdboden gestampft wie ein stumpfer Bleistift. Und das vor versammelter Mannschaft. Daniel atmete einmal tief durch und antwortete: „Gut. Einverstanden. Ein Battle. So soll es sein." Ms. Dawnstring warf einen Blick zu mir hinüber. „Ich nehme die Herausforderung gerne an", erwiderte ich mit fester Stimme.
Beide Klassen stellten sich an den Rand der Halle und bannten ihre Blicke auf Daniel und mich. Ich schaute zu Felix, der mir mit einem Fingerzeichen sagte, dass ich es schaffen kann. Ms. Dawnstring änderte das Lied und spielte Gimme More von Britney Spears ab. Und das Battle begann. Daniel hatte Talent. Das musste ich ihm lassen. Doch während wir Auge in Auge durch die Halle tanzten, ließ er einen Schwachpunkt bei sich feststellen. Er kam ins Straucheln und verfehlte mehr als einen Schritt. Sein Ehrgeiz war also Stärke und Schwäche zugleich. Interessant. Ich vollendete meine Choreografie einfach so, wie ich es im privaten Tanzen auch tun würde. Mit Leidenschaft und jede Mende Herz. Beinahe kam es mir schon zu leicht vor, Daniel bei diesem Battle zu besiegen.
Als der Song am Ende angekommen war, klatschte meine Klasse begeistert in die Hände und überfielen mich praktisch schon mit Komplimenten. „Du warst einfach fantastisch", freute sich Blair und umarmte mich. Courtney stimmte ihr zu: „Ja. Das war unglaublich. Wo hast du so tanzen gelernt?" Ich kam nicht mehr dazu, ihr zu antworten, denn Daniel kam auf mich zu und reichte mit seine Hand. „Glückwunsch, Hyunjin. Du bist der erste Schüler, der mich in einem Battle geschlagen hat. Alle Achtung." Ich musterte Daniel kurz und antwortete: „Danke, Daniel. Es war mir eine Freude, gegen dich batteln zu dürfen. Das sollten wir bei Gelegenheit wiederholen." „Ja. Das sollten wir." Mit diesen Worten ging Daniel wieder zurück zu seiner Gruppe. Changbin und Jisung warfen mir erneut hasserfüllte Blicke zu, doch ich ignorierte sie einfach. Viel mehr interessierte mich Daniel. Er stand bei Jihyo und schien sich über mich zu unterhalten. Was die beiden wohl zu besprechen haben?