12 - Unterdrückt 💛

Felix POV

„So, Jungs. Ich bin weg", trällerte ich fröhlich und ließ langsam die große, schwere Hantel auf die Stützstäbe sinken. Hyunjin sah mich verwundert an. „Jetzt schon? Wir haben noch zehn Minuten", keuchte er und tupfte sich mit einem kleinen Handtuch den Schweiß von der Stirn. Ich sah auf meine Uhr. „Weiß ich, doch ich will noch duschen gehen. Ich hoffe, es macht keine Umstände, wenn ich etwas früher gehe." „Das ist in Ordnung", sagte Harry und schraubte seine Trinkflasche zu. „Wir trainieren den ganzen Tag. Da ist es nicht schlimm, wenn wir das Training mal früher beenden. Um ehrlich zu sein, finden die Lehrer das sogar gut und sie überlegen, die Kraft- und Ausdauerstunden zu kürzen." „Wäre ich auch dafür", murmelte ich.
Ich griff nach meiner Tasche und schlenderte gemütlich durch die Ausgangstür. Die Hallen waren so gut wie leer. Von oben hörte ich den Wind durch ein offenes Dachfenster pfeifen. Ich kam mir vor wie in einem Horrorfilm, wo jeden Moment der Mörder aus seinem Versteck sprang und mich erledigen wollte. Die Angst krabbelte mir wie einen Spinne den Rücken hoch. Ich spürte, dass mir jemand folgte. Er war ganz nah. Ich beschleunigte mein Tempo, bog um eine Ecke und blieb stehen. Mein Herz schlug mir bis zum Hals. Die Schritte wurden immer lauter.
„Du brauchst dich nicht zu verstecken, Felix. Dein Parfum riecht man zwanzig Meilen gegen den Wind", ertönte auf einmal eine Stimme. Sie gehörte Changbin. Ich wusste, dass es keinen Sinn machte, mich zu verstecken. Also trat ich langsam aus meinem Versteck hervor und stellte mich den beiden Gestalten gegenüber. „Hat dir deine Mama nicht beigebracht, dass man andere Menschen nicht verfolgen soll?", blaffte ich sie an und stemmte eine Hand in die Hüfte. Changbin zog eine Augenbraue hoch. „Fahr dein Selbstbewusstsein man schnell wieder runter, sonst tust du dir noch weh." Ich rollte mit den Augen. „Wie lange willst du das noch durchziehen? Versuchst du mit dummen Sprüchen und Drohungen mein Leben wieder zu zerstören?" Jisung klatschte theatralisch in die Hände. „Applaus. Du hast es verstanden. Anscheinend bist du doch nicht so dumm wie ich anfangs dachte. Glückwunsch." Genervt schlug ich seine Hände beiseite. „Geh mir nicht auf die Eier und kümmere dich um deinen Kram. Ich habe keine Zeit für dich."
Ich drängte mich an den beiden Jungs vorbei, doch weit kam ich nicht. Changbin stemmte seinen rechten Arm gegen die Wand und versperrte mir den Weg. „Was machst du da? Erst große Töne spucken und dann einfach gehen?" „Wonach sieht es für dich denn aus?", fragte ich und verschränkte die Arme. Sein Ego blies sich immer weiter auf und schien beinahe zu platzen. „Wieso bist du eigentlich so? Ich habe dir nichts getan", fügte ich hinzu. Jisung und Changbin musterten mich, als wäre ich Dreck auf ihren Designer-Hosen. So, wie sie es immer taten. Jisung kam zu Wort: „Deine und Hyunjins Anwesenheit ist für mich schon nervig genug. Und dass ihr beide schwul seid, ist für mich so schlimm wie ein tödlicher Virus. So etwas sollte man auslöschen und nicht frei herumlaufen lassen." Ich konnte einfach nicht glauben, was ich da hörte. Hatten die beiden wirklich einen so großen und brennenden Hass auf Homosexuelle? Und wenn ja, wieso?
Ich atmete tief durch und sagte: „Das muss gerade aus deinem Mund kommen. Mit deiner schlechten Einstellung verpestest du nur die ganze Luft um dich herum. Ich könnte mir auch noch was einfangen." Daraufhin schwieg Jisung. Aber nicht auf die Weise, als hätte ich ihn eingeschüchtert oder so. Es sah mehr danach aus, als wollte er mich jeden Moment mit einem Messer abstechen. Eine düstere Bedrohung strahlte aus seinem Blick auf mich nieder.
Changbin holte tief Luft, um zur nächsten Drohung anzusetzen, als das Geräusch von hohen Absätzen ihn daran hinderte. Ich drehte mich um und sah Ms. Dawnstring mit großen Schritten auf uns zu laufen. „Du hast dieses Mal noch Glück, Felix. Ab jetzt solltest du dich immer zweimal umdrehen, wenn niemand bei dir ist", drohte Changbin mir und setzte gleich darauf ein falsches Lächeln auf.
„Guten Abend, Jungs", sagte Ms. Dawnstring. Jisung neigte respektvoll den Kopf vor ihr, als hätte er nicht gerade eben mit eine Drohung ins Gesicht geschlagen. „Hallo, Ms. Dawnstring. Was führt Sie zu später Stunde noch hier her?" Ms. Dawnstring sah ihn durch ihre runde Brille skeptisch an. Dann antwortete sie: „Ich mache nur meine alltägliche Runde, damit ich sicherstelle, dass nach dem Unterricht auch alle Schüler in ihren Zimmern sind. Wenn ihr keine weiteren Fragen mehr habt, würde ich gerne mit Felix unter vier Augen sprechen." Changbin lächelte wie ein unschuldiges Lamm. Doch ich wusste, was er wirklich dachte. Ohne ein weiteres Wort zu sagen, folgte ich Ms. Dawnstring in ihr Büro.

„Also. Worüber wollten Sie mit mir sprechen?", fragte ich und nahm auf dem kleinen rabenschwarzen Sessel Platz. Die Direktorin griff nach einer kleinen, mit rosa-farbenen Blüten verzierten Teekanne und goss sich Tee in die dazu passende Teetasse. Die Luft wurde von Pflaumen und zarten Vanilleblüten erfüllt. Ms. Dawnstring schob mir die Tasse zu. Dann sagte sie: „Es ist nichts Ernstes. Du brauchst keine Angst zu haben. Ich habe nur ein paar Fragen an dich." Mein Blick bohrte sich durch die violette Flüssigkeit in der Tasse. Ich hatte keine Angst vor der Direktorin. Nur vor der Situation. „Okay. Fragen Sie. Ich werde die Fragen so gut es geht beantworten." Ein Lächeln zierte Ms. Dawnstrings Gesicht.
„Schön. Meine erste Frage ist: Wie ist die Beziehung zu dir und Changbin? Jisung zähle ich auch dazu." Ich biss mir auf die Unterlippe. „Nun. Wir sind keine Freunde und waren es auch nie. Sie hassen mich und ich weiß nicht einmal, warum." Einen Augenblick war es ruhig. Ms. Dawnstring schien nachzudenken. „So wie ich das vorhin im Flur mitbekommen habe, scheinen sie deine Beziehung zu Hyunjin nicht zu tolerieren." „Das ist für uns nichts Neues." Nachdem ich meinen Satz beendet hatte, bemerkte ich erst, was Ms. Dawnstring gesagt hatte. Also fragte ich: „Haben Sie... die Situation etwa beobachtet?" Sie nickte mit dem Kopf. „Ich habe so viel mitbekommen, wie nötig war. Auf jeden Fall weiß ich, dass diese Spannung zwischen Changbin, Jisung und dir ernst ist. Ich habe in elf Jahren Dienstzeit schon viel erlebt, doch das habe ich so noch nicht gesehen." Ich presste die Lippen aufeinander. „Felix. Willst du mir nicht erzählen, was vorgefallen ist?"
Ich nahm einen tiefen Atemzug und antwortete: „Als ich damals mein elftes Schuljahr in Seoul begonnen habe, war es sehr schwierig für mich, Anschluss zu finden. Und nach einiger Zeit haben Changbin, Jisung und Chan angefangen, mich zu schikanieren." Ms. Dawnstring sah einen Augenblick überrascht aus. „Chan war damals auch involviert?" „Ja. Aber er hatte einen Grund und ist jetzt unser Freund. Chan war..." Ich war mir nicht sicher, ob ich Ms. Dawnstring die ganze Geschichte erzählen sollte. Doch dann sah ich ihren vertrauenswürdigen Blick. Ich konnte mich ihr öffnen. „Chan hat mir vor einem Jahr gestanden, dass er Gefühle für mich hatte. Und die hat er heute noch. Wenn ich das viel früher gewusst hätte, hätte ich ihm vielleicht helfen können, damit besser klarzukommen. Ich..." „Hast du auch Gefühle für ihn?" Ich sah Ms. Dawnstring mit weit aufgerissenen Augen an. Darüber habe ich noch nie nachgedacht. „Nein. Chan ist wirklich ein guter Freund für mich. Und ich komme damit klar, dass er Gefühle für mich hat. Er akzeptiert meine Beziehung mit Hyunjin." Ms. Dawnstring ließ das Thema mit folgendem Satz fallen: „Ich war nur neugierig. Verzeih mir, dass ich gefragt habe." „Sie müssen sich nicht entschuldigen, Ms. Dawnstring." „Ich schätze dein Verständnis, Felix. Ich habe keine weiteren Fragen mehr. Du kannst jetzt gehen, wenn du willst." Ich nickte und stand auf. Doch kurz bevor ich durch die Tür verschwand, drehte ich mich noch mal zu ihr um und sagte: „Vielen Dank für den Tee. Und ... danke, dass Sie mir zugehört haben."

Ich ließ mich auf mein Bett sinken und zog die Schuheaus. Das Gespräch mit Ms. Dawnstring hat mich zum Nachdenken gebracht. Chan hat in letzter Zeit nie über seine Gefühle mir gegenüber gesprochen und es auch nicht erwähnt. Wir haben kaum darüber geredet. Es schien fast so, als wollte er dem Ganzen aus dem Weg gehen. Ich liebte Hyunjin mehr als alles andere auf der Welt. Ich würde für ihn sogar sterben, wenn es nötig wäre. Doch was war mitChan? Wird sich jemals etwas zwischen uns ändern? Was, wenn er sich so inseinen Gefühlen zu mir verliert, dass ihm etwas geschieht? So wie mir damals?Ich fing an, mich um Chan zu sorgen.
Es klopfte an meiner Zimmertür. „Komm rein", sagte ich und setzte mich auf.Hyunjin kam herein. „Hey, Babe. Ich wollte nach dir sehen, weil du nach dem Krafttraining nicht in deinem Zimmer warst." „Ich war bei Ms. Dawnstring. Sie wollte mich kurz sprechen, nachdem Jisung und Changbin mich erneut bedroht hatten. War aber nichts ernstes." Hyunjin setzte sich zu mir auf mein Bett undlegte einen Arm um meine Schultern. „Dann ist ja gut. Ich habe mir Sorgen umdich gemacht." „Du machst dir ziemlich viele Sorgen um mich. Kann das sein?"Hyunjin lachte. „Natürlich mache ich mir Sorgen um dich. Du bist mein Freundund ich liebe dich. Das weißt du." „Natürlich weiß ich das. Ich liebe dich auch."Ich sah weg und legte mich auf Hyunjins Schoß. „Beschäftigt dich etwas?",fragte er und strich mir meinen viel zu langen Pony aus den Augen. Ich seufzte. „Ja. Stört es dich, dass Chan Gefühle für mich hat?" Hyunjin wirkte, als hätteihn ein Blitz getroffen. Er sagte einen Moment lang nichts. Ich hättenachdenken sollen, bevor ich ihm so eine sensible Frage stelle. Schuldgefühle überkamen mich und schienen mein Herz in zwei Hälften zu reißen. Dann unterbrach seine Stimme die Stille: „Es war anfangs schwierig, doch jetztverstehe ich es besser. Gegen Gefühle kann man nichts machen. Es wird schonalles gut werden." Ich atmete die Spannung aus meinem Körper heraus. Hyunjin hatte recht. Es würde schon alles gut werden.
Ich sah Hyunjin in die Augen. Das dunkle Braun funkelte wie ein Edelstein undströmte eine gewisse Wärme aus, die mich in eine Decke, gewebt aus Liebe undZuneigung, einwickelte. Sie schützte mich vor der kalten Welt, die hintermeiner Zimmertür lauerte. Ich beugte mich zu Hyunjin hinüber und küsste ihn.Seine Lippen waren warm wie das Sonnenlicht, welchen hinter dem Meeresspiegel unterging.
Hyunjin blieb noch eine ganze Weile bei mir, bis ich beinahe eingeschlafen war.Er deckte mich sanft zu und gab mir einen letzten Kuss auf die Stirn. „Gute Nacht, mein Engel. Träum süß", waren seine letzten Worte, bevor er mein Zimmerverließ. Und plötzlich zog ein eiskalter Wind durch mein Zimmer, als wäre derWinter ein paar Monate zu früh dran.

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