❥ Chapter 6

Lyas POV

Es ist 05:35 Uhr, als ich auf meinen Wecker schaue. Die ganze Nacht habe ich mich hin- und hergewälzt und versucht einzuschlafen und es zwichen 3 und 4 Uhr auch anscheinend geschafft, aber jetzt ich bin schweißgebadet aufgewacht. Wieder ein Albtraum und wieder der Gleiche. Hat das jemals ein Ende?

In weniger als einer Stunde muss ich aufstehen und mich fertig machen für die Schule. Ich schalte das Radio an und hoffe, mit Musik noch etwas Schlaf zu bekommen, damit ich nicht ganz so fertig aussehe, wie ich mich fühle.

"Aufstehen, Lya", höre ich eine Stimme zu mir sprechen, die weit entfernt scheint. Ich mache die Augen langsam auf und drehe mich herum. 06:20 Uhr zeigt mein Wecker an. Ich musste wohl wieder für kurze Zeit eingeschlafen sein.

"Guten Morgen." Erst jetzt bemerke ich, dass Mom im Türrahmen steht und mich ansieht.

"Ja, guten Morgen", gebe ich mit einem unbeabsichtigten leichten sarkastischen Unterton zurück.

"Ich mache dir dein Frühstück. Bis gleich." Sie dreht sich um und geht wieder runter in die Küche. Es überrascht mich, dass sie mir nicht fragt, ob sie mich zur Schule fahren soll, da sie das nach Nicks... Tod bis zum Schuljahresende immer tat. Vielleicht traut sie mir jetzt zu, dass ich den Schulweg alleine gehe und auch wirkich hingehe und mir nichts antue oder so. Das wäre zumindest ein Fortschritt für sie.

Wenn ich daran denke, dass ich den Schulweg zum ersten Mal alleine, und vor allem ohne Nick laufen muss, wird mir übel. Wie kann ich einfach zur Schule gehen und mein Abschlussjahr haben, wenn er in seinem Grab liegt und tot ist? Wieso ist das alles nur so beschissen abgelaufen? Gott, wenn ich doch nur die Zeit zurüchdrehen könnte... Und wieder schleichen sich die Bilder seines leblosen Körpers in meine Gedanken. Ein Engegefühl in meiner Brust breitet sich aus, bis ich ein lautes Scheppern höre und aufschrecke.

"Es ist nichts passiert. Mir ist nur ein Teller auf den Boden gefallen", ruft Mom und ich stoße erleichtert die Luft aus, die ich kurz innehielt.

Jetzt muss ich wirklich aufstehen, bevor ich einen nächsten Zusammenbruch bekomme. Irgendwie muss schließlich alles weitergehen.
Also steige ich aus meinem Bett und gehe zum Schrank, um mir Klamotten rauszusuchen und danach ins Bad. Nach ungefähr einer halben Stunde bin ich fertig und gehe mit meinem Rucksack und einer dünnen Jacke runter. Ich stelle meine Tasche an die Seite und setzte mich an den Esstisch, an dem meine Mom bereits sitzt.

"Ist Dad schon weg?", frage ich sie, um mich abzulenken und Stille zu vermeiden.

"Ja, er musste heute etwas früher los", antwortet sie mir und beißt in ihr Brot.

Ich nicke stumm. "Und Tes-"

"Tessa schläft noch. Sie muss heute erst später ins College", ewidert sie freundlich. Ich vermute sie weiß, dass ich nervös bin. Ach was, Nervosität ist das schon nicht mehr. Das ist schon Angst. Sie scheint meine Sorge zu bemerken und legt ihre Hand sanft auf meine.
"Alles wird gut gehen. Glaub mir das, Lya. Ich weiß, es ist schwer, aber du stehst das durch, das weiß ich."

Meine Augen füllen sich mit Tränen, als sie das sagt und ich wische diese mit meinem Handrücken weg. Ich löse den Blick von meinen unangerührten Toast und schaue in ihr Gesicht. Sie schenkt mir ein ermutigendes Lächeln.

Ich beruhige mich etwas und nach ein paar Minuten, in denen wir so dasitzen, klingelt es an der Tür. Da Mom keine Anstalten macht aufzustehen, stehe ich auf und öffne sie.
Erschrocken stehe ich im Türrahmen. Mit ihr hätte ich jetzt gar nicht gerechnet, obwohl es mir eigentlich hätte klar sein müssen, schließlich ist sie Maddie. Und auch, wenn ich in letzter Zeit ziemlich abweisend war, ist sie trotzdem für mich da oder vesucht es zumindest zu sein.

"Guten Morgen, Lya. Ich dachte, wir können heute zusammen zur Schule gehen", begrüßt sie mich mit einem zurückhaltenden Lächeln.

Hinter mir kommt meine Mom zum Vorschein. "Guten Morgen, Maddie. Schön, dich zu sehen."

"Guten Morgen. Danke, ebenfalls schön Sie zu sehen."

Mom stubst mich an und das holt mich wieder in die Realität zurück.

"Hi." Mehr bekomme ich nicht heraus. Ihr Lächeln bekommt nun einen mitleidigen Ausdruck. Maddie ist schon seit einer gefühlten Ewigkeit meine beste Freundin, obwohl sie es in Wirklichkeit erst seit weinigen Jahren ist, und doch habe ich plötzlich das Gefühl, diese Person, die vor mir steht, kaum zu kennen.

Maddie ergreift erneut das Wort. "Sollen wir dann los? Lieber zu früh da sein als zu spät."

"Ja, stimmt. Ich muss nur noch kurz meine Tasche holen und Schuhe anziehen", antworte ich darauf.

Ich versuche sie anzulächeln, aber es kommt nur gequält rüber. Also drehe ich mich um und mache mich schnell fertig. Gerade, als ich wieder rausgehen will, höre ich Mom und Maddie über mich reden und bleibe im Türrahmen stehen.
"Danke, dass du gekommen bist, Maddie."

"Kein Problem. Das hatte ich sowieso vor, aber ich war mir nicht sicher, ob es richtig wäre oder nicht. Lya war sehr distanziert in den letzten Wochen und irgendwie kann ich nicht zu ihr durchdringen. Ich meine, ich hab's zwar versucht, aber Sie wissen ja, wie sie ist."

Mom seufzt. "Ja, das stimmt. Aber ich denke, es hilft ihr, wenn du sie begleitest. Sie brauchst jemanden, der bei ihr ist und ihr Halt gibt, jetzt wo", sie senkt ihre Stimme. „Nick nicht mehr da ist." Ich schlucke. Je öfter diese Tatsache ausgesprochen wird, desto realer wird sie.
Ihr Gespräch versummt und ich kann mir vorstellen, wie die beiden sich gegenseitig mitleidende Blicke zuwerfen. Als ich gerade rausgehen will, sagt Maddie noch etwas und ich bleibe stehen. "Ich vermisse ihn zwar auch und die Umstände sind mehr als schrecklich, aber ich glaube Lya hat der Verlust am meisten zugesetzt, abgesehen von seiner Familie natürlich. Ich kenne sie nun schon seit Jahren, aber ich habe sie noch nie so erlebt, so vollkommen anders. Nick war zwar auch einer meiner Freunde, aber so gut und so lange kannte ich ihn nicht, um, naja... Sie wissen schon."

Mom scheint zu nicken, denn sie antwortet nicht.

Ja, Maddie. Ich weiß, was du meinst. Wir haben ziemlich selten zu dritt etwas gemacht, weil sie und Nick einfach zu verschieden waren. Sie haben sich zwar gut verstanden und so, aber es war mehr eine Schulfreundschaft, die sich eher auf die Schule beschränken und weniger auf die Freizeit. Oder eher eine Lya-Freundschaft.

Maddie ist die vertrauenswürdigste und zuverlässigste Person, die ich kenne. Sie ist immer da, wenn ich sie brauche und ich kann ihr alles erzählen. Wirklich alles, wenn ich es mal nicht in mich hineinfresse. Nick wiederum war der lustigste und – wie ironisch – der lebendigste Mensch, den ich je getroffen habe. Er brachte mich immer zum Lachen und wusste, wie er mich aufheitern konnte, wenn ich traurig war. Wenn ich das doch nur gewusst hätte... Ich weiß nicht, ob es sowas wie Seelenverwandtschaft bei uns war, aber es kam jedenfalls schon sehr nah dran.

Da immer noch keiner der beiden etwas sagt, trete ich hinaus und schultere meinen Rucksack. "Sorry, ich musste noch etwas einpacken, das ich vergessen hatte", lüge ich.

Beide nicken und ich frage, ob wir loskönnen.
"Klar, wenn du bereit bist."

Nein. Ich bin ganz sicher nicht bereit, aber ich kann daran nichts ändern. Das Leben geht nunmal weiter, wie beschissen das auch klingen mag.

Also auf in unser letztes Schuljahr ohne Nick und mit einem von nun an leeren Platz neben mir, wenn Maddie nicht in meinem Kurs ist und das ist sie leider nicht so oft, wie es der leere Platz sein wird.

Wir beide machen uns also auf den Weg zur Schule, den ich das erste Mal ohne Nick gehe und, wie erwartet, fühlt es sich komisch an. Maddie wirft mir jedoch ermutigende Blicke zu und ich kann nicht anders als zurückzulächeln, diesmal ehrlich.

"Ich bin da, Lya. Du musst das nicht alleine durchstehen."

"Danke, Maddie. Und es tut mir Leid, dass ich mich nicht gemeldet habe." Das tut es mir wirklich, aber ich konnte es einfach nicht.

"Ist schon in Ordnung, ich verstehe das. Du sollst nur wissen, dass du immer mit mir reden kannst, egal um was es geht."

"Ja, danke."

Langsam bemerke ich, dass die Sonne immer mehr aufgeht.

"Ausnahmsweise regnet es mal nicht, seitdem ich wieder hier bin", wirft Maddie in die Runde.

Stimmt. Es wirkt, als hätte die Erde sich ausgeweint und kann nun wieder lachen. Als ob Nick dem Wettergott gesagt hätte, dass er heute die Sonne scheinen lassen soll, damit unser erster Tag als Senior so wird, wie wir ihn uns immer vorgestellt haben. Bei diesem Gedanken schaue ich in den Himmel und muss lächeln.

"Viellicht ist das ein gutes Omen. Man weiß ja nie", sagt Maddie hoffnungsvoll.

"Ja, vielleicht", antworte ich.

Einige Minuten laufen wir still nebeneinander her, bis ich es irgendwann nicht mehr aushalte und das sage, was ich ihr schon längst hätte sagen sollen. "Es tut mir leid, Maddie." Ich bleibe stehen.

Sie bleibt ebenfalls stehen. "Das sagtest du bereits." Wie immer lächelt sie mich freundlich an und ihre Augen strahlen diese typische Maddie-Wärme aus, die mir sofort noch stärkerer Schuldgefühle beschert.

"Ich weiß, aber du solltest es nochmal hören. Ich war keine gute Freundin und eine beste Freundin schon gar nicht. Ich hätte dich nicht wegdrücken und meiden sollen. Es ist nicht so, dass du mir egal bist und ich nicht mehr mit dir befreundet sein möchte, nur-"

Maddie winkt mit ihrer linken Hand ab. "Wie gesagt, es ist in Ordung. Ich weiß, dass die letzten", sie zögert kurz, "Monate nicht leicht für dich waren und es immer noch schwer ist. Klar, ich war in den letzten Wochen schon sauer und enttäuscht, aber ich verstehe es. Naja, ich versuche es zumindest. Nur wäre es ab jetzt besser, wenn du dich mir öffnen könntest. Also ich zwinge dich nicht dazu, aber bisher konntest du auch immer mit mir reden." Sie streichtt sanft mit ihrer Hand über meinen Arm. "Ich bin's doch nur. Maddie."

Meine Augen beginnen zu brennen und ich bemerke, wie sie sich erneut mit Tränen füllen und befürchte, dass der Damm zu brechen droht. Auch Maddie scheint das zu bemerken und sie tut genau das Richtige, wie immer eigentlich. Statt mich nur mitleidig anzusehen, nimmt sie mich mitten auf dem Gehweg in den Arm. In diesem Moment wird mir klar, dass ich mich nicht von ihr hätte distanzieren sollen. Stumm laufen mir die Tränen über die Wangen, die ich nicht mehr zurückhalten kann, und mir wird bewusst, dass es stimmt, was man sagt. Es stimmt, dass stumme Tränen die schmerzvollsten sind. Aber ich versuche mich trotzdem schnell wieder zu beruhigen und den Schmerz erstmal runterzuschlucken. Eigentlich sollte ich das nicht, aber gerade kann ich die Schwäche nicht zulassen. Sonst werde ich diesen Tag nicht durchstehen.

Als ich mich wieder etwas beruhigt habe, lässt Maddie mich vorsichtig los und sieht mir ins Gesicht. Sie versucht mir ein ermutigendes Lächeln zuzuwerfen und hakt ihren linken Arm in meinen rechten und zieht mich ein wenig nach vorn. Mit meiner linken Hand nehme ich mir ein Taschentuch aus der Jackentasche und wische mir meine Tränen weg.
"Danke", flüstere ich ihr mit kratziger Stimme zu.

"Kein Problem."

*

An der Schule angekommen, stehen wir vor dem Tor, das in meine persönliche Hölle führt.
"Bereit?" Maddie sieht mich fragend und auch ein bisschen verunsichert an.

Ich atme tief durch und nicke langsam. Dazu versuche ich noch ein Lächeln aufzusetzen, was mir aber mehr als falsch vorkommt und lasse es dann doch lieber. Wir betreten das Schulgelände und kommen zuerst in die Eingangshalle, weil dort der Vertretungsplan und alle sonstigen wichtigen Informationen zu finden sind. Als ich die Tür öffne, steigt mir sofort unser Schulgeruch von Holz in die Nase. Mir grault es vor dem Tag. Doch zum Glück scheint uns niemand wirklich zu bemerken. So scheint alles normal zu sein.

Maddie und ich steuern auf das schwarze Brett zu, da dort an jedem ersten Tag eines neuen Schuljahres steht, welche Kurse sich in welchen Räumen zusammenfinden sollen. Da Maddie ein Stück größer ist als ich und sich vor dieser Tafel eine Traube Schüler gebildet hat, kämpft sie sich vor und schaut nach, in welchen Raum wir gehen müssen, da sie und ich im gleichen Tutorkurs sind und wir diesen immer in den ersten Stunden nach den Sommerferien haben. Ich bleibe im Hintergrund stehen und schaue mich um. Es kommt mir so surreal vor, dass ich jetzt wieder täglich zur Schule gehen muss, nachdem ich den ganzen Sommer nur zu Hause war.

Jemand stupst mich leicht an und ich schrecke zusammen. Doch als ich mich umdrehe, sehe ich Maddie vor mir stehen. "Wir müssen gleich zum Englischraum. Wie letztes Jahr."  Ich nicke kaum merklich. Wie letztes Jahr... nur, dass dieses Jahr alles anders ist.

Es klingelt nach zwei Minuten und wir begeben uns in Richtung Englischraum. Der Weg dorthin ist nicht lang und der Raum steht bereits offen. Also treten wir schon ein. Einige unserer Mitschüler sitzen bereits auf ihren alten Plätzen aus dem letzten Schuljahr und unterhalten sich eifrig über ihre Erlebnisse des Sommers, was ich in kleinen Bruchstücken mitbekomme.

Als Maddie und ich uns auf unsere Plätze setzten - genau dieselben wie letztes Jahr - spüre ich Blicke in meinem Rücken. Nicht von allen, die da sind, aber von einigen. Das hasse ich an Images. Mein Image ist nunmal die beste Freundin des Jungen, der sich das Leben nahm. Zum Glück wissen sie nicht, dass ich ebenfalls diejenige war, die ihn gefunden hat. Dieses Detail konnte ich zum Glück vor vielen verbergen. Schließlich müssen sie nicht immer alles wissen und ich habe keine Lust, auf Fragen zu antworten oder mir noch mehr Mitleidsbekundungen anzuhören.

Das Klassenzimmer füllt sich immer mehr mit Schülern und ich sehe all die vertrauten Gesichter wieder, denen ich den ganzen Sommer über gekonnt ausgewischen bin. Ich drehe mich nach rechts und schaue hilfesuchend zu Maddie. "Es ist alles gut. Mach dir keine Sorgen."

Es ist wirklich nett von ihr, dass sie mich versucht zu beruhigen, aber es klappt nicht wirklich. Innerlich bin ich dermaßen angespannt, dass ich nicht einmal merke, wie sehr ich mich am Tisch festhalte, bis ich loslasse und Abdrücke erkenne.

In unserem Klassenzimmer, eigentlich in jedem Raum in dieser Schule, gibt es sechs Reihen mit jeweils zwei Doppeltischen. Da wir kein wirklich großer Kurs sind, werden nur die ersten fünf Reihen gefüllt. Außer dem Platz, der links neben mir ist... Da ich den Blick auf den leeren Stuhl links neben mir nicht richten kann, schaue ich rechts an die Wand, an Maddie vorbei. Ich merke, wie abwesend ich bin, weil die Geräuchkulisse um mich herum immer leiser und weiter entfernt zu sein scheint. Bis Maddie mit ihrer Hand vor meinem Gesicht rumwedelt. Ich schrecke zusammen und sehe sie mit großen Augen an. Gott, warum verhalte ich mich heute nur wie ein Freak? Sie deutet mit einem Nicken an, dass ich mich rumdrehen soll. Ist Mrs Anderson etwa schon da?

Doch als ich mich umdrehe steht nicht Mrs Anderson vor mir, sondern ein Typ, der mir ziemlich bekannt vorkommt, den ich aber noch nie in diesem Kurs hier gesehen habe. Er sieht mit seinen braunen Augen und einem charmanten Lächeln zu mir herunter, was wahrscheinlich schon einige Mädchenherzen zum schmelzen gebracht hat. Genau in diesem Moment verändert sich seine Miene und eine kleine Falte legt sich auf seine Stirn.
Doch statt das zu sagen, was er womöglich in diesem Moment zu denken scheint, fragt er mich etwas anderes. "Ist der Platz hier noch frei?"

Es ist eine einfache Frage, die mich aber sofort überfordert. Ganz kurz sehe ich vor meinem inneren Auge Nick auf diesem Stuhl sitzen, doch dann verschwindet er. "N- ähm ich meine ja, der Platz ist frei." Und weil ich mich noch nicht genug vor ihm blamiert habe, schiebe ich noch ein peinlich augesetztes Lächeln hinterher. Gott, lass mich bitte von hier verschwinden.

"Cool." Und schon zieht er den Stuhl zurück und setzt sich darauf. Ähm? Er stellt seine Tasche ab und hägt seine Jacke, die er in der Hand hatte, über die Stuhllehne. Jemand Neues sitzt auf Nicks Platz. Er gehört nicht mehr ihm. Er ist nicht mehr da und wird auch nicht mehr wiederkommen.

Ich muss ihn wohl völlig entgeistert angesehn haben, denn er schaut mich mit einem leicht besorgten Blick an. "Ist es in Ordnung, dass ich mich hierhingesetzt habe? Deinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, sieht das nämlich nicht so aus. Ich kann auch...", fragt er vorsichtig.

"Nein", ich unterbreche ihn. "Ist schon okay." Ich schlucke den Kloß in meinem Hals runter und hoffe, dass weder er noch Maddie das bemerken.

Er lächelt wieder. "Das ist gut."

Ich hoffe inständig, dass das peinliche Gespräch somit vorbei ist, aber dann schlägt es mir ein wie ein Blitz. Ihm wahrscheinlich auch.

"Sag mal, haben wir uns nicht schonmal gesehen?", fragt er und mustert mich fragend. Wieder tritt die kleine Falte auf seine Strin.
In meinem Rücken spüre ich Maddies überraschten Blick. Oh Mann, ist das peinlich. Ich hoffe er erinnert sich nicht.

"Ich denke..."

"Ja doch, das Toast-Mädchen von letzter Woche." Okay Mrs Anderson, so langsam dürften Sie auch mal erscheinen.

"Das Taost-Mädchen von letzter Woche?", höre ich hinter mir eine belustigte Maddie wiederholen, doch ich ignoriere ihren Kommentar.

Ich nicke nur und der Kerl fängt an zu lachen. Warum verdammt lacht er?

"Hat das Toastbrot denn geschmeckt?"

Ich verdrehe die Augen. Wie kann man nur so sein? "Ja, hat es. Ich kann's dir nur ans Herz legen", entgene ich sarkastisch.

"Okay, dann werde ich es wohl mal probieren." Lächelt er mir zu und wendet sich dann ab.
Etwas überrumpelt drehe ich mich zu Maddie und diese kann sich kaum noch auf dem Stuhl halten vor Lachen. Erneut verdrehe ich die Augen. "Was war das denn gerade?"

"Bitte frag mich nicht." Das soll doch wohl ein schlechter Witz sein. Dieser Tag ist jetzt schon die reinste Katastrophe. Aber ich kann mir genau vorstellen, wie Nick gerade auf mich schaut und sich schlapplacht, genau wie Maddie.

"Hey, Leute. Zum Glück bin ich noch rechtzeitig da. Am ersten Schultag nach den Ferien zuspätkommen wäre schon ziemlich peinlich", begrüßt uns Jonah uns außer Atem. Ich bemerke, wie er zuerst mir ein freundliches, jedoch distanziertes Lächeln zuwirft, welches ich versuche zu erwideren. Dann wandert sein Blick weiter zu Maddie. Er bleibt etwas länger an ihr haften und ich sehe, wie sich seine Wangen leicht verfärben. Mein Blick gleitet zu Maddie und ihre Wangen verfärben sich ebenfalls. Was habe ich verpasst?

Jonah war auch ein enger Freund von Nick und saß somit ebenfalls in unserer Reihe. Sein Platz war und ist immer noch der außen links, neben dem von Nick. Also setzt er sich diesmal auch wieder dorthin und seine Reaktion auf seinen neuen Sitznachbar fällt defintiv positiver und viel willkommener aus als meine. Jonah begrüßt ihn, als würde er ihn schon ewig kennen. Wie kommen alle mit Nicks Tod klar, aber ich nicht?

Meine Gedanken werden von Mrs Anderson unterbrochen, die auch mal auftaucht. Pünktlichkeit war noch nie so ihre Stärke, aber dafür ist sie eine gute Lehrerin. "Tut mir wirklich Leid, dass ich am ersten Tag schon wieder zu spät komme, aber es gab Chaos im Lehrerzimmer", entschuldigt sie sich außer Atem, während sie ihre Tasche auf das Pult fallen lässt. "Jedenfalls", sie klatscht enthusiastsich in die Hände, "wünsche ich euch einen guten Start ins neue, und für euch auch letzte, Schuljahr! Schön, euch alle gesund und halbwegs munter wiederzusehen. Und, wie ich sehe, haben wir jemand Neues hier. Willst du dich vielleicht mal vorstellen? Es ist nicht oft so, dass jemand zum Abschlussjahr wechselt."

Der Junge neben mir steht auf und setzt wieder sein charmantes Lächeln auf. Der geht mir jetzt schon auf die Nerven. "Hi Leute. Ich heiße Alec Scott, bin neu hergezogen und 17 Jahre alt." Alec Scott also. Was für ein typischer Name für eins dieser beliebten Kids, die von allen vergöttern werden, aber genau aus diesem Grund auch jeder hasst. Hoffentlich ist der nicht so einer.

Er setzt sich wieder hin und Mrs Anderson fährt mit weiteren Organisationen fort.

"Alec also", flüstert Maddie mir kaum merklich ins Ohr und zuckt mit ihren Augenbrauen, als ich sie danach anschaue. Ich muss ihr unbedingt alles erklären, damit sie es nicht falsch versteht. Im Gegenzug hat sie mir auch noch so einges zu erklären, also richte ich meine Aufmerksamkeit wieder nach vorne und höre Mrs Anderson zu.

Diese Stunde zieht sich wie Kaugummi, während Mrs Anderson munter vor sich hinplappert und ich bemerke immer wieder, wie Alec in unsere Richtung schaut. Wahrscheinlich fragt er sich auch, warum er sich neben einen Freak wie mich gesetzt hat und in welcher Hölle er gelandet ist. Tja, herzlich willkommen im Irrenhaus, Alec Scott.

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