❥ Chapter 50

Lyas POV

Okay, ich gebe es zu. Ich bin doch froh, mit Maddie zur Party gegangen zu sein. Zeit mit Freunden zu verbringen ist manchmal die beste Medizin. Sowas ähnliches hatte Mrs Jensen mal zu mir gesagt und ich bin froh, dass Maddie weiß, wie sie mich zu meinem Glück zwingen muss. Sonst hätte ich diesen Abend allein in meinem Bett verbracht und allem hinterhergeweint, was ich in diesem Jahr verloren habe.

Schon seit geraumer Zeit sitze ich mit Maddie, Brooke, Alexis und noch anderen Mädchen aus meinem Jahrgang auf einem der dunkelgrauen Sofas in Gavins Wohnzimmer und spielen irgendwelche Partyspiele und erzählen uns lustige Dinge. Es fühlt sich alles wieder normal an und ich wünschte, dieses Gefühl wäre nicht nur temporär, sondern konstant. Gerade erzählt Brooke eine peinliche Datingstory von sich und einem komischen Typ namens Joe, als ich meinen Blick durch den Raum wandern lasse, bis ich ihn sehe und mein Blick an ihm kleben bleibt. Mein Magen verkrampft sich und ich nehme kaum noch etwas um mich herum wahr. Klar, ich hätte wissen müssen, dass Alec heute ebenfalls zur Party kommen würde. Schließlich ist der ganze Jahrgang eingeladen. Trotzdem habe ich bei seinem Anblick das Gefühl, als würde sich alles langsamer bewegen. Ich war nicht darauf vorbereitet, ihn so schnell wiederzusehen.

Mein Lächeln verschwindet, als ich bemerke, dass er mit Nate spricht und plötzlich lacht. Mein Herz wummert wie wild gegen meinen Brustkorb. Obwohl die Musik im Raum so laut ist, dass sie viele Gespräche übertönt, kann ich trotzdem sein Lachen hören. Oder ich bilde mir ein, es zu hören, weil ich genau weiß, wie es klingt.

Alec dreht sich herum und als wären unsere Blicke wie Magneten, ziehen sie sich sofort an und treffen sich. Sein Lächeln gefriert und kann ihm ansehen, wie unangenehm diese Situation für ihn ist. Mir wird schlecht und ich habe plötzlich das Gefühl, als würde mir jemand die Luft abdrücken.

Mit einem leichten Stupser in meine Seite von Maddie, schaffe ich es, meinen Blick abzuwenden. "Sollen wir gehen?", fragt sie nah an meinem Ohr und schafft es, über die Musik hinaus zu reden, sodass die anderen es nicht hören.

Benommen schüttle ich den Kopf. "Nein. Ich gehe mal kurz frische Luft schnappen", gebe ich zurück und stehe auf.

"Soll ich mitkommen?" Meine beste Freundin mustert mich besorgt. Am liebsten würde sie mich begleiten, aber gerade brauche ich eine Minute für mich. "Nein, ich... ich muss kurz alleine sein." Mir ist egal, was die anderen sagen und wie sie reagieren. Ich muss hier raus. Also quetsche ich mich an den anderen Gästen in Richtung Garten vorbei. Endlich draußen, suche ich mir einen ruhigen Platz, der von den anderen etwas abgelegen ist, sodass ich etwas Privatsphäre habe. Zum Glück ist Gavins Garten groß genug, dass man sich etwas zurückziehen kann, wenn einem die Party zu viel wird.

Als ich eine gute Stelle gefunden habe, die ein Stück von Haus entfernt ist, bleibe ich stehen und atme so lange tief durch, bis sich mein Herzschlag etwas beruhigt. Von hier aus ist die Musik auch nicht mehr ganz so laut, sondern dringt eher wie ein Hintergrundgeräusch aus dem Haus. Dann öffne ich meine Augen wieder und schaue nach oben. Diese Nacht ist perfekt für Silvester. Der Himmel ist sternenklar und einer der schönsten Anblicke seit längerem. Sofort sind alle Gedanken aus meinem Kopf gewischen und ich nehme nur noch den Himmel wahr.

Ich bin so sehr von diesem Anblick fasziniert, dass ich kaum bemerke, dass sich mittlerweile jemand zu mir gestellt hat.

Alecs POV

Als ich Lya das erste Mal seit Tagen in die Augen schaue, bleibt mein Herz stehen. Sie ist so verdammt schön. Am liebsten würde ich zu ihr gehen und sie in den Arm nehmen und küssen. Doch das geht nicht. Die Distanz zwsichen uns ist immer noch mehr als spürbar. Und das liegt nicht daran, dass wir an zwei verschiedenen Enden eines Raumes stehen. Oder vielleicht trägt diese Tatsache einen Teil dazu bei. Mein Magen zieht sich zusammen. Es hat sich nichts geändert; ich mag sie immer noch und zu sehen, wie weit wir voneinander entfernt sind, schmerzt.

Nate dürckt mir einen Becher in die Hand und ich bedanke mich mit einem aufgesetzten Lächeln bei ihm. Als ich mich wieder zu Lya umdrehe, bemerke ich, dass sie flüchtet. Oh nein, nicht noch einmal. Ich drücke mein Getränk irgendeinem Typ in die Hand, der gerade an mir vorbeigeht und folge ihr. Keine Ahnung, wohin sie möchte, aber ich gehe ihr hinterher und werde mit ihr reden, sobald sie stehen bleibt. Dann wird sie mir auch nicht mehr ausweichen können.

Es wird kälter, je weiter wir gehen und ich weiß, dass sie nach draußen in den Garten möchte. Hätte ich mir denken können. Die frische Luft war schon immer irgendwie ihre Zuflucht.

Meine Schritte verlangsamen sich und ich versuche, etwas mehr Distanz zwischen uns zu bringen, um sie nicht direkt zu überfallen.
Als ich mich auf die zubewege, zuckt sie leicht zusammen und schaut schnell nach, wer sich neben sie gestellt hat. Sofort schnellt ihr Blick wieder nach oben.

"Eine schöne Nacht, nicht wahr?", durchbreche ich unsere Stille. Erst jetzt wird mir klar, dass ich eigentlich keine Ahnung habe, weshalb ich ihr hintergelaufen bin. Es war wie eine Art Kurzschlussreaktion und bin einfach einem Impuls gefolgt.

"Ja", kommt es von ihr in einem Flüsterton.

Danach herrscht Stille. Mein Herz wummert in meinem Brustkorb und meine Finger kribbeln vor Aufregung. Neben meinem Herzschlag sind nur noch gedämpfte Musik und Stimmen im Hintergund zu hören. Ab und zu werden schon einige Raketen in den Himmel befördert, obwohl noch nicht Mitternacht ist.

"Wir müssen reden", unterbreche ich das kaum aushaltbare Schweigen zwischen uns. Ich trete näher an sie heran und sehe ihr ins Gesicht. Lya schließt die Augen und dreht sich langsam zu mir. Da der Mond heute sehr hell scheint, kann ich ihr Gesicht ganz gut erkennen, auch wenn es zur Hälfte im Schatten liegt. Trotzdem kann ich den Schmerz, der darin abgezeichnet ist, erkennen. Ein kurzer Stich durchfährt mich. Ich schlucke. "Ich weiß, in letzter Zeit sind wir uns gegenseitig aus dem Weg gegeangen, aber ich weiß jetzt, dass das nicht die richtige Entscheidung war. Ich habe mit meinem Dad geredet und mir ist etwas klargeworden. Du sagtest einmal zu mir, dass ich die Zeit mit ihm wertschätzen sollte, weil man ich nie weiß, wie lange ich noch mit ihm habe. Und da wusste ich, dass das hier", ich deute erst auf sie und dann wieder auf mich und somit auf die Distanz zwischen uns, "echt beschissen ist. Das Leben ist zu kurz, um wichtige Worte für sich zu behalten. Also würde ich dir gerne etwas sagen." Meine Stimme zittert, aber ich versuche, ruhig zu bleiben und mache kurz eine Pause. Während ich meinen Mut zum weitersprechen suche, betrachte ich Lyas Gesicht genau. Naja, so gut es in diesem Licht überhaupt geht. Aber ich erkenne eine Neugier in ihrem Blick. Ich atme trief durch und spreche die Worte aus: "Ich mag dich, Lya. Sehr sogar." So. Jetzt ist es raus.

Ihr Blick verändert sich von Neugier zu... irgendwie ausdruckslos. Sie öffnet ihren Mund und schließt ihn wieder. So sprachlos habe ich sie, glaube ich, noch nie erlebt, was mich noch mehr verunsichert, als ich sowieso schon bin. Aber wenigstens läuft sie jetzt nicht mehr davon. Wahrscheinlich haben meine Worte sie festgenagelt.

"Du muss dazu nichts sagen. Ich wollte nur, dass du es weißt. Und ich hielt es für eine gute Idee, es dir noch in diesem Jahr zu sagen", setze ich  mit einem leichten Lächeln hinterher.

Lya bringt ebenfalls ein zögerliches Lächeln hervor. Sie tritt näher an mich heran, sodass ich ihr Shampoo riechen kann. Vanille. Sanft umfasst ihre Hand meine und mein Blick wandert nach unten. Mein Herz rast, als hätte ich gerade einen Marathon hinter mir.
Überrascht von dieser Bewegung, schnellt mein Kopf direkt wieder nach oben und Lya schaut mir direkt in die Augen. Mein Atem stockt.

"Alec, ich...", beginnt sie mutig, jedoch mit zitternder Stimme, doch wir werden unterbrochen.

"Kommt schnell! Die Raketen werden jeden Moment gestartet", ruft Maddie uns zu. Verdammt nochmal, hätte sie nicht noch eine Minute warten können?

Lya lässt meine Hand los und tritt wieder einen Schritt zurück. "Lass uns später reden, okay?"

Widerwillig stimme ich zu und folge ihr ein Stück weiter nach vorne zur Terasse. Dort stehen auch schon die anderen Partygäste und schauen in den Himmel. Ich stelle mich wieder zu Nate und seinen Freunden und blicke ebenfalls nach oben und wart emit den anderen auf das Feuerwerk. Jetzt werden immer mehr Raketen in den Himmel abgeschossen und der Countdown läuft. Alle zählen mit, aber mein Blick sucht Lyas.
"3... 2... 1... Frohes neues Jahr!", rufen alle im Chor, während ich Lya gefunden habe. Genau in diesem Moment sieht sie ebenfalls zu mir und lächelt mich an. Natürlich kann ich nicht anders und erwidere es. Ich glaube, das ist ein gutes Zeichen. Am liebsten würde ich zu ihr gehen, aber gerade herrscht so viel Chaos mit all den Leuten, die sich einen Neujahrkuss geben und auf das neue Jahr anstoßen, dass ich schnell den Überlick verliere. Trotzdem hoffe ich, dass wir unser Gespräch wirklich auf später verschieben können.

Als sich die Situation wieder beruhigt hat, alle wieder eine normale Party feiern und die ersten schon nach Hause gehen, wittere ich meine Chance und suche Lya, doch sie ist nicht mehr da. Selbst nachdem ich mehrere Male quer durchs Haus und den Garten gelaufen bin, habe ich sie nicht gefunden. Ich frage ein Mädchen, ob sie Lya gesehen hat und sie sagt mir, dass sie sie vor einer Weile nach Hause hat gehen sehen. Meine Hoffnung schrumpft wieder, doch ich rufe mir ihr ermutigendes Lächeln und ihr Versprechen, das Gespräch zu beenden in Erinnerung. Ich werde bis morgen, naja eigentlich heute Morgen, auf ihrer Antwort warten. Dieses Mal wird sie es hoffentlich ernst meinen.

Lyas POV

Immer wieder welze ich mich in meinem Bett herum, aber ich finde keine Ruhe. Mit einem genervten Stöhnen drehe ich mich in die Richtung meines Weckers. 6:30 Uhr. Noch viel zu früh, vor allem an Neujahr, wenn man bis spät nach Mitternacht noch unterwegs war, aber ich bin kein bisschen müde. Eher im Gegenteil, ich fühle mich so wach, wie schon lange nicht mehr und zur Abwechslung halten mich meine Träume mal nicht vom Schlafen ab. Meine Gedanken kreisen um den gestrigen Abend und um Alec. Ich muss unbedigt mit ihm reden. Wie von einer Tarantel gestochen, springe ich auf und mache mich im Bad fertig.

Im Haus ist es noch ganz still, als ich mich leise nach unten schleiche. Im Flur ziehe ich mir Schuhe und eine dicke Jacke über, als Mom plötzlich hinter mir steht und mich verwirrt mustert. "Was hast du denn schon so früh vor?", fragt sie.

"Ich... ähm, ich muss etwas erledigen. Es ist wichtig und das... das kann nicht warten", stammle ich vor mich hin und merke selbst, wie komisch und blöd das klingt, aber es ist die Wahrheit. Ich hatte nicht erwartet, dass sie so früh wach ist und dachte, ich könnte schnell das Haus verlassen und wieder zurückkommen, ohne dass sie etwas davon mitbekommt. Anscheinend hat sie einen Alarm an die Treppe angebracht, der Schritte wahrnimmt und sie immer benachrichtigt, wenn jemand so für an einem freien Tag nach unten läuft.

Mom sagt ersteinmal nichts, sondern beäugt mich mit zusammengezogenden Augenbrauen. "Hm. Wie du meinst. Aber pass auf dich auf."

Noch bevor sie des Satz beendet hat, reiße ich die Haustür auf und sprinte los. Ich habe bereits zu lange gewartet und die Wahrheit zu lange vor mich hergeschoben.

Völlig außer Puste komme ich an Alecs Haus and und gehe zögernd den Weg entlang zur Haustür. Ich warte einen kurzen Moment, um wieder genug Luft zu bekommen und hebe meinen Finger, um auf die Klingel zu drücken, als plötzlich die Tür aufgerissen wird und ich erstarre. Vor mir steht Alec, ebenfalls in voller Motntur gekleidet und spiegelt meinen erschrockenen Blick wider. "Lya", kommt es atemlos von ihm. Er starrt mich mit weiten Augen und geöffnetem Mund an. "Was machst du hier?"

Mein Herz klopft wie wild und obwohl es darußen extrem kalt ist, wird mir plötzlich warm. In meiner Kehle bildet sich ein Kloß, den ich so gut es geht runterschlucke. "Wir, ähm... wir haben gestern etwas vergessen." Mit schiefgelendem Kopf blickt er mir fragend in die Augen.

Ich nehme all meinen Mut zusammen und trete näher. Alec taumelt einige Schritte zurück, sodass ich ins Haus eintreten kann und schließe leise hinter mir die Tür. Kurz halte ich inne und zögere, doch dann atme ich tief durch, gehe auf Alec zu, umfasse sein warmes Gesicht mit meinen kalten Händen. Einen kurzen Moment sehe ich ihm noch seine funkelnen Augen und lege dann meine Lippen auf seine. Alec ist kurz überrascht, doch erwidert meinen Kuss in der nächsten Sekunde. Er schlingt seine Arme um mich und zieht mich somit an sich. Dabei ist es mir egal, dass wir um 7 Uhr morgens in seinem Hausflur stehen. Es fühlt sich mehr als richtig an. Die Wärme seiner Lippen, seine Arme um meinen Körper und einfach sein Alec Geruch, der mich an sein Zimmer erinnert.

Als ich meine Lippen von seinen losmache und wieder einen kleinen Schritt zurücktrete, lächle ich ihn schüchtern an. In seinem Gesicht wechseln sich verschiedene Emotionen ab. Zum einen ist es Überraschung, aber auch Zufriedenheit, Angst und Hoffnung. "Wofür war der denn?", fragt er lächelnd.

"Wir hatten noch keinen Neujahrskuss", antworte ich ebenfalls lächelnd.

"Und deswegen stehst du so früh vor meiner Haustür", neckt er mich, aber ich weiß, dass ihm mein Besuch glücklich macht.

"Ja", gebe ich zu und spüre, wie heiß meine Wangen werden. Schnell räuspere ich mich und wechsle das Thema. "Wo wolltest du eigentlich so früh hin? Eine Runde Joggen wohl nicht bei diesen Temperaturen."

Jetzt ist er es, dem leichte Röte ins Gesicht steigt. Schnell senkt er den Blick. "Zu dir", murmelt er und hebt den Blick wieder. Mein Herz setzt einen Schlag aus, als ich die Zerbrechlichkeit in seinen Augen erkenne. "Ich glaube, wir haben einiges zu bereden", fügt er hinzu und mein Gesichtsausdruck gefriert. So schnell ist man wieder in der Realität gefangen.
"Ja, das haben wir."

Wir beschließen, hoch zu gehen, da seine Familie noch schläft und wir niemanden aufwecken wollen. Leise schleichen wir uns nach oben und erst als wir in seinem Zimmer sind, trauen wir uns wieder etwas zu sagen.

Alecs POV

"Setz dich", biete ich ihr mein Bett an und zum Glück nimmt sie es an und setzt sich nicht auf den Stuhl. Ich nehme neben ihr Platz und für wenige Minuten herrscht Stille zwischen uns und ich beschließe, diese zu unterbrechen. Langsam setze ich mich richtig auf und drehe meinen Oberkörper in ihre Richtung. "Alles, was ich gestern gesagt habe, habe ich auch so gemeint. Aber ich wiederhole es gerne nochmal. Du bist ein wirklich toller Mensch, Lya und ich bin unglaublich froh, dich kennengelernt zu haben. Noch nie bin ich jemandem begegnet, der sowohl äußerlich als auch innerlich so wunderschön ist wie du." Beim zweiten Mal sagen, kommen mir diese Worte viel leichter über die Lippen. Auf ihrem Gesicht ist ein Lächeln zu erkennen, was zu ihren Augen reicht und kurz vergesse ich, was ich noch sagen wollte. Zu sehr bin ich von ihrem Anblick gefesselt, bis sie sich kurz räuspert und mich somit wieder zurückholt. "Ähm, sorry." Verlegen kratze ich meinen Nacken. "Das alles ist wahrscheinlich unglaublich kitschig, aber ich möchte, dass du das alles weißt, weil ich dich nicht anlügen möchte und du nur das Beste verdienst. Du bist mir zu wichtig, dass ich zwischen uns irgendwas ruiniere, aber ich möchte es dir endlich sagen. Lya, ich bin in dich verliebt. Schon seit langem." Mein Herz klopft wie wild, sodass ich es in der Stille, die sich zwischen uns ausgebreitet hat, klar hören kann und Lya vermutlich auch. Die stillen Sekunden, die verstreichen, fühlen sich wie eine Ewigkeit an und ich befürchte, wenn sie jetzt bald nichts sagen wird, falle ich um. Sie sitzt einfach vor mir und mustert mein Gesicht, als suche sie etwas.

Lyas POV

Auch, wenn ich diese Worte gestern schon gehört habe, kribbelt es so stark in meinem Bauch, als hätte ich sie zum ersten Mal gehört. Gestern war ich noch verängstigt und davor wollte ich nicht einmal daran denken, dass zwischen Alec und mir mehr als nur Freundschaft ist. Aber heute, jetzt genau in diesem Moment, spüre ich keine Angst mehr. Eher im Gegenteil. Die Wärme, die seine Augen austrahlen und die Ehrlichkeit, die sein schönes Lächeln widerspiegelt, gibt mir ein Gefühl, von dem ich nicht wusste, dass es das gibt. Es fühlt sich an wie Fallen und Fliegen gleichzeitig und zum ersten Mal seit langem kämpfe ich nicht mit der Angst, ich könnte noch einen Menschen in meinem Leben verlieren, wenn ich ihn ein Teil dazu mache.

Alec räuspere sich und ich zucke zusammen. Anscheinend habe ich ihn zu lange stumm angeguckt, denn er wirkt plötzlich total verängstigt. "Äh, Lya, also... ich, also ich wäre dir dankbar, wenn du etwas sagen würdest. Das ist nämlich die reinste Qual." Seine Wangen verfärben sich leicht und mein Lächeln wird breiter. "Tut mir leid, ich musste die Worte nochmal sacken lassen. Ich glaube, dass ich hier bin und dich eben geküsst habe sagt doch alles, oder?" Leicht verunsichert zuckt er mit den Schultern. "Okay, ich wollte es erst nicht wahrhaben, aber ich mag dich auch. Mehr als einen Freund."

"Warum wolltest du es nicht wahrhaben?", fragt er sanft nach. Das Lächeln in meinem Gesicht verschwindet und ich senke meinen Blick auf meinen Schoß. Plötzlich legt Alec seine Hand auf meine und sofort schießt mein Blick wieder nach oben. Er lächelt mich ermutigend an und sofort spüre ich wieder das wohlwollige Gefühl, dass ich in seiner Nähe immer alles sagen kann, was mich bedrückt, weil ich weiß, dass er mir immer zuhört.
"Es ist dumm-"

"Nein, ist es nicht", unterbricht Alec mich mit etwas Nachdruck und sieht mir fest in die Augen. "Dein Empfinden ist niemals dumm, okay? Niemandes Gefühle sind dumm, also rede dir sowas nicht ein. Aber bitte rede weiter." Wie kann man sich denn nicht in ihn verlieben?

"Gut, wie du meinst. Seit Nicks Tod dachte ich, ich würde es nicht verdienen, glücklich zu sein. Ich meine, wie könnte ich ein glückliches Leben führen, wenn mein bester Freund sich umgebracht hat, weil er nicht glücklich war? Ich konnte doch nicht einfach weitermachen und so tun, als wäre das nie passiert, verstehst du?" Ich schlucke und erinnere mich an den Tag in den Ferien, in denen Mrs Clarke zu mir kam und mir Nicks Abschiedsbrief gezeigt hat.
Zuerst wollte ich ihr nicht glauben, bis ich seine Handschrift erkannt habe.

Ungläugbig sah ich sie an. "Wieso zeigen Sie mir den erst jetzt?", schrie ich fast schon vor Wut. Ich konnte es gar nicht glauben, dass die Mutter meines toten besten Freundes mir seinen Abschiedsbrief vorenthielt. Die ganze Zeit konnte ich an nichts anderes denken als seinen Grund, sich das Leben zu nehmen und plötzlich lag die Antwort in meiner Hand. Vorsichtig öffnete ich den Brief und las ihn mit zitternden Händen.

Hey,
das Erste, das ich Euch sagen möchte ist, dass es mir leid tut. Ehrlich, ich hatte nicht vor, mich so von Euch zu verabschieden. Aber es ging nicht anders. Niemaden von Euch trifft die Schuld an meiner Tat.
Wisst Ihr, manchmal kommen viele kleine Dinge auf einmal zusammen und dann ist die Last irgendwann zu groß, um sie noch tragen zu können. Ich hatte schon Rückenschmerzen von der Last, wollte diese jedoch niemandem weitergeben. Es ist nicht so, als hätte ich nicht es versucht, aber manchmal ist es egal, wie viele Versuche man unternimmt. Man scheitert immer weiter.
Ich möchte Euer Leben nicht so ruinieren, wie ich meins ruiniert habe. Danke, dass Ihr mich immer unterstützt habt und mir ein schönes Leben ermöglicht habt.
Mom und Dad, ich liebe Euch über alles und bin Euch dankbar, dass Ihr mir so tolle Eltern wart. Bessere hätte ich mir nicht vorstellen können. Es tut mir leid, dass ich Euch enttäuscht habe.
Lya, ich habe Dich unendlich lieb und das weißt Du. Es tut mir leid, dass ich Dich alleine lasse, aber ich konnte nicht anders. Bitte sei mir nicht böse.
Nochmal ans Erinnerung: Niemand von Euch ist Schuld und ich möchte trotzdem, dass Ihr alles unternehmt, um ein schönes Leben zu haben.
Danke für alles.
Euer
Nick
P.S.: Ich möchte, dass Lya als erstes in mein Zimmer geht, bevor es jemand anderes tut. Es hat keinen bestimmten Grund, aber das ist mein Wunsch.

Ich glaubte, ich falle gleich um. Wie atmete man nochmal? Zum Glück wusste mein Körper das selbst, denn gerade hatte ich wirklich alles vergessen. Gefühlt stundenlang starrte ich auf den Zettel vor mir. Bitte sei mir nicht böse. Geht's noch? Natürlich war ich ihm böse! So böse, dass es dafür keinen Ausdruck mehr gab. Aber noch wütender war ich auf seine Mom. Wieso zeigte sie mir den Brief erst ein halbes Jahr später?

"Wir wollten, dass du ihn erst liest, wenn du wieder etwas stabiler bist", antwortete Mrs Clarke zu ihrer Verteidigung.

Ich hob meinen Blick und fixierte sie. Das Mitleid in ihrem Blick war kaum zu ertragen. Mein Griff verkrampfte sich um das Papier, bis Mom eine Hand auf meine legte und ich meinen Griff wieder lockerte.

"Behalte ihn, Lyana. Vielleicht hilft er dir so wie er uns geholfen hat."

Wie sollte mir denn diese blöde Stück Papier helfen, den Tod meines besten Freundes zu verarbeiten? Ohne ein weiteres Wort zu sagen stand ich auf und lief mit dem Brief in mein Zimmer, wo ich ihn immer und immer wieder laß, bis ihn irgendwann wörtlich zitieren konnte. Ehrlich gesagt, dachte ich immer, Abschiedsbriefe seien länger, als nur ein paar Sätze wie Nick sie schrieb. Immer wieder grübelte ich über die Last, die Nick anspach, konnte mir aber keinen Reim daraus machen. Ich wusste nicht, dass es etwas gab, das ihn so belastet hatte, dass er seinem Leben ein Ende stzen musste. Jetzt wusste ich wenigstens, warum Mrs Clarke wollte, dass ich in sein Zimmer gehen sollte; es war einer seiner letzten Wünsche. Pausenlos dachte ich an den Brief und überdachte jedes Wort und jedes Satzzeichen mehr als zwei Mal, bis mir klar wurde, dass ich daraus nicht schlauer werden würde. Also beschloss ich, die letzten Wünsche meines besten Freundes zu erfüllen.

"Aber dann hat Nicks Mom mir seinen Abschiedsbrief gezeigt und dieser hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich habe ziemlich lange gebraucht, um zu verstehen, dass Nicks Tod nichts mit mir zutun hat und ich keine Schuld trage, aber jetzt weiß ich, dass er gewollt hätte, dass ich glücklich werde. Und das bin ich, wenn ich mit dir zusammen bin, weil du immer da bist, wenn ich dich brauche und mich so akzeptierst, ohne mich mit Samthandschuhen anzufassen. Also ja, Alec. Ich bin verliebt in dich."

Nach meiner Rede kann ich ihm förmlich ansehen, wie ihm eine Last von den Schultern fällt und mich von einem Ohr zum anderen Ohr angrinst. "Ich hab noch eine Frage, Lya."

"Ja?", frage ich leise. Für einen kurzen Moment setzt mein Herzschlag aus und ich befürchte etwas schlimmes, doch dann kommt Alec mir näher, bis und nur noch weniger Zentimeter Abstand zwischen uns sind. Wieder schaut er mir fest in die Augen. In meinem Magen kribbelt es immer mehr. "Darf ich dich küssen?", flüstert er mir zu und schaut zwischen meinen Augen und meinem Mund hin und her.

Ich schaffe es nur, ein leises "Ja" zu hauchen und schon liegen seine Lippen wieder auf meinen und ich schmelze dahin.

"Du brauchst nicht mehr zu fragen, Alec. Das nächste Mal, kannst du es einfach machen", sage ich, als wir uns wieder voneinander lösen.

"Also hat es dir nicht gefallen, dass ich dich vorher gefragt habe?", fragt er mir einem kleinen Lächeln und ich weiß, dass er die Anwort darauf schon kennt, mich aber ärgern möchte.

Mit einem lachenden Kopfschütteln lehne ich mich zurück und strecke mich.

"Alles okay?", fragt Alec mich mit einem leicht besorgten Unterton.

"Ja, ich bin nur müde."

"Gut. Ich dachte schon, ich hätte etwas falsches gesagt."

"Natürlich nicht. Du hast bisher noch nie etwas falsches gesagt", gebe ich lächelnd zu und im nächsten Moment drückt er mir einen weitern Kuss auf den Mund.

"Wir können uns etwas hinlegen, wenn du möchtest", schlägt er vor und fährt sich nervös durch die Haare. Nie hätte ich gedacht, dass ich es so attraktiv finden würde, wenn sich ein Junge durch die Haare fährt. Jedes Mal, wenn Alec diese Geste macht, beginnt es in meinem Bauch zu kribbeln und ich würde am liebsten selbst mit meiner Hand durch seine Haare fahren.

Da bemerke ich, dass ich ihn zu lange angestarrt habe und lasse mich rückwärts fallen. Er tut es mir gleich und schon liegen wir Arm an Arm auf Alecs Bett.

"Du hast mit deinem Dad geredet?", frage ich und drehe meinen Kopf in seine Richtung. Alec start an die Decke und atmet ruhig ein und aus, ehe er sich zu mir dreht und meinen Blick erwidert. Eine leichte Anspannung ist in seinem Gesicht zu erkennen; ein unangenehmes Gefühl breitet sich in meinem Inneren aus.

"Ja, habe ich. Wir haben uns ausgesprochen." Ein Lächeln bildete sich auf seinen Lippen und der Knoten, der sich in meinem Bauch gebildet hat, verschwindet. "Es war... nicht einfach, aber wir haben es endlich hinbekommen. Ich musste andauernd an deine Worte denken, dass man nie weiß, wie lange man noch mit einem Menschen hat und habe mich endlich auf ein Gespräch mit ihm eingelassen. Zwar ist e simmer noch nicht so wie vorher, aber wir strengen uns wirklich an." Erleichterung flackert in Alecs Augen auf und ich lächle. Endlich konnte ich mal jemandem helfen und nicht andersherum. "Danke, Lya."

"Es freut mich zu hören, dass ihr euch wieder versteht."

"Mich auch. Ich glaube, dass es gut war, dass wir umgezogen sind. Vielleicht musste das alles passieren, damit wir endlich mal miteinander reden."

Mein Lächeln erstirbt und ich wende meine Augen zur Decke. "Ja, vielleicht hat es alles ja doch irgendwie seinen Sinn", murmle ich vor mich hin und schlucke. Irgendwie glaube ich, dass sich alles fügt, aber Nicks Tod  kommt mir immer noch wie ein Stein vor, der aus der Reihe tanzt und den man nicht in die Reihe zurückbekommt.

Ich spüre, wie sich eine warme Hand in meine Hand legt und sie leicht drückt. Mein Blick schnellt von der Decke zu Alec an meiner Rechten, der mir warm zulächelt. Eine Geste, die bedeutet, dass ich nicht alleine bin. Ich lächle zurück, wenn auch zunächst etwas zurückhaltender.

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