❥ Chapter 45
Lyas POV
Ich bin heilfroh, dass Maddie die Tür für uns aufzieht, sodass ich es nicht muss und sie meine zittrigen Hände nicht bemerkt.
Hoffentlich ist Alec noch nicht da. Als wir den Gang entlang zu unseren Schließfächern gehen, sehen wir Jonah schon auf uns warten. Erleichterung durchströmt mich, als ich Alec noch nicht sehe, aber leider auch ein unangenehmes Ziehen, weil er eben nicht da ist. Doch ich lasse mir nichts anmerken und setze einen freundliche Grimasse auf, als wir uns begrüßen.
Maddie geht auf Jonah zu und drückt ihm einen kleinen Kuss auf den Mund. So langsam entspannen sich meine Gesichtszüge. Dann plötzlich wendet Jonah seinen Blick von Maddie und ruft "Hey Mann". Sofort beschleunigt sich mein Herzschlag und ich weiß schon ohne seine Stimme zu hören, dass er es ist.
"Hey", erwidert Alec freundlich und in seiner Stimme ist ein Lächeln zu hören. Genau so, wie ich es vorausgesgat habe. Vorsichtig traue ich mich, den Blick zu heben und ihm in die Augen zu gucken. Er lächelt tatsächlich und wirkt auf den ersten Blick ganz normal, doch wenn man genauer hinschaut, erkennet man, dass das Lächeln nicht wirklich echt ist und in seinen Augen vielerlei Emotionen zu sehen sind, aber eine sticht besonders heraus, als er meinen Blick erwidert: Distanziertheit. Seine braunen Augen wirken auf einmal nicht mehr so warm und einladend wie sonst. Jetzt herrscht fast schon Eiszeit. Ein kalter Schauer läuft mir den Rücken runter. Alec ist der Erste von uns beiden, der den Blickkontakt abbricht.
Ich habe ihn wohl ziemlich verletzt und das tut mir unendlich leid. Am liebsten würde ich die Zeit zurückdrehen und es ungeschehen machen.
*
Der restliche Schultag zieht sich nur noch so dahin. Alec und ich ignorieren uns mehr oder weniger und tun, so gut es geht, als wäre nichts passiert, obwohl ich das Gefühl nicht loswerde, dass sich zwischen uns eine große unsichtbare Mauer gebildet hat. Wir lachen bei Witzen, reden mit und stehen in einer Gruppe zusammen, doch es scheint niemandem aufzufallen, dass wir uns gar nicht ansehen und kein Wort miteinander wechseln. Wir beide sind wohl gut darin, so zu tun, als ob.
Die nächsten Tage sind nicht anders. Zwischen uns ist es immer noch komisch, aber Alec versucht sein Bestes, unsere ursprüngliche Freundschaft wiederherzustellen, was von meiner Seite aus nur mäßig klappt. Er versucht es immer mehr mit Witzen, kurzen Blicken und Gesprächen, aber ich blocke immer wieder ab. Zwar ringe ich mir hin und wieder ein Lächeln ab, aber so richtig auf ihn zugehen tue ich nicht. Irgendwas ist anders zwischen uns, aber ich bin noch nicht bereit dazu, es auszusprechen.
Letzte Nacht hatte ich wieder einen Traum von Alec. Diesmal waren wir Pizza essen und alles hat sich so echt angefühlt, dass ich aufgewacht bin und erst nicht wusste wo ich war, bis mir klar wurde, dass ich Zuhause in meinem Bett liege und das nur ein Traum war.
Zum ersten Mal bin ich froh, dass wir mitten in der Klausurphase stecken und ich mich irgendwie mit Lernen ablenken kann. Doch es klappt nicht ganz so gut, wie ich mir das gewünscht habe. Immer wieder wandern meine Gedanken in Richtungen, die ich gerne vermeiden würde und je mehr ich mich dann versuche, auf den Lernstoff zu konzentrieren, desto weniger funktioniert das. Schlussendlich klappe ich mein Heft und Buch zu und schiebe beides zur Seite. Ich stehe auf und gehe auf mein Bett zu, worauf ich mich dann rückwärts drauffallen lasse. Mit einem tiefen Seufzer schlage ich meine Hände vors Gesicht. Wieso kann ich nicht aufhören daran zu denken, dass Alec sich so verhält, als wäre nichts gewesen? Und wieso stört mich das so sehr? Ich wünschte, Nick wäre hier. Zwar hätte er mir keine Antwort auf die Frage gegeben, wieso Jungs manchmal so sind und wahrscheinlich sowas wie Ach, Lyana. Dieses Geheimnis werde ich dir nicht verraten. Da musst du schon selbst draufkommen gesagt und dazu noch verschwörerisch gezwinkert, woraufhin ich die Augen verdreht hätte.
Diese Vorstellung treibt mir ein Lächeln ins Gesicht, aber gleichtzeitig zieht sich auch mein Magen zusammen. Mein Lächeln erstirbt, als mir die Realität klar wird. Scheiße, Nick!
Plötzlich kommt mir eine Idee und ich stehe so schnell auf, dass mir kurz schwindelig wird. Als ich alles wieder klar sehe, laufe ich nach unten, ziehe mir meine Jacke und Schuhe an und stehe schon an der Haustür, als Mom den Kopf aus der Küche steckt und mich neugierig mustert. "Wo gehst du hin?", fragt sie.
"Zu Maddie. Ich muss sie kurz etwas fragen", lüge ich und hoffe, sie fragt nicht weiter nach.
"Okay, aber nicht zu lange, ja? Das Abendessen ist in ungefähr einer Stunde fertig", sagt sie darauf nur, ich kann ihre unausgesrochene Frage förmlich an ihrem Gesichtsausdruck erkennen: Wieso rufst du sie nicht einfach an?. Aber sie lässt es durchgehen, wie so einiges. So läuft es nunmal mit dem Mein-Bester-Freund-hat-sich-umgebracht-Bonus. Auch wenn es schon eine Weile her ist.
Also lächle ich sie knapp an und schwinge mich schnell durch die Tür. Ich entscheide mich, mit dem Fahrrad zu fahren, statt mit dem Auto, weil ich mich so am besten auf etwas anderes konzentrieren kann, wenn mir der kalte Wind durchs Gesicht schreift.
Eigentlich ist der Weg von mir bis zum Friedhof nicht so lang, aber jeder Tritt in die Pedale fühlt sich so an, als würde ich nicht von der Stelle kommen. Als ich endlich ankomme, fühlen sich meine Beine noch schwerer an und mein Mund wird immer trockener. Bevor ich den Friedhof betrete, atme ich nochmal tief durch. Mit einem Fuß vor den anderen zwinge ich mich den Weg entlang zu Nicks Grab und schiebe mein Fahrrad neben mir her. An der Reihe seines Grabes angekommen, beschleunigt sich mein Herzschlag und ich muss meine Handflächen an der Hose anwischen. Je näher ich darauf zutrete, desto deutlicher heben sich die Blumen und das Armband, das ich vor wenigen Wochen an seinem Geburtstag dort hingelegt habe, hervor. Seine Mom war vor kurzem hier und hat neue Blumen auf das Grab gelegt. Das Armband liegt noch immer an der Stelle neben der Lampe, an der ich es hingelegt habe und wurde nicht einen Zentimeter verschoben. Darüber muss ich lächeln. Das ist typisch für Mrs Clarke. Sie weiß, dass ich hier war und sie hat es nicht weggelegt. Noch einen kurzen Moment stehe ich davor und bestrachte Nicks Grabstein.
Nick Clarke – unser strahlenster Stern
08. 11. 1999 – 10.05.2016
Mein Blick bleibt an dem 10.05. hängen und ich muss schlucken. Vorsichtig trete ich näher heran und gehe in die Hocke. Zögernd lege ich eine Hand auf den kalten Stein und zucke kurz zusammen. Es weht ein leichter Wind und nur ein bisschen Laubrascheln ist zu hören, sonst nichts. Ich bin alleine hier und das ist gerade genau das, was ich brauche. Unwillkürlich muss ich an meinen letzten Besuch mit Alec hier denken, verdränge diesen Gedanken jedoch wieder.
"Hey Nick, ich bin wieder hier", sage ich leise und steiche dabei sanft über den Grabstein. "Diesmal allein, wie du siehst." Demonstrierend deute ich auf das Fahrrad hinter mir. "Ohne dich ist alles schon ziemlich scheiße. Und wenn du jetzt hier wärst, würde ich dich schlagen. Ehrlich, Nick. Du glaubst nicht, wie wütend ich auf dich bin. Aber das habe ich ausführlich in ein kleines Notizbuch geschrieben und glaub mir, das ist fast schon voll."
Voller Hoffnung warte ich auf ein Zeichen von ihm, doch nichts kommt. Natürlich kommt nichts, er ist tot. Trotzdem fühlt es sich so an, als würde er mir zuhören und direkt neben mir sitzen. Ich kann seine Anwesenheit fast schon spüren, also rede ich weiter. "Wie auch immer. Ich brauche deinen Rat, Nick. Sag mal, warum seid ihr Jungs so komisch? Und spar dir deine blöden Kommentare. In einem Moment wollt ihr uns küssen und dann tut ihr so, als wäre das nie passiert. Aber ich kann dir sagen, dass wir Mädchen da viel mehr drüber nachdenken und das ständig. Also, warum redet ihr nicht mit uns darüber, hm? Gott, ehrlich, ich weiß nicht, warum ihr so seid", rede ich mich in Rage und gestikuliere wild mit den Händen herum. Als ich mich wieder beruhige, stehe ich auf und komme mir dumm vor, weil ich gerade meinen Frust an einem Grabstein ausgelassen habe. Ich kann Nicks Lachen schon förmlich als Echo in meinem Kopf hören. "Tja, sowas passiert wohl, wenn dein bester Freund sich das Leben nimmt. Man fängt an, sein Grab anzuschreien und dreht endgültig durch."
Kurz halte ich inne und atme lautstark aus. Ich gehe den schmalen Weg zwischen Nicks und dem Grab neben ihm bis zu seinem Grabstein und lasse mich nieder. Im Schneidersitz sitze ich auf dem kalten Boden neben seinem Grabstein und starre auf die gegenüberliegenden Gräber. "Ich wünschte, du wärst hier", flüstere ich in die Stille. Leicht lehne ich mich an Nicks Grabstein an und schließe die Augen. Mit ganz viel Vorstellungskraft bilde ich mir ein, dass er neben mir sitzt und unsere Knie sich berühren. Dass er mir ins Ohr flüstert, ich solle mich nicht so anstellen wegen irgendeines Typen. Schließlich sei das Leben kein Teeniefilm. Meine Mundwinkel verziehen sich zu einem Lächeln.
Ja, mein bester Freund ist tot, aber wenn ich die Augen schließe, ist er es nicht. Doch wenn ich sie wieder öffne, bin ich zurück in der Realität, und er ist tot. Und so lösen sich meine Probleme auch nicht einfach in Luft auf.
Alecs POV
"Hey Mann! Schön mal wieder deine Visage zu sehen", begrüßt mein bester Freund mich fröhlich.
"Hey. Ja, ich dachte, es wäre mal wieder an der Zeit, Spencer McRivers auf die Nerven zu gehen", erwidere und ringe mir ebenfalls ein Lächeln ab. Doch es erstirbt schnell. "Nein, eigentlich brauche ich mal deinen Rat."
Spencers Gesichtsausdruck verändert sich von belustigt zu ernst. "Oh, das klingt nicht gut. Ist wieder was zwischen dir und deinem Vater vorgefallen?"
"Nein, das ist es diesmal nicht."
"Aber du wirst jetzt nicht auch noch von deiner jetztigen Schule geschmissen, oder?", fragt mein Freund mich so subtil wie immer.
"Nein, Spencer. Ich kann ich auch benehmen. Außerdem würden zwei Schulverweise innerhalb eines Jahres mein Limit überziehen. Dann würde ich sicher nicht vor meinem Laptop sitzen und mit dir reden."
"Dann muss es um ein Mädchen gehen." Daraufhin schweige ich und bestätige ihm somit seine Theorie. "Wusste ich's doch. Geht es um diese Lya?" Ich habe ihm bereits viel von ihr erzählt. Vielleicht sogar zu viel. "Ja", erwidere ich und atme schwer aus.
"Okay, was hast du gemacht?", fragt er und guckt mich vorwurfsvoll durch den Bildschirm an.
Ich öffne den Mund und schließe ihn wieder. "Ich glaube, ich habe eine Linie übertreten."
"Oh." Spencer sieht mich verstehend an.
"Und jetzt blockt sie mich immer wieder ab. Ich versuche es mit Gesprächen, aber sie reagiert nicht. Dann gucke ich sie an, doch sie schaut nicht zurück. Mann, wie kriege ich das wieder hin?", es ist mir fast schon peinlich, dass ich so verzweifelt klinge.
"Gib ihr vielleicht etwas Zeit und dann versuchst du es nochmal und redest mit ihr. Eine langsamer Wiederaufbau, sozusagen", schlägt Spencer vor.
"Ja, das ist eine gute Idee. Danke." Ich habe auch schon einen Plan. Und wenn der so läuft, wie ich mir das vorstelle, wird alles wieder gut.
"Kein Ding, Alec. Für meinen besten Freund bin ich doch immer da", antwortet er grinsend.
Wir reden noch über einer Stunde miteinander über die Mannschaft, die Schule und alle News, die ich nach Spencers Meinung nach hören sollte. In solchen Situationen vermisse ich es am meisten, mit Spencer von Angesicht zu Angesicht zu sprechen und nicht übe Skype. Ich nehme mir vor, ihn in den Ferien mal zu besuchen.
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