❥ Chapter 42

Lyas POV

Das Wochenende ist irgendwie nur so an mir vorbeigerauscht. Die ganze Zeit war ich mit meinen Gedanken woanders. Bei Freitagabend, um genau zu sein. Andauend hatte ich Alecs Gesicht vor meinen Augen. Wie er mich angelächelt hat. Wie er mir tief in die Augen sah und ich das Gefühl hatte, er könnte in mich hineinsehen. Wie ich Gänsehaut bekam, aus sich unsere Arme berührten. Wie er mir sagte, dass er für mich da sei. Dass ich traurig war, als ich gehen musste.
Ahh! Stöhnend schlage ich mir die Hände vor das Gesicht. Was ist nur los? Ich atme tief ein und wieder aus. Danach setze ich mich auf, hole das schwarze Notizbuch aus meinem Nachttisch und setze mich an meinen Schreibtisch. Vorsichtig schlage ich es auf und betrachte den letzten Eintrag, der schon mehr als eine Woche her ist. So einen großen Abstand hatte ich bisher noch nie zwischen zwei Einträgen. Sofort bekomme ich ein schlechtes Gewissen und schnappe mir einen Stift, damit ich sofort etwas neues schreiben kann.

Hey Nick,
tut mir leid, dass ich mich seit langem nicht mehr gemeldet habe, aber irgendwie ist die Zeit an mir vorbeigezogen. Es ist schon Mitte November, ist das schon zu glauben? Gestern hat Mom schon die Weihnachtsdeko aus dem Keller geholt. Krass, dass Du nun schon ein halbes Jahr tot bist. Für mich fühlt es sich eher wie eine Ewigkeit an. Als wäre meine Zeit mit Dir nur ein Traum gewesen, aus dem ich im letzten Mai aufgewacht bin.
An Deinem Geburtstag war ich an Deinem Grab und habe Deine Hälfte des Freundschaftsbädchens auf den Grabstein gelegt. Du hattest es einmal bei mir verloren und dann hatte ich vergessen, es Dir wiederzugeben, bis es zu spät war. Trotzdem wollte ich, dass Du es hast. Es war verdammt schwer, Deinem Grabstein alles Gute zum Geburtastag zu wünschen und nicht Dir persönlich. Du glaubst nicht, wie weh das tat. Doch zum Glück war Alec bei mir und hat mich festgehalten. Er ist ein wirklich toller Mensch und ich glaube, ihr beide hättet euch gut verstanden. Mit ihm kann man wirklich gut reden; er hört mir immer zu.
Letzten Freitag haben wir bei ihm Mario Kart gespielt und, Du wirst es nicht glauben, aber er hat gewonnen und ich habe verloren. Er hat mich von dem Regenbogen-Boulevard runtergeschubst. Einfach so und dann war es zu spät und ich konnte nicht mehr ins Ziel fahren. Noch nie hat mich jemand bei Mario Kart besiegt, nichtmal Du und Du warst auch echt gut. Ich war ziemlich sauer, aber das hielt nicht lange an, denn es hat zu viel Spaß gemacht. Später am Abend hat er mich nach Hause gebracht und ich war traurig, dass sich unsere Wege getrennt haben.

Ich halte inne. Schon wieder denke ich an Alec. Verdammt, das kann doch nicht sein! Frustriert lasse ich den Stift fallen, stehe vom Stuhl auf und lasse mich rückwärts auf mein Bett fallen. Ich schließe die Augen und höre, wie mit einem Quietschen eine Zimmertür geöffnet wird. Sofort öffne ich meine Augen wieder, gehe zur Tür und öffne sie einen Spalt.

Unten höre ich ein gedämpftes "Tschüss", schon schlägt die Haustür zu. Wahrscheinlich hat Tessa sich von Garrett verabschiedet, der heute morgen schon vorbeikam. Im nächsten Moment kommt Tessa um die Ecke und zuckt zusammen. Schwer atmend legt sie eine flache Hand auf ihren Brustkorb. "Lya, was erschreckst du mich so?"

"Sorry", murmle ich.

"Was ist denn los?", fragt sie und mustert mich eingehend.

"Hast du... also, hast du Lust, etwas mit mir zu unternehmen?"

Ihre Miene hellt sich auf, doch die Überraschung in ihrem Gesicht kann sie kaum verstecken. "Natürlich. Was möchtest du denn machen?", gibt sie zurück und überfordert mich damit. Tessa diese Frage zu stellen war nämlich eher ein Impuls, dem ich nachgegangen bin, ohne weiter darüber nachzudenken, weil ich irgendwas brauche, das mich von Alec ablenkt.

"Hm... wie wär's mit Bowling?", schlägt sie vor. "Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht", fügt sie noch mit einem kleinen vorsichtigen Lächeln hinzu.

Das letzte Mal, dass wir bowlen waren, war an meinem Geburtstag letzen März mit meinen Eltern, Tessa, Nick, Maddie und Jonah. Damals hatte ich auch vor, Gavin zu fragen, aber Maddie und Nick waren nicht begeistert von meiner Idee, weshalb er dann auch nicht dabei war. Ehrlich gesagt, war es völlig okay für mich, dass er nicht dabei war, sonst wäre die Stimmung wahrscheinlich nicht so friedlich gewesen. Es hätte mir schon zu denken übrig geben sollen, denn zu diesem Zeitpunkt waren wir noch zusammen und ich vermisste ihn nicht einmal. Meine Eltern haben mich nur fragend angeguckt, als ich ihnen sagte, dass er nicht dabei sein würde, sondern nur kurz vorbeikommen würde.
"Ja, das ist gut."

"Gut. Sollen wir Mom und Dad fragen, ob sie mitkommen wollen oder nur wir beide?"

Ich zucke nur mit den Achseln. "Ist mir egal."

Die Stirn in Falten gelegt, scannt Tessa mein Gesicht ab. "Vielleicht sollten wir allein gehen. Mom und Dad wollen bestimmt auch mal einen Tag für sich haben." Mit einem Nicken stimme ich zu.

Nach einer Viertelstunde sitzen wir beide im Auto und fahren zum Bowlingcenter. Mom war sichtlich begeistert davon, dass wir beide gemeinsam etwas unternehmen wollen, wie immer. Mittlerweile schaut sie mich auch nicht mehr so mitleidig an, sondern lächelt mich mehrmals am Tag an, auch wenn es eher ein vorsichtiges Lächeln ist, aber immer noch besser als das andere.

"Wir haben Bahn 5", kündet Tessa an und wir begeben uns zu besagter Bahn. Die Bowlingschuhe haben wir bereits an und als wir ankommen, stehen unsere Namen bereits auf dem Bildschirm über der Bahn und unsere Spielzeit von 2 Stunden läuft.

Augenrollend seufze ich und lasse mich auf einen der Stühle fallen, die vor der Bahn stehen. Tessa sieht zuerst zu mir, dann auf die Anzeige und dann wieder zu mir. "Tut mir leid, Lya. Ich hab ihm extra gesagt, wie dein Name geschrieben wird, aber anscheinend hat er es nicht kapiert", sagt sie mit Bedauern in ihrer Stimme. Ist ja nicht das erste Mal, dass jemand meinen Namen falsch schreibt. Oder, dass er richtig geschrieben wurde, meine Eltern mir aber einen falschen gegeben haben. Ach, es ist einfach alles Mist.

"Schon gut. Ist ja nicht das erste Mal", gebe ich gleichgültig zurück. Wieder wandern meine Gedanken zu Alec und dem Moment, als ich ihm erklärt habe, warum mein Name y und nicht mit i geschrieben wird. Ich bemerke gar nicht, dass ich angefangen habe zu lächeln, bis Tessa mich fragt, warum ich denn so vor mich hingrinse.  "Wegen nichts. Bin ich dran?", wechlse ich das Thema und warte gar nicht mehr auf eine Antwort und gehe zur Bahn, um mir eine passende Kugel auszusuchen. Schließlich entscheide ich mich für eine grüne, die mit einer 8 versehen ist, und trete vor die Bahn. Ich suche mir einen perfekten Punkt aus, damit ich genau in die Mitte ziele und werfe die Kugel. Beim ersten Versuch treffe ich 4 Pins, beim zweiten verfehle ich gerade so einen und treffe ins Nichts.

"Mann, ich weiß nicht, ob du so schlecht spielst, weil du schon lange nicht mehr hier warst oder weil du einfach nicht gut darin bist", kommentiert Tessa, als ich wieder auf den Tisch zugehe.

"Ich war noch nie gut im Bowling. Nick war richtig gut im Bowling und ich war die Niete von uns. Naja, bin es wohl immer noch."

"So schlecht warst du nie, aber gerade scheinst du weit weg zu sein", stellt sie fest, als ich mich wieder auf den Stuhl setze. Ich bemühe mich um einen unbeeindruckten Gesichtsausdruck.

Tessa setzt zu einer Antwort an, doch ich komme ihr zuvor. "Lassen wir das einfach, okay? Es gibt nichts zu bereden." Und so habe ich wieder einmal geschafft, die Stimmung komplett zu vermiesen. Bis wir mit dem Spiel fertig sind, reden wir kaum miteinander, außer ein paar Bemerkungen hier und da zu unseren Würfen. Wie zu erwarten war, hat Tessa gewonnen.

Da die Bowlingbahn auch ein Restaurant hat, gehen wir nach unserem Spiel dorthin und essen einen Burger.

"Wie läuft's mit Garrett?", frage ich und gebe somit das unsichtbare Signal, dass wir wieder normal miteinander reden können. Sobald ich seinen Namen ausgesprochen habe, leuchten Tessas Augen auf. "Sehr gut, danke der Nachfrage. Ich war letztens bei seinen Eltern zum Abendessen eingeladen und sie waren wirklich nett. Einfach perfekt", schwärmt sie. So verträumt wie gerade habe ich sie noch nie erlebt.

"Das freut mich für dich", antworte ich darauf ehrlich gemeint, doch meine Stimmlage unterstützt es leider nicht allzu sehr, wie ich das gerne hätte, doch Tessa ist zu hin und weg von ihrem Garret, sodass sie das gar nicht wahrnimmt.

"Und wie läuft es bei dir und diesem Alec?", fragt sie beiläufig. Sofort setzt mein Herz einen Schlag aus und ich erstarre. Damit habe ich nicht gerechtnet. "Wieso fragst du?", entgegne ich mit dünner Stimme, räuspere mich und wiederhole die Frage nochmal mit mehr Selbstsicherheit.

"Ihr habt in letzer Zeit viel Zeit miteinander verbracht und", meine Augen werden immer größer, je mehr sie sagt. "Oh, ihr seid gar nicht – sorry, ich dachte... egal", stottert sie peinlich berührt. Ich spüre, wie heiß meine Wangen werden und auch Tessas verfärben sich leicht rosa.

"Nein, wir sind Freunde. Warum denkst du das überhaupt? Mit Nick habe ich doch auch immer oft rumgehangen."

"Ja schon, aber er w - er ist dein bester Freund, schon seit dem Kindergarten."

Ich verstehe nicht, woraufhin sie hinaus möchte. Mit schief gelegtem Kopf sehe ich sie an. "Ja, und?"

"Alec wirkte einfach anders. Ich meine, okay, ich bin ihm erst einmal begegnet, aber die Tatsache, dass er zu dir kam um dich zu fragen und nicht angerufen hat und dann die Begründung. Das war schon ziemlich süß, findest du nicht?" Bei der Erinnerung daran spüre ich ein angenehm warmes Gefühl in meiner Magengrube, das ich nicht fühlen sollte. Ich zucke nur gleichgültig mit den Schultern. "Ja, das war schon eine nette Aktion."

Ungläubig blinzelt Tessa mich an, als hätte sie gerade einen Geist hinter mir gehen sehen. "Möchtest du das nicht sehen oder kannst du es wirklich nicht?"

"Gott Tessa, jetzt lass mal gut sein, okay?", zische ich.

"Tut mir leid, dass ich mich für das Leben meiner Schwester interessiere", sagt sie ebenfalls in einem leisen, aber gefährlichen Ton.

"Ist ja schön, dass du das tust, aber du musst nicht gleich in alles hineininterpretieren, wo nichts ist, okay?" Ich weiß genau, dass sie darauf noch etwas sagen möchte, tut es aber nicht und presst stattdessen ihre Lippen zusammen. Dazu kommt noch ein strenger und wütender Blick und der typische Tessa-Mom-Blick ist vollständig.

Meine Idee mit der Ablenkung hat ja wirklich super geklappt. Zum Glück kommt in diesem Moment die Kellnerin und bringt uns unsere Burger.

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