❥ Chapter 41
Alecs POV
Die Klausurenphase verlangt mir momentan ziemlich viel ab, was zur Folge hat, dass ich meine Freunde außerhalb der Schule kaum zu Gesicht bekomme, außer bei unserem gemeinsame Lernen in der Bibliothek nach der Schule ein – bis zweimal die Woche. Ich weiß ja, dass die Klausuren wichtig und dass wir im Abschlussjahr sind, aber das zieht mich etwas runter. Na gut, um ehrlich zu sein, geht es darum, dass ich mehr Zeit mit Lya verbringen möchte. Egal, ob es Lernen ist oder nicht. Hauptsache sie ist in meiner Nähe und ich kann ihr wunderschönes Lächeln sehen, welches sie immer mehr trägt und ihr natürlich sehr gut steht. Das habe ich ihr auch schon einmal gesat, aber das war eine andere Situation. Ich wollte sie ablenken und irgendwie ist es mir rausgerutscht, bevor ich überhaupt darüber nachdenken konnte.
Deshalb stehe ich nun an der Wand angelehnt und warte auf sie. Mrs Harrington hat uns schon fünf Minuten früher gehen lassen und da ich ihren Stundenplan kenne, weiß ich, dass sie gerade in diesem Raum Mathe hat. Nicht, dass ich ein Stalker bin oder so, ich hab nur ein bisschen von ihrem Stundenplan aufgeschnappt.
Gerade klingelt es zur Mittagspause. Die Tür des Klassenzimmers wird aufgemacht und viele Schüler kommen mir entgegen. Mittlerweile weiß ich, dass Lya immer als eine der letzten den Raum verlässt, weil sie sich immer viel Zeit beim Einpacken lässt. Vermutlich möchte sie sich nicht wie die anderen vor der Tür tümmeln, damit sie als eine der ersten rausgehen kann. Lya hält sich lieber im Hintergrund. Wie erwartet, kommt sie als drittletzte aus dem Raum und sieht mich sofort an der gegenüberliegenden Wand lehnen. Kurz stockt sie in ihrer Bewegeung und Verwirrung huscht ihr über das Gesicht, als sie auf mich zukommt. Jedoch versucht sie es wegzulächeln. Mein Herz schlägt schneller, je näher sie auf mich zukommt und ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
"Hey. Was gibt's?", fragt sie, eine Hand um den rechten Riemen ihrer Tasche klammernd.
"Hey. Ich wollte dich etwas fragen."
"Und das hätte nicht noch 5 Minuten warten können?", fragt sie lachend, als wir uns langsam auf den Weg zur Mensa machen.
Ehrlich gesagt nein. Natürlich hätte ich das auch vor Maddie und Jonah fragen können, aber das wollte ich nicht. Ich möchte nicht, dass sie da zu viel hineininerpretieren, auch wenn das, was sie sich dann wahrscheinlich denken, stimmt.
Das gebe ich jedoch nicht zu, sondern zucke nur die Schultern. "Wie auch immer. Da bald unter anderem auch unsere Klausur in Psychologie stattfindet, dachte ich, wir könnten vielleicht gemeinsam dafür lernen. Ich kenne Mr Ballots Klausuren noch nicht und da wäre es vielleicht hilfreich, wenn du mir seine Anforderungen zeigen könntest, damit ich nicht ganz verkacke."
Lya hört mir aufmerksam zu. "Klar. Ich hab noch einige Klausuren aus den letzten Jahren und die sind bisher wirklich immer gleich aufgebaut. Das könnte dir sicher helfen", antwortet sie freundlich.
"Perfekt. Wir können das bei mir machen. Also, bei mir lernen, wenn das okay ist für dich." Wieso blamiere ich mich eigentlich immer wieder vor ihr? Damals war ich noch einer der Coolen, einer der Baseballspieler und jetzt bringt mich ein Mädchen komplett aus der Bahn, nur weil sie neben mir geht und mich mit ihren grauen Augen anguckt.
"Natürlich. Ist kein Problem. Dann ist mein Heimweg nicht ganz so lang."
Ich unterdrücke ein erleichterndes Seufzen. "Stimmt. Hast du vielleicht heute Zeit?", falle ich direkt mit der Tür ins Haus und bereue es sofort wieder, als ich ihren betrübten Ausdruck sehe.
"Tut mir Leid, heute kann ich leider nicht." Lya überlegt kurz. "Wie wär's denn mit morgen?", schlägt sie stattdessen vor und hebt meine Stimmung damit wieder gewaltig. "Ja, das passt. Nach der Schule? Dann können wir gemeinsam zu mir gehen."
Sie willigt ein und wir gehen die letzten Schritte zur Mensa. Morgen ist Freitag. Ich werde meinen Freitagnachmittag mit Lya verbringen. Alleine und bei mir Zuhause. Auch, wenn es nur Lernen ist, freut mich das mehr, als es wahrscheinlich sollte. Nur mit Mühe kann ich ein Dauergrinsen unterdrücken. Natürlich hätte mich auch jeder andere Tag gefreut, aber ein Freitag macht es nur noch besser. Das bedeutet, sie hat kein Date mit irgendeinem anderen Typ und verbringt gerne ihre Zeit mit mir. Aber bis dahin, muss ich unbedigt mein Zimmer aufräumen, auch wenn es meiner Meinung nach nicht unordentlich ist, aber trotzdem. Schließlich möchte ich nicht, dass sie schlecht von mir denkt.
*
Wie verabredet, sind Lya und ich gerade auf dem Weg zu mir nach Hause. Jonah hat mich gefragt, ob er uns mitnehmen soll, da die beiden noch kurz zu Maddie und dort etwas holen müssen, doch ich verneinte. Daraufhin warf er mir nur einen kurzen, jedoch vielsagenden Blick zu. Ich eklärte es damit, dass er so keinen Umweg fahren musste und somit den schnelleren Weg nehmen konnte, da es wohl noch eine Strecke außerhalb des Wohngebietes gibt, die viel praktischer ist. Daraufhin schüttelte er nur grinsend den Kopf und sagte "Okay, wie du willst". Jonah ist nicht dumm und unaufmerksam auch nicht, weswegen ihm wohl klar wurde, warum ich absagte, doch darauf ging er zum Glück nicht ein.
Lya erzählte ich davon nichts und hoffte, dass Maddie ihr ebenfalls nichts sagte. Ich weiß, eigentlich ist das ziemlich fies von mir, aber ich muss all die Chancen nutzen, die ich bekomme, Zeit mit ihr alleine zu verbringen. Hätte es jetzt heute geregnet oder geschneit, wäre das etwas anderes und ich hätte Jonahs Angebot natürlich angenommen. Aber heute ist ein schöner Novembertag. Zwar ist es kalt, aber die Sonne scheint und wärmt uns somit ein wenig.
Ich bin extra nochmal sicher gegangen, dass keiner bei mir Zuhause ist und wir in Ruhe lernen können. Aurelia übernachtet bei einer Freundin, Carter ist Freitags eigentlich immer unterwegs und Mom ist arbeiten.
An unserem Haus angekommen, gehen wir durch das Türchen den Weg zur Haustür entlang und bleiben davor stehen, bis ich meinen Schlüssel gefunden habe. Ich stecke ihn ins Schloss, öffne die Tür und wir treten ein.
Bisher war noch alles ganz chillig, aber in dem Moment, in dem wir das Haus betreten, steigt Nervosität in mir auf. Lya ist die erste Person, die ich hierher eingeladen habe, seit wir hier wohnen. Selbst Jonah war noch nicht hier. Was nicht den Grund hat, dass ich ihn nicht hierhaben würde, aber ich möchte noch etwas abwarten. Von meiner Familie zu erzählen und sie dann tatsächlich zu treffen, ist ein riesen Unterschied. Wenn die Sache mit meinem Dad nicht wäre, wäre es vielleicht anders, aber zum Glück denkt er, dass wir wegen meinen Geschwistern nie hier sind, weil das Haus dann immer so voll ist. Da Jonah keine hat, ist es bei ihm Zuhause immer ruhig und das ist zum abhängen viel besser. Eigentlich hatte ich auch nicht vor, Lya einzuladen, aber als sie dann vor mir stand, hat sich mein Kopf kurz abgeschaltet und dann waren die Worte bereits draußen und ich konnte sie nicht mehr zurücknehmen.
"Willkommen bei mir Zuhause", sage ich freundlich, als ich die Tür hinter uns schließe.
Unentschlossen bleibt sie im Flur stehen und schaut sich kurz um. Ihr Blick fällt auf das Schuhregal und sie zieht ihre Schuhe aus, was mich zum Grinsen bringt. Lya sieht mich fragend an. "Ist das falsch?", fragt sie unsicher. Sie ist so unfassbar süß, wenn sie einen verunsicherten Gesichtsausdruck hat.
"Nein, alles ist gut", antworte ich lächelnd und ziehe ebenfalls meine Schuhe aus. Dafür bekomme ich ein schüchternes Lächeln von ihr. Ihr ist sichtlich anzusehen, wie nervös sie ist, jedoch frage ich mich warum. Es ist ja nicht so, als würde ich sie verführen wollen oder so. Oh Gott, hoffentlich denkt sie das nicht.
"Alec?", höre ich eine Stimme aus dem Wohnzimmer und mein Lächeln erstirbt sofort. Shit. Ich dachte, sie wäre nicht da. Aber um ehrlich zu sein, habe ich diesmal nicht darauf geachtet, ob ihr Auto in der Einfahrt steht oder nicht. Ich war viel zu abgelenkt von Lya neben mir. Diese erstarrt neben mir und greift sich an ihrem Rucksackriemen fest. Ich kriege kein Wort raus und hoffe, sie kommt nicht zu uns, doch zu früh gefreut. Im nächsten Moment steht Mom im Türrahmen und sieht überrascht zwischen Lya und mir hin – und her. Verdammt, das wird jetzt peinlich.
"Oh, hallo", begrüßt sie uns und ihr Erstaunen über Lyas Anwesenheit ist kaum zu übersehen, als sie mir einen kurzen Blick zuwirft, der mehr sagt als ein Lexikon.
"Hey, Mom", ergreife ich schnell das Wort und versuche mich an einem lässigen Lächeln. "Das ist Lyana und Lya, das ist meine Mom", stelle ich die beiden gegenseitig vor und würde am liebsten im Erdboden versinken. Genauso eine Situation wollte ich unbedigt vermeiden, doch mein Schicksal hatte da wohl etwas anderes vor.
"Hallo, Mrs Scott", sagt Lya freundlich mit einem schüchternen Lächeln im Gesicht. "Ich bin Lya, eine Freundin von Alec." Sie geht auf meine Mom zu und streckt ihr die Hand hin. Mit einem breiten Lächeln nimmt sie ihre Hand entgegen. "Freut mich sehr, dich kennenzulernen, Lya."
"Wir gehen dann nach oben und lernen für eine Klausur", versuche ich die ganze Situation zu verkürzen, sodass Mom nicht noch irgendwelche Fragen stellen kann.
"In Ordnung, aber vorher müsste ich dich noch kurz sprechen, Alec", sagt sie am mich gewandt und plötzlich fühlt sich mein Bauch an wie Blei. War ja klar, dass da noch was kommt.
"Ja", sage ich an Mom gewandt und dann an Lya, "Du kannst schonmal hochgehen. Mein Zimmer direkt das erste welches du siehst, wenn du die Treppe hochkommst." Lächelnd nickt sie. "Ach sorry, das hatte ich vergessen. Möchtest du etwas trinken?", füge ich noch hinzu.
"Ja, gern. Habt ihr Saft?"
"Natürlich. Alec bringt dir gleich etwas mit", wift meine Mom ein.
"Gut. Vielen Dank", verabschiedet sich Lya zunächst und geht die Treppe hoch.
"So, und nun zu dir, junger Mann", sagt Mom in ihrem strengen Ton, bei dem ich sofort weiß, dass mich eine Belerhung erwartet. "Du hättest mir ruhig sagen können, dass du ein Mädchen eingeladen hast. Oder überhaupt jemanden."
Ja, ich gebe zu, das hätte ich tun sollen, aber ich wollte genau so einer Unterhaltung aus dem Weg gehen.
"Ich würde nur gerne wissen, welche Leute mein Sohn in sein Zimmer lässt." Oh Gott. "Hättest du es mir gesagt, wenn ich heute hätte länger arbeiten müssen?", fragt sie nun in ihrer Therapeutenstimme und ich muss mich zurückhalten, um nicht genervt zu seufzen.
"Okay, dein Schweigen nehme ich als Antwort." So langsam wird sie genervt.
"Hey Mom, wir lernen doch bloß. Das ist jetzt kein großes Ding", antworte ich locker, doch das beruhigt sie nicht.
"Trotzdem, Alec."
"Bitte sag jetzt nicht, dass ich auch noch die Tür auflassen soll oder so einen Mist. Wir lernen nur für eine Klausur, mehr nicht", flehe ich sie fast schon an. Als ich diese Worte ausspreche, spüre ich einen leichten Schlag in meiner Magengrube, doch lasse mir nichts anmerken.
Moms Blick ist prüfend und ich habe das Gefühl, sie kann durch mich hindurch hindurchgucken, doch ich halte ihrem Blick stand.
"Beim nächsten Mal sage ich dir Bescheid." Das scheinen die magischen Worte zu sein, denn sie wendet ihren Blick ab und geht an den Kühlschrank, um eine Flache Orangensaft und zwei Gläser aus dem Schrank zu holen. "Ich vertraue dir, Alec. Das weißt du", gibt sie mir noch eindriglich mit auf den Weg und drückt mir beide Sachen in die Hände.
"Ja, ich weiß. Tut mir leid."
"Gut. Dann geh schon zu ihr und lernt gut."
Mit einem kurzen Nicken drehe ich mich um und laufe die Treppe hoch.
Lyas POV
Irgendwie fühle ich mich in Alecs Haus etwas unbehaglich. Es ist, als würde ich in seine Privatsphäre eindringen und ihn immer besser kennenlernen. Zum Glück habe ich jetzt etwas Vorsprung bekommen, um mich von der peinlichen Begegnung mit Alecs Mom zu beruhigen. Sie scheint nett zu sein, aber irgendwie wurde mir das plötzlich alles zu viel. Irgendwie erinnerte mich ihr warmes Lächeln ein bisschen an Nicks Mom, was mir kurz Magenschmerzen spüren ließ, die jedoch nicht ganz so stark waren, da ich mir immer wieder in Erinnerung rufen musste, dass Alecs Mom vor mir steht und nicht Mrs Clarke.
Ich öffne die Tür des Zimmers, das er mir beschrieben hat, und betrete es. Das erste was mir einfällt, als ich in Alecs Zimmer stehe ist Wow. Denn es ist nicht ganz anders, als ich es mir vorgestellet habe. Nicht, dass ich es mir vorgestellt hätte, aber es passt zu ihm. Es ist ziemlich schlicht eingerichtet und ordentlich. Ordentlicher als meins, stelle ich fest und sofort spüre ich, Hitze in meine Wangen steigen. Ich stelle meine Tasche neben dem Schreibtisch ab und schaue mich etwas um. Er hat nur ein, zwei Bilder von sich und wahrscheinlich Freunden aufgehangen, aber keins von seiner Familie, was mich etwas stutzig macht. Aber er wird wohl seine Gründe haben. Außerdem hängt bereits der ganze Flur voller Bilder. Nicht jeder hat eine Menge Fotos an der Wand wie ich sie habe – hatte. Irgendwann war ich so wütend auf Nick, dass ich alle Bilder von der Wand gerissen und sie danach auch nicht mehr aufgehangen habe. Den Kopf schüttelnd wende ich meinen Blick ab und erkenne eine Gitarre in einer Ecke des Zimmers, die mich sofort in den Bann zieht. Ich trete näher heran und mustere sie. Niemals hätte ich Alec als Musiker eingeschätzt. Ich stelle mir vor, wie er auf seinem Schreibtischstuhl sitzt und Gitarre spielt. Irgendwie absurd. Sportler ja, aber Musiker?
Die Zimmertür geht auf und Alec kommt herein. "Sorry, aber hier bin ich wieder."
"Ich wusste nicht, dass du Gitarre spielst", sprudelt es unkontrolliert aus mir heraus, woraufhin ich mich zu ihm umdrehe. Alec kommt auf mich zu und stellt eine Flasche Orangensaft und zwei Gläser auf den Schreibtisch ein Stück neben mir.
"Na ja, so richtig spielen kann ich auch ehrlich gesagt nicht", gibt er zu und fährt sich mit einem nervösen Lächeln durch die Haare.
Fragend ziehe ich eine Augenbraue nach oben.
"Die gehörte früher meiner Schwester, aber als sie ausgezogen ist, wollte sie sie nicht mehr haben und dann habe ich gesagt, dass ich sie nehmen möchte. Ich hab mich mal an einigen Liedern versucht, aber besonders gut bin ich nicht."
"Würdest du mir etwas vorspielen? Also etwas, das du schon einigermaßen kannst?", frage ich und setze einen hoffnungsvollen Blick auf. Damals wollte ich auch immer mal Gitarre spielen lernen, habe es jedoch nie probiert. Anscheindend war mein Interesse nicht groß genug.
"Ähm... also, ich weiß nicht", stottert er. Es ist immer wieder lustig, ihn so unbeholfen zu sehen. Irgendwie süß.
"Ich reiße dir nicht den Kopf ab, wenn mal ein unstimmiger Ton dazwischen ist, Alec. Ich würde dich nur einfach gern spielen hören." So wie er mich gerade anschaut, ist ihm förmlich anzusehen, wie er alle Vor- und Nachteile durchgeht. Er seufzt. "Okay, aber ich sag dir direkt, dass ich kaum was kann."
Meine Lippen verziehen sich zu einem breiten Grinsen, als er die Gitarre in die Hand nimmt und sich auf sein Bett setzt. "Setz dich. Neben mich oder auf den Stuhl, wie du möchtest." Ich entscheide mich für einen Platz gegenüber von ihm und schnappe mir den Stuhl, den ich vor ihn hinschiebe und lasse mich darauf fallen.
Alec schütteld lächelnd den Kopf. "Was ist?", frage ich.
"Ach, nichts", antwortet er und sein Blick hängt immer noch an meinem. Ermutigend lächle ich ihn an und er erwidert es. Sofort spüre ich ein leichtes Ziehen in meiner Magengrube. "Dann leg mal los." Ich lehne mich zurück und sehe ihm zu, wie er seine Arme ausschüttelt und sie dann wieder um die Gitarre legt. Er atmet tief ein und aus und wirft mir noch einen kurzen Blick zu, bevor er sich wieder der Gitarre zuwendet.
Nachdem er sie gestimmt hat, beginnt Alec zu spielen. An seiner konzentrierten Mimik erkenne ich, dass er sich wirklich Mühe gibt und das freut mich sehr. Ich bin so sehr von seinen Bewegungen fasziniert, dass ich erst gar nicht bemerke, welches Lied er spielt. Plötzlich spüre ich einen Kloß im Hals und Bilder schießen mir durch den Kopf. Warum muss es dieses eine Lied sein? Es gibt Millionen andere Songs, die man leicht auf der Gitarre lernen kann als Anfänger und er musste ausgerechnet das nehmen. Wie groß ist schon die Chance, dass er ein Lied nimmt, welches ich nur allzu gut kenne und mir extreme viel bedeutet?
"Hey Lya, ist alles in Ordnung?" Ich habe gar nicht bemerkt, dass Alec aufgehört hat zu spielen. Er legt die Gitarre neben sich auf das Bett und beugt sich ein kleines Stück nach vorn. Er mustert mein Gesicht mit Besorgnis. Erst dann nehme ich wahr, dass meine Sicht verschwimmt. Ich erwache aus meiner Starre und blinzle schnell die aufkommenden Tränen weg. "Ja, alles ist gut", erwidere ich wenig überzeugt. Alecs zieht die Augenbrauen zusammen. "Das musst du nicht tun."
"Was meinst du?"
"Du musst nicht so tun, als wäre alles okay, wenn offensichtlich nichts okay ist. Du kannst mit mir reden, Lya. Ehrlich, ich höre dir zu. Du musst mir nichts vorspielen." Die Wärme, die sein Blick ausstrahlt verursacht mir eine Gänsehaut. Obwohl ich einen Pulli trage, bekomme ich Gänsehaut und bin froh, dass er diese nicht bemerkt. Ich bin fast wie hypnotisiert von seinen Augen und den Worten, denn ich kann sehen, dass jedes davon mit 100% Ehrlichkeit gemeint ist. Ich schlucke und wende schließlich meinen Blick ab.
"Woher kennst du das Lied?", frage ich leise.
"Das wurde mir mal auf Youtube vorgeschlagen und ich fand's echt gut, also habe ich nach Tutorials für die Gitarre gesucht und einige gute gefunden. Kennst du den Song?", fragt er vorsichtig, doch ich beantworte seine Frage nicht.
"Wir sollten mal anfangen zu lernen", wechsle ich abrupt das Thema und stehe von dem Stuhl auf, um meine Tasche zu holen, die ich neben der Tür abgestellt hatte.
"Du hast du vermutlich recht." Alec stellt seine Gitarre wieder an ihren ursprünglichen Platz. Danach setzt er sich auf den Boden und verteilt seine Unterlagen auf dem Boden.
Unentschlossen bleibe ich vor ihm stehen und schaue auf seine braunen Haare hinab, bis er seinen Blick hebt und mir in die Augen sieht. "Oh sorry. Ich lerne immer auf dem Boden. Ich weiß, das ist 'ne komische Angewohnheit, aber wenn du lieber am Tisch-"
"Nein, ist schon okay", unterbreche ich ihn. Das ist zwar etwas ungewöhnlich, aber er hat einen Teppischboden, also ist das nicht schlimm. Ich setze mich neben ihn und hole meine Sachen ebenfalls raus.
Alecs POV
"Ich habe gestern noch alte Klausuren rausgesucht." Lya holt einen Packen Blätter aus ihrem Collegeblock hervor und legt ein Aufgabenblatt zwischen uns. "Wie du siehst, gibt es drei Aufgaben." Sie erklärt mir den Aufbau der Klausur und wie ich am besten vorgehen sollte, um alle wichtigen Punkte abzudecken. Ich versuche, mich auf das Gesagte zu konzentrieren, doch es fällt mir ehrlich gesagt schwer. Zwischen uns ist nicht viel Platz und obwohl ich sie nicht berühre, spüre ich ihre Anwesenheit sehr deutlich. Immer wieder bleibt mein Blick an ihren Lippen hängen und ich erwische mich dabei, wie ich mich frage, wie sie wohl schmecken. Ob sie vielleicht Lippgloss trägt? Ich muss mich zurückhalten und ermahne mich, ruhig zu bleiben und nicht gleich eine Fantattacke zu bekommen, nur weil das Mädchen, das ich mag, neben mir sitzt.
"Hast du das soweit verstanden?", fragte sie schließlich und blitzschnell richte ich meinen Blick auf ihre grauen Augen und weg von den Lippen, als sie mich wieder ansieht. Eigentlich wäre diese Erklärung nicht nötig gewesen. Meine Mutter hat Psychologie studiert, also hätte ich auch sie fragen können, aber ich finde es viel besser, wenn ich es von Lya höre. Aber das braucht sie ja nicht zu wissen.
"Ja, danke. Du hast mir wirklich geholfen." Meine Dankbarkeit quittiere ich mit einem Lächeln, welches sie zum Glück erwidert. Verdammt, ich liebe ihr Lächeln. Ganz besonders dann, wenn das Grau ihrer Augen nicht mehr das Grau des Regenwetters ist, sondern das Strahlen der Sonne dadurch zu erkennen ist.
Eine Weile schauen wir uns einfach in die Augen und es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Stundenlang hätte ich sie weiter anschauen können. Genauso wie dieses eine Bild, das in Moms Büro hing und Multnomah Falls, den großen Wasserfall in Portland zeigte. So oft stand ich vor diesem Bild und habe es einfach angestarrt. Mir vorgestellt, wie es wäre, wenn ich auf der Brücke stehen und runterschauen würde. Ich liebte dieses Bild, bis der Nagel es irgendwann nicht mehr gehalten hat und dadurch einen leider kaputt ging und es nicht mehr zu retten war. Damals war ich sehr traurig, dass wir es entsorgen mussten, aber wenn ich jetzt darüber nachdenke, macht mir das nichts mehr aus. Jetzt habe ich ein neues Lieblingsbild.
"Nach Nicks Beerdigung war ich nur noch eine taube Hülle von mir selbst und fühlte gar nichts mehr. Ich war echt am Ende, doch dann war ich auf Youtube unterwegs und habe Songs gesucht, die vielleicht das ausdrücken, was ich nicht konnte. So fand ich dann einige Playlists mit Songs von Elliott Smith, The Fray, Twenty One Pilots... und auch All Time Low. Missing You fand ich besonders gut. Keine Ahnung wieso, aber irgendwie fand ich es inspirierend", sagt Lya ausdruckslos und senkt den Blick auf die Blätter vor ihr. Wieder malt sie gedankenverloren kleine Kreise auf den Teppisch.
"Hätte ich das gewusst, hätte ich etwas anderes gespielt, obwohl die Auswahl sich nur auf 3 bis 4 Songs beschränkt", versuche ich mit Humor, sie etwas aufzumuntern, was mir leider nicht ganz so gut gelingt.
"Tut mir leid, Alec. Manchmal überkommen mich die Erinnerungen und dann entsteht in meinem Kopf eine Blockade, die nichts anderes mehr durchlässt." Lya schaut auf und bei ihrem traurigen Audruck in den Augen, zieht sich mein Magen zusammen. Bei ihr läuft alles immer recht gut, bis irgendwelche kleinen Dinge sie aus der Bahn werfen und die Mauer zum zerbrechen bringen. Manchmal frage ich mich, ob sie absichtlich solche Sachen sagt oder ob sie einfach so aus ihr raussprudeln, weil sie mir vertraut.
Ich rücke ein Stück näher an sie heran, sodass sich unsere Arme leicht berühren. "Dann lass mich dir helfen, diese Blockade aufzubrechen", sage ich leise.
Lyas POV
Mein Herz wummert so stark gegen meinen Brustkorb, dass ich sogar das Gefühl habe, Alec kann es hören. Ich weiß nicht, was mich mehr ins Schwitzen bringt. Entweder diese körperliche Nähe zu ihm, seine Worte oder seine weiche Miene, mit der er mich anguckt. Zum ersten Mal wird mir bewusst, wie braun seine Augen eigentlich sind und denke an Schokolade. Keine Ahnung, warum sie mich so in ihren Bann ziehen, wo sie doch nur braun sind, also eigentlich nichts besonderes. Aber irgendwas in ihnen schimmert besonders. Und dann die sanfte Berührung seines und meines Arms, der kaum zu spüren ist, aber trotzdem eine Hitzewelle in meinen Körper schickt.
Je länger er mich ansieht, desto stärker spüre ich das Kribbeln in meinem Bauch. Ob seine Lippen sich so weich anfühlen, wie sie aussehen? Moment, was denke ich da? Dieser Gedanke holt mich wieder in die Realität zurück. Räuspernd ziehe ich meinen Arm weg und packe meine Sachen zusammen.
"Okay, ähm, wenn du noch Fragen hast, kannst du mich anschreiben oder auch anrufen", sage ich versucht in einem neutralen Ton, doch mein Puls ist noch immer nicht wieder zu seinem Normalwert zurückgekehrt und ich befürchte, dass Alec es bemerkt hat.
"Alles klar", erwidert er nur, während ich meine Sachen in die Tasche räume. Ich würdige ihn keines Blickes. Erst wieder, als ich aufstehe und mir die Tasche um die Schultern hänge und mich zu ihm drehe. "Dann sind wir hier wohl durch, oder?" Die Distanz zwischen uns ist deutlich spürbar.
"Sieht wohl so aus", antwortet er kühl mit einem Schulterzucken und lässt mir somit einen großen Spekulationsraum für die Bedeutung, was mir einen unerwarteten Stich in die Magengrube versetzt. In dieser Tonlage kommt er mir fast schon fremd vor.
Mit einem gezwungenen Lächeln drehe ich mich zur Tür und gehe runter, gefolgt von Alec. Als wir am Wohnzimmer vorbeikommen, kommt seine Mom auf uns zu. "Seid ihr schon fertig mit lernen?", fragt sie freundlich.
Ich möchte zur Antwort ansetzen, doch Alec kommt mir zuvor. "Ja, wir waren sehr fleißig." Jetzt wirkt er wieder wie der Alec, den ich kenne, wobei mir eine gewisse Schwere in seinem Auftreten nicht entgeht.
"Perfekt. Gerade ist die Pizza fertig geworden." Mrs Scott wendet sich an mich. "Möchest du mit uns essen, Lya?", fragt sie und erinnert mich wieder an Nicks Mom damals, als wir beide immer mehr Zeit miteinander verbracht haben und ich öfter zum Abendessen blieb. Genau wie Nick immer wieder bei uns blieb.
"Ähm... das ist wirklich nett von Ihnen, aber meine Eltern warten bestimmt schon auf mich."
"Du kannst sie gerne anrufen und ihnen Bescheid geben, dass du hier mit uns zu Abend isst. Das ist wirklich kein Problem, wir haben mehr als genug da." Genau das hat Nicks Mom auch immer gesagt. Zuerst hatte ich wirklich Hunger, aber die Leere in meinem Bauch hat sich mit der schweren Last von Steinen der Erinnerung gefüllt. "Alec bringt dich danach auch wieder nach Hause, stimmt's?"
"Natürlich, Mom", erwidert er mit einer Selbstverständlichkeit, die mir ein kleines Lächeln entlockt. Typisch Alec.
Seine Mom kommt mir mit solcher Gastfreundlichkeit entgegen, dass ich einfach nicht ablehnen kann. Es wäre unhöflich, also stimme ich zu. "Dann gehe ich mal kurz meinen Eltern Bescheid sagen." Ich gehe außer Reichweite in den Flur und rufe Mom an.
Natürlich hat sie nichts dagegen. Mom und Dad führen gerade wahrscheinlich einen Freudentanz auf, wie in letzter Zeit immer, wenn ich etwas mit Freunden unternehme.
Alecs Mom holt die Pizzen aus dem Ofen, schneidet sie in möglichst gleichgroße Stücke und verteilt sie auf drei Teller. "Vielen Dank", sage ich, als sie mir meinen Teller übergibt.
"Wir können uns ruhig auf das Sofa setzen." Als sie sich selbst gerade ein Stück auf den Teller schiebt, höre ich ein komisches Geräusch, was sich anhört wie ein Telefonklingeln, doch das ist es nicht, denn das liegt auf dem Küchentisch.
"Oh, das hatte ich völlig vergessen", entfährt es ihr überrascht. Mit einem bedauerlichen Gesichtsausdruck dreht sie sich zu Alec.
"Ist schon gut, Mom. Wir können auch alleine essen, lass dich nicht stressen", erwidert dieser lässig und erntet somit ein mehr als dankbares Lächeln seiner Mom. "Danke, Alec. Tut mir Leid, Lya, aber ich muss ganz dringend weg. Alec kann es dir ja erklären." Und schon ist sie aus der Küche geflitzt.
"Tut mir leid, aber mein Dad arbeitet beim Militär und ist momentan nicht Zuhause, weswegen wir auch nicht oft die Gelegenheit bekommen, mit ihm zu reden. Mom vermisst ihn sehr und nutzt jede Gelegenheit, um mit ihm allein zu sein und mit ihm zu Skypen." Irgendwas an der Art, wie er mir das erzählt, ist seltsam, was die kurze Veränderung in seinen Augen nur unterstützt. Doch im nächsten Moment verschließt er sich wieder und nichts davon ist mehr zu sehen.
"Möchtest du nicht mit ihm reden?", frage ich vorsichtig.
"Nein. Also ich habe erst vorgestern mit ihm telefoniert." Das nein kam viel zu schnell aus seinem Mund und bestätigt mir somit, dass es etwas gibt, das er uns, besonders mich, nicht wissen lassen möchte, also lasse ich das Thema fallen und frage nicht weiter nach, obwohl mich das neugierig gemacht hat.
"Wie auch immer. Wir können uns aufs Sofa setzen und einen Film oder so gucken", schlägt Alec vor. Mit einem Nicken stimme ich ein und wir gehen ins Wohnzimmer, wo Alec sich zuerst aufs Sofa fallen lässt und ich mich dann neben ihm.
"Wo sind deine Geschister?"
"Aurelia ist bei einer Freundin und wo Carter ist, weiß ich nicht, aber wahrscheinlich da, wo irgendeine Party steigt", antwortet er, während er den Fernseher anschaltet. Er zappt durch die Kanäle, bis er einen Film findet und mich dann fragend anguckt.
"Ja, ist okay." Und so passiert es, dass ich an einem Freitagabend mit einer Pizza neben Alec auf seinem Sofa sitze und wir gemeinsam Kindsköpfe gucken. Bis wir mit dem Essen fertig sind, sprechen wir nicht miteinander, sondern sitzen einfach nur stumm nebeneinander und lachen ab und zu an lustigen Stellen im Film.
Alecs POV
"Magst du den Film?", frage ich Lya und beende somit unser Schweigen. Ich weiß nicht genau, was eben passiert ist, aber irgendwie ist etwas in die Brüche gegangen, obwohl ich genau das Gegenteil davon beabsichtigt habe.
Sie stellt ihren Teller auf den Couchtisch und lehnt sich wieder zurück. "Ja, ich liebe diesen Film. Egal, wie oft er immer wieder im TV läuft, ich gucke ihn jedes Mal und muss immer wieder lachen." Bei der Erinnerung verziehen sich ihre Lippen zu einem Lächeln und mein Herz macht einen Satz. Ich kann mich einfach nicht an ihrem Lächeln sattsehen. "Und du?"
"Ja, ich auch. Ich hab auch mal den zweiten Teil geguckt, aber den fand ich nicht so lustig wie den ersten."
"Den Zweiten habe ich gar nicht gesehen. Ehrlich gesagt, wusste ich nicht mal, dass es überhaupt einen zweiten Teil davon gibt", gibt sie zu.
"Daran siehst du, dass der andere Teil nicht unbedigt sehenswert ist." Mit einem zurückhaltenden Lächeln drehe ich meinen Kopf zu ihr.
"Hm... da hast du wohl recht", sagt sie abwesend, den Blick unter den Fernseher geheftet. Ich folge ihm und entdecke, was ihre Aufmerksamkeit auf sich zieht.
"Magst du Mario Kart?", frage ich unvermittelt und sofort schießt ihr Kopf in meine Richtung und sieht mich ungläubig an. "Was ist?", lache ich auf.
"Das war doch wohl hoffentlich keine ernstgemeinte Frage", antwortet sie fast schon drohend. "Wer mag das denn nicht?"
Zoe kommt mir als erstes in den Sinn, aber ich möchte meine Schwester nicht in einem schlechten Licht darstellen, auch wenn es eigentlich schwachsinnig ist, so zu denken, also zucke ich nur dem den Achseln. "Wir können eine Runde spielen, wenn du möchtest", schlage ich vor und hoffe, dass sie ja sagt. Was sie zum Glück auch tut. Ich stehe auf, mache die Wii an und nehme zwei Fernbedienungen, die daneben liegen. Die weiße Fernbedienung gebe ich Lya und die schwarze nehme ich.
"Rennen oder Wettkampf?", frage ich.
"Rennen. Die Wettkämpfe machen nicht so viel Spaß." Wir entscheiden uns gegen ein Teamrennen und fahren somit alle gegeneinander. Lya hat sich für Yoshi als ihren Fahrer entschieden – irgendwie passend - und ich, ganz klassisch, für Mario.
Wie sich herausstellt, ist Lya wirklich gut in diesem Spiel. Die letzten 3 Runden kämpfen wir um Platz eins und bisher ist sie auf dem ersten Platz, mit jedoch nur wenigen Punkten Vorsprung. Als uns das Zwischenergebnis angeziegt wird, wirft Lya mir ein triumphierendes Lächeln zu. "Die nächste Runde wird entscheiden, wer gewinnt. Ich hoffe, du bist nicht jemand, der nicht damit umgehen kann, gegen ein Mädchen zu verlieren", sagt sie selbstsicher.
"Ohh du denkst also, dass du gewinnst, ja? Das werden wir sehen", gebe ich provokant zurück und wähle den Regenbogen-Boulevard, bevor ich wieder zu ihr sehe und einen verängstigten oder verunsicherten Blick erwarte, doch ihre Augen leuchten nur so vor Selbstsicherheit.
"Na dann mal los, Scott. Ich habe keine Angst."
"Wie du willst, Healey. Wir sehen uns dann an der Ziellinie."
Das Rennen startet und wir sind wieder gut mit dabei. Weder Lya noch ich sind in den ersten beiden Runden ganz vorn, doch wir kämpfen uns immer weiter durch an die Spitze.
"Ha, sieht du! Sieht wohl so aus, als wäre ich die Nummer eins." Ich bin nur wenige Meter hinter ihr, als sie einen zu großen Bogen um die Kurve macht und ich ihr somit gefährlich nahkomme. Kurz vor dem Ziel schaffe ich es, neben ihr zu fahren und stubse sie von dem Regenbogen. Ich fahre als erster ins Ziel.
Sie stößt ein entsetztes "Nein!" aus und sieht fassungslos zu mir herüber. Als Yoshi wieder auf die Strecke gehoben wird, ist sie nur noch 7., doch da die anderen Fahrer viel zu schnell an ihr vorbeifahren, kommt sie gar nicht mehr durch das Ziel und wird 12.
Ich zucke nur mit den Achseln und setze ein überhebliches Grinsen auf. Ihr Gesichtsausdruck gerade ist einfach zu lustig. Sie guckt mich an, als hätte man einem kleinen Kind gesagt, dass der Weihnachtsmann nicht exstiert und somit dessen ganze Vorstellung kaputt gemacht.
"Das hast du gerade nicht gemacht. Du hast mich ich gerade nicht allen ernstes runtergeschubst, nur damit ich nicht als erste ins Ziel komme." Lyas Unterton ist gefährlich ruhig und in ihren Augen lodert Wut.
Im Hintergrund läuft die Siegerehrung und Mario steht auf Platz eins, daneben Baby Peach auf Platz 2 und Platz 3 belegt Wario. Yoshi belegt Platz 4 und ist somit nicht auf dem Podest zu sehen.
"Sieht wohl so aus, als könnte jemand anderes von uns nicht damit klarkommen, zu verlieren."
Lya löst das Band des Controlers und legt ihn auf den Tisch, während sie näher auf mich zukommt. Vorhin gab es noch einen gewissen Abstand zwischen uns auf der Couch, aber jetzt sitzt sie direkt neben mir und boxt in meinen Arm.
"Au", entfährt es mir und ich reibe mir die Stelle am Oberarm, gegen die sie gerade mit Kraft geboxt hat. Sie verdammt nochmal viel Kraft.
"Das war dafür, dass du mich runtergeschubst hast." Sie boxt mich noch ein weiteres Mal. "Und das war für dein selbstgefälliges Grinsen danach."
"Verdammt, du bist wirklich eine schlechtere Verlierin." Noch ein Schlag. "Lass das. Du hast echt Kraft, weißt du das?"
Ihr Mund verzieht sich zu einem Grinsen. "Ja, das weiß ich. Trotzdem ändert das nichts daran, dass du es verdient hast."
"Tut mir leid, wenn ich jetzt deinen Stolz verletzt habe, Lyana", sage ich mit einem Grinsen.
Ihre Augen verengen sich erneut. "Du willst es wohl wirklich wissen, was?" Wieder holt sie zu einem Schlag aus, doch ich halte ihr Hangelenk fest, bevor es dazu kommt. "Wir müssen alle irgendwann mal eine Niederlage einstecken."
"Ach halt doch die Klappe, Alec." Sie entwendet sich aus meinem Griff. Diesmal boxe ich sie sanft in den Oberarm.
"Hey!", ruft spielerisch verärgert aus. "Okay okay, genieße den Moment, solange er noch anhält, denn das nächste Mal werde ich dich von der Strecke bringen und werde als Erste durchs Ziel fahren. Dann wirst du sehen, wie sich Betrug anfühlt." Ich weiß, dass der letze Satz nur ein Witz ist, trotzdem fühlt es sich wie ein Schlag in die Magengrube an, woraufhin mein Lächeln etwas verrutscht.
Lya wendet ihren Blick von mir ab und schaut auf die Uhr. "Oh, es ist schon halb 10. Ich sollte wohl mal lieber nach Hause gehen." Sie erhebt sich und streicht ihren Pulli glatt, bevor sie ihren Teller vom Tisch nimmt und sich in die Küche begibt. Ich stehe ebenfalls auf und folge ihr mit meinem Teller. Wir stellen beide in die Spüle und gehen in den Flur, wo Lya sich die Schuhe und die Jacke anzieht. "Vielen Dank für die Pizza und den schönen Abend, auch wenn das Spiel unfair war."
Lachend schüttle ich den Kopf und schnappe mir ebenfalls meine Jacke von der Gaderobe und schlüpfe ich meine Schuhe. Die Stirn in Falten gelegt, mustert Lya mich.
"Dachtest du wirklich, ich lasse dich alleine nach Hause laufen, wenn es so dunkel ist?", frage ich ernst. Ihre Wangen verfärben sich leicht rosa, was mich zum lächeln bringt. "Ähm, nein, nur... egal. Das musst du nicht, es sind ja nur ein paar Straßen, ich kenne mich hier gut aus."
"Das bezweifle ich nicht, aber ich würde dich lieber begleiten und sichergehen, dass du gut ankommst", erwidere ich und sehe ihr eindringlich in die Augen. Ja, sie kennt sich hier besser aus als ich, aber ich könnte es mir nicht verzeihen, wenn ich sie alleine im Dunkeln laufen lassen würde und ihr dann etwas passiert. Man weiß ja nie, was oder wer im Dunkeln lauert, auch wenn wir hier nur in einer kleinen Stadt leben.
"Okay." Lya geht zur Tür, öffnet sie, bleibt jedoch noch kurz stehen und wirft mir einen kurzen Blick über die Schulter zu.
*
"Danke für die Begleitung, Leibwächter Alec."
"Gerne doch, Prinzessin Lyana. Obwohl wir auch die Kutsche hätten nehmen können", erwidere ich, woraufhin ich leises Lachen von ihr bekomme. Das war mein blöder Witz definitiv wert.
"Oh nein, mein edler Ritter,", theatralisch legt sie die rechte Hand auf ihren Brustkorb, "ich bin nicht verwundet und laufe gern. Das hilft mir beim Nachdenken."
"Mir auch. Besonders, wenn es draußen ruhig ist."
"Genau." An ihrem Haus angekommen, bleiben wir stehen und schauen uns einen Moment lang in die Augen. Keiner von uns beiden sagt etwas, nur einige Motorengeräusche von weit weg sind zu hören. Ihr Gesicht ist wird von einer Straßenlampe, die wenige Meter weiter weg steht, erhellt und ich kann das Glitzern ihrer Augen erkennen.
Es ist ein Moment, der sich wie eine Ewigkeit anfühlt und mich durchzuckt ein Schmerz, als sie den Blick kurz abwendet.
"Danke und bis Montag", sagt Lya, dreht sich um und geht zur Haustür. Noch immer in dem Moment gefangen, bleibe ich stehen und schaue ihr hinterher. Bitte dreh dich noch einmal um. Und als hätte sie meine Gedanken gehört, dreht sie sich nochmal kurz um und winkt mir zu, bevor sie im Haus verschwindet und die Tür ins Schloss fällt.
Endlich schaffe ich es, mich von der Stelle zu bewegen und gehe mit einem dämlichen Grinsen im Gesicht nach Hause. Zum Glück ist es so dunkel, dass es niemand sieht, sonst würden sie wahrscheinlich noch denken, ich wäre ein Psychopath, der auf der Suche nach seinem nächsten Mordopfer ist.
Zuhause angekommen, schließe ich die Haustür auf und gehe ins Wohnzimmer, wo Mom vor dem Fernseher sitzt. Ich lasse mich neben sie fallen.
"Wie war dein Gespräch mit Dad?", frage ich der Höflichkeits halber, halte meine Miene jedoch auf den Fernseher gerichtet, in dem gerade irgendein alter Film läuft. Mom greift nach der Fernbedienung, die vor ihr liegt und schaltet auf stumm. "Gut. Es war schön, ihn mal wieder zu sehen", antwortet sie mit einem Lächeln und wirkt wie ein frisch verliebter Teenager. Klar, ich freue mich, dass meine Eltern noch zusammen glücklich sind, das ist schließlich keine Selbstverständlichkeit, aber manchmal finde ich es schon etwas peinlich, was ich jedoch nie laut ausspreche. "Das war ein nettes Mädchen. Ihr geht in eine Klasse?", wechselt sie das Thema und sofort bereue ich es, das Wohnzimmer betreten zu haben.
"Ja", antworte ich kurz angebunden und hoffe, somit das Thema abschließen zu können, doch so leicht macht Mom es mir nicht. "Du hast sie bisher noch nie erwähnt. Wieso?" Oh nein. Mom lässt die Therapeutin raushängen.
"Es gab nichts zu erzählen, deswegen." Diese Antwort bringt mir einen streng prüfenden Blick ein, als würde sie durch mich hindurchzugucken versuchen. Manchmal hasse ich es, dass ihre Menschenkenntnisse so gut sind und sie viel durchschaut.
"Ah ja. So wie du sie angeschaut hast, kam mir das mehr vor als nichts." Ertappt setze ich mich auf und drehe mich zu ihr. "Ich bin nicht blind, Alec." Natürlich ist sie das nicht.
"Okay, ich gehe dann mal nach oben." Das Letzte was ich jetzt möchte, ist mit meiner Mom über meine Gefühle zu reden.
"Warte!" Sie stoppt mich, als ich gerade am Treppenansatz ankomme. Kurz halte ich inne, bevor ich mich noch einmal zu ihr umdrehe.
"Ich weiß, dass Jungs in deinem Alter nicht mit ihrer Mutter über sowas reden wollen, aber du weißt, dass du damit immer zu deinem Dad gehen kannst, oder?" Mein Griff um das das Treppengeländer verfestigt sich, doch ich nicke nur und laufe dann nach oben. Als ob ich mit Dad über sowas reden würde. Das Einzige, was ihn an Lya nur interessieren würde, ist welche Sportart sie bevorzugt, worauf sie dann hoffentlich Baseball oder Football antworten würde. Manchmal wünsche ich mir, dass meine Familie sich nicht so viel in mein Leben einmischen würde.
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