❥ Chapter 40
Lyas POV
"Jetzt schubst du mich aber mal an", fordere ich Nick auf, als wir die Plätze tauschen und er sich hinter das Karussell stellt und ich mich hineinsetze.
"Okay, aber wenn du stopp rufst, hast du verloren und musst mir ein Eis kaufen", sagt er und sieht mich herausfordernd an.
"Ich werde aber nicht verlieren und das weißt du ganz genau", erwidere ich ebenso provokant und setze mich aufrecht hin. "Dann mal los."
"Wie du willst, Lya. Aber ich habe dich gewarnt."
"Träum weiter, Nick."
Er tritt näher heran und dreht mit viel Schwung an der Stange. Sie lässt sich nur schwer drehen, doch Nick gibt nicht auf und nimmt all seine Kraft zusammen. "Ist das alles, was du draufhast?", necke ich ihn, woraufhin er schneller dreht. "Das war erst der Anfang. Ich muss ja schließlich erstmal warm werden."
Weil mir schnell schwindelig wird, schließe ich die Augen und genieße das schnelle Drehen des Karusells, während ich mich mit den Händen an der Stange festhalte.
Irgendwann wird es langsamer. "Du kannst schon noch etwas mehr Schwung nehmen." Doch es passiert nichts. Das Karussell dreht sich langsamer und langsamer. Ich öffne die Augen und sehe mich um, doch Nick ist nirgends zu sehen. Panik kocht in mir hoch und ich versuche das Karussell anzuhalten, um herauszuklettern. "Nick?" Keine Antwort. "Komm schon, das ist nicht lustig." So langsam überkommt mich ein unangenehmes Gefühl und ich befürchte nichts gutes. Irgendwas in mir sagt, dass etwas schlimmes passiert ist.
"Nick!", rufe ich jetzt fast schon verzweifelt. Noch einmal drehe ich mich und da sehe ich ihn. Er liegt auf dem Boden, umgeben von einer Blutlache. Mir bleibt die Luft weg. Für einen kurzen Moment bin ich wie angewurzelt, doch irgendwie schaffe ich es, mich von der Stelle zu bewegen. Ich laufe auf ihn zu, doch ich komme nicht näher. Ich erhöhe meine Geschwindigkeit, doch ich komme nur winzige Schritte näher.
"Scheiße", fluche ich laut und renne weiter auf Nick zu.
Ein lautes Piepen holt mich aus dem Schlaf und ich schrecke auf. Meine Kehle ist wie ausgetrocknet, sodass ich sofort nach dem Wasserglas greife, dass auf meinem Nachttich steht und es in einem Schluck leere. Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb und ich lasse mich wieder sinken. Es war nur ein Traum. Vielleicht war es nicht gerade die schlauste Idee von mir, gestern mit Alec zu dem Spielplatz zu fahren, aber ich hätte nicht gedacht, dass dieser Ort so viel in mir bewirken würde. Dabei war es egal, dass der Tag eigentlich schön war. Meine Psyche empfand das anscheinend anders.
Mittlerweile habe ich mich wieder etwas abgeregt und stehe langsam auf, um mich fertig zu machen, obwohl meine Finger immer noch zittern.
*
"Das war extrem knapp. Er hat genau in dem Moment das Haus verlassen, in dem mein Dad wiederkam. Du glaubst nicht, wie ich gezittert habe." Maddie erzählt mir gerade, dass Jonah sich gestern rausgeschlichen hat, kurz bevor ihr Dad wieder nach Hause kam und ihn fast gesehen hätte. Ihr Dad hat nicht viele Regeln aufgestellt, aber eine davon lautet, dass Maddie keine Jungs einladen darf, wenn ihr Dad nicht Zuhause ist. Doch diese hat sie gestern gebrochen, was fast aufgeflogen wäre. "Ehrlich Lya, sowas mache ich nie wieder."
"Das hätte ich dir ja gleich sagen können. Auch, wenn es dieses Mal gut gegangen ist, solltest du deinen Dad nicht belügen. Dafür bist du eine viel zu schlechte Lügnerin. Wahrscheinlich kann er sich sogar denken, dass Jonah die Nacht über bei dir war und nicht ich, aber er wartet auf den richtigen Zeitpunkt, um das mit dir zu besprechen."
"Oh Gott." Maddie stöhnt frustiert auf und vergräbt ihr Gesicht in den Händen, was mich zum Grinsen bringt. Gegen die Regeln zu verstoßen sieht ihr gar nicht ähnlich.
"Guten Morgen, die Damen", begrüßt Alec uns beide mit einem freundlichen Lächeln, welches ich erwidere. Verwirrt betrachtet er Maddie und dreht sich dann mit zusammengezogenen Augenbrauen zu mir.
"Frag am besten erst gar nicht", sage ich. In seinem Kopf scheint es kurz zu rattern, denn im nächsten Moment weiten sich seine Augen und er wendet rasch seinen Blick ab. "Ach du scheiße", murmelt er so leise, dass nur ich es hören kann.
Wie gerufen, biegt Jonah gerade um die Ecke und kommt auf uns zu. Je näher er kommt, desto verwirrter sieht er aus. "Bitte sagt mir nicht, es ist wieder jemand gestorben", ist das einzige, was er sagt und ich höre die Angst in seiner Stimme, woraufhin mir ein kurzer Stich in der Magengrube durchfährt, den ich jedoch geschickt versuche zu ignorieren.
Alec sieht ihn entgeistert und mitleidig an und legt ihm eine Hand auf die Schulter. "Zum Glück noch nicht. Alter, das tut mir echt mega leid."
Jonah beäugt ihn, als hätte Alec ihm gerade gesagt, dass die Aliens uns gestern einen Besuch abgestattet haben. Die Frage "Hast du sie noch alle" steht ihm quasi ins Gesicht geschrieben. "Wovon redest du, Mann?", fragt er und macht einen Schritt zurück. Auch Maddie hebt ihren Kopf wieder und befreit ihr beschämtes Gesicht.
"Na ja, also... dass Maddies Dad euch, also..." Alec fährt sich durch die Haare.
"Oh mein Gott, nein! Es ist nichts passiert", kreischt Maddie etwas zu laut, sodass sich einige Schüler zu uns umdrehen. Ihr Kopf ist feuerrot und gleicht fast schon einer Tomate. Jonahs Wangen gewinnen auch an Farbe und ich kann mir ein Lachen nicht verkneifen.
"Oh, äh... das, das wusste ich nicht. Sorry, aber ich dachte, weil Maddie so...", stottert Alec und läuft jedoch ebenfalls knallrot an. Ich glaube, so beschämt wie jetzt, hat er sich noch nie gefühlt. So unbeholfen sieht er schon süß aus.
"Findest du das etwa lustig?", fragt er und unterbricht somit meine Gedanken.
"Ein bisschen. Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Tut mir leid, dass Maddies Dad euch, ähm...", ahme ich ihn so gut wie möglich nach, woraufhin ich einen leichten Stubser gegen meinen Oberarm bekomme. "Ja okay. Ich hab mich mega blamiert. Können wir das ganze jetzt bitte alle wieder vergessen?", bittet Alec ein bisschen verzweifelt und lächelt gequält.
"On nein, vergiss es. Daran werde ich dich immer wieder erinnern", erwidere ich amüsiert, woraufhin er nur lächelnd den Kopf schüttelt. "Hätte ich mir denken können."
*
"Lyana, bleibst du noch kurz hier?", bittet mich Mrs Anderson kruz nach dem Klingeln. Mit einem kurzen Nicken gebe ich den anderen Bescheid, dass sie nicht auf mich warten müssen und schon in die Mensa vorgehen können.
Ich verschließe den Reißverschluss meines Rucksacks und schultere ihn, bevor ich mich zu Mrs Andersons Pult begebe. Keine Ahnung, warum sie mich sprechen möchte. In den letzten Wochen kam es zu keinen weiteren Zusammenbruch von mir und auch im Unterricht bin ich meistens aufmerksam. Auch, wenn ich es des öfteren auch mal nur vorspiele, gibt es eigentlich nichts zu bemängeln.
Vor ihrem Pult bleibe ich stehen. "Ja?"
"Du kannst dich dort auf den Stuhl setzen." Mrs Anderson deutet auf den Platz in der ersten Reihe, direkt vor ihrem Pult. Genau dort saß ich bei unserem letzten Gespräch auch. Ich lasse mich auf den Stuhl fallen und setze meine Tasche neben mir ab. Sie legt ihre Arme auf den Tisch und verschränkt ihre Hände miteinander. "Wie geht es dir?", fragt sie und ich kann ehrliche Sorge in ihrer Stimme erkennen. Seitdem ich nach Nicks Tod einige Tage nicht in der Schule war, weil ich unter anderem nach Hause geschickt wurde, weil ich einfach nur starr da saß und komplett abwesend war, bin ich wohl noch immer Gesprächsthema Nummer eins im Lehrerzimmer. Damals haben Maddie und ich das immer Lehrerzimmergossip genannt, bis wir selbst Thema wurden.
"Gut, danke der Nachfrage", antworte ich mit einem kleinen Lächeln und hoffe, die Botschaft kommt an.
Ein Moment der Stille vergeht, in der sie mich nur kritisch mustert.
"Wieso fragen Sie?"
Mrs Anderson nimmt ihre Brille ab und reibt sich über die Augen, bevor sie diese wieder aufsetzt. Ja, sie ist unsere Tutorin und für unseren Kurs verantwortlich, aber durch Nicks Tod fühle ich mich in den Vordergrund gedrängt, obwohl ich vorher nie wirklich auffiel. Naja, vorher hatte ich auch nie wirklich Probleme. "Ich wollte nur mal nachfragen und sichergehen, dass alles gut läuft für dich." Sie meint sie Klausuren und Tests, die bald anstehen. Klar. Hätte ich mir auch denken können.
"Ja, das Lernen läuft gut." Was sogar nicht mal unbedigt gelogen ist. Manchmal kann das Lernen eine gute Ablenkung sein.
"Das freut mich. Aber wenn du irgendwie nicht weiterkommst oder Hilfe brauchst, kannst du immer zu uns kommen, okay?" Das hätten Sie auch Nick anbieten sollen, denke ich, doch versuche mit einem dämlichen Grinsen diesen Gedanken beiseite zu schieben.
"Danke, aber ich komme klar." Daraufhin stehe ich auf, nehme meine Tasche und verlasse nach einer kurzen Verabschiedung den Raum und mache mich auf den Weg zur Mensa.
Ich lasse mir das Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen. Zum ersten Mal habe ich gesagt, dass ich klarkomme und es auch wirklich so gemeint. Diese Erkenntnis trifft mich so sehr, dass ich mitten im Gang stehen bleibe und ins Nichts starre. "Ich komme klar", murmle ich vor mich hin und werde von einem anderen Schüler angerempelt, der mich genervt anguckt. "Anscheindend nicht, sonst würdest du nicht mitten im Gang stehenbleiben", zischt er und läuf dann weiter. Ich gucke ihm hinterher und erstarre. Irgendwas an seinem Rucksack zieht mich in den Bann. Ein Londonanhänger. Die Tower Bridge. Sofort kommt mir das Bild von Nick und mir vor der Tower Bridge in den Sinn und mein Magen zieht sich zusammen. Ich denke an den Pullover, den wir beide in einem Laden auf der Oxford Street gekauft haben und der jetzt in den Tiefen meines Schrankes liegt. Letztes Jahr hatte ich ihn ständig an, aber dieses Jahr hatte ich ihn noch kein einziges Mal an, obwohl es mittlerweile November ist und der Pulli perfekt für diese Teperaturen ist. Immer mal wieder hatte ich kurz überlegt, ihn anzuziehen, doch ich konnte es nicht. Wenn ich ihn in die Hand nehme, beginnt mein Herz zu rasen und meine Atmung wird flacher, bis ich ihn wieder hingelege und mich von der Panik erholen muss.
Erst meine brennenden Augen holen mich wieder in die Realität. Mit meinen Jackenärmeln reibe ich mir über die Augen und setze meinen Gang fort. Soviel zu ich komme klar.
Als ich Maddie, Jonah und Alec sich unterhaltend an einem Tisch entdecke, huscht mir ein kleines Lächeln über die Lippen. Ich bin so froh, sie um mich zu haben. Sie sind mein Sicherheitsnetz und ich wüsste nicht, was ich ohne sie tun würde. Selbst Alec, den ich noch nicht ganz so lange kenne, ist ein wirklich guter Freund geworden. Statt noch weiter so blöd im Weg rumzustehen, begebe ich mich endlich zu ihnen und pflanze mich auf den Stuhl neben Alec. Keiner von den anderen fragt, was Mrs Anderson von mir wollte. Wahrscheinlich können sie es sich auch so denken. Schließlich weiß es jeder.
"Hey, wir diskutieren gerade und brauchen deinen Rat. Also,", fängt Alec an und erzählt mir in allen Einzelheiten, was sie die letzten Minuten beredet haben. Dabei sehe ich, wie aufgedreht er ist. Gar nicht mehr so lässig, wie am Anfang. Zwar weiß ich immer noch nicht allzu viel über ihn, doch ich spüre, dass ich ihm vertrauen kann und bisher wurde ich noch nicht enttäuscht. Je mehr Zeit wir mit ihm verbringen, desto mehr lässt er sich auf uns ein wird imer lockerer. Ich habe mal gelesen, dass einige Leute glauben, wenn ihnen jemand genommen wird, kommt jemand neues in ihr Leben. Vielleicht ist dieser Jemand bei mir Alec. Nicht, dass er Nick auf irgendeine Weise ersetzen würde, das könnte niemand, aber er ist wie eine Art Verstärkung unserer Gruppe, die uns wieder zusammengebracht hat. In seinen Augen ist ein Strahlen zu erkennen, wenn er mich ansieht, was ein Kribbeln in meiner Magengegend hervorruft. Im nächsten Moment wendet er sich wieder an die anderen und diskutiert weiter, während ich ihn immer noch anschaue und versuche, mich an dem Gespräch zu beteiligen. Nach und nach wird das Kribbeln weniger und ich verdränge jeden Gedanken daran in die hinterste Ecke meiner Gedanken.
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