❥ Chapter 4

Lyas POV

Den Mittwoch verbringe ich wieder mit Musik hören und an die Wand starren. Denn Musik kann mich am besten von allem um mich herum abschotten.
Mit meiner Familie rede ich immer noch nicht, außer einsilbigen Antworten auf Fragen, die sie mir stellen und so zieht sich der Tag bis zum Abend hin. Ich bin noch immer geschockt und verletzt von Tessas Worten gestern. Sie hat zwar versucht auf mich zuzukommen, aber ich ließ sie nicht an mich ran. Es geht mir immer noch nah und ich möchte sie im Moment einfach nicht mehr sehen.

Heute ist Donnerstag und in einer halben Stunde ist meine erste Einzeltherapiestunde. Jetzt frage ich mich, wie ich mich nur dafür breitschlagen lassen konnte. Weil ich Nicks Stimme in meinem Kopf gehört habe. Ach ja...
Das erinnert mich an meinen Albtraum von letzter Nacht, von dem ich erneut schweißgebadet aufgewacht bin.

Ich bin in Nicks Haus und gehe die Treppe hoch zu seinem Zimmer, weil ich ihn mit einem Besuch überraschen wollte. Als ich an seiner Zimmertür klopfe, höre ich kein „Herein", also klopfe ich nochmal. Wieder bekomme ich keine Antwort, also gehe ich einfach hinein. Ich bin überrascht, als ich bemerke, dass er nicht in seinem Zimmer ist, obwohl er meinte, er sei zuhause. Noch einmal schaue ich mich in seinem Zimmer um und bekomme ein komisches Gefühl. Irgendwas ist anders, geht mir durch den Kopf, aber ich verlasse sein Zimmer und schließe die Tür leise hinter mir, als ich irgendwo in der Nähe Wasser rauschen höre. Ich gehe dem Geräusch nach und stehe vor dem Badezimmer. Vielleicht duscht er sich gerade. Aber warum macht der das an einem Nachmittag? Das macht er doch sonst nie... Demnach beschließe ich, auch an diese Tür zu klopfen, da dieses ungute Gefühl nicht nachlässt. Ich rufe seinen Namen durch die Tür, aber wieder kommt keine Antwort. Mein ungutes Gefühl verwandelt sich in Nervosität, also mache ich die Tür auf und stelle mich auf das Schlimmste ein. Was ich dann sehe ist schlimmer als das Schlimmste. Mir bleibt die Luft weg und alles um mich herum beginnt sich zu drehen. Nick liegt in der Badewanne, blutüberströmt mit aufgeschnittenen Armen. Noch nie in meinem Leben habe ich so viel Blut gesehen. Mir wird schwindelig, weil ich meine Atmung nicht kontrollieren kann und merke, wie ich immer wackliger auf den Beinen werde. Ich trete näher an ihn heran und spüre förmlich, wie mir der Boden unter den Füßen weggezogen wird. Nach einigen Sekunden, in denen ich ihn einfach nur anstarre, wird mir bewusst, was ich da gerade sehe und fange an zu schreien. Ich schreie immer weiter und kann nicht damit aufhören, bis schließlich meine Stimme versagt, weil mein Mund wie ausgetrocknet ist. Und doch schreie ich in meinem Inneren weiter. Ich versuche mich wieder auf die Beine zu stützen und genau in diesem Moment kommt auch Nicks Mom ins Badezimmer und steht vollkommen überfordert hinter mir. Ihr Körper zittert genauso wie meiner.
"W-Wir müssen was tun. Was sollen wir tun, verdammt!", schreie ich sie unter Tränen an, doch sie kann sich nicht bewegen. Auch ihr Mann, Nicks Dad, kommt nach oben geeilt und hat sofort das Telefon gezückt, um den Notruf zu wählen, doch sie kommen zu spät. Nick ist bereits tot.

"Bist du fertig? Wir müssen nämlich jetzt los, damit du noch pünktlich kommst", höre ich Tessas Stimme gedämpft durch meine Zimmertür.

"Ja", antworte ich ihr in einem kühlen Unterton. Also nehme ich meine Sachen, gehe nach unten und ziehe meine Schuhe an.

"Wir können los", gebe ich meiner Schwester kurz angebunden Bescheid. Sie steht bereits an der Tür und wartet auf mich.

Sie nimmt ihren Autoschlüssel und geht auf ihr Auto zu. Ich folge ihr, setze mich auf den Beifahrersitz und schnalle mich an. Tessa startet den Motor und sofort springt das Radio an. Zum Glück, denke ich. Dann füllt wenigstens die Musik die Stille im Auto und vielleicht werde ich von einer Konversation verschont. Aber bei Tessa werde ich das Glück bestimmt nicht haben.

Als wir unsere Straße verlassen, stellt Tessa die Lautstäke des Radios leiser und ich weiß, dass sie sich jetzt wieder entschuldigen wird. Ich hatte mich sowieso schon gewundert, warum ausgerechnet sie mich zu Therapie fahren wollte, da sie doch sonst immer so beschäftigt ist. Aber ich wollte, dass Mom und Dad auch mal Ruhe von mir haben und außerdem könnte ich vielleicht noch andere Vorteile aus dieser Fahrt rausschlagen.

"Lya, ich möchte mich hiermit nochmal aufrichtig bei dir für das entschuldigen, was ich neulich gesagt habe. Ich habe es auf keinen Fall so gemeint." Sie sieht mich mit einem mitfühlenden Blick von der Seite an, doch ich schaue nur weiter stur geradeaus.

"Augen auf die Straße, Tessa. Oder willst du zu meinem inneren Schaden auch noch einen äußerlichen hinzufügen?", kommentiere ich monoton ihren Fahrstil. Etwas schroff, ja das gebe ich zu, aber ich bin immer noch sauer auf sie.

Wortlos blickt Tessa wieder auf die Straße. Und genauso schweigsam verläuft die restliche Fahrt, bis wir vor dem Therapiezentrum ankamen. Ich will mich gerade abschnallen, als Tessa nach meinem Handgelenk greift.

"Lass mich los", keife ich sie an, doch sie lässt nicht locker. „Ich muss jetzt reingehen, Tessa", erinnere ich sie.

"Du hast noch 5 Minuten und diese hätte ich jetzt gerne", sagt sie eindringlich. Ich gebe mich geschlagen und kämpfe nicht mehr dagegen an. Sofort lässt sie mein Handgelenk los.

"Es tut mir ehrlich leid, Lya. Nick war ein toller Mensch und du weißt, wie gern ich ihn hatte. Es tut mir auch furchtbar leid, dass das passiert ist und dass ich nicht genug für dich da war, aber das werde ich ab jetzt ändern. Du bist meine kleine Schwester und auch meine Einzige. Ich will dich nicht verlieren, dafür liebe ich dich zu sehr." Meine finstere Miene verschwindet bei Tessas hektischem Ton und mir kommen leichte Schuldgefühle auf. Ihr ist anzusehen, wie fertig sie das die letzten Tage gemacht hat und wie ehrlich sie ihre Entschuldigung meint.

Zwar tue ich mich immer noch schwer, runterzuschlucken, was sie gesagt hat, aber es hilft schon ein bisschen. Schließlich hat sie eigentlich nur die Wahrheit gesagt. Trotzdem werde ich noch Zeit brauchen, da die Wunde, die Nicks Selbstmord hinterlassen hat, immer noch frisch und sehr schmerzvoll ist. Ich frage mich, ob dieser Schmerz jemals ein Ende haben wird.

Als ich darauf nicht eingehe, sondern sie nur ansehe, fügt sie im Flüsterton noch etwas hinzu: "Du hattest wieder diesen Albtraum, stimmt's?" Ihre Miene wird weicher.

Mir stockt der Atem und ich erstarre. Scheiße. Ich hatte gehofft, diesmal hätte es niemand mitbekommen.

"Ich höre dir zu, wenn du darüber reden möchtest, okay?"

Ich ignoriere ihr Angebot und frage stattdessen leicht panisch das, was mir die größte Sorge bereitet: "Haben Mom und Dad auch davon mitbekommen?"

Tessa schüttelt den Kopf. "Nein, ich glaube nicht, aber ich habe es ihnen auch nicht gesagt. Das hättest du bestimmt nicht gewollt und außerdem hast du jetzt Therapie und kannst darüber reden." Erleichtert atme ich aus. "Und jetzt geh, sonst kommst du noch zu spät."

Schnell schnalle ich mich ab, bevor ich auf mein Handy schaue und sehe, dass ich nur noch 3 Minuten habe. Also gehe ich einem schnellen Tempo voran in das Gebäude und setzte mich ins Wartezimmer, wo ich auf Mrs Jensen warten soll.

Soll ich ihr wirklich von dem Traum erzählen? Klar sollte ich, sie ist schließlich meine Therapeutin und eigentlich will ich doch auch nicht so weitermachen, wie bisher. Das halte ich sonst nicht aus. Aber bin ich wirklich schon bereit, darüber zu reden?

Meine Gedanken überschlagen sich, als Mrs Jensen vor mir steht, mich leicht anlächelt und in ihr Behandlungszimmer führt.

*

In ihrem Behandlungszimmer stehen zwei hellgraue Sessel gegenüber, die jedoch durch einen kleinen Glastisch in der Mitte voneinander getrennt werden. An der rechten Wand steht ein Regal mit Büchern, die allesamt etwas mit Psychologie zutun haben, wie ich an den Titeln erkennen kann. Außerdem ist es noch mit kleinen Figuren verziert. An der Wand gegenüber steht ein dunkelblaues Sofa, welches mich sofort an Freuds Psychoanalyse erinnert, die wir im letzten Schuljahr im Unterricht besprochen haben und ich erinnere mich daran, wie sowohl ich als auch Nick das Thema interessant fanden.

"Du kannst dich auf das Sofa oder auf den Sessel setzten, wie du möchtest", erklärt mir Mrs Jensen freundlich.

Ich entscheide mich für den Sessel und sie nimmt gegenüber von mir Platz. Kurz schaue ich mich noch einmal genauer um und mir fällt auf, dass sie in ihrem Zimmer viele Pflanzen stehen und verschiedene Bilder hängen hat. Wahrscheinlich um den Wohlfühlfaktor zu steigern, kommt mir sofort in den Sinn und irgendwie hat es die besagte Wirkung auf mich. Es beruhigt mich ein wenig, dass dieses Zimmer nicht wie ein normales Behandlungszimmer aussieht, sondern eher wie ein Wohnzimmer. Wenigstens ist dieser Raum hier nicht so weiß wie der Raum, in dem wir uns immer zur Gruppensitzung treffen.

Mrs Jensen reißt mich aus meinen Gedanken, indem sie mich nochmal begrüßt und fragt, wie es mir gehe. Wie ich diese Frage hasse. Sie kann es sich doch wohl denken, oder nicht?

Ich unterdrücke ein Augenrollen und antworte ihr mit einem selbstsicheren Ton auf ihre Frage: "Gut, danke."

Sie sieht mich abwartend an, bis ich diesen Blick nicht mehr aushalte und noch etwas hinzufüge. "Wie soll es mir schon gehen? Natürlich beschissen, das können Sie sich doch denken. War es das, was Sie hören wollten?"

Das war das erste Mal, dass ich in einer Sitzung das gesagt habe, was ich wirklich denke und das überrascht mich selbst. Bisher habe ich ihr nie richtig in die Augen geschaut, als sie uns diese Frage gestellt hat und bin demnach auch nie ihrem tiefgehenden Blick begegnet. Wenn ich ihr in die Augen gucke, habe ich das Gefühl, als könnte sie in meine Seele schauen und meine Lügen herausfinden, bevor ich sie überhaupt ausspreche. Das ist wahrscheinlich so ein Therapeutending.

"Wenn es die Wahrheit ist, dann ja." Sie redet weiter. "Das gehört zu meinem Job. Außerdem bin ich hier um zu helfen und kann dir ansehen, wenn du lügst, Lyana. Du kannst mir das nicht vorspielen, dafür bin ich schon viel zu lange in meinem Job." Beschämt senke ich den Blick auf meine Schuhe.

Es herrscht Stille und keiner von uns bricht sie. Eigentlich habe ich nichts gegen Stille. Ich mag sie sogar manchmal ganz gerne, aber das hier ist diese Art von peinlicher Stille, die kaum ertragbar ist. Also ergreife ich das Wort zum ersten Mal, seitdem ich hier bin: "Ähm... also, was wollen sie von mir jetzt hören?" Ich habe keine Ahnung, was diese Frau von mir wissen will und was nicht oder was sie überhaupt schon über mich weiß bzw. was Mom ihr bereits über ihre gestörte jüngere Tochter erzählt hat.

"Das, was du mir erzählen möchtest, was dich bedrückt. Rede dir deine Seele frei, Lyana. Ich werde dich hier nicht verurteilen und alles, was wir besprechen, wird auch diesen Raum hier nicht verlassen. Auch deine Eltern werden nichts davon erfahren, was wir hier besprechen, außer, du sagst es ihnen, aber ich darf und werde das nicht. Das hier ist ein sicherer Ort für dich und deine Gedanken", sagt sie sanft.

Ein sicherer Ort für mich und meine Gedanken... aber das sind meine Gedanken doch auch, oder nicht? Und mein Buch mit den Briefen an Nick. In den Briefen steht doch alles drin, was mich bedrückt, reicht das nicht? Warum muss ich unbedingt darüber reden?

Plötzlich ist es wie ein Schlag ins Gesicht und ich sehe die vergangenen Monate in einer Rückblende vor meinem inneren Auge vorbeiziehen. So viel Schmerz, den ich in mich hineingefressen habe und so viele Menschen, die ich von mir gestoßen habe, weil ich an einem kleinen Notizbuch festgehalten habe.

Dann wird mir klar, dass ich mit dieser Last nicht weiterleben möchte und auch nicht kann. Ich will darüber reden, das wollte ich die ganze Zeit, aber ich habe es immer wieder verdrängt, weil ich es nicht wahrhaben wollte und die Person, mit der ich eigentlich darüber reden würde, nicht mehr da ist. Mir fehlt meine Vertrauensperson. Mir fehlt Nick.

Ich öffne meinen Mund und schließe ihn wieder. Verdammt, es ist echt schwer, die richtigen Worte zu finden und überhaupt die Worte aus meinem Mund zu lassen. Also atme ich zuerst tief ein und wieder aus, um mich zu sammeln und meine Worte zu finden.
"Es, es fällt mir sehr schwer, also, darüber zu reden", bringe ich am Anfang stotternd hervor.

"Das ist in Ordnung. Aber du willst es und das ist wichtig. Wenn du noch nicht dazu bereit bist, ist das auch okay. Es ist ein Prozess. Aber du darfst das nicht in dich hineinfressen. Du kannst es auch immer aufschreiben und mir abgeben. Dann lese ich das, was du mir sagen möchtest. Das geht auch." Ich nicke schüchtern.

"Okay, dann frage ich dich ein bisschen, wenn das ok ist." Wieder nicke ich. Irgendwie bekomme ich heute keinen vernünftigen Satz raus.

"Gut. Nächste Woche beginnt ein neues Schuljahr. Wie fühlst du dich bei diesem Gedanken?"

"Es ist mein Letztes und nicht besonders gut. Ich will nicht dorthin zurück. Ich kann diese mitleidigen Mienen nicht mehr sehen. Das erinnert mich an das, was passiert ist und besonders daran, dass ich das erste Mal in meinem Leben alleine und ohne Nick zur Schule gehen werde." Ich schlucke. "Vor den Ferien haben meine Eltern mich, nachdem es passiert ist, jeden Tag zur Schule gefahren, damit sie sicher gehen konnten, dass ich auch sicher ankomme und wie sie sagten Nichts anstelle. Sie hatten und haben wahrscheinlich immer noch Angst, dass ich mir etwas antue, aber das könnte ich nie. Auch, wenn Nicks... sein Tod mich sehr beschäftigt hat, habe ich nicht eine Sekunde daran gedacht, es auch zu tun. Das habe ich nie. Also ganz so schlimm steht es um mich nicht."

Während ich spreche, macht Mrs Jensen sich Notizen und sieht abwechselnd hoch und wieder auf ihren Block. "Vielleicht könntest du jemanden fragen, der morgens mit dir zur Schule geht. Eine Freundin?", fragt sie.

Theoretisch könnte ich meine beste Freundin Maddie fragen, aber es würde sich falsch anfühlen, mit jemand anderem den Weg zu gehen als mit Nick. Außerdem habe ich sie wochenlang von mir weggedrückt und ich bin mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt noch als Freundin ansieht. "Ja, vielleicht." Sie sieht mich prüfend an.

"Also ja, ich könnte jemanden fragen: meine beste Freundin, Maddie." Mit einem Nicken gibt sie mir zu verstehen, dass sie verstanden hat und notiert sich wieder etwas.

"Wir sollten bei der nächsten Sitzung einen festen Termin finden, sodass ich dich für längere Zeit einplanen kann. Da du noch keinen Stundenplan hast, machen wir das heute noch nicht. Für nächste Woche-", sie nimmt ihren Kalender in die Hand, schlägt ihn auf und sucht einen freien Termin, "hätte ich am Donnerstag um 17 Uhr einen Termin frei. Ist das in Ordnung?"

Kurz überlege ich, bis mir einfällt, dass ich sowieso nicht besseres zutun habe und ich mir ziemlich sicher bin, dass die Schule bis dann schon aus sein wird. "Ja, das passt."

Sie trägt meinen Namen in ihren Kalender ein und gibt mir einen kleinen Zettel, auf dem der Termin nochmal draufsteht. "Damit ist unsere erste Einzelsitzung vorbei. Wir sehen uns dann nächste Woche und ich wünsche dir trotzdem einen guten Schulstart."

Wir stehen beide auf und geben uns zum Abschied die Hand.

"Danke. Bis nächste Woche", sage ich und verlasse das Behandlungszimmer. Diese Sitzung verging wirklich schnell. Draußen steht schon Tessas Auto vor der Tür und wartet auf mich.

Sie begrüßt mich mit einem "Hey" und ich erwidere ihre Begrüßung, während ich mich anschnalle.

"Und, wie war's?", fragt sie mich vorsichtig.

"Ganz gut, denke ich", gestehe ich und aus meinem Augenwinkel erkenne ich, wie sie vor sich hin lächelt.

*

Die ganze Zeit muss ich noch an die Sitzung denken. Daran, welche Gedanken mir kamen und was Mrs Jensen mir sagte. Dort kann ich sagen, was ich denke und werde nicht verurteilt und niemand wird erfahren, was ich gesagt habe. Vielleicht ist es genau das, was ich brauche. Bei Nick war das auch immer so. Verdammt, ohne ihn fühle ich mich so allein.

Tessa reißt mich aus meinen Gedanken. "Ich muss noch kurz etwas einkaufen gehen für das Abendessen heute, das habe ich Mom versprochen." Ich habe gar nicht gemerkt, dass wir in die Stadt gefahren sind, so sehr war ich in meinen Gedanken. Sie nimmt den Parkschein aus dem Automaten, fährt in das Parkhaus und sucht sich einen passenden Parkplatz aus, während sie weiter mit mir spricht. Natürlich hat sie das. Wahrscheinlich hat Mom sie noch gebeten, mich mitzunehmen, damit ich "endlich mal das Haus verlasse", wie sie immer zu mir sagt. Das ist doch ein abgekartetes Spiel.

"Möchtest du mit in den Laden kommen oder hier warten?" Mit einem gelangweilten Blick schaue ich sie an. Eigentlich könnte ich auch nach Hause laufen, aber ehrlich gesagt, habe ich keine Lust darauf, so lange im Regen zu laufen, da bereits einige Tropfen fielen, als Tessa in das Parkhaus fuhr.

"Ach komm schon, Lya. Wenn du mitkommst..." Ich unterbreche sie. "Ok, ich komme mit." Sie schenkt mir ein Lächeln. Das tue ich nicht für sie. Das mache ich nur, weil ich keine Lust habe, stundenlang hier zu warten, während sie im Klamottenladen hängt und sich davon nicht lösen kann.

Tessa hat, wie gesagt, nicht oft Zeit, aber wenn sie einmal genug Freizeit hat, dann kann sie wirklich stundenlang im Shoppingwahn sein und genau das möchte ich verhindern. Auch wenn das bedeutet, dass ich mitgehen muss, aber nur so kann ich sie ein bisschen lenken.

Ich hasse es nämlich, einkaufen zu gehen, schon immer. Es ist mir immer viel zu voll und zu stressig, ganz besonders am Wochenende und wenn es langsam auf das Wochenende zugeht. Doch heute kommt noch dazu, dass nächste Woche die Schule wieder anfängt und viele Schüler noch Schulsachen kaufen gehen, natürlich wieder so spät wie möglich.

Also steige ich mit Tessa aus und wir gehen zu den Treppen, die neben den Aufzügen sind. Im der ersten Etage angekommen, gehen wir in Richtung des Ladens und vorbei an Tessas Lieblingsladen LovelyClothes. So kitschig der Name des Ladens ist, genauso schrecklich sind auch die Klamotten, aber genau das ist Tessas Stil. Einfach und langweilig. Wie man sich die perfekte Collegestudentin ausmalt.

Früher haben Nick und ich uns oft über den Laden und dessen komische Kleidung lustig gemacht. Ich meine, wer würde denn nicht lachen, wenn es nur lovely Blusen, lovely Kleider, lovely T-Shirts und noch andere Kleidungsstücke gibt, die alle lovely sind. Ich fand das nie Teenager gerecht, aber es stellte sich heraus, dass es noch weitere Tessas in dieser Stadt gibt. Dieser Laden ist schon jahrelang hier und scheint noch lange hier zu sein, so voll wie es da drin immer ist. Es war schon klar, dass Tessa ausgerechnet in diese Mall gefahren ist.

Ich bemerke, wie ihr Blick an dem Schaufenster hängen bleibt und sehnsüchtig hineinschaut. Oh, bitte nicht.

Sie dreht sich zu mir und sieht mich bittend an. "Bitte nur kurz. Wenn wir doch schon einmal hier sind, kann ich doch schnell bei den neuen Sachen schauen." Und ich dachte, ich könnte sie ein bisschen zügeln. Tja, falsch gedacht.

"Aber du kannst schon die Sachen besorgen, wenn du willst. Hier ist die Liste von Mom." Sie überreicht mir die Liste und ich willige genervt ein. Wenn ich dann schneller wieder von hier weg bin, gerne.

Also gehe ich in Richtung Supermarkt, welcher ein kleines Stück weiter ist und suche die Sachen von der Liste. Es ist nicht besonders viel und ich finde auch alles recht schnell, bis auf das Toastbrot. Das verdammte Toastbrot. Haben die das Regal etwa umgeräumt oder so?
"Das kann doch nicht sein, es war doch immer hier", verwirrt gehe ich noch einmal das Regal durch, finde aber nicht das, was ich suche.

"Kann ich dir irgendwie helfen?", fragt eine Stimme hinter mir und ich fahre erschrocken zusammen. Vor mir steht ein Junge, ungefähr in meinem Alter, mit braunen Haaren und braunen Augen, die mich auf eine freundlich fragende Weise ansehen.

"Ich... ähm, ja. Vielleicht. Ich suche das Toastbrot", stammle ich überrumpelt vor mich hin. Mann, ist das peinlich.

"Ich glaube, das habe ich eben im Gang zuvor gesehen", erklärt er und deutet auf den besagten Gang.

"Oh, okay. Dann habe ich das wohl übersehen, danke", ich zwinge mich zu einem leichten Lächeln.

"Immer wieder gerne." Er wendet sich von ab, doch dann dreht er sich nochmal um. "Und wenn du noch einmal etwas suchst, kannst du auch die Verkäufer fragen. Die beißen nicht", ergänzt er lächelnd. Dann dreht er sich endgültig um und geht davon.

Ertappt schaue ich ihm hinterher, ehe mir wieder einfällt, was ich noch kaufen sollte. Was für ein Idiot. Mit dem letzten Satz hat er sich seine Sympathie verspielt. Das war bestimmt auch wieder so ein Wichtigtuer, denke ich, als ich in den vorherigen Gang gehe und das fehlende Teil der Liste in den Korb lege.

Als ich alles habe, gehe ich zur Kasse und stelle mich an. Zum Glück ist es nicht ganz so voll, sodass ich meinen Einkauf direkt auf das Band legen kann. Vor mir sind nur zwei Personen, die jeweils auch nicht viel auf dem Band liegen haben. Das müsste also nicht so lange dauern. Vielleicht ist Tessa sogar auch schon fertig.

"Ah, du hast das Toatsbrot also erfolgreich gefunden", höre ich eine belustigte Stimme hinter mir. Natürlich ist er das. Das hat mir jetzt noch gefehlt.

Ich drehe mich zu ihm um. "Ja, offensichtlich", entgegne ich ihm genervt und wende meinen Blick wieder nach vorne. Gerade habe ich wirklich keine Lust auf ein nettes Gespräch und will einfach nur nach Hause.

Das Band leert sich immer mehr, da der Vormann meines Vormannes schon bezahlt hat und die Kassiererin jetzt die Sachen meines Vormannes scannt. Jetzt legt auch er seinen Einkauf auf das Band hinter meinem und nimmt sich einen Warentrenner.

Ich bemerke, wie sein Blick meinen Rücken durchbohrt und bin erleichtert, als die Kassiererin endlich meine Sachen scannt und ich bezahle. Schnell packe ich die Sachen zusammen und gehe wieder zu LovelyClothes.

Zu meinem Glück steht Tessa bereits an der Kasse und bezahlt. Natürlich hat sie eine große Tasche an Klamotten gekauft. Wahrscheinlich sind da noch irgendwelche kleinen Dekoartikel für Mom drin, die sie so gerne hat. Tessa bringt ihr nämlich immer eine Kleinigkeit mit.
"Hast du alles bekommen?", fragt sie mich.

"Ja, alles drin." Ich deute auf die Tüte.

"Super, ich habe auch alles. Dann können wir ja jetzt nach Hause, oder brauchst du noch etwas?"

"Nein, wir können los." Nicht noch einmal wollte ich diesem Kerl begegnen.

Also gehen wir wieder zur Treppe und dann runter zu Tessas Auto. Sie entwertet das Parkticket, wir setzten uns hinein und fahren nach Hause.

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