❥ Chapter 37

Lyas POV

Schon als ich heute morgen wach wurde, hatte ich ein komsiches Gefühl und jetzt weiß ich auch, warum. Es ist, als hätte etwas in mir noch vor mir selbst gewusst, was heute für ein Tag ist.

Mit einem schweren Gefühl im Magen stehe ich auf und gehe auf meinen Kalender zu. Ich habe Angst, den Blick zu heben, doch es führt kein Weg daran vorbei. Obwohl ich weiß, was mich erwartet, stockt mir der Atem. Heute ist der 8. November. Nicks Geburtstag. Wie gebannt schaue ich auf meinen Kalender und kann mich gar nicht davon losreißen. Wie kann eigentlich schon November sein? Für mich fühlt es sich noch immer so an, als hätten wir Mai und jetzt soll Nicks Tod schon ein halbes Jahr her sein? Wie kann die Zeit sich eigentlich so lang und gleichzeitig so kurz anfühlen?
Mit einem tiefen Seufzer lasse ich von dem Kalender ab und mache mich bereit für die Schule.

*

Irgendwie habe ich es geschafft, bis zur Mittagspause durchzuhalten. Keine Ahnung wie, aber ich sitze mit meinen Freunden in der Mensa und esse. Naja, eigentlich schiebe ich mein Essen mehr oder weniger hin und her.

Heute morgen habe ich kaum ein Wort mit Maddie gewechselt. Selbst um ein falsches Lächeln habe ich mich nicht bemüht. Ich will es nicht darauf anlegen, dass andere sehen, wie weh es tut, aber mir fehlt die Kraft, es zu verstecken. Deshalb bin ich umso erleichterter, dass niemand außer Maddie und Jonah weiß, dass Nick heute Geburtstag hat. Das minimiert die Anzahl der mitleidigen Blicke auf zwei. Sowas ist der Nachteil, wenn man die beste Freundin von jemandem war, den jeder in unserem Jahrgang mochte. Wenn man Alec nicht mitzählt, dem anscheinend nichts entgeht. Schon seit einigen Tagen sieht er mich an, als wäre ich ein Stück dünnes Glas, das droht, jeden Moment zu zerbrechen.

"Hey." Ich bemerke kaum, dass er mich angestubst hat, bevor er meinen Namen sagt.
Ich heben meinen Kopf und wende mich ihm zu. "Geht's dir gut?", fragt er und mustert mich besorgt.

"Ja. Ich habe nur keinen Hunger", antworte ich und lege mein Besteck auf den Teller.

In seinem Blick kann ich genau sehen, dass er mir nicht glaubt und mich am liebsten frage würde, warum ich lüge. Doch wie immer hält er sich zurück.

Das bleiben auch so ziemlich die einzigen Worte, die ich mit den anderen wechsle. Sonst sitze ich nur dabei und höre zu.

Jonah ist anzumerken, dass er so tut, als wäre heute auch nur ein normaler Tag genau wie gestern und vorgestern. Doch ich kann hinter seine Fassade sehen und weiß, dass er sich an Nicks Tag nur ablenken will. Ich glaube, er ist froh, dass er Maddie an seiner Seite hat, die ihm heute ganz sicher nicht mehr von der Seite weichen wird. Kurz überkommt mich Eifersucht, doch ich rufe mir in Erinnerung, dass ich diejenige war, die Maddies Angebot, mir Gesellschaft zu leisten, abgelehnt habe. Es ist meine Schuld, dass ich alleine bin. Wäre ich doch nur mehr so wie die anderen und würde nicht alle gleich von mir wegstoßen.

Alecs POV

Ich dachte immer, dass gutes Wetter Einfluss auf die Laune der Menschen hat. Bei Sonnenschein sieht man die Leute mit einem Lächeln im Gesicht herumlaufen, während man sie bei Regen mit einem Regenschirm rumlaufen sieht, der fast schon ihr trauriges Gesicht verdeckt. Aber mittlerweile glaube ich, dass es nur wieder einer dieser typischen Kindergedanken war, die sich in meinem Kopf verankert haben. Denn wenn ich an Lyas traurigen Gesichtsausdruck heute in der Schule denke und den strahlenden Sonnenschein draußen sehe weiß ich, dass meine Theorie nicht wahr sein kann.

Es ist November und ich kenne meine Freunde schon eine längere Zeit und ich bin auch schon an Lyas melancholischen Gesichtsausdruck gewöhnt, aber der heutige hat nochmal einen draufgesetzt. Außerdem wusste ich vorher auch nicht, dass man der Schmerz einer Person, die man mag, auf einen selbst übertragen werden kann, wie eine Infektion, nur ohne die dafür benötigte Berührung. Als sie mir in die Augen sah, dachte ich, mein Herz bliebe stehen. Das Grau in ihren Augen erinnerte mich an die Wolken, die uns das Zeichen geben, dass ein riesiger Sturm auf uns zukommt. Es lag so viel Schmerz in ihrem Blick, dass sich alles in mir zusammengezogen hat. Am liebsten hätte ich sie in den Arm genommen und ihr gesagt, dass wieder alles gut wird. Aber hätte ich das wirklich gemacht, hätte sie mich wahrscheinlich vom Stuhl geschubst. Also habe ich es gelassen.

Trotzdem konnte ich an nichts anderes mehr denken, als an Lyas schmerzvollen Blick. Selbst jetzt, zu Hause an meinem Schreibtisch, fällt es mir schwer, meine Gedanken auf meine Hausaufgaben zu lenken.

Ich kann sie doch nicht einfach alleine lassen. Wer weiß, was passieren könnte... Nein. Das will ich mir gar nicht erst ausmalen.

Da kommt mir eine Idee. Schnell nehme ich mein Handy, schnappe mir eine Jacke an und laufe nach unten. Da Mom noch nicht von der Arbeit gekommen ist, hinterlasse ich ihr eine kurze Nachricht, dass ich erst heute Abend wiederkommen werde und sie sich keine Sorgen machen muss. Keine Ahnung, wo Carter ist, aber ich vermute, er liegt in seinem Zimmer oder ist zu Fuß unterwegs, da sein Auto in der Einfahrt steht und sein Schlüssel am Schlüsselbrett hängt. Ich schreibe ihm kurz eine SMS, dass ich mir sein Auto leihe und verlasse das Haus.

*

Als ich in gerade in Lyas Straße biege, fahre ich zu ihrem Haus und halte an. Die Einfahrt steht leer und ich entscheide mich, daraufzufahren.

Ich schalte den Motor aus und steige aus. Vor der Haustür bleibe ich kurz stehen und atme tief durch. Ich drücke auf die Klingel und warte, mit den Händen in den Hosentaschen.
Nach wenigen Sekunden wird die Tür geöffnet und vor mir steht ein Mädchen mit hellbraunen Haaren und einem verwirtten Lächeln im Gesicht. Das muss Lyas ältere Schwester Tessa sein. Ihre Gesichtszüge ähneln denen ihrer Schwester. "Hallo."

"Hallo, ich bin Alec, ein Freund von Lya. Ist sie vielleicht da?", sage ich freundlich und bemühe mich um ein Lächeln, obwohl ich nervös bin. Eigentlich hätte mir klar sein müssen, dass Lya wahrscheinlich nicht die Tür aufmachen würde, aber gehofft hatte ich es trotzdem.

Die Verwirrung huscht aus Tessas Blick und sie strahlt. "Oh, hallo. Ich wusste nicht, dass Lya Besuch erwartet."

"Oh, äh, ich bin eher spontan hergekommen", sage ich und vergrabe meine Hände tiefer in den Hosentaschen.

"Alles klar. Ich werde sie mal rufen. Komm doch so lange rein." Sie tritt zurück und ruft nach Lya, während ich reingehe. Im Flur bleiben wir zunächst stehen und Tessa scannt mich förmlich, sodass ich mich kaum im Haus umsehen kann.

"Fangen wir nochmal an. Hey, ich bin Tessa, Lyas Schwester", begrüßt sie mich nochmal und streckt mir die Hand aus. Ich ergreife sie.

"Hi, Alec, wie bereits gesagt", lächle ich nervös. Diese Situation wird mir immer unangenehmer, doch zum Glück höre ich bereits Schritte die Treppe runterkommen.
"Was ist denn, Tessa?", kommt es von Lya in einem genervten Unterton und die Unsicherheit in mir wächst, wie sie auf meine Anwesenheit reagieren wird.

"Du hast Besuch", gibt Tessa zurück, als Lya die letzte Stufe runterkommt und mich erblickt. Die Überraschung steht ihr wie ins Gesicht geschrieben und sie scheint erstmal sprachlos zu sein, also ergreife ich das Wort. "Hi."

"Hi. Ähm... ich will jetzt nicht unhöflich klingen, aber was machst du hier?" Sie klingt ganz und gar nicht unhöflich, sondern eher verwirrt. Klar, sie hat nicht mit mir gerechnet. Ich selbst habe bis eben selbst nicht damit gerechnet, dass ich jetzt gerade in ihrem Haus sein würde.

"Ich habe bemerkt, dass es dir in der Schule heute nicht so gut ging und da dachte ich, dass wir vielleicht etwas gemeinsam unternehmen könnten. So als Ablenkung. Kino, im Park spazieren gehen oder was anderes. Was immer du möchtest", sage ich bemüht selbstbewusst und beiße mir kurz auf die Unterlippe, bevor ich noch etwas hinzufüge. "Also natürlich nur, wenn du auch möchtest."

Unentschlossen steht Lya vor mir und öffnet den Mund, um etwas zu sagen, doch es kommt nichts, also schließt sie ihn wieder. Mein Herz hämmert gegen meinen Brustkorb und ich befürchte gleich umzufallen, wenn sie nicht bald etwas sagt, doch ich versuche dieses Gefühl mit einem Lächeln zu überspielen. Wenn sie jetzt ablehnen würde, wäre das ziemlich peinlich für mich.

Lyas Blick schweift zu Tessa, die sie ebenfalls abwartend ansieht und verweilt dort für kurze Zeit. Es kommt mir vor, als würden die beiden mit ihrem Augen kommunizieren, so wie Carter und ich, wenn ich ihn mal wieder decken soll.

Lya wendet ihren Blick wieder mir zu und streift sich eine Strähne hinter ihr Ohr, bevor sie zu einer Antwort ansetzt. "Sorry, ich war gerade etwas überfordert. Damit hatte ich nicht gerechnet. Aber okay. Ich bin dabei."

Vor lauter Erleichterung atme ich endlich wieder aus, obwohl ich nicht bemerkt hatte, dass ich die Luft anhielt. Mein Lächeln wird breiter. "Cool."

Lya lächelt mich ebenfalls schwach an. "Ich gehe nur noch schnell meine Sachen oben holen und bin sofort wieder da." Danach dreht sie sich um und joggt die Treppe nach oben.

Ich werde dafür sorgen, dass sie heute noch einen schönen Tag haben wird. Warum auch immer sie heute so niedergeschlagen ist, sie wird es für kurze Zeit vergessen.

Lyas POV

Ich glaube es nicht. Das ist wahrscheinlich nur ein schlechter Witz. Aber das würde ihm nicht ähnlich sehen. Was macht er hier? Warum? Oh Gott und das ganze auch noch vor Tessa. Wie konnte ich da nein sagen? Zum einen hätte Tessa sich dann eingeschaltet und zum anderen wollte ich nicht noch jemanden enttäuschen. Deswegen werde ich jetzt Zeit mit Alec verbringen und das wird das erste Mal seom, dass nur wir beide etwas richtiges gemeinsam unternehmen, ohne Maddie und Jonah. Ich weiß absolut nicht, was mich erwartet, aber jetzt kann ich wohl keinen Rückzieher mehr machen.
Also ziehe ich meine Jacke an und stopfe mein Portmonaie und mein Handy in die Jackentasche und haste schnell wieder nach unten, damit ich vermeiden kann, dass Tessa ihn irgendwelche Sachen ausfragt oder einfach eine peinliche Situation daraus macht, indem sie die typische große Schwester spielt.
Unten angekommen ziehe ich mir noch schnell meine Schuhe an, schiebe Alec nach draußen und werfe Tessa eine flüchtige Verabschiedung zu, bevor ich die Tür hinter mir schließe.

"Ich bin mit dem Auto hier. Da eure Einfahrt leer war, habe ich mich dort kurz hingestellt", sagt er und geht in Richtung Fahrerseite. Ich gehe hinterher und schaue mir das Auto kurz an, bevor ich die Beifahrertür des schwarzen Camaros öffne.

"Das ist aber dieses Mal ein anderes Auto", stelle ich erstaunt fest, während ich mich auf den Beifahrersitz setze und mich anschnalle.

"Ja, das gehört meinem Bruder. Meine Mom brauchte ihres heute selbst", gibt er zurück und schnallt sich ebenfalls an. Danach dreht er sich zu mir und sieht mich abwartend an. "Du hast die freie Wahl: Was möchtest du machen?"

"Kino finde ich gut." Alec nickt anerkennend und startet den Motor. "Gut, du müsstest mir nur den Weg dorthin erklären. So genau weiß ich das nämlich nicht mehr. Ich war zwar schonmal dort, aber erst einmal und das ist schon etwas länger her." Er fährt sich durch die Haare und es kommt mir so vor, als würde es ihm diese Tatsache peinlich sein. Ich muss ein Lachen unterdrücken.

"Okay, kein Problem." Das nächste Kino ist nicht in unserer Stadt, sondern ungefähr eine halbe Stunde von uns entfernt in einem größeren Nachbarort. Ich weiß zwar nicht, warum unsere Stadt kein Kino hat und besonders viele Teenager bemängeln das ebenfalls, aber bisher hat sich das nicht geändert und irgendwie habe ich das Gefühl, dass es das in näherer Zukunft auch nicht tun wird.

Alec fährt aus der Einfahrt und schon sind wir auf dem Weg ins Kino. In den ersten paar Minuten herrscht Stille zwischen uns und ich bin froh, dass er das Radio angemacht hat und Musik läuft. Ich lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe und sehe, wie die Stadt an mir vorbeizieht. Irgendwie beruhigt mich das. Die Welt dreht sich und ich bewege mich und bleibe nicht stehen. So sollte es sein. Gerade wird irgendein Taylor Swift Song angestimmt, als Alec sich räuspert und das Radio leiser dreht. Automatisch wende ich mich ihm zu und warte darauf, dass er etwas sagt. "Ich, also... ich habe noch nicht nachgesehen, welcher Film läuft und ich habe auch ehrlich gesagt keinen Plan vom Filmprogramm. Da war alles etwas spontan heute", gibt er zu und lächelt mich kurz schüchtern an, bevor er seinen Blick wieder auf die Straße wendet.

Ich kann nicht anders als ebenfalls zu lächeln. Ich weiß zwar nicht genau, was er sich dabei gedacht hat - offensichtlich nicht gerade viel - aber er gibt sein Bestes und das ist wirklich nett. "Kein Ding. Dann gucken wir mal, was so läuft und entscheiden spontan", sage ich schulterzuckend und ich spüre, wie die Alecs Anspannung nachlässt. "Gut. Und wenn nichts ansprechendes laufen sollte, können wir ja immer noch etwas anderes machen."

*

Am Kino angekommen, hat Alec schnell einen Parkplatz gefunden und wir steigen aus.
Vor dem Kino bleiben wir stehen und sehen uns das Kinoprogramm an. Es läuft so ziemlich alles. Von Romanzen über Thiller zu Komödien.

"Wie wärs mit der Komödie da? Die fängt auch erst in 20 Minuten an", frage ich und deute mit einem Finger auf das Plakat.

"Klar, wieso nicht. Ich besorge die Karten und du kannst dir schonmal Popcorn oder sowas holen, okay?" Ich nicke.

"Was möchtest du denn?"

"Nachos und eine Sprite, bitte."

"Okay, bis gleich." Ich gehe zur Theke und bestelle Alec Nachos mit Sprite und mir Popcorn mit Cola. Am Einlass treffen wir uns wieder und übergeben einander das Essen und die Eintrittskarten.

Unser Film läuft in Kino 3 und wir suchen uns die Sitze, die auf unseren Karten stehen, Wir finden sie ziemlich mittig des Raums und stellen unsere Sachen auf die kleinen Tische vor unseren Sitzen. Ich gehe noch einmal schnell zur Toilette bevor der Film anfängt und als ich wieder zurückkomme, sehe ich, dass Alec bereits einen Teil seiner Nachos gegessen hat und lache. Er sieht mich irritiert an und ich deute auf die Nachos in seiner Hand. "Der Film hat doch noch gar nicht angefangen und du hast fast schon alles aufgegessen."

Grisend verdreht er die Augen. "Als ob du nicht auch schon vor dem Film anfängst, dein Popcorn zu essen."

Schnell presse ich meine Lippen zusammen und Alec lacht lauter. "Wusste ich's doch! Es gilt fast schon als unnormal, wenn man das nicht macht." Wieder nimmt er einen Nachochip und taucht ihn in die dazugehörige Käsesoße. In diesem Moment fällt mir etwas ein.

"Möchtest du auch einen?", fragt Alec und streckt mir einen Nacho entgegen, den ich dankend ablehne.

"Nein, das ist es nicht. Mein", ich räuspere mich, "mein bester Freund und ich haben früher immer das Popcorn in die Käsesoße getunkt." Die Erinnerung an Nick und mich als Kinder zeichnet ein trauriges Lächeln auf mein Gesicht.

"Ja, das schmeckt echt der hammer! Mein bester Freund und ich haben das auch immer gemacht. Ich hatte immer die Nachos und er das Popcorn", gibt Alec begeistert zurück.

"Bei uns war das nicht so leicht. Wir mochten beide keine Nachos, sondern nur Popcorn und aus irgendeinem Grund konnten wir die Käsesoße nicht alleine betsellen. Also musste ich immer die Nachos nehmen", sage ich und rüpfe die Nase.

"Oh, welche Tragödie. Du hast Popcorn für deinen besten Freund aufgegeben. Wow Lya, du warst eine richtige Heldin", sagt er gespielt theatralisch und erneut muss ich lachen.
Mit meiner Faust boxte ich ihm leicht in den Arm und murmele ein als Spaß gemeintes "Idiot" hinterher.

"Aber jetzt mal im Ernst, du kannst dir gerne die Käsesoße nehmen. Ich esse die Nachos sowieso immer ohne. Aber nur, wenn ich mich an deinem Popcorn bedienen darf." Er sieht mich herausfordern an.

"Okay, einverstanden." Und schon gehen die Lichter aus und der Film beginnt.

*

"Oh Mann, dieser Film war echt..."

"Schlecht", beende ich Alecs Satz und wir brechen im Lachen aus.

"Allerdings. Und das ist eigentlich sogar noch eine nette Untertreibung."
Wir sind wieder auf dem Weg zurück zum Auto und es ist schon viel dunkler als eben, aber noch genauso kalt. Typisch November.

"Stimmt. Der Anfang war ja noch recht gut, aber ab der Mitte habe ich gar nichts mehr verstanden. Mit wem war diese Rebecca denn zusammen? Miles oder Simon?", frage ich und öffne die Beifahrertür.

"Ich glaube mit diesem Simon, weil am Ende rauskam, dass Miles irgendwie ihr Cousin war oder so."

Entsetzt sehe ich ihn an, bevor ich mich anschnalle. "Was?"

"Ja, das wurde am Ende kurz erwähnt. Aber du warst ja zu sehr damit beschäftigt, dich über das Paar vor uns aufzuregen."

Genervt stöhne ich auf. "Als ob dich das nicht auch genervt hat. Ich meine, wenn sie die ganze Zeit reden und knutschen müssen, können die das auch in einem anderen Film oder einfach ganz woanders. Dafür muss man andere Leute, die den Film auch wirklich gucken wollen, nicht stören. Allein schon diese Erinnerung bringt mich auf 180."

Alec schüttlet nur lachend den Kopf und steckt den Schüssel ein. "Hast du noch Hunger?", fragt er.

"Wir hatten doch gerade Popcorn."

"Trotzdem", gibt er schulterzuckend zurück. "Wir können uns auch in ein Café setzen oder so."

"JA, sorry ich meine, das ist eine gute Idee. Hier in der Nähe gibt es ein Café, das den besten Kuchen hat", sage ich aufgeregt. "Es heißt City Café und ist nur einige Straßen weiter." Es ist schon eine Ewigkeit her, dass ich das letzte Mal dort gewesen bin.

"Klingt vielversprechend. Dann mal los." Er startet den Motor und fährt los. Ich beschreibe ihm den Weg und nach nur wenigen Minuten stehen wir im Café, das über mit Bildern von Großstädten verziert ist und daher seinen Namen hat, und bestellen uns jeweils einen Kakao und ein Stück von von dem Kaffeekuchen, den ich so sehr mag. Wir setzen uns an einen runden Zweiertisch am Fenster und ich warte darauf, dass Alec endlich den Kuchen probiert.

"Alles okay mit dir?", fragt er belustigt, doch mit einem unsicheren Unterton.

"Ja ja, probier endlich den Kuchen." Lachend schüttelt er den Kopf und probiert ein Stück. Nachdenklich kauert er darauf herum.
"Nicht schlecht", staunt er und nimmt sofort noch ein Stück.

Mit einem zufrieden Grinsen wende auch ich mich endlich meinem Stück Kuchen zu. Normalerweise bin ich kein großer Kuchenfan, aber dieser hier ist einfach nur himmlich. Ich mag auch keinen Kaffee, aber diesem Kaffeekuchen zu wiederstehen ist einfach unmöglich. Er schmeckt nach einer Mischung Schokolade und leckerer Sahne, weil er sehr fluffing ist und mit Schokostückchen bestreut ist. Es freut mich, dass Alec ihn mag. "Neben Maddie bist du der Einzige, dem dieser Kuchen schmeckt. Alle anderen finden ihn widerlich, warum auch immer."

"Dann haben die wohl keinen Geschmack", sagt er mit ernster Miene und fast verschlucke ich mich vor lauter Lachen an meinem Stück Kuchen, doch ich spüle es mit einem Schluck Kakao runter und huste leicht.

Dabei sieht Alec mich einfach nur an und schmunzelt. "Was ist? Habe ich hier was?", frage ich und wische mir mit einer Serviette durchs Gesicht.

"Nein, nur... ich habe dich noch nie so Lachen sehen. Das steht dir gut und solltest du öfter mal machen."

Sofort erstrirbt mein Lachen und ich widme mich meinem letzten Stückchen.

"Hör mal, Lya", ich hebe meinen Blick. "Ich weiß nicht, warum heute so ein schlimmer Tag für dich ist, und ich möchte dich auch nicht dazu drängen, es mir zu sagen, aber du sollst wissen, dass ich dir zuhöre, wenn du reden möchstest. Jederzeit." Er fixiert mich mit einem intensiven Blick seiner braunen Augen und es kommt mir wieder so vor, als würde er in mich hineinsehen können und das macht beschert Gänsehaut woraufhin ich meinen Blick auf den Kakao vor mir senke. Alec wendet sich auch seinem Kakao zu und kurz herrscht Stille zwischen uns.

Das Café ist eigentlich recht groß und auch ganz gemütlich eingerichtet mit seinen dunkelgrauen Sesseln und Bänken, doch gerade fühlt es sich so an, als würden die Wände immer näher kommen und die Luft aus dem Raum gepresst werden. Ich presse meine Lippen aufeinander und hebe meinen Blick erneut. Alec rührt mit einem Löffel in seinem Kakao herum und meidet meinen Blick. Ich glaube, er merkt, dass ich ihn anschaue, aber er möchte mir wahrscheinlich Zeit geben und mich nicht bedrängen. Sein Gesichtsaudruck ist völlig neutral, als hätte er mir gerade gesagt, was es morgen zum Mittagessen gibt.

Ich räuspere mich und das lässt seinen Blick nach oben fahren. "Heute ist der Geburtstag meines besten Freundes", sage ich mit leiser Stimme.

"Nick?", fragt er sanft und ich nicke als Bestätigung. In seinem Blick ist keine Spur von Mitleid zu sehen, nur Empathie.

"Seitdem wir uns kannten, haben wir jedes Jahr unsere Geburtstage zusammen verbracht, bis, na ja... letztes Jahr. Dieses Jahr ist es das erste Mal, dass wir diesen Tag nicht zusammen verbringen und irgendwas lustiges machen", gestehe ich.

"Verstehe. Das tut mir leid. Wolltest du deswegen heute nichts mit Maddie unternehmen?"

"Sie wollte nicht, dass ich heute alleine bin, weil sie der Meinung ist, das wäre nicht gut für mich und würde mich noch mehr runterziehen, als es die ganze Situation sowieso schon tut. Aber ich wollte das nicht. Irgendwie kam mir das falsch vor." Ich schaue aus dem Fenster und sehe die Menschen draußen vorbeigehen. Welche Geschichten sie wohl mit sich herumschleppen? Was wohl gerade in ihrem Leben passiert? Wenn ich eins von Nicks Tod gelernt habe, dann, dass man es niemandem ansieht. Jemand da draußen könnte gerade auch jemand wichtiges in seinem Leben verloren haben oder könnte Ärger Zuhause haben und wir würden es nie erfahren. Schließlich kann man anderen nicht in den Kopf sehen und doch wünschte ich mir, dass ich es könnte.

Ich zucke zusammen, als Alec mit seinen warmen Fingern leicht über meinen Handrücken fährt und mich somit wieder aus meinen Gedanken holt. "Kommt dir das hier jetzt auch falsch vor?", fragt er wieder. Es ist komisch, wie schnell sich das Gespräch hierhinentwickelt hat. Bis gerade eben hatte ich fast schon vergessen, was heute war, aber eben auch nur fast. Jetzt prasselt alles wieder auf mich ein.

"Ich weiß nicht. Erst ja, aber dann habe ich das irgendwie vergessen", gebe ich zu und Alecs Augen leuchten auf. "Was ist?"

"Ich habe dir doch gesagt, dass ich dich zum Lachen bringen werde und das ist mir wohl gelungen", sagt er und lächelt mich ehrlich an.

Ich spüre ein kurzes Ziehen in meiner Magengegend und senke räuspernd meinen Blick.

"Möchtest du ihn nicht trotzdem einen Besuch abstatten?"

Verständislos sehe ich ihn an, doch er meint es ernst. "Wie denn? Er ist tot, Alec", erinnere ihn.

"Ich weiß, aber du kannst trotzdem zu ihm gehen und vielleicht Blumen auf sein Grab legen oder sowas", schlägt er vor.

Ich schlucke schwer. Seit der Beerdigung im Juni war ich nicht mehr da, was mich wahrscheinlich erneut zur schlechtesten besten Freundin der Welt macht, aber ich konnte es einfach nicht. Oft habe ich daran gedacht, sein Grab mal wieder zu besuchen, aber irgendwie haben ich immer wieder irgendwelche Ausreden erfunden. Aber Alec hat recht. Es ist möglich, bei ihm zu sein, auch wenn es nur sein Grab ist. Außerdem bin ich mir fast schon zu 100% sicher, dass Nick das auch an meinem Geburtstag getan hätte.

Als wir wieder im Auto sitzen, will Alec gerade den Motor starten, als ich seine Hand ergreife, die er um den Schlüssel gelegt hat. Er sieht mich abwartend an. "Können wir vielleicht noch einen kurzen Stop einlegen?"

"Natürlich können wir das", antwortet er und ich kann in seinem Blick erkennen, dass er weiß, was ich vorhabe und ich bin ihm dankbar, dass er weiter nichts dazu sagt.

Alecs POV

Auf dem Parkplatz des Freidhofes parke ich und schalte den Motor aus. Ich mache das Licht im Auto an und betrachte Lya. Sie schaut aus dem Fenster, doch ich bin mir sicher, dass sie kaum etwas erkennen kann, da es bereits ziemlich dunkel ist und man durch das Licht nur sein eigenes Spiegelbild sihet. Ihr Körper ist starr und sie knetet ihre Hände im Schoß.

"Nimm dir deine Zeit, Lya. Ich habe es nicht eilig." Wir haben gerade mal 19 Uhr und Mum erwartet mich erst um 22 Uhr. Das stimmt zwar nicht ganz, aber das tut jetzt nichts zur Sache. Gerade gibt es wichtigeres.

Lya senkt den Blick auf ihre Hände und ich befürchte, dass sie doch wieder nach Hause möchte, doch ich bin mir sicher, dass sie es bereuen wird, wenn sie jetzt diesen Schritt nicht macht. "Ich kann dich auch begleiten, wenn du möchtest."

"Okay", gibt sie mit leiser Stimme zurück und ich steige aus. Ich gehe um den Wagen herum zur Beifahrertür und öffne sie. Lya sitzt immer noch wie ein Häufchen Elend auf dem Sitz und es tut mir weh, sie so zu sehen. Ich strecke ihr die Hand entgegen und sie schaut endlich hoch. Mit einem ermutigenden Lächeln versuche ich sie irgendwie aufzubauen und es scheint zu funktionieren, denn sie ergreift meine Hand und steigt aus. Ihre Handfläche ist mit feuchtem Schweiß bedeckt und sie zittert ein bisschen. Sie versucht es zwar zu verstecken, doch mit einer Mutter als Therapeutin, durchschaut man auch die kleinsten Tricks. Sofort lässt sie meine Hand wieder los, was mich etwas enttäuscht, ich mir aber versuche nicht anmerken zu lassen.
Lya schlägt sie Autotür zu und geht mit den Händen in der Jackentasche auf den Eingang zu. Ich folge ihr, lasse jedoch ein paar Schritte zwischen uns Abstand, da ich sie an Nicks Grab alleine lassen möchte.

Nach einigen Reihen bleibt sie vor einem Grab stehen und steht mit zusammengepressten Lippen davor. Zum Glück ist der Friedhof hier gut beleuchtet, sodass ich sie gut im Blick habe.
Lya kniet sich hin und nimmt etwas aus ihrer Jackentasche, was sie auf den Grabstein legt. Sie fährt mit ihren Fingern den Schriftzug nach und scheint meine Anwesenheit vollkommen vergessen zu haben.

"Hey Nick. Tut mir leid, dass ich lange nicht mehr hier war... aber happy birthday. Ich weiß, dass das hier kein Geschenk ist, aber ich möchte, dass du es hast. So sind wir wenigstens auf eine Art wieder vereint." Sie schluchzt und hält sich die Hände vors Gesicht.

Ich beschließe zu ihr zu gehen und knie mich neben sie. Sie zittert am ganzen Körper und weint leise in ihre Hände hinein. Alles in mir zieht sich zusammen, bei diesem Anblick. Langsam lege ich meinen Arm um ihre Schulter und halte sie fest. Zuerst reagiert sie nicht, doch dann dreht sie ihren Kopf zu mir und lehnt ihn an meine Brust. In diesem Moment weiß ich, dass sie noch kein bisschen darüber hinweg ist und ein riesiges Loch in ihrem Herz sein muss. Zwar hat sie viel Unterstützung, aber manchmal kann selbst das sie große Leere nicht füllen. Besonders nicht, wenn diese Leere die Größe eines Menschen hat, der sie nie wieder füllen kann.

Eine gefühlte Ewigkeit bleiben wir auf dem Boden gehockt und ich halte und lasse sie einfach weinen, bis sie sich aus meinen Armen löst und mit ihrem Jackenärmel über ihre Augen fährt, um die Tränen abzuwaschen. Lya sieht einfach nur auf den Grabstein vor unseren Füßen und flüstert ein "Es tut mir leid, Nick", bevor sie aufsteht und wieder Richtung Ausgang geht. Ich laufe ihr hinterher.

"Hey, ist alles in Ordnung?", frage ich und könnte mich ohrfeigen für diese Frage. Natürlich ist nichts in Ordnung. Schließlich hat sie gerade nicht ohne Grund in meinen Armen geweint.

"Ja, ich bin nur müde und möchte nach Hause", ist ihre einzige Antwort darauf und ich weiß, dass ich keine andere Antwort bekommen werde, also belasse ich es dabei.

Vor Lyas Haus bleibe ich stehen und wende mich ihr zu. Die ganze Zeit hat sie wieder nur gedankenverloren aus dem Fenster geschaut und kein Wort mehr gesagt. Sie macht keine Anstalten auszusteigen, also ergreife ich das Wort. "Es war gut, dass du es getan hast, Lya."

Jedoch zeigt sie noch immer keine Reaktion, also warte ich einfach ab. Wenn ich heute eins über sie gelernt habe, dann, dass sie Zeit und Unterstützung braucht und die werde ich ihr geben.

"Danke", sagt sie mir einem gezwungenen Lächeln.

"Kein Problem", erwidere ich.

Sie schnallt sich ab und stößt die Tür auf. Weil ich mir irgendwie blöd vorkomme, sie einfach so abzuliefern, steige ich ebenfalls aus und gehe neben ihr her, bis wir kurz vor ihrer Haustür stehen. Lya dreht sich noch einmal um und bevor ich irgendetwas machen kann, umarmt sie mich. Perplex stehe ich starr wie eine Statue da. Bis mein Hirn sich wieder einschaltet, löst sie sich wieder von mir.
"Im Ernst Alec, danke für alles. Und, ähm... würdest du das mit dem Friedhofsbesuch bitte für dich behalten?", fragt sie und streicht sich verlegen eine Sträne hinter ihr linkes Ohr.

"Natürlich. Es hat mich gefreut, Zeit mit dir verbracht zu haben. Das sollten wir nochmal wiederholen." Bitte sag ja.

"Du hast wohl in den Kaffeekuchen verliebt, was?", fragt sie belustigt. Ich stoße ein nervöses Lachen aus und fahre mir durch die Haare. "Ha, ja genau. Du hast mich erwischt." Nicht in den Kuchen, Lya. Ganz im Gegenteil.
So, wie sie gerade vor mir steht, mit müden Augen, die Geschichten erzählen, die ich mir wahrscheinlich nicht einmal vorstellen kann, einem Lächeln im Gesicht und einfach so wunderschön, würde ich sie am liebsten an mich ziehen und küssen, aber angesichts des heutigen Tages ist das nicht gerade der passende Moment. Also belasse ich es bei dem Moment und gehe einen Schritt nach dem anderen.

"Dann , gute Nacht und bis Morgen", verabschiede ich mich und gehe wieder zurück zum Auto.

"Gute Nacht und bis Morgen. Ach, und Alec?" Ich drehe meinen Kopf in ihre Richtung. "Denk nicht zu viel an den Kuchen, ja? Wir wollen ja nicht, dass du nachts davon träumst und plötzlich mit deinem Kissen im Mund aufwachst", sagt sie lachend und ich gehe nur mit einem gespielten Kopfschütteln weiter zum Auto und setze mich hinein.

Ich mochte sie ja schon von Anfang an irgendwie. Keine Ahnung warum es so war, aber ich glaube, manchmal trifft man Menschen und weiß sofort, dass sie eine wichtige Rolle im Leben einnehmen werden. Lyana Healey ist so ein Mensch und es bedeutet mir viel, ihr geholfen zu haben und ihr Vertrauen zu gewinnen.

Lyas POV

Wow, was für ein Tag. Eine reine Achterbahnfahrt der Gefühle. Zwar wollte ich zuerst nicht mit Alec fahren, aber ich glaube, es war die richtige Entscheidung, doch mit ihm zu gehen. Mir war es schon sehr peinlich, dass er mich weinen gesehen hat, aber das schien ihm nichts auszumachen. Er war einfach nur da und ich bin ihm sehr dankbar dafür. Ich weiß nicht, wann ich das nächste Mal wieder zu Nicks Grab gehen werde, aber ich bin froh, heute dagewesen zu sein. So konnte ich ihm wenigstens für kurze Zeit so nah sein, wie eben möglich.

"Hey, wie war's?", fragt Tessa aus dem Wohnzimmer und holt mich aus meinen Gedanken. Erschrocken fahre ich zusammen. "Erschreck mich doch nicht so."

"Tut mir leid. Komm, setz dich." Sie rückt ein Stück zur Seite und klopft auf den freien Platz neben ihr. Da sie sonst sowieso keine Ruhe geben wird, setze ich mich neben sie und lasse den Schwarm Fragen über mich ergehen.
"Erzähl. Aber zuerst einmal, wer ist er überhaupt?" Meine große Schwester ist echt neugierig.

"Wie gesagt, er ist Alec, neu hier und geht in einige meiner Kurse. Er ist befreundet mit Jonah, der mit Maddie zusammen ist und ja, kannst du dir ja denken." Dass wir eigentlich auch miteinander befreundet sind, lasse ich bewusst aus dieser Unterhaltung.

"Okay und wie war's so?" Sie war noch nie so neugierig darauf, was in meinem Leben abging, bevor Nick starb. Selbst die Tatsache, dass ich damals mit Gavin ausging, schien sie kaum zu interessieren.

"Gut. Wir hatten Spaß", gebe ich knapp wieder und hoffe, dass somit unser Gespräch beendet ist. Ich bin nämlich wirklich fertig und möchte einfach nur noch in mein Bett. Tessa scheint das zu bemerken und lässt – nur widerwillig - locker. "Freut mich. Mum und Dad sind gerade noch schnell einkaufen, aber ich habe ihnen gesagt, dass du mit einem Freund unterwegs seist." Klasse. Da werde ich mir sicher auch noch etwas anhören müssen.

"Okay. Gute Nacht" Ich stehe auf und gehe die Treppe hoch in mein Zimmer. Schnell mache ich mich bettfertig und versuche nicht mehr an den heutigen Tag zu denken, sonst laufe ich nämlich Gefahr, meine Gedanken nicht mehr stoppen zu können. Also schalte ich das Radio an, lege mich sofort hin und bin auch in nur wenigen Minuten schon weggedöst.

Alecs POV

Als ich das Auto wieder in die Einfahrt neben Moms parke, bleibe ich einen Moment in der Stille sitzen und denke nach. Eigentlich bin ich kein Mensch, der Entscheidungen aus einem Impuls heraus fällt, aber heute war es die einzig richtige Entscheidung. Ich bin froh, dass ich Lya wenigstens für eine kurze Zeit ablenken konnte, auch wenn der Friedhofsbesuch keine Ablenkung war, hatte ich trotzdem das Gefühl, als würde ihr danach ein bisschen der Last von ihren Schultern genommen werden. Das Vertrauen eines Menschen zu gewinnen, fühlt sich immer wieder wie ein Geschenk an. Wenn ich an ihre Umarmung denke, kann ich den Vanilleduft in ihren Haaren immer noch riechen und lächele vor mich hin. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn sie mich gar nich erst losgelassen hätte.

So langsam wird es mir etwas kalt und ich beschließe, den Wagen zu verlassen, aber die Erninnerung an heute mitzunehmen. Als ich die Haustür aufschließe, sehe ich bereits Licht im Wohnzimmer brennen und schlucke, als ich die Tür hinter mir leise schließe. Um ein Gespräch werde ich wohl nicht kommen.

"Alec, bist du das?", höre ich Moms Stimme.

"Ja, Mom." Wer soll es denn sonst sein?
Ich gehe aufs Wohnzimmer zu und bleibe im Türrahmen stehen. Mom sitzt auf dem Sofa und schaut irgendeine Nachrichtensendung, die sie jedoch auf stumm schaltet, als sie mich bemerkt. Natürlich hätte ich mir auch denken können, dass Carter und Aurelia bei ihr sitzen. Die beiden schauen ebenfalls in meine Richtung. Gerade fühle ich mich wie ein Verbrecher, den man ertappt hat und jetzt zur Rede stellen will.

"Wo warst du?", fragt Mom und alle sehen mich fragend an. Ich meine, etwas Besorgnis in ihrer Stimme rauszuhören.

"Ich musste jemandem helfen."

Moms Augenbrauen schießen in die Höhe, Aurelia wendet sich wieder dem Fernseher zu und Carter sieht mich an, als hätte er tausend Fragen. "Deinem Wagen ist nichts passiert, Carter", sage ich an meinen Bruder gewandt. "Ich gehe dann mal in mein Zimmer. Ich habe nämlich noch ein paar Aufgaben zu machen", sage ich schließlich, als niemand anderes mehr etwas sagt und gehe nach oben.

Als ich gerade den ersten Satz meiner Englischaufgabe geschrieben habe, kommt jemand in mein Zimmer. Schon ohne mich umzudrehen, weiß ich, dass es mein Bruder ist. Ich lege den Stift hin und drehe mich zu ihm.

"Ich hoffe stark, dass du meinen Tank nicht komlett geleert hast", sagt er und setzt sich auf mein Bett.

"Habe ich nicht. Ich bin schließlich nicht um die halbe Welt gereist."

"Gut. Apropos, wo warst du überhaupt?", fragt er, als wäre er Dad.

"Keine Drogen kaufen, falls du das wissen wolltest." Es sollte nicht so spitz klingen, aber nun sind die Worte draußen.

Carter zieht die Augenbrauen und einige Falten legen sich auf seine Stirn. "Das dachte ich auch nicht. Das habe ich nie gedacht. Weißt du Alec, ich bin nicht Dad." Daraufhin steht er auf und lässt mich wieder alleine.
Ich atme tief durch und lasse mich in meine Stuhl sinken.

Lyas POV

"Wieso bist du gestern nicht ans Telefon gegangen? Ich habe dich angerufen und Nachrichten geschrieben", fragt Maddie in einem tadelnden Unterton, als wir auf dem Weg zur Schule sind.

"Oh, ich war gestern nicht da und habe auch nicht mehr nachgeschaut. Tut mir leid."
Gestern Abend war ich zu müde und habe gar nicht mehr auf mein Handy geguckt und während ich mit Alec zusammen war, hatte ich es auf lautlos gestellt. Mit dem Gedanken an den gestrigen Tag, schleicht sich ein flaues Gefühl in meinen Magen, das ich nicht genau beschreiben kann.

Maddie beäugt mich kritisch. "Wo warst du denn?"

"Im Kino", antworte ich kurz angebunden und halte meinen Blick geradeaus.

"Und mit wem? Bitte sag nicht, du warst mit Gavin unterwegs."

"Nein, mit Alec." Sie sieht mich mit hochgezogenden Augenbrauen von der Seite an. "Oh... äh, wie kam das denn?", fragt sie überrascht.

"Er stand vor meiner Tür und hat mich gefragt, ob ich etwas mit ihm unternehmen möchte. Eigentlich wollte ich zuerste nicht, aber ich wollte ihm nicht absagen, wo er doch extra herkam. Außerdem stand Tessa daneben und hat mich wieder mit ihrem Blick angeguckt, der mir deutlich machte, dass sie mich zwingen würde, wenn es nötig wäre, mit ihm zu gehen."
Ich drehte meinen Kopf in ihre Richtung und auf ihrem Gesicht breitet sich ein Lächeln aus.
"Was ist denn daran so lustig?", frage ich verständislos.

"Ihr hattet also ein Date?"

"NEIN", kommt es zu schnell aus meinem Mund. "Das war einfach eine spontane Unternehmung. Er hat bemerkt, dass ich gestern ziemlich mies drauf war und wollte mich aufheitern", schiebe ich hinterher. Ein Bild von Alecs Blick gestern, als er mich anschaute und mir sagte, ich sollte öfter lachen, kommt mir in den Sinn und ich ignoriere das angenehme Gefühl in meiner Magendgegend.

"Oh wie süß von ihm", quietscht sie, was mich nur die Augen verdrehen lässt.

"Ach Maddie, das machen Freunde nunmal." Erst nachdem ich es ausgesprochen habe, wird mir klar, dass ich Alec soeben das erste Mal als Freund bezeichnet habe. Vorher habe ich ihn nicht wirklich als solchen angesehen. Klar, er ist immer bei uns, aber irgendwie kam mir diese Bezeichnung immer fremd vor. Bis jetzt. Denn wäre er nicht mein Freund, wäre er gestern nicht aufgetaucht.

"Wenn du das sagst. Aber lass es dir gesagt sein, Lya, er steht auf dich. Trotzdem bin ich etwas verletzt, weil du nichts mit mir unternehmen wolltest, aber mit Alec", sagt sie und zieht einem kleinen Schmollmund.

*

"Guten Morgen", begrüßt uns Jonah, der bereits auf dem Schulhof steht. Maddie fällt ihm um den Hals und gibt ihm zur Begrüßung einen Kuss, während ich ein "Morgen" von mir gebe. Er erzählt Maddie, dass seiner seiner Lehrer heute nicht da sei und er eine Freistunde hätte, die auch in Maddies Freistundenschiene fällt, was sie sehr freut. Die beiden unterhalten sich über eventuelle Unternehmungsvorschläge, während ich neben mir ein freundliches "Guten Morgen" wahrnehme und meinen Kopf sofort in diese Richtung drehe.

Alec schenkt mir ein warmes Lächeln und ich erwidere es zum ersten Mal ohne Zurückhaltung. Im nächsten Moment klingelt es und wir machen uns auf den Weg ins Klassenzimmer.

*

Bisher hat Alec noch mit keinem Wort etwas von gestern erwähnt und das bestätigt meine These, dass ich ihm vertrauen kann. Als Maddie und Jonah in der Pause kurz zu seinem Auto gehen, dreht Alec sich zu mir und sein üblicher freundlicher Gesichtsausdruck verändert sich zu einem ernsten. "Wie geht es dir?", fragt er mich tief in die Augen schauend und ich weiß, dass er wegen gestern fragt.

Wenn ich also gut sage, würde er es mir nicht glauben, also entscheide ich mich für die Wahrheit. "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Gestern war... gestern war ziemlich hart für mich, aber es geht mir wieder besser." Als Bestätigung schiebe ich noch ein kleines Lächeln hinterher, doch er mustert mich nur misstrauisch, als ob er auf der Suche nach einer Lüge ist. Ich weiß nicht, was es ist, aber er hat etwas in seinem Blick, das mich die Wahrheit sagen lässt. Immer wieder und das ist leicht beängstigend. Vielleicht sind es seine braunen Augen, die Wärme und Vertrauen ausstrahlen.

Er seufzt und sein Blick wird weicher. "Okay. Ich hoffe, ich habe dich mit meiner Aktion gestern nicht bedrängt."

"Nein, hast du nicht. Ich glaube sogar, dass es nötig war", gebe ich ehrlich zurück und bekomme dafür wieder ein typisches Alec Lächeln. "Du weißt ja, ich bin für dich da." Und dafür bin ich mehr als dankbar. Ich erwidere sein Lächeln.

In diesem Moment wirkt er plötzlich ganz anders. Als könnte ich jetzt erst klar sehen und erkennen, was für ein Mensch er wirklich ist. Er war nie so, wie ich ihn zuerst eingeordent hatte. Aber niemand ist so, wie man ihn zuerst vermutet. Deshalb sollte man auch nie irgendwelche Voruteile ziehen.
Erneut bemerke ich eine Art Wohlgefühl in meinem Magen und wende meinen Blick ab. Was ist nur los mit mir?

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