❥ Chapter 26

Lyas POV

Die letzten Minuten des Spiels laufen und unsere Mannschaft liegt in Führung. Es sieht gut aus für unseren Sieg. Alles läuft fast schon perfekt, als plötzlich ein blonder Haarschopf auf dem Spielfeld auftaucht, der vorher noch nicht da war und auch keine rot-weißen Footballsachen trägt. Ich fokussiere meinen Blick auf ihn und die Erkenntnis trifft mich. Ich kenne diesen Gang, diese Haare und diese dunkle Jacke nur zu gut. Nick.
Erschrocken ziehe ich Luft ein und stehe langsam auf. Alle anderen um mich herum bleiben sitzen und kümmern sich nicht darum, dass ich ihnen vielleicht im Weg stehe und die Sicht auf das Feld verdecke. Sie jubeln weiter. Auch scheint niemand die weitere Person auf dem Spielfeld zu bemerken, die eigentlich nicht da sein sollte. Ich verlasse meinen Platz und nähere mich dem Gitter, welches direkt an das Spielfeld grenzt. Er ist es wirklich.

"Nick", rufe ich ihn, doch er reagiert nicht. Der Jubel des Publikums übertönt meine Rufe.

"Nick!", schreie ich nochmal, doch wieder kommt keine Reaktion. Also schwinge ich mich über das Gitter und stehe auf einer weißen Linie. Der Lärm der Fans, der vorhin noch in meinen Ohren tobte, ist verklungen  und nun ist es so still wie an einem schönen Abend im Sommer. Nur noch das Rascheln einiger Bäume ist zu hören, sonst nichts. Ich sehe mich um, doch niemand ist mehr hier. Die ganze Tribühne ist wie leer gefegt, sogar das Spielfeld sieht aus, als hätte man seit Monaten nicht mehr darauf gespielt.
Ich bin alleine hier, bis auf Nick. Er steht in der Mitte des Spielfeldes und ich renne zu ihm. Ich renne und renne, doch ich komme nie an. Außer Puste bleibe ich stehen und stütze mich auf meine Knie ab.

"Verdammt Nick, komm doch mal her!", versuche ich es erneut und einer verzweifelter Unterton schwingt in meiner Stimme mit.
In diesem Moment sehe ich, wie eine rote Flüssigkeit an seinen runterhängenden Armen runterläuft und ziehe erschrocken Luft ein. Immer mehr läuft an seinen Armen entlang und ich kann mich nicht mehr auf den Beinen halten und sinke ich zu Boden. Es fühlt sich an, als wäre das mein Blut, das aus seinen Armen strömt und würde mir meine Kraft zum Stehen nehmen.

"NICK", schreie ich so laut ich kann, bis meine Stimmer versagt. "SCHEIßE, HELFT IHM DOCH ENDLICH!!" Doch niemand ist hier, nur ich bin es und ich kann mich nicht bewegen. Tränen laufen meine Wagen herunte und ich bekomme keine Luft mehr. Ich habe das Gefühl, mir würde jemand die Luft abdrücken.
Je mehr rote Flüssigkeit Nicks Arme runterläuft, desto schwächer wird er und sackt immer mehr in sich zusammen. Da wird mir klar: er verblutet gerade vor meinen Augen und ich kann nichts dagegen tun.
"NEIN! NEIN! Nein..."

Erschrocken schlage ich die Augen auf und versuche meine Atmung zu kontrollieren. Mein Puls ist rast gerade und ist wahrscheinlich weit über 100 gesprungen, sodass ich befürchte, mein Herz springt gleich aus meiner Brust heraus. Schnell lege ich die Hände auf meinen Bauch und versuche mich auf das lange Ein- und Ausatmen zu konzentrieren, genau so, wie Mrs Jensen es mir für meine Panikattacken beigebracht hat. Nach einige Minuten beruhigt sich meine Atmung wieder und meine Panik lässt immer mehr nach. Nur das Zittern beruhigt sich nicht so schnell.

Frustriert reibe ich meine Hände zuerst übers Gesicht und fahre mir danach durch die verschwitzen Haare. Mir ist unglaublich warm, also schlage ich meine Bettdecke zur Seite und blicke auf den Wecker auf meinem Nachttisch. 2:35 Uhr. Verdammt, es ist noch mitten in der Nacht, obwohl es sich wie 6 Uhr morgens anfühlt. Durch diesen Albtraum bin ich wieder hellwach geworden.

Um mir etwas die Beine zu vertreten, stehe ich auf und gehe zur Toilette. Als ich mich wieder ins Bett legen möchte, kommt mir der Gedanke ans Weiterschlafen gar nicht erst wieder in den Sinn. Meine Müdigkeit ist vollkommen verschwunden. Mein Blick streift meinen Wecker und gleitet das Schränkchen hinunter, bis er an einer Schublade hängen bleibt. Ich gehe darauf zu, öffne sie, ziehe das schwarze Notizbuch heraus und betrachte es. Bilder aus meinem Traum springen in meinen Gedanken wie Pop Up Nachrichten auf und ich wünsche mir sofort, dass Nick hier wäre und ich ihm davon berichten könnte. Er würde mir zuhören und im nächsten Moment anfangen zu lachen.

Er würde sagen "Ich bin doch hier. Siehst du? Ich bin noch quicklebendig. So schnell wirst du ich nicht los." Das wiederum würde mich zum Lachen bringen und meine Angst wäre sofort verflogen.

Ich gehe zu meinem Schreibtisch, setze mich auf den Stuhl und schalte das Licht an, bevor ich nach einem Stift suche. Mit einem Kulli in der Hand öffne ich das Buch und beginne zu schreiben.

Hey Nick,
ich bin's wieder. Tut mir leid, dass ich mich immer weniger melde. Ich habe Dich natürlich nicht vergessen. Das könnte ich nie, aber ich brauchte etwas Abstand und musste mich ablenken, was im Endeffekt wohl die falsche Entscheidung war, da all das Verdrängte mich in meinem Träumen heimsucht. Du erinnerst dich ja sicher noch an Freuds Theorie, oder?
Jedenfalls ist morgen das Homecomig Spiel unsere Footballmannschaft und da Du nicht da sein wirst, werde ich es sein. Sogar Maddie wird da sein, was aber eher als Grund hat, dass Jonah natürlich auch da sein wird. Ich schätze, er wird Dich morgen noch mehr vermissen als sonst.
Ich wünschte, Du wärst noch hier. Wenn du mich nochmal gefragt hättest, ob ich mit zu einen Spiel gehen wollen würde, hätte ich sofort ja gesagt. Warum hast Du mir das angetan?! Ich weiß, das frage ich Dich wahrscheinlich jetzt schon zum tausensten Mal, aber ich verstehe es einfach nicht. Ich würde ja wirklich gern sagen, dass ich Dich dafür hasse, aber das wäre glatt gelogen. Das könnte ich nie und das weißt Du ganz genau.
Okay, ich wollte wohl wieder versuchen, zu schlafen, damit ich in der Schule, die in einigen Stunden wieder anfängt, nicht noch mehr wie ein Zombie aussehe, als sowieso schon.
Bis dann,
Lya

Als ich fertig bin, lege ich den Stift zur Seite, schließe das Buch und mache die Lampe wieder aus, bevor ich zurück ins Bett gehe und erneut das Buch verstaue. Diese kurze Nachricht an Nick hat mich etwas beruhigt, aber schlafen kann ich immer noch nicht. Ich liege bestimmt noch eine Zeit lang wach und starre einfach ins dunkle Nichts, während ich an nichts und gleichzeitig an alles denke. Die letzten Tage hatte ich keine Albträume mehr, was mich selbst etwas gewundert hat, aber jetzt scheint es, als würde alles auf einmal auf mich einprasseln und mich mit aller Wucht wieder in die Tiefe ziehen, obwohl ich das Gefühl hatte, auf einem guten Weg nach oben zu sein.

Immer wieder drehte ich mich nach auf die andere Seite, bis ich irgendwann eingeschlafen sein muss, denn ich höre meinen Wecker klingeln und schlage die Augen auf. Seufzend stehe ich auf und mache mich bereit für einen neuen Schultag.

*

Die Schule war wie immer, nur heute noch nerviger, weil wirklich alle nur noch über das blöde Spiel morgen geredet haben. Als würde es nach diesem Spiel nicht mehr weitergehen.

Ich bin froh, wieder Zuhause zu sein und dem Hype entkommen zu können, als meine Mutter panisch durch die Küche läuft. Sie hebt den Kopf, als ich die Küche betrete und kommt erleichtert auf mich zu. "Was ist denn los?", frage ich leicht verängstigt.

"Ich habe versucht, dich zu erreichen, aber du bist nicht an dein Handy gegangen", anwortet sie schnell und ich bekomme sofort ein schlechtes Gewissen. "Tut mir leid, Mom, ich hatte es noch immer auf lautlos gestellt und wohl vergessen, das zu ändern", gebe ich zurück. Ich wollte nicht, dass Mom sich noch mehr Sorgen um mich macht.

"Oh okay, ja klar, du hattest schließlich Schule. Tut mir leid, aber ich wollte dir nur sagen, dass du heute keine Therapie hast. Mrs Jensens Sekretärin hat vorhin angerufen und es mir gesagt und ich hatte befürchtet, du wärst bereits auf dem Weg dorthin, weil dich niemand von uns abgeholt hat, doch du bist hier. Das ist gut." Sie atmet erleichtert auf und ich nächsten Moment legt sie ihren Kopf leicht schräg und sieht mich fragend an. "Moment, warum bist du hier?"

"Mrs Jensen hat mir letzte Woche gesagt, dass mein Termin heute ausfällt, aber ich dachte, ich hätte euch das auch gesagt. Tut mir leid."
Mom atmet erleichtert aus und lächelt schwach. Ich weiß nicht, warum sie so ausrastet, außer... "Du hast doch wohl nicht gedacht, ich würde die Sitzung schwänzen, oder?", frage ich skeptisch und verschränke meine Arme vor der Brust.

Ihr Lächeln verschwindet und sie legt ihre Stirn in Falten. "Natürlich nicht, aber ich wollte nur sichergehen, dass dir nichts passiert ist." Das ist mein viertes Jahr, in dem ich den gleichen Weg laufe und plötzlich hat sie Angst, mir könnte etwas passiert sein, obwohl noch nie etwas passiert ist. Ich bin noch nie nicht nur einmal gestolpert. Aber ihrer Panik nach zu urteilen dachte sie anscheinend, ich würde vor das nächste Auto laufen.

"Ich gehe dann in mein Zimmer", sage ich und verschwinde die Treppe hoch in mein Zimmer. Auf eine weitere Diskussion habe ich wirklich keine Lust mehr.

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